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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

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nichts Gutes. Ihrer achtzehn in einem engen Raume schlafen müssen, worin
außer für die Bettstellen kaum noch ein paar Qnndratellen Platz war, das
war schon an sich nicht schön. War ein Schnarcher drunter, wie das zuweilen
vorkam, so hatte der ganze Schlafsaal unter seinem "Cellospiel" zu leiden.
Indeß im Winter mochte es gehen. Aber im, Sommer, wenn die Wanzen
kamen, das war entsetzlich! Und sie kamen jeden Sommer mit unabwendbarer
Gewißheit nud in unglaublichen Scharen. Ganz unerträglich war es in den
Wochen vor den großen Serien. Einmal in jedem Jahre, in den Sommer-
ferien, schlug die "Maari" alle zweiunddreißig Bettstellen aus einander, schleppte
sie in deu Schulhof an den Brunnen, dort wurden alle Locher und Glinzen
erst mit kochend heißem Seifenwasser ausgegossen und dann uoch unterm
Brunnen mit kaltem Wasser nachgespült. Dann hatten wir für den Nest des
Sommers Ruhe. Aber die letzten Wochen vor der Reinigung! Daß wir das
ausgehalten haben und haben anschalten müssen, auch das ist mir heute unbegreiflich.
Es wurde eben hingenommen "nie etwas Selbstverständliches, niemand beschwerte
sich drüber -- wer hätte sich denn getraut, dem Inspektor gegenüber das
Wort Wanze auszusprechen! ^, und so gab es auch keine Abhilfe. Wie oft
sind wir nachts aufgestanden, haben Licht gemacht und ein großes Morden
veranstaltet! Aber es half uns wenig. Schließlich, wenn es gar nicht mehr
zu ertragen war, zogen wir in die Kammer und machten uns dort eine Pritsche
zurecht, indem Nur eine Schrankthür aufhoben und schräg auf ein paar Lexika
legten.

Wer die Maari war, die nus einmal im Jahre so als rettender Engel
erschien? Ja, wenn die Maari uicht gewesen wäre! Was wären wir ohne
die Maari gewesen! Die Aufsicht über das ganze Alumueum und die Sorge
für unser geistiges Wohl war dem Inspektor anvertraut. Es war das immer
der letzte, jüngste Lehrer der Schule, der natürlich unverheiratet sein mußte.
Er führte übrigens den Titel "Kollaborator," den wir der Bequemlichkeit
wegen in "Cvllätsch" (nicht wie das englische LollvM zu sprechen, sondern
mit dem. Toll auf der letzten, langen Silbe) abgekürzt hatten. Unser leibliches
Wohl aber lag in den Händen des Hausmanns, noch mehr der Hausmanns-
fran und ihres Küchenmädchens, und das war eben die Maari. Die Haus-
mannssamilie führte den sinnigen Namen Hahuefeld; wir hatten Hahnebnmbel
draus gemacht und das dann wieder zu Bambel verkürzt: er hieß der "Bambel,"
sie die "Bambeln." Die Köchin aber, ein schmuckes, sauberes Mädel, das
während meiner ganzen Alumnenzeit dawar und auch später noch in ihrer wirklich
nicht leichten Stellung allsgehalten hat, hieß Marie; für uns war sie "die Maari."

Die Neigung der Jugend, aller Welt Spitznamen zu geben, auch
Wörter und Redensarten eine Zeit lang zu Tode zu Hetzen, war in uns sehr
lebendig. So war uns der Begriff eines hohen Grades oder Maßes eine
Zeit lang ausschließlich an das Wort "diebisch" geknüpft: man hatte diebischen


Grenzboten 111 1L90 12

nichts Gutes. Ihrer achtzehn in einem engen Raume schlafen müssen, worin
außer für die Bettstellen kaum noch ein paar Qnndratellen Platz war, das
war schon an sich nicht schön. War ein Schnarcher drunter, wie das zuweilen
vorkam, so hatte der ganze Schlafsaal unter seinem „Cellospiel" zu leiden.
Indeß im Winter mochte es gehen. Aber im, Sommer, wenn die Wanzen
kamen, das war entsetzlich! Und sie kamen jeden Sommer mit unabwendbarer
Gewißheit nud in unglaublichen Scharen. Ganz unerträglich war es in den
Wochen vor den großen Serien. Einmal in jedem Jahre, in den Sommer-
ferien, schlug die „Maari" alle zweiunddreißig Bettstellen aus einander, schleppte
sie in deu Schulhof an den Brunnen, dort wurden alle Locher und Glinzen
erst mit kochend heißem Seifenwasser ausgegossen und dann uoch unterm
Brunnen mit kaltem Wasser nachgespült. Dann hatten wir für den Nest des
Sommers Ruhe. Aber die letzten Wochen vor der Reinigung! Daß wir das
ausgehalten haben und haben anschalten müssen, auch das ist mir heute unbegreiflich.
Es wurde eben hingenommen »nie etwas Selbstverständliches, niemand beschwerte
sich drüber — wer hätte sich denn getraut, dem Inspektor gegenüber das
Wort Wanze auszusprechen! ^, und so gab es auch keine Abhilfe. Wie oft
sind wir nachts aufgestanden, haben Licht gemacht und ein großes Morden
veranstaltet! Aber es half uns wenig. Schließlich, wenn es gar nicht mehr
zu ertragen war, zogen wir in die Kammer und machten uns dort eine Pritsche
zurecht, indem Nur eine Schrankthür aufhoben und schräg auf ein paar Lexika
legten.

Wer die Maari war, die nus einmal im Jahre so als rettender Engel
erschien? Ja, wenn die Maari uicht gewesen wäre! Was wären wir ohne
die Maari gewesen! Die Aufsicht über das ganze Alumueum und die Sorge
für unser geistiges Wohl war dem Inspektor anvertraut. Es war das immer
der letzte, jüngste Lehrer der Schule, der natürlich unverheiratet sein mußte.
Er führte übrigens den Titel „Kollaborator," den wir der Bequemlichkeit
wegen in „Cvllätsch" (nicht wie das englische LollvM zu sprechen, sondern
mit dem. Toll auf der letzten, langen Silbe) abgekürzt hatten. Unser leibliches
Wohl aber lag in den Händen des Hausmanns, noch mehr der Hausmanns-
fran und ihres Küchenmädchens, und das war eben die Maari. Die Haus-
mannssamilie führte den sinnigen Namen Hahuefeld; wir hatten Hahnebnmbel
draus gemacht und das dann wieder zu Bambel verkürzt: er hieß der „Bambel,"
sie die „Bambeln." Die Köchin aber, ein schmuckes, sauberes Mädel, das
während meiner ganzen Alumnenzeit dawar und auch später noch in ihrer wirklich
nicht leichten Stellung allsgehalten hat, hieß Marie; für uns war sie „die Maari."

Die Neigung der Jugend, aller Welt Spitznamen zu geben, auch
Wörter und Redensarten eine Zeit lang zu Tode zu Hetzen, war in uns sehr
lebendig. So war uns der Begriff eines hohen Grades oder Maßes eine
Zeit lang ausschließlich an das Wort „diebisch" geknüpft: man hatte diebischen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/97>, abgerufen am 28.09.2024.