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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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Die Mnnsche des höhern Tehrerstandes in Preußen

boten bestätigt, wo versichert wird, daß die Gymnasiallehrer gar nicht eine
neue Gehaltserhöhung verlangen, sondern nur eine Änderung des jetzigen Ve-
fvrderungssystems wünschen, das die Erreichung der höhern Gehaltsstufen von
allerlei Zufälligkeiten abhängig macht. Was ich im folgenden sage, davon
können sich also nicht die Gymnasiallehrer im allgemeinen, sondern nur die
Verfasser der neunundzwanzig Wünsche getroffen fühlen.

Diese Wünsche beziehen sich teils auf Vorbildung, Prüfung, Anstellung,
Beförderung und auf eine Neugestaltung der Aufsichtsbehörden, teils auf
Rang, Titel und Gehaltserhöhungen. Die Forderungen der ersten Gruppe
lasse ich unberührt, weil ich nicht Lehrer, also auch uicht berechtigt bin, mich
in Fachnngelegenheiten einzumischen; aber bei deu Forderungen der zweiten
Gruppe hat jeder Staatsbürger ein Wörtchen mitzusprechen. In Bezug auf
Rang und Titel wird gewünscht: "Mit der Zulassung zur Ableistung des
Seminarjahres erhalten die Kandidaten den Titel "Schulreferendar," mit der
Erwerbung des Zeugnisses sür die Anstellungsfähigkeit deu Titel "Schul-
assessor" und damit den Rang der Räte fünfter Klasse. Mit der Anstellung
erwirbt der Angestellte den Titel "Oberlehrer." Von den Oberlehrern erhält
derselbe Prozentsatz wie bei den Richtern unterster Instanz den Rang der
Räte vierter Klasse unter Verleihung des Titels "Professor.""

Das Rang- und Titelweseu hat, wie alles in der Welt, seine zwei Seiten.
Die eine ist die orientalische. Im Orient haben Despoten, die in der Un¬
wissenheit, Roheit und Gemeinheit dem letzten ihrer Unterthanen innerlich ganz
nahe standen, frühzeitig das Bedürfnis empfunden, einen desto größern äußer¬
lichen Abstand zwischen sich und dem Volke durch eine Abstufung von Hof¬
ämtern und das damit verbundene Zeremoniell zu schaffen. In China hat
sich dann diese Despotenschöpfung mit der kindischen Eitelkeit ans eine durch
Prüfungen zu erweisende tote und völlig unfruchtbare Gelehrsamkeit zu dem ge¬
nugsam bekannten Maudarinentum verquickt. Hier gilt die menschliche Per¬
sönlichkeit nichts mehr; was allein gilt, das sind Rang und Titel, Kostüm
und Maske, Knopf und Zopf. Das europäische Leben zeigt von Anfang an
den entgegengesetzten Charakterzug. Daß der Mensch nicht seiner äußern
Stellung und seines Kleides, sondern seiner Persönlichkeit wegen geschätzt wird,
daß jeder im andern vor allem den Menschen sieht, daß sich auch der Vor¬
nehmste nicht scheut, vor dem Volke als Mensch zu erscheinen, daß er sich
seiner Menschennatur und ihrer Schwächen nicht schämt, das eben ist das
Wesen des griechisch-römischen Geistes, des Humanismus. Neben den gött¬
lichen Dulder Odysseus, den König, tritt als ebenbürtiger Charakter der gött¬
liche Sauhirt, auch der große Perikles wird nicht "Herr Geheimer Kriegs-,
Finanz- und Steuerrad," sondern "o Perikles" angeredet, und die Haut eines
wohlgebildeten kräftigen Leibes ist die einzige Uniform, die imponirt. Von
Gelehrteneitelkeit aber ist der echte Humanismus so weit entfernt, daß der


Die Mnnsche des höhern Tehrerstandes in Preußen

boten bestätigt, wo versichert wird, daß die Gymnasiallehrer gar nicht eine
neue Gehaltserhöhung verlangen, sondern nur eine Änderung des jetzigen Ve-
fvrderungssystems wünschen, das die Erreichung der höhern Gehaltsstufen von
allerlei Zufälligkeiten abhängig macht. Was ich im folgenden sage, davon
können sich also nicht die Gymnasiallehrer im allgemeinen, sondern nur die
Verfasser der neunundzwanzig Wünsche getroffen fühlen.

Diese Wünsche beziehen sich teils auf Vorbildung, Prüfung, Anstellung,
Beförderung und auf eine Neugestaltung der Aufsichtsbehörden, teils auf
Rang, Titel und Gehaltserhöhungen. Die Forderungen der ersten Gruppe
lasse ich unberührt, weil ich nicht Lehrer, also auch uicht berechtigt bin, mich
in Fachnngelegenheiten einzumischen; aber bei deu Forderungen der zweiten
Gruppe hat jeder Staatsbürger ein Wörtchen mitzusprechen. In Bezug auf
Rang und Titel wird gewünscht: „Mit der Zulassung zur Ableistung des
Seminarjahres erhalten die Kandidaten den Titel »Schulreferendar,« mit der
Erwerbung des Zeugnisses sür die Anstellungsfähigkeit deu Titel »Schul-
assessor« und damit den Rang der Räte fünfter Klasse. Mit der Anstellung
erwirbt der Angestellte den Titel »Oberlehrer.« Von den Oberlehrern erhält
derselbe Prozentsatz wie bei den Richtern unterster Instanz den Rang der
Räte vierter Klasse unter Verleihung des Titels »Professor.«"

Das Rang- und Titelweseu hat, wie alles in der Welt, seine zwei Seiten.
Die eine ist die orientalische. Im Orient haben Despoten, die in der Un¬
wissenheit, Roheit und Gemeinheit dem letzten ihrer Unterthanen innerlich ganz
nahe standen, frühzeitig das Bedürfnis empfunden, einen desto größern äußer¬
lichen Abstand zwischen sich und dem Volke durch eine Abstufung von Hof¬
ämtern und das damit verbundene Zeremoniell zu schaffen. In China hat
sich dann diese Despotenschöpfung mit der kindischen Eitelkeit ans eine durch
Prüfungen zu erweisende tote und völlig unfruchtbare Gelehrsamkeit zu dem ge¬
nugsam bekannten Maudarinentum verquickt. Hier gilt die menschliche Per¬
sönlichkeit nichts mehr; was allein gilt, das sind Rang und Titel, Kostüm
und Maske, Knopf und Zopf. Das europäische Leben zeigt von Anfang an
den entgegengesetzten Charakterzug. Daß der Mensch nicht seiner äußern
Stellung und seines Kleides, sondern seiner Persönlichkeit wegen geschätzt wird,
daß jeder im andern vor allem den Menschen sieht, daß sich auch der Vor¬
nehmste nicht scheut, vor dem Volke als Mensch zu erscheinen, daß er sich
seiner Menschennatur und ihrer Schwächen nicht schämt, das eben ist das
Wesen des griechisch-römischen Geistes, des Humanismus. Neben den gött¬
lichen Dulder Odysseus, den König, tritt als ebenbürtiger Charakter der gött¬
liche Sauhirt, auch der große Perikles wird nicht „Herr Geheimer Kriegs-,
Finanz- und Steuerrad," sondern „o Perikles" angeredet, und die Haut eines
wohlgebildeten kräftigen Leibes ist die einzige Uniform, die imponirt. Von
Gelehrteneitelkeit aber ist der echte Humanismus so weit entfernt, daß der


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[0175] Die Mnnsche des höhern Tehrerstandes in Preußen boten bestätigt, wo versichert wird, daß die Gymnasiallehrer gar nicht eine neue Gehaltserhöhung verlangen, sondern nur eine Änderung des jetzigen Ve- fvrderungssystems wünschen, das die Erreichung der höhern Gehaltsstufen von allerlei Zufälligkeiten abhängig macht. Was ich im folgenden sage, davon können sich also nicht die Gymnasiallehrer im allgemeinen, sondern nur die Verfasser der neunundzwanzig Wünsche getroffen fühlen. Diese Wünsche beziehen sich teils auf Vorbildung, Prüfung, Anstellung, Beförderung und auf eine Neugestaltung der Aufsichtsbehörden, teils auf Rang, Titel und Gehaltserhöhungen. Die Forderungen der ersten Gruppe lasse ich unberührt, weil ich nicht Lehrer, also auch uicht berechtigt bin, mich in Fachnngelegenheiten einzumischen; aber bei deu Forderungen der zweiten Gruppe hat jeder Staatsbürger ein Wörtchen mitzusprechen. In Bezug auf Rang und Titel wird gewünscht: „Mit der Zulassung zur Ableistung des Seminarjahres erhalten die Kandidaten den Titel »Schulreferendar,« mit der Erwerbung des Zeugnisses sür die Anstellungsfähigkeit deu Titel »Schul- assessor« und damit den Rang der Räte fünfter Klasse. Mit der Anstellung erwirbt der Angestellte den Titel »Oberlehrer.« Von den Oberlehrern erhält derselbe Prozentsatz wie bei den Richtern unterster Instanz den Rang der Räte vierter Klasse unter Verleihung des Titels »Professor.«" Das Rang- und Titelweseu hat, wie alles in der Welt, seine zwei Seiten. Die eine ist die orientalische. Im Orient haben Despoten, die in der Un¬ wissenheit, Roheit und Gemeinheit dem letzten ihrer Unterthanen innerlich ganz nahe standen, frühzeitig das Bedürfnis empfunden, einen desto größern äußer¬ lichen Abstand zwischen sich und dem Volke durch eine Abstufung von Hof¬ ämtern und das damit verbundene Zeremoniell zu schaffen. In China hat sich dann diese Despotenschöpfung mit der kindischen Eitelkeit ans eine durch Prüfungen zu erweisende tote und völlig unfruchtbare Gelehrsamkeit zu dem ge¬ nugsam bekannten Maudarinentum verquickt. Hier gilt die menschliche Per¬ sönlichkeit nichts mehr; was allein gilt, das sind Rang und Titel, Kostüm und Maske, Knopf und Zopf. Das europäische Leben zeigt von Anfang an den entgegengesetzten Charakterzug. Daß der Mensch nicht seiner äußern Stellung und seines Kleides, sondern seiner Persönlichkeit wegen geschätzt wird, daß jeder im andern vor allem den Menschen sieht, daß sich auch der Vor¬ nehmste nicht scheut, vor dem Volke als Mensch zu erscheinen, daß er sich seiner Menschennatur und ihrer Schwächen nicht schämt, das eben ist das Wesen des griechisch-römischen Geistes, des Humanismus. Neben den gött¬ lichen Dulder Odysseus, den König, tritt als ebenbürtiger Charakter der gött¬ liche Sauhirt, auch der große Perikles wird nicht „Herr Geheimer Kriegs-, Finanz- und Steuerrad," sondern „o Perikles" angeredet, und die Haut eines wohlgebildeten kräftigen Leibes ist die einzige Uniform, die imponirt. Von Gelehrteneitelkeit aber ist der echte Humanismus so weit entfernt, daß der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/175>, abgerufen am 23.07.2024.