Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.Die Gütergemeinschaft in der ersten Lhristengemeinde Wahrscheinlichkeit dafür ergiebt, daß die Freiwilligkeit dadurch zum Zwange Und was war "un der Erfolg? Zunächst Unzufriedenheit, Zank und Grenzboten III 1890 70
Die Gütergemeinschaft in der ersten Lhristengemeinde Wahrscheinlichkeit dafür ergiebt, daß die Freiwilligkeit dadurch zum Zwange Und was war »un der Erfolg? Zunächst Unzufriedenheit, Zank und Grenzboten III 1890 70
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0609" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/208546"/> <fw type="header" place="top"> Die Gütergemeinschaft in der ersten Lhristengemeinde</fw><lb/> <p xml:id="ID_1870" prev="#ID_1869"> Wahrscheinlichkeit dafür ergiebt, daß die Freiwilligkeit dadurch zum Zwange<lb/> gemacht wurde, daß ein nicht vollständiges Aufgeben des Eigentums unter<lb/> Umständen mit Ausschluß aus der Gemeinschaft bestraft wurde.</p><lb/> <p xml:id="ID_1871" next="#ID_1872"> Und was war »un der Erfolg? Zunächst Unzufriedenheit, Zank und<lb/> Streit. Obschon die Sache von dem Jreniter, der die Apostelgeschichte verfaßte<lb/> und die erste Gemeinde gern als in einem harmonischen Zustande lebend dar¬<lb/> stellen möchte, ziemlich verschleiert wird, können nur doch so weit durch den<lb/> Bericht, den die Apostelgeschichte K, 1 ff. giebt, einen Einblick in die Lage<lb/> thun, daß wir an der Stelle der Harmonie eine recht unerquickliche Dishar¬<lb/> monie, eine oonooräm clisvvrs, erkennen. „In den Tagen, da die Jünger sich<lb/> mehreten — heißt es da — entstand ein Murren der Hellenisten Wider die<lb/> Hebräer, weil ihre Witwen bei der täglichen Verpflegung übersehen (verkürzt)<lb/> wurden." Da hätten die Apostel, wird »veiter erzählt, die Menge der Jünger<lb/> zusammengerufen und erklärt, es gehe nicht mehr um, daß sie das Wort Gottes<lb/> unterließen und zu Tisch dieueten. Die Brüder möchten sieben Männer, die<lb/> ihr Vertrauen hätten nud voll heilige» Geistes und Weisheit wären, aus¬<lb/> wählen und zur Bestellung dieses Bedürfnisses einsetzen, während sie den Dienst<lb/> am Worte weiterführe» wollten. Und so hätte man die sieben Diakonen ge¬<lb/> wählt, die, uach ihren Namen zu urteilen, insgesamt Hellenisten waren.<lb/> Verschleiert ist diese Erzählung hauptsächlich darin, daß auf den insonderheit<lb/> gegen die Apostel selbst, als die bisherigen Verwalter der Gaben, gerichteten<lb/> Vorwurf nicht weiter eingegangen wird, die ganze Sache vielmehr nnr wegen<lb/> der Einsetzung eines neuen Amtes, der Diakonie, erzählt werden soll. Na¬<lb/> türlich, denn die Erzählung von dem Streit hätte uns gar zu sehr in die<lb/> Sphäre der gemeinen Wirklichkeit hinein und von der idealen Hohe, die der<lb/> Schriftsteller der ersten Gemeinde zuschreiben zu müssen glaubte, herabgeführt.<lb/> Aber das „Murren" (^0^05^) der Hellenisten bleibt doch. Nebenbei be¬<lb/> merkt, unter diesen Hellenisten sind griechisch redende Juden aus der Diaspora<lb/> und solche zur Christengemeinde übergetretene Heiden gemeint, die sich früher<lb/> als Proselhten zur jüdische,? Gottesverehrung gehalten hatten. Als solche<lb/> waren sie unter der Bedingung, die noahischen Gebote halten zu wollen, d. h.<lb/> sich von Genuß der Götzeuvpfer, vom Blut, vom Erstickten und von Hurerei<lb/> fernhalten zu wollen, von der Beobachtung des mosaischen Gesetzes im übrige»<lb/> befreit. Die Hebräer hingegen sind die aramäisch redenden Juden Palästinas.<lb/> Besonders jene Proselhten waren es, die vielfach zur Christengemeinde über¬<lb/> traten und ihr damit ein Element zuführten, das den aus dem Palästinischeu<lb/> Judentum gekommenen Messiasgläubigen vielfach gegenübertrat, indem sie die<lb/> Trennung vom Tempelknltus, von der Beschneidung und der ganzen rituellen<lb/> Beobachtung des Gesetzes im Leben und im Gottesdienst immer mehr und<lb/> immer entschiedner für die christliche Gemeinde forderten, d. h. die das<lb/> Christentum, das in den hebräischredeuden Christen noch ganz im Rahmen</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten III 1890 70</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0609]
Die Gütergemeinschaft in der ersten Lhristengemeinde
Wahrscheinlichkeit dafür ergiebt, daß die Freiwilligkeit dadurch zum Zwange
gemacht wurde, daß ein nicht vollständiges Aufgeben des Eigentums unter
Umständen mit Ausschluß aus der Gemeinschaft bestraft wurde.
