Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.eine Pfeife rauchen, einen Skat spielen oder einen Leihbibliothelsrvman lesen Die Schränke waren sehr zweckmäßig eingerichtet; bei einem, der nicht Auf der Waschbank standen in jeder Kammer ein paar Waschbecken aus Man sollte meinen, daß für zweiunddreißig Jungen, die alle musikalisch eine Pfeife rauchen, einen Skat spielen oder einen Leihbibliothelsrvman lesen Die Schränke waren sehr zweckmäßig eingerichtet; bei einem, der nicht Auf der Waschbank standen in jeder Kammer ein paar Waschbecken aus Man sollte meinen, daß für zweiunddreißig Jungen, die alle musikalisch <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0095" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/208032"/> <fw type="header" place="top"/><lb/> <p xml:id="ID_248" prev="#ID_247"> eine Pfeife rauchen, einen Skat spielen oder einen Leihbibliothelsrvman lesen<lb/> wollte, zog sich in die Kammer zurück. Im übrigen war man nnr früh beim<lb/> Ankleiden drin oder wenn es etwas aus dem Schwüle zu holen gab.</p><lb/> <p xml:id="ID_249"> Die Schränke waren sehr zweckmäßig eingerichtet; bei einem, der nicht<lb/> ein geborner Liedrian war, konnte kaum Unordnung drin aufkomme«. Jeder<lb/> Schrank hatte eine obere, größere und eine untere, kleinere Thür. Wenn man<lb/> die obere öffnete, sah man den Schrank von oben nach unter in zwei Hälften<lb/> geteilt. In der rechten Hälfte hingen die Kleider, dabei lagen die Toiletten¬<lb/> gegenstände, Seifcnnäpfchen, Kamm und Bürste, die linke war durch Quer¬<lb/> bretter zu Vücherfächern hergerichtet, im untersten Fach lagen Vrvt, Butter<lb/> und sonstige Lebensmittel. Öffnete man die untere Thür, so sah man den<lb/> Kasten für die Wäsche, und drunter wieder zwei offene Fächer für Stiefel, Schuhe<lb/> und Wichszeug. Außerdem hing inwendig an der obern Schrankthür in<lb/> malerisch geschwungenem Bogen an zwei Nägeln das Handtuch, ein kleiner<lb/> Spiegel und vielleicht noch ein Bild. sinnige Gemüter aber hatten sich hier<lb/> ein ganzes kleines Museum, eine Pvrtmtgalerie oder dergleichen eingerichtet.<lb/> Mein Vater besaß ein schönes, vollständiges Exemplar der „Saxonia," einer<lb/> Zeitschrift für sächsische Vaterlandskunde, die von 1835 bis 1841 erschienen<lb/> war und eine Menge hübscher Lithographien, namentlich Porträts und Stüdte-<lb/> ansichten enthielt. Noch heilte empfinde ich Neue darüber, daß ich, nur um<lb/> meinen Schrank zu schmücken und mit dem Schmuck bisweilen zu wechseln,<lb/> nach und nach eine ganze Reihe von Porträts ans dieser „Saxonia"<lb/> herausgenommen, beschnitten und mit Oblaten an meine Schrund'ebur ge¬<lb/> klebt habe.</p><lb/> <p xml:id="ID_250"> Auf der Waschbank standen in jeder Kammer ein paar Waschbecken aus<lb/> lackirten Blech — nicht für jeden eins; wenn wir uns waschen wollten, mußte<lb/> einer auf den andern warten —, darunter die zugehörigen Blechlrüge. Dieses<lb/> Waschgeschirr war zu meiner Zeit auch einmal neu angeschafft worden, sah<lb/> aber in kurzem auch schon wieder entsetzlich aus. Es waren 'Teilen hinein¬<lb/> gestoßen, und das bischen Lackfarbe war vom Seifenwasser ganz zerfressen.</p><lb/> <p xml:id="ID_251" next="#ID_252"> Man sollte meinen, daß für zweiunddreißig Jungen, die alle musikalisch<lb/> Ware», die zum guten Teil aus Pfarrer-, Lehrer- und Kantorfamilien stammten<lb/> lind alle schon im Elternhause musizirt hatten, ein Klavier zum Übeu dage¬<lb/> wesen wäre. Ja, ein Klavier war wohl da, es stand unten im Erdgeschoß im<lb/> Singesaal; sowohl der Gesanglehrer der „Extraner," wie unser Kantor be-<lb/> nutzte es bei den Singestnuden. Aber es war ein fürchterlicher alter Klapper¬<lb/> kasten, dunkelrot angestrichen, ganz ausgespielt, klang so dünn wie eine Harfe<lb/> und hielt keine Stimmung mehr, obwohl der Skinner nicht sehr ans dem<lb/> Hause kam. Für die Singestunden der Extraner schien er uns ja gut genug,<lb/> denn auf deren Gesangsleistungen wie auf ihren Leiter, den Siugelehrer, blickten<lb/> wir mit großer Verachtung hinab; daß sich aber anch unser Knutvr damit</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0095]
eine Pfeife rauchen, einen Skat spielen oder einen Leihbibliothelsrvman lesen
wollte, zog sich in die Kammer zurück. Im übrigen war man nnr früh beim
Ankleiden drin oder wenn es etwas aus dem Schwüle zu holen gab.
