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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

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begnügte, daß er nicht drauf drückte, daß der Rat einmal ein ordentliches
Klavier anschasste, konnten wir nicht begreifen.

Als ich in Obersekunda faß, mietete ich mir mit Erlaubnis des Inspek¬
tors mit einem Präfekten zusammen sür die Sommermonate ein anständiges
Klavier, das in der ersten Kammer aufgestellt wurde. Es war das ein Er¬
eignis, das ein gewisses Aufsehen erregte: ein Klavier, ein anständiges Klavier
ans dem Alumneum! Für uns zwei wurde es eine Quelle unsäglicher Freuden,
aber auch steter Angst nud Sorge, denn wir hatten ja damit eine schwere Ver¬
antwortung auf uns geladen. Wie manchen schonen Sommerabend haben wir
bis gegen Mitternacht vierbändig gespielt, erst Haydnsche Symphonien, dann
Mozartsche, dann alle Veethovenschen, diese in der meisterhaften, so leicht spiel¬
baren und dabei für damals unglaublich billigen Bearbeitung von Marknll,
die in Typensntz gedruckt bei Holle in Wolfenbüttel erschienen, aber, wie es
hieß, "verboten" war. Wenigstens war sie bei keinem Musikalienhändler
Dresdens zu bekommen; nur einer hinter der Frauenkirche hatte sie, langte sie
aber immer vorsichtig, wenn Nur uns ein Heft kauften, aus einem besondern
Bersteck hervor und schärfte uns ein, daß wir ja nicht verraten sollten, wo
wir sie gekauft hätten. Auf der Brühlschen Terrasse gab es damals jede
Woche einen Abend Symphvniekonzert für -- zwei und einen halben Neugroschen!
Da hörten wir in kurzer Zeit alle Veethovenschen Symphonien nach einander,
sogar die neunte, natürlich ohne den letzten Satz. Wenn wir dann nach Hanse
kamen, ließ es uns keine Nuhe, wir mußten die Symphonie, die wir eben vom
Orchester gehört hatten, noch einmal vierbändig spielen. Welcher Stolz, als
wir die Hauptthemen und die Gesangsthemen aller sechsunddreißig Sätze fest
im Kopfe hatten, sodaß wir eine Art musikalisches Mvrraspiel damit treiben
konnten; der eine rief: siebente Symphonie -- vierter Satz -- zweites Thema!
und im Nu sang der andre die geforderte Melodie. Und für solche Jungen
gab es kein Klavier auf der Schule! Ist das wohl glaublich? Aber welche
Angst standen-wir auch aus um das gute Klavier: daß es nicht von andern
als Tisch benutzt, nicht ein Wasserkrug draufgesetzt und umgeschüttet, vor
allem daß es beim Auskehren der Kammer nicht beschmutzt wurde! Jede
Kammer mußte täglich früh von ihrem "Ultimns" gekehrt werden. Dazu
nahm er ein Waschbecken voll schmutzigen Waschwassers, sprengte daraus die
Dielen ein, daß alles schwamm, und fegte nun mit einem Nutenbesen drüber,
daß der Schmutz fußhoch spritzte. Wir hatten daher gleich am ersten Tage
nur die Klavierbeine große Papierbogen gewickelt und mit Bindfaden fest¬
gebunden.

Der damalige Inspektor war ein höchst liebenswürdiger Mann. Obgleich er
sein Schlafzimmer unmittelbar neben der ersten Kanuner hatte, ließen wirs doch
drauf ankommen, ob er unsre musikalischen Sommernachtsgenüsse unterbrechen
und uus zu Bett schicken würde oder nicht. Im Bett wartete unser freilich


begnügte, daß er nicht drauf drückte, daß der Rat einmal ein ordentliches
Klavier anschasste, konnten wir nicht begreifen.

Als ich in Obersekunda faß, mietete ich mir mit Erlaubnis des Inspek¬
tors mit einem Präfekten zusammen sür die Sommermonate ein anständiges
Klavier, das in der ersten Kammer aufgestellt wurde. Es war das ein Er¬
eignis, das ein gewisses Aufsehen erregte: ein Klavier, ein anständiges Klavier
ans dem Alumneum! Für uns zwei wurde es eine Quelle unsäglicher Freuden,
aber auch steter Angst nud Sorge, denn wir hatten ja damit eine schwere Ver¬
antwortung auf uns geladen. Wie manchen schonen Sommerabend haben wir
bis gegen Mitternacht vierbändig gespielt, erst Haydnsche Symphonien, dann
Mozartsche, dann alle Veethovenschen, diese in der meisterhaften, so leicht spiel¬
baren und dabei für damals unglaublich billigen Bearbeitung von Marknll,
die in Typensntz gedruckt bei Holle in Wolfenbüttel erschienen, aber, wie es
hieß, „verboten" war. Wenigstens war sie bei keinem Musikalienhändler
Dresdens zu bekommen; nur einer hinter der Frauenkirche hatte sie, langte sie
aber immer vorsichtig, wenn Nur uns ein Heft kauften, aus einem besondern
Bersteck hervor und schärfte uns ein, daß wir ja nicht verraten sollten, wo
wir sie gekauft hätten. Auf der Brühlschen Terrasse gab es damals jede
Woche einen Abend Symphvniekonzert für — zwei und einen halben Neugroschen!
Da hörten wir in kurzer Zeit alle Veethovenschen Symphonien nach einander,
sogar die neunte, natürlich ohne den letzten Satz. Wenn wir dann nach Hanse
kamen, ließ es uns keine Nuhe, wir mußten die Symphonie, die wir eben vom
Orchester gehört hatten, noch einmal vierbändig spielen. Welcher Stolz, als
wir die Hauptthemen und die Gesangsthemen aller sechsunddreißig Sätze fest
im Kopfe hatten, sodaß wir eine Art musikalisches Mvrraspiel damit treiben
konnten; der eine rief: siebente Symphonie — vierter Satz — zweites Thema!
und im Nu sang der andre die geforderte Melodie. Und für solche Jungen
gab es kein Klavier auf der Schule! Ist das wohl glaublich? Aber welche
Angst standen-wir auch aus um das gute Klavier: daß es nicht von andern
als Tisch benutzt, nicht ein Wasserkrug draufgesetzt und umgeschüttet, vor
allem daß es beim Auskehren der Kammer nicht beschmutzt wurde! Jede
Kammer mußte täglich früh von ihrem „Ultimns" gekehrt werden. Dazu
nahm er ein Waschbecken voll schmutzigen Waschwassers, sprengte daraus die
Dielen ein, daß alles schwamm, und fegte nun mit einem Nutenbesen drüber,
daß der Schmutz fußhoch spritzte. Wir hatten daher gleich am ersten Tage
nur die Klavierbeine große Papierbogen gewickelt und mit Bindfaden fest¬
gebunden.

Der damalige Inspektor war ein höchst liebenswürdiger Mann. Obgleich er
sein Schlafzimmer unmittelbar neben der ersten Kanuner hatte, ließen wirs doch
drauf ankommen, ob er unsre musikalischen Sommernachtsgenüsse unterbrechen
und uus zu Bett schicken würde oder nicht. Im Bett wartete unser freilich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/96>, abgerufen am 29.06.2024.