Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Vie Gülergememschcift in der erstell Christengemeinde

Denn das ist dus andre, was wir im Gefolge dieses "gutgemeinte" Ex¬
perimentes der Gütergemeinschaft," wie Hansrnth die Sache richtig nennt,
wahrzunehmen haben. Und darüber mögen noch einige Worte gesagt werden.

Als der Apostel Paulus nach seiner ersten Missionsreise nach Antiochien
zurückgekehrt war, trafen dort, auf die Meldung von der erfolgreichen Wirksam¬
keit des Apostels in der Heidenwelt, Gesetzeseiferer aus Jerusalem ein, die die
Forderung der Beschneidung auch an den Heidenchristen und damit den An¬
schluß an die ganze rituelle Beobachtung des Gesetzes stellten und so die
Thätigkeit des Apostels in der Heidenwelt lahm zu legen drohten. Da be¬
schloß Paulus sofort sich mit den llraposteln selbst auseinanderzusetzen und
nach Jerusalem hinauf zu ziehen. Er nimmt Barnabas mit sich, "der bei der
Muttergemeinde noch von den Zeiten der Gütergemeinschaft her in gutem
Andenken stehen mußte" (Hausrath, S. 240). In diesen Worten nimmt also
Hausrath an, daß es mit der wirtschaftlichen Einrichtung der Gütergemein¬
schaft bei der Nrgemeinde jetzt, im Jahre 5l-Z und achtzehn Jahre nach dem
Tode Christi, bereits ein Ende gehabt habe. Und mit dieser Annahme hat er
Recht. Die Gemeinde hatte abgewirtschaftet. Um dies nachzuweisen, müssen
wir etwas weiter ausholen.

Bei den Auseinandersetzungen, die der Apostel Paulus mit der jerusa-
lemischeu Gemeinde hatte, konnte es diese trotz der heftigsten Widersprüche
gegen die Forderung des Apostels, anch Unbeschuittene als vollblütige Glieder
des Reiches anzuerkennen, doch schließlich in ihren angesehensten Häuptern
Jakobus, Petrus und Johannes nicht verweigern, dem Paulus und Barnabas
den Handschlag der Gemeinschaft zu geben (Gai. 2, 1 bis 10). Die Vertreter
der Hebräer können die Beschneidung der Heiden nicht durchsetzen. Titus,
ein Bruder aus den Heiden, den Paulus mit nach Jerusalem genommen hatte,
um gerade an seiner Person die Gesetzesfreiheit für die Heiden als an einem
bestimmten Beispiel nachweisen zu lassen, kaun nicht zur Beschneidung ge¬
zwungen werden. Damit wird die Gesetzesfreiheit für die Heidenchristen zu¬
gestanden, sie selbst werden als christliche Brüder anerkannt. Es war hiermit so
viel errungen, als Paulus überhaupt verlangte. Die "Geltenden," d. h. die
drei Hanptapvstel, legten dem Paulus keine Gesetzesverpflichtnng auf, sie teilten
uur das Arbeitsgebiet, behielte" für sich dus palästiuisch-jüdische und ge¬
standen dem Paulus das heidnische zu (Gat. 2, 6. 7). Wenn die Apostel¬
geschichte (15, 29) anders berichtet, indem sie für die Heidenchristen die Be¬
folgung der uoahischen Gebote verlangen läßt, so gestaltet hier der Verfasser
der Apostelgeschichte den Bericht der Auffassung seiner Zeit gemäß. Denn es
empfiehlt sich die Annahme Pfleiderers, "daß eine ursprünglich bei den Prvs-
elhteu übliche Lebensführung früher schon bei den großenteils anfangs ans
Proselyten hervorgegangenen heidenchristlichen Kreisen Aufnahme gefunden habe,
und diese Sitte später von der Kirche zur förmliche" Pflicht gemacht wordeu


Vie Gülergememschcift in der erstell Christengemeinde

Denn das ist dus andre, was wir im Gefolge dieses „gutgemeinte» Ex¬
perimentes der Gütergemeinschaft," wie Hansrnth die Sache richtig nennt,
wahrzunehmen haben. Und darüber mögen noch einige Worte gesagt werden.

Als der Apostel Paulus nach seiner ersten Missionsreise nach Antiochien
zurückgekehrt war, trafen dort, auf die Meldung von der erfolgreichen Wirksam¬
keit des Apostels in der Heidenwelt, Gesetzeseiferer aus Jerusalem ein, die die
Forderung der Beschneidung auch an den Heidenchristen und damit den An¬
schluß an die ganze rituelle Beobachtung des Gesetzes stellten und so die
Thätigkeit des Apostels in der Heidenwelt lahm zu legen drohten. Da be¬
schloß Paulus sofort sich mit den llraposteln selbst auseinanderzusetzen und
nach Jerusalem hinauf zu ziehen. Er nimmt Barnabas mit sich, „der bei der
Muttergemeinde noch von den Zeiten der Gütergemeinschaft her in gutem
Andenken stehen mußte" (Hausrath, S. 240). In diesen Worten nimmt also
Hausrath an, daß es mit der wirtschaftlichen Einrichtung der Gütergemein¬
schaft bei der Nrgemeinde jetzt, im Jahre 5l-Z und achtzehn Jahre nach dem
Tode Christi, bereits ein Ende gehabt habe. Und mit dieser Annahme hat er
Recht. Die Gemeinde hatte abgewirtschaftet. Um dies nachzuweisen, müssen
wir etwas weiter ausholen.

Bei den Auseinandersetzungen, die der Apostel Paulus mit der jerusa-
lemischeu Gemeinde hatte, konnte es diese trotz der heftigsten Widersprüche
gegen die Forderung des Apostels, anch Unbeschuittene als vollblütige Glieder
des Reiches anzuerkennen, doch schließlich in ihren angesehensten Häuptern
Jakobus, Petrus und Johannes nicht verweigern, dem Paulus und Barnabas
den Handschlag der Gemeinschaft zu geben (Gai. 2, 1 bis 10). Die Vertreter
der Hebräer können die Beschneidung der Heiden nicht durchsetzen. Titus,
ein Bruder aus den Heiden, den Paulus mit nach Jerusalem genommen hatte,
um gerade an seiner Person die Gesetzesfreiheit für die Heiden als an einem
bestimmten Beispiel nachweisen zu lassen, kaun nicht zur Beschneidung ge¬
zwungen werden. Damit wird die Gesetzesfreiheit für die Heidenchristen zu¬
gestanden, sie selbst werden als christliche Brüder anerkannt. Es war hiermit so
viel errungen, als Paulus überhaupt verlangte. Die „Geltenden," d. h. die
drei Hanptapvstel, legten dem Paulus keine Gesetzesverpflichtnng auf, sie teilten
uur das Arbeitsgebiet, behielte» für sich dus palästiuisch-jüdische und ge¬
standen dem Paulus das heidnische zu (Gat. 2, 6. 7). Wenn die Apostel¬
geschichte (15, 29) anders berichtet, indem sie für die Heidenchristen die Be¬
folgung der uoahischen Gebote verlangen läßt, so gestaltet hier der Verfasser
der Apostelgeschichte den Bericht der Auffassung seiner Zeit gemäß. Denn es
empfiehlt sich die Annahme Pfleiderers, „daß eine ursprünglich bei den Prvs-
elhteu übliche Lebensführung früher schon bei den großenteils anfangs ans
Proselyten hervorgegangenen heidenchristlichen Kreisen Aufnahme gefunden habe,
und diese Sitte später von der Kirche zur förmliche» Pflicht gemacht wordeu


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0611" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/208548"/>
          <fw type="header" place="top"> Vie Gülergememschcift in der erstell Christengemeinde</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1874"> Denn das ist dus andre, was wir im Gefolge dieses &#x201E;gutgemeinte» Ex¬<lb/>
perimentes der Gütergemeinschaft," wie Hansrnth die Sache richtig nennt,<lb/>
wahrzunehmen haben. Und darüber mögen noch einige Worte gesagt werden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1875"> Als der Apostel Paulus nach seiner ersten Missionsreise nach Antiochien<lb/>
zurückgekehrt war, trafen dort, auf die Meldung von der erfolgreichen Wirksam¬<lb/>
keit des Apostels in der Heidenwelt, Gesetzeseiferer aus Jerusalem ein, die die<lb/>
Forderung der Beschneidung auch an den Heidenchristen und damit den An¬<lb/>
schluß an die ganze rituelle Beobachtung des Gesetzes stellten und so die<lb/>
Thätigkeit des Apostels in der Heidenwelt lahm zu legen drohten. Da be¬<lb/>
schloß Paulus sofort sich mit den llraposteln selbst auseinanderzusetzen und<lb/>
nach Jerusalem hinauf zu ziehen. Er nimmt Barnabas mit sich, &#x201E;der bei der<lb/>
Muttergemeinde noch von den Zeiten der Gütergemeinschaft her in gutem<lb/>
Andenken stehen mußte" (Hausrath, S. 240). In diesen Worten nimmt also<lb/>
Hausrath an, daß es mit der wirtschaftlichen Einrichtung der Gütergemein¬<lb/>
schaft bei der Nrgemeinde jetzt, im Jahre 5l-Z und achtzehn Jahre nach dem<lb/>
Tode Christi, bereits ein Ende gehabt habe. Und mit dieser Annahme hat er<lb/>
Recht. Die Gemeinde hatte abgewirtschaftet. Um dies nachzuweisen, müssen<lb/>
wir etwas weiter ausholen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1876" next="#ID_1877"> Bei den Auseinandersetzungen, die der Apostel Paulus mit der jerusa-<lb/>
lemischeu Gemeinde hatte, konnte es diese trotz der heftigsten Widersprüche<lb/>
gegen die Forderung des Apostels, anch Unbeschuittene als vollblütige Glieder<lb/>
des Reiches anzuerkennen, doch schließlich in ihren angesehensten Häuptern<lb/>
Jakobus, Petrus und Johannes nicht verweigern, dem Paulus und Barnabas<lb/>
den Handschlag der Gemeinschaft zu geben (Gai. 2, 1 bis 10). Die Vertreter<lb/>
der Hebräer können die Beschneidung der Heiden nicht durchsetzen. Titus,<lb/>
ein Bruder aus den Heiden, den Paulus mit nach Jerusalem genommen hatte,<lb/>
um gerade an seiner Person die Gesetzesfreiheit für die Heiden als an einem<lb/>
bestimmten Beispiel nachweisen zu lassen, kaun nicht zur Beschneidung ge¬<lb/>
zwungen werden. Damit wird die Gesetzesfreiheit für die Heidenchristen zu¬<lb/>
gestanden, sie selbst werden als christliche Brüder anerkannt. Es war hiermit so<lb/>
viel errungen, als Paulus überhaupt verlangte. Die &#x201E;Geltenden," d. h. die<lb/>
drei Hanptapvstel, legten dem Paulus keine Gesetzesverpflichtnng auf, sie teilten<lb/>
uur das Arbeitsgebiet, behielte» für sich dus palästiuisch-jüdische und ge¬<lb/>
standen dem Paulus das heidnische zu (Gat. 2, 6. 7). Wenn die Apostel¬<lb/>
geschichte (15, 29) anders berichtet, indem sie für die Heidenchristen die Be¬<lb/>
folgung der uoahischen Gebote verlangen läßt, so gestaltet hier der Verfasser<lb/>
der Apostelgeschichte den Bericht der Auffassung seiner Zeit gemäß. Denn es<lb/>
empfiehlt sich die Annahme Pfleiderers, &#x201E;daß eine ursprünglich bei den Prvs-<lb/>
elhteu übliche Lebensführung früher schon bei den großenteils anfangs ans<lb/>