Die Schränke waren sehr zweckmäßig eingerichtet; bei einem, der nicht
ein geborner Liedrian war, konnte kaum Unordnung drin aufkomme«. Jeder
Schrank hatte eine obere, größere und eine untere, kleinere Thür. Wenn man
die obere öffnete, sah man den Schrank von oben nach unter in zwei Hälften
geteilt. In der rechten Hälfte hingen die Kleider, dabei lagen die Toiletten¬
gegenstände, Seifcnnäpfchen, Kamm und Bürste, die linke war durch Quer¬
bretter zu Vücherfächern hergerichtet, im untersten Fach lagen Vrvt, Butter
und sonstige Lebensmittel. Öffnete man die untere Thür, so sah man den
Kasten für die Wäsche, und drunter wieder zwei offene Fächer für Stiefel, Schuhe
und Wichszeug. Außerdem hing inwendig an der obern Schrankthür in
malerisch geschwungenem Bogen an zwei Nägeln das Handtuch, ein kleiner
Spiegel und vielleicht noch ein Bild. sinnige Gemüter aber hatten sich hier
ein ganzes kleines Museum, eine Pvrtmtgalerie oder dergleichen eingerichtet.
Mein Vater besaß ein schönes, vollständiges Exemplar der „Saxonia," einer
Zeitschrift für sächsische Vaterlandskunde, die von 1835 bis 1841 erschienen
war und eine Menge hübscher Lithographien, namentlich Porträts und Stüdte-
ansichten enthielt. Noch heilte empfinde ich Neue darüber, daß ich, nur um
meinen Schrank zu schmücken und mit dem Schmuck bisweilen zu wechseln,
nach und nach eine ganze Reihe von Porträts ans dieser „Saxonia"
herausgenommen, beschnitten und mit Oblaten an meine Schrund'ebur ge¬
klebt habe.
Auf der Waschbank standen in jeder Kammer ein paar Waschbecken aus
lackirten Blech — nicht für jeden eins; wenn wir uns waschen wollten, mußte
einer auf den andern warten —, darunter die zugehörigen Blechlrüge. Dieses
Waschgeschirr war zu meiner Zeit auch einmal neu angeschafft worden, sah
aber in kurzem auch schon wieder entsetzlich aus. Es waren 'Teilen hinein¬
gestoßen, und das bischen Lackfarbe war vom Seifenwasser ganz zerfressen.
Man sollte meinen, daß für zweiunddreißig Jungen, die alle musikalisch
Ware», die zum guten Teil aus Pfarrer-, Lehrer- und Kantorfamilien stammten
lind alle schon im Elternhause musizirt hatten, ein Klavier zum Übeu dage¬
wesen wäre. Ja, ein Klavier war wohl da, es stand unten im Erdgeschoß im
Singesaal; sowohl der Gesanglehrer der „Extraner," wie unser Kantor be-
nutzte es bei den Singestnuden. Aber es war ein fürchterlicher alter Klapper¬
kasten, dunkelrot angestrichen, ganz ausgespielt, klang so dünn wie eine Harfe
und hielt keine Stimmung mehr, obwohl der Skinner nicht sehr ans dem
Hause kam. Für die Singestunden der Extraner schien er uns ja gut genug,
denn auf deren Gesangsleistungen wie auf ihren Leiter, den Siugelehrer, blickten
wir mit großer Verachtung hinab; daß sich aber anch unser Knutvr damit
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |