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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

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Die Giiiergemeiuschclft in der erste" Christengemeinde

einer jüdischen, nur an Jesus als Messias glaubenden Sekte auftrat, von diesen
jüdischen Schlacken reinigten und zur Weltreligion fortbildeten. Diese griechisch
redenden Christen also, frühere Proselhteu, und aus der griechischen Diaspora
stammende, vom Gesetzeszelvtismus freiere Juden fanden sich verkürzt dnrch
die ungenügende Berücksichtigung ihrer Witwen und gaben ihrer Unzufrieden¬
heit einen mächtigen Ausdruck gegen die Vertreter der Gemeinde, die Zwölfe.
Was nun auch der Grund der Zurücksetzung bei der Austeilung der täglichen
Gaben gewesen sein mag, ob die freiere Richtung der Hellenisten, oder ob die
in der Stammesart begründete Abneigung des Volljuden gegen den Griechen,
mit dein es auch der griechisch geartete Sohn der jüdischen Diaspora hielt, die
Verstimmung ist dn und ist laut geworden infolge der ungerechten Regelung
der täglichen Bedürfnisse. Denn so müssen wir sagen, und nicht etwa bloß
infolge einer ungleiche,: Armenversorgnng. Es war keine bloße Armenversvr-
gung, die hier gemeint ist, und die diejenigen Erklärer gern annehmen möchten,
die die Stelle 6, 1 ff. benutzen, um dadurch die Berichte von der Gütergemein¬
schaft in ihrer Tragweite abzuschwächen. Die Witwen, von denen geschrieben
wird, sind nicht bloß die Armen nnter ihnen, sondern der ganze Stand, der
von den andern Ständen bei dem täglichen Tische zwar nach jüdischer Sitte
abgesondert ist, aber diese nicht ausschließt. Auch auf sie, diese andern Stände,
erstreckte sich die tägliche Regelung der Gaben, die, wenn sie auch in der
Hauptsache in Gaben der Nahrung bestand, doch anch andre nötige Bedürf¬
nisse nach 2, 45) und 4, W nicht ausgeschlossen haben wird. Diese andern
Bedürfnisse werde" allerdings nur auf ein geringes Maß, etwa auf Kleidung
und Wohnung, zurückzuführen sein, wie man das bei Menschen voraus¬
setzen muß, die insgesamt doch in den "letzten Zeiten" zu steheu vermeinten
und kein weiteres Interesse am gegenwärtigen Genusse der Lebensgüter habe"
konnte", als ihre Tage bis dahin zu fristen, wo mit der Wiederkunft des
Messias die "Wiederherstellung aller Dinge" und damit die "Zeiten der Er-
anickung" beginnen sollten (Apostelgeschichte 3, 20, 21).

Nach dem Mürtyrertode des Stephanus und der damit verbundenen
Christenverfolgung sind es diese Hellenisten, die Jerusalem verlassen und sich
in Judäa und Samarin zerstreue", da sich die Verfolgung vorzugsweise auch
gegen den dem Tcmpelknltns opponirenden hellenistischen Teil der Gemeinde
wendete, während die Apostel, und sie natürlich nicht als die einzigen, da es
auch fortan eine Messiasgemeinde in Jerusalem gab, darin blieben (L, 1).
Nachdem sich so die beiden Bestandteile der Gemeinde getrennt hatten, wird
wohl die jerusalemische Gemeinde, die nunmehr ans bloßen Hebräern bestand,
mit ihrem streng judaisirenden Charakter anch die Gütergemeinschaft allein noch
eine Zeit lang beibehalte" habe", so lange, als sie noch beibehalten werden
konnte, d. h. so lange noch etwas dawar, was verteilt werden konnte.
Darnach kam die Armut und die Bettelei.


Die Giiiergemeiuschclft in der erste» Christengemeinde

einer jüdischen, nur an Jesus als Messias glaubenden Sekte auftrat, von diesen
jüdischen Schlacken reinigten und zur Weltreligion fortbildeten. Diese griechisch
redenden Christen also, frühere Proselhteu, und aus der griechischen Diaspora
stammende, vom Gesetzeszelvtismus freiere Juden fanden sich verkürzt dnrch
die ungenügende Berücksichtigung ihrer Witwen und gaben ihrer Unzufrieden¬
heit einen mächtigen Ausdruck gegen die Vertreter der Gemeinde, die Zwölfe.
Was nun auch der Grund der Zurücksetzung bei der Austeilung der täglichen
Gaben gewesen sein mag, ob die freiere Richtung der Hellenisten, oder ob die
in der Stammesart begründete Abneigung des Volljuden gegen den Griechen,
mit dein es auch der griechisch geartete Sohn der jüdischen Diaspora hielt, die
Verstimmung ist dn und ist laut geworden infolge der ungerechten Regelung
der täglichen Bedürfnisse. Denn so müssen wir sagen, und nicht etwa bloß
infolge einer ungleiche,: Armenversorgnng. Es war keine bloße Armenversvr-
gung, die hier gemeint ist, und die diejenigen Erklärer gern annehmen möchten,
die die Stelle 6, 1 ff. benutzen, um dadurch die Berichte von der Gütergemein¬
schaft in ihrer Tragweite abzuschwächen. Die Witwen, von denen geschrieben
wird, sind nicht bloß die Armen nnter ihnen, sondern der ganze Stand, der
von den andern Ständen bei dem täglichen Tische zwar nach jüdischer Sitte
abgesondert ist, aber diese nicht ausschließt. Auch auf sie, diese andern Stände,
erstreckte sich die tägliche Regelung der Gaben, die, wenn sie auch in der
Hauptsache in Gaben der Nahrung bestand, doch anch andre nötige Bedürf¬
nisse nach 2, 45) und 4, W nicht ausgeschlossen haben wird. Diese andern
Bedürfnisse werde» allerdings nur auf ein geringes Maß, etwa auf Kleidung
und Wohnung, zurückzuführen sein, wie man das bei Menschen voraus¬
setzen muß, die insgesamt doch in den „letzten Zeiten" zu steheu vermeinten
und kein weiteres Interesse am gegenwärtigen Genusse der Lebensgüter habe»
konnte», als ihre Tage bis dahin zu fristen, wo mit der Wiederkunft des
Messias die „Wiederherstellung aller Dinge" und damit die „Zeiten der Er-
anickung" beginnen sollten (Apostelgeschichte 3, 20, 21).

