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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

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Die Aufgabe der Gegenwart

keinen Ton von sich, in den Konferenzen hüllen sie sich in philosophisches
Schweigen, in der Schule halten sie ihren Unterricht in handwerksmäßiger
Weise, aber wenn sie unter sich sind, dann gehts los! Die jüngsten sind
natürlich die tollsten, und wer die fortgeschrittenste Meinung hat oder das
meiste fordert, das ist ihr Mann. Und wer ihnen zu schmeicheln versteht, der
hat sie in der Tasche. Es giebt unter ihnen viele, die die reinen Demokraten
sind -- wie viele mögen svzialdemokratisch gewählt haben! Von einem Lehrer,
der bis jetzt, soviel ich weiß, noch nicht zur Verantwortung gezogen ist, wird
berichtet, daß er bei den letzten Neichstagswcchlen durchs Dorf gegangen sei,
um für den jüdischen Fortschrittsmann zu wühlen, indem er den kleinen Leuten
vorhielt: Wenn ihr wollt, daß der Schnaps billig werden soll, dann wählt
den Doktor T. Nehmen wir auch an, daß diese geradezu gefährlich zu
nennenden Elemente der Lehrerschaft die Minderheit bilden, so übernimmt doch
diese Minderheit, wie es mit radikalen Minderheiten gegenüber besonneneren,
aber weniger energischen Mehrheiten immer der Fall ist, die Führung und
giebt dem ganzen Stande das Gepräge.

Wir haben die Rede des Herrn Dittes in der erwähnten Lehrerversamm-
lung und den jubelnden Beifall, den sie fand, mit aufrichtiger Genugthuung
begrüßt. Man war auf dem besten Wege, zu vergessen, wes Geistes Kinder
jene Herren sind. Noch sind die Negiernngsverfügungen in Giltigkeit, die es
verboten, den Lehrern zum Besuche des allgemeinen deutschen Lehrertages Ur¬
laub zu geben. Aber sie sind natürlich nicht aufrecht zu erhalten, wenn sich
das Unterrichtsministerium auf der Versammlung vertreten läßt. Offenbar
war man oben der Meinung, daß sich die Herren, die durchaus uicht die
deutsche Lehrerschaft, sondern nnr deren äußersten linken Flügel darstellen,
etwas gelernt und sich etwas gebessert Hütten, zu welcher Ansicht die sehr
gemäßigt gehaltenen Themen und Thesen allerdings führen konnten. Nun
haben wir aber eine neue Religion kennen lernen, die, die man mit dem
Namen Ditteismus, einem Zwischendinge von Atheismus und Theismus be¬
zeichnen kann. Ju solchen Händen liegt der Religionsunterricht. Das sind
die Leute, die der hereinbrechenden Gottlosigkeit und Sittenlosigkeit entgegen¬
arbeiten sollen. Sie werden dabei unzweifelhaft denselben schonen Erfolg haben,
dessen sich der Fortschritt der Sozialdemokratie gegenüber rühmt.

Die Volksschullehrer bilden eine ganz merkwürdige, in sich abgeschlossene
mit ganz bestimmten Standesvorurteilen, Ansprüchen und Lebensanschauungen
beherrschte Klasse von Menschen. Viele reden über die Lehrerschaft, aber
wenige kennen sie wirklich. Neben großem Selbstgefühl und allgemeiner Un¬
zufriedenheit gehört auch ein gewisses mißtrauisches, zurückhaltendes Wesen zu
den Eigentümlichkeiten des Lehrers. Wir machen für diese Erscheinungen
nicht den Einzelnen, sondern die schiefe soziale Lage, in der sich der ganze Stand
befindet, und die Art seiner Ausbildung verantwortlich. Der Schulmeister der


Die Aufgabe der Gegenwart

keinen Ton von sich, in den Konferenzen hüllen sie sich in philosophisches
Schweigen, in der Schule halten sie ihren Unterricht in handwerksmäßiger
Weise, aber wenn sie unter sich sind, dann gehts los! Die jüngsten sind
natürlich die tollsten, und wer die fortgeschrittenste Meinung hat oder das
meiste fordert, das ist ihr Mann. Und wer ihnen zu schmeicheln versteht, der
hat sie in der Tasche. Es giebt unter ihnen viele, die die reinen Demokraten
sind — wie viele mögen svzialdemokratisch gewählt haben! Von einem Lehrer,
der bis jetzt, soviel ich weiß, noch nicht zur Verantwortung gezogen ist, wird
berichtet, daß er bei den letzten Neichstagswcchlen durchs Dorf gegangen sei,
um für den jüdischen Fortschrittsmann zu wühlen, indem er den kleinen Leuten
vorhielt: Wenn ihr wollt, daß der Schnaps billig werden soll, dann wählt
den Doktor T. Nehmen wir auch an, daß diese geradezu gefährlich zu
nennenden Elemente der Lehrerschaft die Minderheit bilden, so übernimmt doch
diese Minderheit, wie es mit radikalen Minderheiten gegenüber besonneneren,
aber weniger energischen Mehrheiten immer der Fall ist, die Führung und
giebt dem ganzen Stande das Gepräge.

Wir haben die Rede des Herrn Dittes in der erwähnten Lehrerversamm-
lung und den jubelnden Beifall, den sie fand, mit aufrichtiger Genugthuung
begrüßt. Man war auf dem besten Wege, zu vergessen, wes Geistes Kinder
jene Herren sind. Noch sind die Negiernngsverfügungen in Giltigkeit, die es
verboten, den Lehrern zum Besuche des allgemeinen deutschen Lehrertages Ur¬
laub zu geben. Aber sie sind natürlich nicht aufrecht zu erhalten, wenn sich
das Unterrichtsministerium auf der Versammlung vertreten läßt. Offenbar
war man oben der Meinung, daß sich die Herren, die durchaus uicht die
deutsche Lehrerschaft, sondern nnr deren äußersten linken Flügel darstellen,
etwas gelernt und sich etwas gebessert Hütten, zu welcher Ansicht die sehr
gemäßigt gehaltenen Themen und Thesen allerdings führen konnten. Nun
haben wir aber eine neue Religion kennen lernen, die, die man mit dem
Namen Ditteismus, einem Zwischendinge von Atheismus und Theismus be¬
zeichnen kann. Ju solchen Händen liegt der Religionsunterricht. Das sind
die Leute, die der hereinbrechenden Gottlosigkeit und Sittenlosigkeit entgegen¬
arbeiten sollen. Sie werden dabei unzweifelhaft denselben schonen Erfolg haben,
dessen sich der Fortschritt der Sozialdemokratie gegenüber rühmt.

Die Volksschullehrer bilden eine ganz merkwürdige, in sich abgeschlossene
mit ganz bestimmten Standesvorurteilen, Ansprüchen und Lebensanschauungen
beherrschte Klasse von Menschen. Viele reden über die Lehrerschaft, aber
wenige kennen sie wirklich. Neben großem Selbstgefühl und allgemeiner Un¬
zufriedenheit gehört auch ein gewisses mißtrauisches, zurückhaltendes Wesen zu
den Eigentümlichkeiten des Lehrers. Wir machen für diese Erscheinungen
nicht den Einzelnen, sondern die schiefe soziale Lage, in der sich der ganze Stand
befindet, und die Art seiner Ausbildung verantwortlich. Der Schulmeister der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/60>, abgerufen am 29.06.2024.