Proselyten hervorgegangenen heidenchristlichen Kreisen Aufnahme gefunden habe,<lb/>
und diese Sitte später von der Kirche zur förmliche» Pflicht gemacht wordeu</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0611] Vie Gülergememschcift in der erstell Christengemeinde Denn das ist dus andre, was wir im Gefolge dieses „gutgemeinte» Ex¬ perimentes der Gütergemeinschaft," wie Hansrnth die Sache richtig nennt, wahrzunehmen haben. Und darüber mögen noch einige Worte gesagt werden. Als der Apostel Paulus nach seiner ersten Missionsreise nach Antiochien zurückgekehrt war, trafen dort, auf die Meldung von der erfolgreichen Wirksam¬ keit des Apostels in der Heidenwelt, Gesetzeseiferer aus Jerusalem ein, die die Forderung der Beschneidung auch an den Heidenchristen und damit den An¬ schluß an die ganze rituelle Beobachtung des Gesetzes stellten und so die Thätigkeit des Apostels in der Heidenwelt lahm zu legen drohten. Da be¬ schloß Paulus sofort sich mit den llraposteln selbst auseinanderzusetzen und nach Jerusalem hinauf zu ziehen. Er nimmt Barnabas mit sich, „der bei der Muttergemeinde noch von den Zeiten der Gütergemeinschaft her in gutem Andenken stehen mußte" (Hausrath, S. 240). In diesen Worten nimmt also Hausrath an, daß es mit der wirtschaftlichen Einrichtung der Gütergemein¬ schaft bei der Nrgemeinde jetzt, im Jahre 5l-Z und achtzehn Jahre nach dem Tode Christi, bereits ein Ende gehabt habe. Und mit dieser Annahme hat er Recht. Die Gemeinde hatte abgewirtschaftet. Um dies nachzuweisen, müssen wir etwas weiter ausholen. Bei den Auseinandersetzungen, die der Apostel Paulus mit der jerusa- lemischeu Gemeinde hatte, konnte es diese trotz der heftigsten Widersprüche gegen die Forderung des Apostels, anch Unbeschuittene als vollblütige Glieder des Reiches anzuerkennen, doch schließlich in ihren angesehensten Häuptern Jakobus, Petrus und Johannes nicht verweigern, dem Paulus und Barnabas den Handschlag der Gemeinschaft zu geben (Gai. 2, 1 bis 10). Die Vertreter der Hebräer können die Beschneidung der Heiden nicht durchsetzen. Titus, ein Bruder aus den Heiden, den Paulus mit nach Jerusalem genommen hatte, um gerade an seiner Person die Gesetzesfreiheit für die Heiden als an einem bestimmten Beispiel nachweisen zu lassen, kaun nicht zur Beschneidung ge¬ zwungen werden. Damit wird die Gesetzesfreiheit für die Heidenchristen zu¬ gestanden, sie selbst werden als christliche Brüder anerkannt. Es war hiermit so viel errungen, als Paulus überhaupt verlangte. Die „Geltenden," d. h. die drei Hanptapvstel, legten dem Paulus keine Gesetzesverpflichtnng auf, sie teilten uur das Arbeitsgebiet, behielte» für sich dus palästiuisch-jüdische und ge¬ standen dem Paulus das heidnische zu (Gat. 2, 6. 7). Wenn die Apostel¬ geschichte (15, 29) anders berichtet, indem sie für die Heidenchristen die Be¬ folgung der uoahischen Gebote verlangen läßt, so gestaltet hier der Verfasser der Apostelgeschichte den Bericht der Auffassung seiner Zeit gemäß. Denn es empfiehlt sich die Annahme Pfleiderers, „daß eine ursprünglich bei den Prvs- elhteu übliche Lebensführung früher schon bei den großenteils anfangs ans Proselyten hervorgegangenen heidenchristlichen Kreisen Aufnahme gefunden habe, und diese Sitte später von der Kirche zur förmliche» Pflicht gemacht wordeu

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/611
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/611>, abgerufen am 29.06.2024.