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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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Gegenstand gedacht und erstrebt haben, halte ich es für angemessen, meine
Darstellung vorwiegend ans Preußen zu beschränken.

Friedrich Wilhelm III. hatte schon am 27. Oktober 1810 "eine zweckmäßig
eingerichtete Repräsentation sowohl in den Provinzen als für das Ganze" in
Aussicht gestellt; diese Zusage wiederholte er in bestimmterer Fassung am
22. Mai 1815 in einer Verordnung, aus deren Wortlaut sich erkennen läßt,
daß damals dem König und feiner Regierung eine aus mittelbaren Wahlen
hervorgehende, nach Ständen gegliederte Volksvertretung vorschwebte. In
welcher Weise aber die Wahlen sich vollziehen sollten, darüber war und blieb
man noch lange unentschlossen.

Die in jener Verordnung auf den 1. September in Aussicht gestellte
Kommission trat überhaupt nicht zusammen, und eine andre, die auf den
7. Juli 1817 berufen wurde, lieferte den Beweis, daß die im Schoße der
Regierung sich bekämpfenden Ansichten noch immer nicht zu einer einheitlichen
Auffassung abgeklärt waren. Auch die Versuche, die mau im Jahre 1819
machte, führten zu keinem guten Ende. Obwohl aber um jene Zeit die
Entlassung der liberalen Minister Behme, v. Boyen und Humboldt den Beginn
einer Reaktion vermuten ließ, erschien uoch am 17. Januar 1820 das viel¬
genannte königliche Edikt in Betreff des Staatsschuldenwesens, worin sich zur
Wiederbelebung mancher Hoffnung der folgende Satz fand: "Sollte der Staat
künftighin in die Notwendigkeit kommen, zur Aufnahme eiues neuen Darlehens
zu schreiten, so kann solches nur mit Zulassung und unter Mitgnrantie der
künftigen reichsstäudischeu Versammlung geschehen."

Inzwischen war aber trotz aller Verheißungen die Gunst der Zeit von
diesen Bestrebungen gewichen, und so erschien endlich im Jahre 1823 die Maus
des kreißenden Berges, das "allgemeine Gesetz wegen Anordnung der Pro-
vinzinlstäude." Daß darin von einer Vertretung des ganzen Landes nicht
mehr die Rede war, konnte kaum uoch überraschen, denn schon am
11. Juni 1821 hatte der König in einer Kabinetsordre erklärt, daß er den
Gedanken an Neichsstünde aufgebe und diese Angelegenheit "der Zeit, der Ent¬
wicklung der Sache und der landesvüterlichen Fürsorge" anheimstelle.

In welcher Weise aber vollzogen sich die Wahlen zu den Prvvinzial-
ständen? Wahlberechtigung und Wahlfühigkeit waren ausschließlich an das
Grundeigentum gebunden, und zwar so, daß die Standesherren und Ritter¬
gutsbesitzer zusammen die eine Hälfte, die Städte und die übrigen Grund¬
besitzer die andre Hälfte der Vertreter hatten. Unter den 584 Stimmen der
acht Provinzialstünde besaßen die Standesherren und die adlichen Grund¬
besitzer 278, die Städte 182 und die Bauern 124. Die Juden waren von
der Vertretung gänzlich ausgeschlossen.

Am 3. Februar 1847 erfolgte die Berufung der acht Provinziallandtage
zu dem Vereinigten Landtag; sein Nachfolger, der durch Patent vom 14. März


Gegenstand gedacht und erstrebt haben, halte ich es für angemessen, meine
Darstellung vorwiegend ans Preußen zu beschränken.

Friedrich Wilhelm III. hatte schon am 27. Oktober 1810 „eine zweckmäßig
eingerichtete Repräsentation sowohl in den Provinzen als für das Ganze" in
Aussicht gestellt; diese Zusage wiederholte er in bestimmterer Fassung am
22. Mai 1815 in einer Verordnung, aus deren Wortlaut sich erkennen läßt,
daß damals dem König und feiner Regierung eine aus mittelbaren Wahlen
hervorgehende, nach Ständen gegliederte Volksvertretung vorschwebte. In
welcher Weise aber die Wahlen sich vollziehen sollten, darüber war und blieb
man noch lange unentschlossen.

Die in jener Verordnung auf den 1. September in Aussicht gestellte
Kommission trat überhaupt nicht zusammen, und eine andre, die auf den
7. Juli 1817 berufen wurde, lieferte den Beweis, daß die im Schoße der
Regierung sich bekämpfenden Ansichten noch immer nicht zu einer einheitlichen
Auffassung abgeklärt waren. Auch die Versuche, die mau im Jahre 1819
machte, führten zu keinem guten Ende. Obwohl aber um jene Zeit die
Entlassung der liberalen Minister Behme, v. Boyen und Humboldt den Beginn
einer Reaktion vermuten ließ, erschien uoch am 17. Januar 1820 das viel¬
genannte königliche Edikt in Betreff des Staatsschuldenwesens, worin sich zur
Wiederbelebung mancher Hoffnung der folgende Satz fand: „Sollte der Staat
künftighin in die Notwendigkeit kommen, zur Aufnahme eiues neuen Darlehens
zu schreiten, so kann solches nur mit Zulassung und unter Mitgnrantie der
künftigen reichsstäudischeu Versammlung geschehen."

Inzwischen war aber trotz aller Verheißungen die Gunst der Zeit von
diesen Bestrebungen gewichen, und so erschien endlich im Jahre 1823 die Maus
des kreißenden Berges, das „allgemeine Gesetz wegen Anordnung der Pro-
vinzinlstäude." Daß darin von einer Vertretung des ganzen Landes nicht
mehr die Rede war, konnte kaum uoch überraschen, denn schon am
11. Juni 1821 hatte der König in einer Kabinetsordre erklärt, daß er den
Gedanken an Neichsstünde aufgebe und diese Angelegenheit „der Zeit, der Ent¬
wicklung der Sache und der landesvüterlichen Fürsorge" anheimstelle.

In welcher Weise aber vollzogen sich die Wahlen zu den Prvvinzial-
ständen? Wahlberechtigung und Wahlfühigkeit waren ausschließlich an das
Grundeigentum gebunden, und zwar so, daß die Standesherren und Ritter¬
gutsbesitzer zusammen die eine Hälfte, die Städte und die übrigen Grund¬
besitzer die andre Hälfte der Vertreter hatten. Unter den 584 Stimmen der
acht Provinzialstünde besaßen die Standesherren und die adlichen Grund¬
besitzer 278, die Städte 182 und die Bauern 124. Die Juden waren von
der Vertretung gänzlich ausgeschlossen.

Am 3. Februar 1847 erfolgte die Berufung der acht Provinziallandtage
zu dem Vereinigten Landtag; sein Nachfolger, der durch Patent vom 14. März


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/159>, abgerufen am 23.07.2024.