Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.Der Eindruck von Umist und Wirklichkeit daß also vollständig der Eindruck der Wirklichkeit entstünde. Unter solchen Da muß denn zuvörderst beachtet werden, daß beim Betrachten eines Die Freude an der Nachbildung, am Wiedererkennen hat bei der Ent¬ Wir berühren hier einen neuen nicht unwichtigen Punkt. Außer deu eben Der Eindruck von Umist und Wirklichkeit daß also vollständig der Eindruck der Wirklichkeit entstünde. Unter solchen Da muß denn zuvörderst beachtet werden, daß beim Betrachten eines Die Freude an der Nachbildung, am Wiedererkennen hat bei der Ent¬ Wir berühren hier einen neuen nicht unwichtigen Punkt. Außer deu eben <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0617" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/208557"/> <fw type="header" place="top"> Der Eindruck von Umist und Wirklichkeit</fw><lb/> <p xml:id="ID_1893" prev="#ID_1892"> daß also vollständig der Eindruck der Wirklichkeit entstünde. Unter solchen<lb/> Voraussetzungen würden beide Eindrücke sich völlig decken: das Kunstschöne<lb/> würde als Naturschönes wirken. Dieser Fall dürfte nun freilich kaum jemals<lb/> eintreten. Wir wissen stets, ob wir einem Kunstwerke oder ob wir der Natur<lb/> gegenüberstehen, und so entsteht nun die Frage, ob allein das Bewußtsein, es<lb/> mit einem Schein, nicht mit einem sein zu thun zu haben, verändernd auf<lb/> die erzeugten Gefühle einwirkt.</p><lb/> <p xml:id="ID_1894"> Da muß denn zuvörderst beachtet werden, daß beim Betrachten eines<lb/> Kunstwerkes zu den unmittelbar angeregten Gefühlen noch andre Lustgefühle<lb/> hinzutreten, die beim Betrachten des Naturschönen notwendig fehlen, vor allen:<lb/> die Freude an der Nachahmung selbst und die Bewunderung der ,^nnstfertig-<lb/> keit des Meisters.</p><lb/> <p xml:id="ID_1895"> Die Freude an der Nachbildung, am Wiedererkennen hat bei der Ent¬<lb/> stehung der Kunst sicher einen wichtigen, vielleicht den wichtigsten Antrieb ab¬<lb/> gegeben, und auch heute noch spielt sie — mehr oder minder unbewußt — eine<lb/> wichtige Rolle beim ästhetischen Genuß. Sie geht Hand in Hand mit dein zweiten<lb/> der angeführten Gefühle: der Bewunderung der Kunstfertigkeit des Meisters.<lb/> Es giebt kritisch angelegte Personen, deren völlige Aufmerksamkeit beim Be¬<lb/> trachten von Kunstwerken durch technische Einzelheiten in Anspruch genommen<lb/> wird, bei denen die Wertschätzung des Kunstwerkes mit der Anerkennung des<lb/> „Könnens" zusammenfällt. Aber auch bei denen, die nicht am „Wie," sondern<lb/> nur am ,,Was" ihre Freude zu haben meinen, wird, ohne daß sie sich darüber<lb/> Rechenschaft geben, ein Teil der ästhetische» Lust in die Bewunderung der<lb/> Thätigkeit des Meisters zu setzen sein. Es tritt dies recht zu Tage, wenn<lb/> man einmal ein Wirkliches für ein Künstliches gehalten hat. Wer bewundernd<lb/> vor einem Panorama gestanden hat, in der Voraussetzung, jener plastisch<lb/> herausspringende Hügel dort sei gemalt, der wird sich einer gewissen Ent¬<lb/> täuschung kaum erwehren können, wenn er hinterher erfährt, der Hügel sei<lb/> einfach aufgeschüttet: ein gemalter Hügel erscheint hier co künstlerisch wert¬<lb/> voller als ein aus wirklicher Erde hergestellter. Und derselbe Kenner, der dem<lb/> naturgetreuen Faltenwurf einer Marmorstatue Beachtung schenkt, geht verächtlich<lb/> an dem noch „natürlichern" Faltenwurf einer Wachsfigur vorüber. Und doch<lb/> wird die Drapirung eines schönen Stoffes, die uus an einer lebenden Person<lb/> entzückt, nicht dadurch häßlicher, daß sie nu einer Figur des Panoptiknms<lb/> häugt und von der Hemd eines Tapezierers geordnet wurde.</p><lb/> <p xml:id="ID_1896" next="#ID_1897"> Wir berühren hier einen neuen nicht unwichtigen Punkt. Außer deu eben<lb/> erwähnten, wesentlich luftvollen Gefühlen treten beim Betrachten von Kunst¬<lb/> werken, die getreu der Natur folgen, auch unlnstvvlle Gefühle gleichsam als<lb/> Begleiterscheinungen auf, die deu ästhetischen Genuß hemmen oder ihn gänzlich<lb/> vernichten. Mau denke an die Wirkung der farbigen Plastik. Während eine<lb/> Steigerung der Naturwahrheit in gewisser Hinsicht — etwa hinsichtlich des</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0617]
Der Eindruck von Umist und Wirklichkeit
daß also vollständig der Eindruck der Wirklichkeit entstünde. Unter solchen
Voraussetzungen würden beide Eindrücke sich völlig decken: das Kunstschöne
würde als Naturschönes wirken. Dieser Fall dürfte nun freilich kaum jemals
eintreten. Wir wissen stets, ob wir einem Kunstwerke oder ob wir der Natur
gegenüberstehen, und so entsteht nun die Frage, ob allein das Bewußtsein, es
mit einem Schein, nicht mit einem sein zu thun zu haben, verändernd auf
die erzeugten Gefühle einwirkt.
Da muß denn zuvörderst beachtet werden, daß beim Betrachten eines
Kunstwerkes zu den unmittelbar angeregten Gefühlen noch andre Lustgefühle
hinzutreten, die beim Betrachten des Naturschönen notwendig fehlen, vor allen:
die Freude an der Nachahmung selbst und die Bewunderung der ,^nnstfertig-
keit des Meisters.
Die Freude an der Nachbildung, am Wiedererkennen hat bei der Ent¬
stehung der Kunst sicher einen wichtigen, vielleicht den wichtigsten Antrieb ab¬
gegeben, und auch heute noch spielt sie — mehr oder minder unbewußt — eine
wichtige Rolle beim ästhetischen Genuß. Sie geht Hand in Hand mit dein zweiten
der angeführten Gefühle: der Bewunderung der Kunstfertigkeit des Meisters.
Es giebt kritisch angelegte Personen, deren völlige Aufmerksamkeit beim Be¬
trachten von Kunstwerken durch technische Einzelheiten in Anspruch genommen
wird, bei denen die Wertschätzung des Kunstwerkes mit der Anerkennung des
„Könnens" zusammenfällt. Aber auch bei denen, die nicht am „Wie," sondern
nur am ,,Was" ihre Freude zu haben meinen, wird, ohne daß sie sich darüber
Rechenschaft geben, ein Teil der ästhetische» Lust in die Bewunderung der
Thätigkeit des Meisters zu setzen sein. Es tritt dies recht zu Tage, wenn
man einmal ein Wirkliches für ein Künstliches gehalten hat. Wer bewundernd
vor einem Panorama gestanden hat, in der Voraussetzung, jener plastisch
herausspringende Hügel dort sei gemalt, der wird sich einer gewissen Ent¬
täuschung kaum erwehren können, wenn er hinterher erfährt, der Hügel sei
einfach aufgeschüttet: ein gemalter Hügel erscheint hier co künstlerisch wert¬
voller als ein aus wirklicher Erde hergestellter. Und derselbe Kenner, der dem
naturgetreuen Faltenwurf einer Marmorstatue Beachtung schenkt, geht verächtlich
an dem noch „natürlichern" Faltenwurf einer Wachsfigur vorüber. Und doch
wird die Drapirung eines schönen Stoffes, die uus an einer lebenden Person
entzückt, nicht dadurch häßlicher, daß sie nu einer Figur des Panoptiknms
häugt und von der Hemd eines Tapezierers geordnet wurde.
Wir berühren hier einen neuen nicht unwichtigen Punkt. Außer deu eben
erwähnten, wesentlich luftvollen Gefühlen treten beim Betrachten von Kunst¬
werken, die getreu der Natur folgen, auch unlnstvvlle Gefühle gleichsam als
Begleiterscheinungen auf, die deu ästhetischen Genuß hemmen oder ihn gänzlich
vernichten. Mau denke an die Wirkung der farbigen Plastik. Während eine
Steigerung der Naturwahrheit in gewisser Hinsicht — etwa hinsichtlich des
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