Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Aufgabe der Gegenwart

ältern Generation war nicht mehr als seine Umgebung, er war kein "Herr"
und wollte nichts vorstellen. Unter solchen Umständen stand sein allerdings
dürftiger Gehalt mit seiner Lebensart nicht gar zu sehr im Widerspruch. Nun
hat man den Stand des Lehrers "gehoben," hat den Lehrern alles mögliche
beigebracht, hat alle möglichen Bedürfnisse und Ansprüche in ihnen geweckt,
aber man hat versäumt, das Einkommen in Übereinstimmung mit der neuen
Lage zu bringen. Und was die Ausbildung betrifft, so ist diese nur Notsache.
Es ist die reine Schnellfabrik und der Erfolg jene Halbbildung, die ganz be¬
sondre Gefahren in sich birgt. Wenn der fünfzehnjährige junge Mensch in
die Präparande kommt, bringt er schon -- meist von zu Hause -- seine be¬
stimmte Ausprägung mit. Im Seminar wird ihm dann beigebracht, daß er
zwar gegenüber dem Direktor und den Lehrern ein armer Schlucker sei, im
übrigen aber auf unerreichbarer Hohe stehe. Mit zwanzig Jahren ist er fertig.
Er arbeitet sich mit seiner Klasse ein, er sieht wohl auch bis zum zweiten
Examen noch in ein Buch, aber die meisten lerne" von da an nichts mehr.
Nebenbcschüftiguug, Nebenverdienst, womöglich eine gute Heirat -- das füllt
ihr Interesse aus.

Das ist nnn der "Sieger von Königgrätz!" Es ist gar nicht zu sagen,
was dieses Wort oder vielmehr die ganze Anschauung, der dieses Wort zum
Ausdruck dient, für Schaden angerichtet hat. Der Fortschritt betrachtet es als
seine besondre Aufgabe, die Lehrerschaft für sich zu gewinnen, ihr zu schmeicheln,
für ihre Interessen einzutreten, um ein den Lehrern Wahlagitatoren zu ge¬
winnen. Ans konservativer Seite will man nicht zurückbleiben und macht eine
leutselige Verbeugung nach der Seite der Herren Lehrer hin, wenn im Landtage
von ihnen die Rede ist. So ein Lehrer ist eine von rechts und links begehrte
Person, es ist kein Wunder, wenn er von sich selbst eine große Meinung hat.

Und die Regierung -- hat eine unglückliche Hand. Der Grundfehler ist,
daß das hundertmal versprochene Schulgesetz noch immer nicht hat erscheinen
wollen. Statt dessen ist durch ein Notgesetz festgesetzt worden, daß die Gemeinden
soundsoviel hundert Mark aus Staatsmitteln Zuschuß zu den Schnlkostcn ge¬
zahlt erhalten. Die Lehrerschaft aber steht dabei und erhält nichts oder einen
geringen Anteil und muß sich wieder auf das in nebelhafter Ferne befindliche
Schulgesetz vertrösten lassen. Das hätte man nicht thun sollen; diese Form
des Zuschusses mußte vermieden werden. Man hat sie gewählt, um eine leichte
Vcrteiluugsart zu haben und schnell mit der Sache fertig zu werden. Aber
sie schafft so viel Bitterkeit, wie durch doppelte Wohlthaten nicht wieder gut
gemacht werden kann. Man wird mit Bankiers und andern gesättigten
Existenzen gegen die Sozialdemokratie nicht viel anfangen können, aber ebenso
wenig mit Leuten, die in ihrer ganzen Lebensstimmung unzufrieden sind und
die auch ewiges Recht dazu haben. Was soll man gar zu folgenden Ma߬
regeln einer preußische" Regierung, deren Namen wir nicht nennen wollen,


Die Aufgabe der Gegenwart

ältern Generation war nicht mehr als seine Umgebung, er war kein „Herr"
und wollte nichts vorstellen. Unter solchen Umständen stand sein allerdings
dürftiger Gehalt mit seiner Lebensart nicht gar zu sehr im Widerspruch. Nun
hat man den Stand des Lehrers „gehoben," hat den Lehrern alles mögliche
beigebracht, hat alle möglichen Bedürfnisse und Ansprüche in ihnen geweckt,
aber man hat versäumt, das Einkommen in Übereinstimmung mit der neuen
Lage zu bringen. Und was die Ausbildung betrifft, so ist diese nur Notsache.
Es ist die reine Schnellfabrik und der Erfolg jene Halbbildung, die ganz be¬
sondre Gefahren in sich birgt. Wenn der fünfzehnjährige junge Mensch in
die Präparande kommt, bringt er schon — meist von zu Hause — seine be¬
stimmte Ausprägung mit. Im Seminar wird ihm dann beigebracht, daß er
zwar gegenüber dem Direktor und den Lehrern ein armer Schlucker sei, im
übrigen aber auf unerreichbarer Hohe stehe. Mit zwanzig Jahren ist er fertig.
Er arbeitet sich mit seiner Klasse ein, er sieht wohl auch bis zum zweiten
Examen noch in ein Buch, aber die meisten lerne» von da an nichts mehr.
Nebenbcschüftiguug, Nebenverdienst, womöglich eine gute Heirat — das füllt
ihr Interesse aus.

Das ist nnn der „Sieger von Königgrätz!" Es ist gar nicht zu sagen,
was dieses Wort oder vielmehr die ganze Anschauung, der dieses Wort zum
Ausdruck dient, für Schaden angerichtet hat. Der Fortschritt betrachtet es als
seine besondre Aufgabe, die Lehrerschaft für sich zu gewinnen, ihr zu schmeicheln,
für ihre Interessen einzutreten, um ein den Lehrern Wahlagitatoren zu ge¬
winnen. Ans konservativer Seite will man nicht zurückbleiben und macht eine
leutselige Verbeugung nach der Seite der Herren Lehrer hin, wenn im Landtage
von ihnen die Rede ist. So ein Lehrer ist eine von rechts und links begehrte
Person, es ist kein Wunder, wenn er von sich selbst eine große Meinung hat.

Und die Regierung — hat eine unglückliche Hand. Der Grundfehler ist,
daß das hundertmal versprochene Schulgesetz noch immer nicht hat erscheinen
wollen. Statt dessen ist durch ein Notgesetz festgesetzt worden, daß die Gemeinden
soundsoviel hundert Mark aus Staatsmitteln Zuschuß zu den Schnlkostcn ge¬
zahlt erhalten. Die Lehrerschaft aber steht dabei und erhält nichts oder einen
geringen Anteil und muß sich wieder auf das in nebelhafter Ferne befindliche
Schulgesetz vertrösten lassen. Das hätte man nicht thun sollen; diese Form
des Zuschusses mußte vermieden werden. Man hat sie gewählt, um eine leichte
Vcrteiluugsart zu haben und schnell mit der Sache fertig zu werden. Aber
sie schafft so viel Bitterkeit, wie durch doppelte Wohlthaten nicht wieder gut
gemacht werden kann. Man wird mit Bankiers und andern gesättigten
Existenzen gegen die Sozialdemokratie nicht viel anfangen können, aber ebenso
wenig mit Leuten, die in ihrer ganzen Lebensstimmung unzufrieden sind und
die auch ewiges Recht dazu haben. Was soll man gar zu folgenden Ma߬
regeln einer preußische« Regierung, deren Namen wir nicht nennen wollen,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0061" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/207998"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Aufgabe der Gegenwart</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_138" prev="#ID_137"> ältern Generation war nicht mehr als seine Umgebung, er war kein &#x201E;Herr"<lb/>
und wollte nichts vorstellen. Unter solchen Umständen stand sein allerdings<lb/>
dürftiger Gehalt mit seiner Lebensart nicht gar zu sehr im Widerspruch. Nun<lb/>
hat man den Stand des Lehrers &#x201E;gehoben," hat den Lehrern alles mögliche<lb/>
beigebracht, hat alle möglichen Bedürfnisse und Ansprüche in ihnen geweckt,<lb/>
aber man hat versäumt, das Einkommen in Übereinstimmung mit der neuen<lb/>
Lage zu bringen. Und was die Ausbildung betrifft, so ist diese nur Notsache.<lb/>
Es ist die reine Schnellfabrik und der Erfolg jene Halbbildung, die ganz be¬<lb/>
sondre Gefahren in sich birgt. Wenn der fünfzehnjährige junge Mensch in<lb/>
die Präparande kommt, bringt er schon &#x2014; meist von zu Hause &#x2014; seine be¬<lb/>
stimmte Ausprägung mit. Im Seminar wird ihm dann beigebracht, daß er<lb/>
zwar gegenüber dem Direktor und den Lehrern ein armer Schlucker sei, im<lb/>
übrigen aber auf unerreichbarer Hohe stehe. Mit zwanzig Jahren ist er fertig.<lb/>
Er arbeitet sich mit seiner Klasse ein, er sieht wohl auch bis zum zweiten<lb/>
Examen noch in ein Buch, aber die meisten lerne» von da an nichts mehr.<lb/>
Nebenbcschüftiguug, Nebenverdienst, womöglich eine gute Heirat &#x2014; das füllt<lb/>
ihr Interesse aus.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_139"> Das ist nnn der &#x201E;Sieger von Königgrätz!" Es ist gar nicht zu sagen,<lb/>
was dieses Wort oder vielmehr die ganze Anschauung, der dieses Wort zum<lb/>
Ausdruck dient, für Schaden angerichtet hat. Der Fortschritt betrachtet es als<lb/>
seine besondre Aufgabe, die Lehrerschaft für sich zu gewinnen, ihr zu schmeicheln,<lb/>
für ihre Interessen einzutreten, um ein den Lehrern Wahlagitatoren zu ge¬<lb/>
winnen. Ans konservativer Seite will man nicht zurückbleiben und macht eine<lb/>
leutselige Verbeugung nach der Seite der Herren Lehrer hin, wenn im Landtage<lb/>
von ihnen die Rede ist. So ein Lehrer ist eine von rechts und links begehrte<lb/>
Person, es ist kein Wunder, wenn er von sich selbst eine große Meinung hat.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_140" next="#ID_141"> Und die Regierung &#x2014; hat eine unglückliche Hand. Der Grundfehler ist,<lb/>
daß das hundertmal versprochene Schulgesetz noch immer nicht hat erscheinen<lb/>
wollen. Statt dessen ist durch ein Notgesetz festgesetzt worden, daß die Gemeinden<lb/>
soundsoviel hundert Mark aus Staatsmitteln Zuschuß zu den Schnlkostcn ge¬<lb/>
zahlt erhalten. Die Lehrerschaft aber steht dabei und erhält nichts oder einen<lb/>