Nach dem Mürtyrertode des Stephanus und der damit verbundenen
Christenverfolgung sind es diese Hellenisten, die Jerusalem verlassen und sich
in Judäa und Samarin zerstreue», da sich die Verfolgung vorzugsweise auch
gegen den dem Tcmpelknltns opponirenden hellenistischen Teil der Gemeinde
wendete, während die Apostel, und sie natürlich nicht als die einzigen, da es
auch fortan eine Messiasgemeinde in Jerusalem gab, darin blieben (L, 1).
Nachdem sich so die beiden Bestandteile der Gemeinde getrennt hatten, wird
wohl die jerusalemische Gemeinde, die nunmehr ans bloßen Hebräern bestand,
mit ihrem streng judaisirenden Charakter anch die Gütergemeinschaft allein noch
eine Zeit lang beibehalte» habe», so lange, als sie noch beibehalten werden
konnte, d. h. so lange noch etwas dawar, was verteilt werden konnte.
Darnach kam die Armut und die Bettelei.


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[0610] Die Giiiergemeiuschclft in der erste» Christengemeinde einer jüdischen, nur an Jesus als Messias glaubenden Sekte auftrat, von diesen jüdischen Schlacken reinigten und zur Weltreligion fortbildeten. Diese griechisch redenden Christen also, frühere Proselhteu, und aus der griechischen Diaspora stammende, vom Gesetzeszelvtismus freiere Juden fanden sich verkürzt dnrch die ungenügende Berücksichtigung ihrer Witwen und gaben ihrer Unzufrieden¬ heit einen mächtigen Ausdruck gegen die Vertreter der Gemeinde, die Zwölfe. Was nun auch der Grund der Zurücksetzung bei der Austeilung der täglichen Gaben gewesen sein mag, ob die freiere Richtung der Hellenisten, oder ob die in der Stammesart begründete Abneigung des Volljuden gegen den Griechen, mit dein es auch der griechisch geartete Sohn der jüdischen Diaspora hielt, die Verstimmung ist dn und ist laut geworden infolge der ungerechten Regelung der täglichen Bedürfnisse. Denn so müssen wir sagen, und nicht etwa bloß infolge einer ungleiche,: Armenversorgnng. Es war keine bloße Armenversvr- gung, die hier gemeint ist, und die diejenigen Erklärer gern annehmen möchten, die die Stelle 6, 1 ff. benutzen, um dadurch die Berichte von der Gütergemein¬ schaft in ihrer Tragweite abzuschwächen. Die Witwen, von denen geschrieben wird, sind nicht bloß die Armen nnter ihnen, sondern der ganze Stand, der von den andern Ständen bei dem täglichen Tische zwar nach jüdischer Sitte abgesondert ist, aber diese nicht ausschließt. Auch auf sie, diese andern Stände, erstreckte sich die tägliche Regelung der Gaben, die, wenn sie auch in der Hauptsache in Gaben der Nahrung bestand, doch anch andre nötige Bedürf¬ nisse nach 2, 45) und 4, W nicht ausgeschlossen haben wird. Diese andern Bedürfnisse werde» allerdings nur auf ein geringes Maß, etwa auf Kleidung und Wohnung, zurückzuführen sein, wie man das bei Menschen voraus¬ setzen muß, die insgesamt doch in den „letzten Zeiten" zu steheu vermeinten und kein weiteres Interesse am gegenwärtigen Genusse der Lebensgüter habe» konnte», als ihre Tage bis dahin zu fristen, wo mit der Wiederkunft des Messias die „Wiederherstellung aller Dinge" und damit die „Zeiten der Er- anickung" beginnen sollten (Apostelgeschichte 3, 20, 21). Nach dem Mürtyrertode des Stephanus und der damit verbundenen Christenverfolgung sind es diese Hellenisten, die Jerusalem verlassen und sich in Judäa und Samarin zerstreue», da sich die Verfolgung vorzugsweise auch gegen den dem Tcmpelknltns opponirenden hellenistischen Teil der Gemeinde wendete, während die Apostel, und sie natürlich nicht als die einzigen, da es auch fortan eine Messiasgemeinde in Jerusalem gab, darin blieben (L, 1). Nachdem sich so die beiden Bestandteile der Gemeinde getrennt hatten, wird wohl die jerusalemische Gemeinde, die nunmehr ans bloßen Hebräern bestand, mit ihrem streng judaisirenden Charakter anch die Gütergemeinschaft allein noch eine Zeit lang beibehalte» habe», so lange, als sie noch beibehalten werden konnte, d. h. so lange noch etwas dawar, was verteilt werden konnte. Darnach kam die Armut und die Bettelei.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/610>, abgerufen am 29.06.2024.