Und was war »un der Erfolg? Zunächst Unzufriedenheit, Zank und
Streit. Obschon die Sache von dem Jreniter, der die Apostelgeschichte verfaßte
und die erste Gemeinde gern als in einem harmonischen Zustande lebend dar¬
stellen möchte, ziemlich verschleiert wird, können nur doch so weit durch den
Bericht, den die Apostelgeschichte K, 1 ff. giebt, einen Einblick in die Lage
thun, daß wir an der Stelle der Harmonie eine recht unerquickliche Dishar¬
monie, eine oonooräm clisvvrs, erkennen. „In den Tagen, da die Jünger sich
mehreten — heißt es da — entstand ein Murren der Hellenisten Wider die
Hebräer, weil ihre Witwen bei der täglichen Verpflegung übersehen (verkürzt)
wurden." Da hätten die Apostel, wird »veiter erzählt, die Menge der Jünger
zusammengerufen und erklärt, es gehe nicht mehr um, daß sie das Wort Gottes
unterließen und zu Tisch dieueten. Die Brüder möchten sieben Männer, die
ihr Vertrauen hätten nud voll heilige» Geistes und Weisheit wären, aus¬
wählen und zur Bestellung dieses Bedürfnisses einsetzen, während sie den Dienst
am Worte weiterführe» wollten. Und so hätte man die sieben Diakonen ge¬
wählt, die, uach ihren Namen zu urteilen, insgesamt Hellenisten waren.
Verschleiert ist diese Erzählung hauptsächlich darin, daß auf den insonderheit
gegen die Apostel selbst, als die bisherigen Verwalter der Gaben, gerichteten
Vorwurf nicht weiter eingegangen wird, die ganze Sache vielmehr nnr wegen
der Einsetzung eines neuen Amtes, der Diakonie, erzählt werden soll. Na¬
türlich, denn die Erzählung von dem Streit hätte uns gar zu sehr in die
Sphäre der gemeinen Wirklichkeit hinein und von der idealen Hohe, die der
Schriftsteller der ersten Gemeinde zuschreiben zu müssen glaubte, herabgeführt.
Aber das „Murren" (^0^05^) der Hellenisten bleibt doch. Nebenbei be¬
merkt, unter diesen Hellenisten sind griechisch redende Juden aus der Diaspora
und solche zur Christengemeinde übergetretene Heiden gemeint, die sich früher
als Proselhten zur jüdische,? Gottesverehrung gehalten hatten. Als solche
waren sie unter der Bedingung, die noahischen Gebote halten zu wollen, d. h.
sich von Genuß der Götzeuvpfer, vom Blut, vom Erstickten und von Hurerei
fernhalten zu wollen, von der Beobachtung des mosaischen Gesetzes im übrige»
befreit. Die Hebräer hingegen sind die aramäisch redenden Juden Palästinas.
Besonders jene Proselhten waren es, die vielfach zur Christengemeinde über¬
traten und ihr damit ein Element zuführten, das den aus dem Palästinischeu
Judentum gekommenen Messiasgläubigen vielfach gegenübertrat, indem sie die
Trennung vom Tempelknltus, von der Beschneidung und der ganzen rituellen
Beobachtung des Gesetzes im Leben und im Gottesdienst immer mehr und
immer entschiedner für die christliche Gemeinde forderten, d. h. die das
Christentum, das in den hebräischredeuden Christen noch ganz im Rahmen
Grenzboten III 1890 70
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