geringen Anteil und muß sich wieder auf das in nebelhafter Ferne befindliche<lb/>
Schulgesetz vertrösten lassen. Das hätte man nicht thun sollen; diese Form<lb/>
des Zuschusses mußte vermieden werden. Man hat sie gewählt, um eine leichte<lb/>
Vcrteiluugsart zu haben und schnell mit der Sache fertig zu werden. Aber<lb/>
sie schafft so viel Bitterkeit, wie durch doppelte Wohlthaten nicht wieder gut<lb/>
gemacht werden kann. Man wird mit Bankiers und andern gesättigten<lb/>
Existenzen gegen die Sozialdemokratie nicht viel anfangen können, aber ebenso<lb/>
wenig mit Leuten, die in ihrer ganzen Lebensstimmung unzufrieden sind und<lb/>
die auch ewiges Recht dazu haben. Was soll man gar zu folgenden Ma߬<lb/>
regeln einer preußische« Regierung, deren Namen wir nicht nennen wollen,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0061] Die Aufgabe der Gegenwart ältern Generation war nicht mehr als seine Umgebung, er war kein „Herr" und wollte nichts vorstellen. Unter solchen Umständen stand sein allerdings dürftiger Gehalt mit seiner Lebensart nicht gar zu sehr im Widerspruch. Nun hat man den Stand des Lehrers „gehoben," hat den Lehrern alles mögliche beigebracht, hat alle möglichen Bedürfnisse und Ansprüche in ihnen geweckt, aber man hat versäumt, das Einkommen in Übereinstimmung mit der neuen Lage zu bringen. Und was die Ausbildung betrifft, so ist diese nur Notsache. Es ist die reine Schnellfabrik und der Erfolg jene Halbbildung, die ganz be¬ sondre Gefahren in sich birgt. Wenn der fünfzehnjährige junge Mensch in die Präparande kommt, bringt er schon — meist von zu Hause — seine be¬ stimmte Ausprägung mit. Im Seminar wird ihm dann beigebracht, daß er zwar gegenüber dem Direktor und den Lehrern ein armer Schlucker sei, im übrigen aber auf unerreichbarer Hohe stehe. Mit zwanzig Jahren ist er fertig. Er arbeitet sich mit seiner Klasse ein, er sieht wohl auch bis zum zweiten Examen noch in ein Buch, aber die meisten lerne» von da an nichts mehr. Nebenbcschüftiguug, Nebenverdienst, womöglich eine gute Heirat — das füllt ihr Interesse aus. Das ist nnn der „Sieger von Königgrätz!" Es ist gar nicht zu sagen, was dieses Wort oder vielmehr die ganze Anschauung, der dieses Wort zum Ausdruck dient, für Schaden angerichtet hat. Der Fortschritt betrachtet es als seine besondre Aufgabe, die Lehrerschaft für sich zu gewinnen, ihr zu schmeicheln, für ihre Interessen einzutreten, um ein den Lehrern Wahlagitatoren zu ge¬ winnen. Ans konservativer Seite will man nicht zurückbleiben und macht eine leutselige Verbeugung nach der Seite der Herren Lehrer hin, wenn im Landtage von ihnen die Rede ist. So ein Lehrer ist eine von rechts und links begehrte Person, es ist kein Wunder, wenn er von sich selbst eine große Meinung hat. Und die Regierung — hat eine unglückliche Hand. Der Grundfehler ist, daß das hundertmal versprochene Schulgesetz noch immer nicht hat erscheinen wollen. Statt dessen ist durch ein Notgesetz festgesetzt worden, daß die Gemeinden soundsoviel hundert Mark aus Staatsmitteln Zuschuß zu den Schnlkostcn ge¬ zahlt erhalten. Die Lehrerschaft aber steht dabei und erhält nichts oder einen geringen Anteil und muß sich wieder auf das in nebelhafter Ferne befindliche Schulgesetz vertrösten lassen. Das hätte man nicht thun sollen; diese Form des Zuschusses mußte vermieden werden. Man hat sie gewählt, um eine leichte Vcrteiluugsart zu haben und schnell mit der Sache fertig zu werden. Aber sie schafft so viel Bitterkeit, wie durch doppelte Wohlthaten nicht wieder gut gemacht werden kann. Man wird mit Bankiers und andern gesättigten Existenzen gegen die Sozialdemokratie nicht viel anfangen können, aber ebenso wenig mit Leuten, die in ihrer ganzen Lebensstimmung unzufrieden sind und die auch ewiges Recht dazu haben. Was soll man gar zu folgenden Ma߬ regeln einer preußische« Regierung, deren Namen wir nicht nennen wollen,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/61
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/61>, abgerufen am 29.06.2024.