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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

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den Satcmcis bezeichnet (1. Tim. 1, 20). Was war da natürlicher, als daß
ein Schriftsteller der spätern Zeit, wie der Verfasser der Apostelgeschichte, die
etwa um das Jahr 139 in ihrer jetzigen Form verfaßt worden sein mag, eine
Überlieferung, in der sichs um den Ausschluß aus der Gemeinde, in diesem
Sinn um "ein Übergeben an den Satanas" handelte, dahin gestaltete, daß aus
der Strafe der Ausschließung die Todesstrafe wurde? Das konnte um so eher
geschehen, wenn sich die Sache so darstellen ließ, daß mit solcher Ausschließung
eine Verherrlichung apostolischer Kraft und Würde gegeben wurde. So aber
ist die Sache in der Apostelgeschichte dargestellt als ein Strafwnnder, das
Petrus am Ananias vollzieht. Denn darin hat Baur ganz Recht, daß alle
die Wunderthaten, die die Apostelgeschichte in diesem Abschnitt ihrer Dar¬
stellung berichtet, dazu dienen sollen, die Apostel als höhere, übermenschliche
Wesen zu schildern und daß der Glanzpunkt der apostolischen Wirksamkeit des
Petrus das am Ananias und an der Sapphira vollzogene Strafwunder sei.

Der geschichtliche Grund der Erzählung ist also ohne Zweifel ein Aus¬
schluß aus der Gemeinde, und zwar deshalb, weil sich Ananias und Sapphira
in ihrem Eigennutz der Bruderschaft unwürdig zeigten. Sie wollten am eignen
Besitz auch dann noch festhalten, wenn die Apostel als Vertreter der Gemeinde
die Aufgabe dieses Besitzes für nötig erachteten. Das mag die Grundlage des
ursprünglichen Berichtes gewesen sein, worin auch zum Kontrast mit der heuch¬
lerischen Selbstsucht des Ananias die aufopfernde Uneigennützigkeit des Bar-
nabas ausdrücklich hervorgehoben wurde. So ist die Zusammenstellung beider
recht wohl verständlich, ohne daß man zu fragen brauchte, weshalb denn, wenn
doch der Verkauf der Güter und der Einschuß der Gelder in die gemeinsame
Kasse allgemeine Regel gewesen wäre, dies als eine besonders rühmliche Hand¬
lung an Barnabas hervorgehoben wird? Der ursprüngliche Bericht hatte diese
Namen des Barnabas und des Ananias vielmehr so zusammengestellt, wie sie
sachlich zusammengehörten. Die umgestaltende Hand des Schriftstellers aber
hat diesen Zusammenhang aufgehoben, und der Abschluß des Kapitels mit der Er¬
zählung von Barnabas hat schon durch die räumliche Verteilung des Erznhluugs-
stvffes dazu beigetragen, das richtige Urteil über diese Erzählung zu verschieben.

Das Ergebnis unsrer Untersuchung ist das, daß die gesellschaftlichen Ver¬
hältnisse der ersten Christengemeinde zwar nicht auf einer zwangsweise ein-
und durchgeführten, gesetzlichen und gänzlichen Gütergemeinschaft beruhten,
aber wohl auf einer mit Freiwilligkeit aller Mitglieder, also allgemeinen, und
in Bezug auf die Güterveräußerung nur durch die Lebensbedingungen der Ge¬
meinde selbst beschränkten Gütergemeinschaft. Die Bereitwilligkeit des Dar¬
bringens wurde bei allen nur gerade so weit in Anspruch genommen, als es
nach dem Ermessen der Gemeindevertreter, der Apostel, nötig schien. Aber so
weit wurde sie auch in Anspruch genommen. Von der Bereitwilligkeit einzelner
oder auch vieler zu reden, geht um so weniger, als sich sogar eine große


den Satcmcis bezeichnet (1. Tim. 1, 20). Was war da natürlicher, als daß
ein Schriftsteller der spätern Zeit, wie der Verfasser der Apostelgeschichte, die
etwa um das Jahr 139 in ihrer jetzigen Form verfaßt worden sein mag, eine
Überlieferung, in der sichs um den Ausschluß aus der Gemeinde, in diesem
Sinn um „ein Übergeben an den Satanas" handelte, dahin gestaltete, daß aus
der Strafe der Ausschließung die Todesstrafe wurde? Das konnte um so eher
geschehen, wenn sich die Sache so darstellen ließ, daß mit solcher Ausschließung
eine Verherrlichung apostolischer Kraft und Würde gegeben wurde. So aber
ist die Sache in der Apostelgeschichte dargestellt als ein Strafwnnder, das
Petrus am Ananias vollzieht. Denn darin hat Baur ganz Recht, daß alle
die Wunderthaten, die die Apostelgeschichte in diesem Abschnitt ihrer Dar¬
stellung berichtet, dazu dienen sollen, die Apostel als höhere, übermenschliche
Wesen zu schildern und daß der Glanzpunkt der apostolischen Wirksamkeit des
Petrus das am Ananias und an der Sapphira vollzogene Strafwunder sei.

Der geschichtliche Grund der Erzählung ist also ohne Zweifel ein Aus¬
schluß aus der Gemeinde, und zwar deshalb, weil sich Ananias und Sapphira
in ihrem Eigennutz der Bruderschaft unwürdig zeigten. Sie wollten am eignen
Besitz auch dann noch festhalten, wenn die Apostel als Vertreter der Gemeinde
die Aufgabe dieses Besitzes für nötig erachteten. Das mag die Grundlage des
ursprünglichen Berichtes gewesen sein, worin auch zum Kontrast mit der heuch¬
lerischen Selbstsucht des Ananias die aufopfernde Uneigennützigkeit des Bar-
nabas ausdrücklich hervorgehoben wurde. So ist die Zusammenstellung beider
recht wohl verständlich, ohne daß man zu fragen brauchte, weshalb denn, wenn
doch der Verkauf der Güter und der Einschuß der Gelder in die gemeinsame
Kasse allgemeine Regel gewesen wäre, dies als eine besonders rühmliche Hand¬
lung an Barnabas hervorgehoben wird? Der ursprüngliche Bericht hatte diese
Namen des Barnabas und des Ananias vielmehr so zusammengestellt, wie sie
sachlich zusammengehörten. Die umgestaltende Hand des Schriftstellers aber
hat diesen Zusammenhang aufgehoben, und der Abschluß des Kapitels mit der Er¬
zählung von Barnabas hat schon durch die räumliche Verteilung des Erznhluugs-
stvffes dazu beigetragen, das richtige Urteil über diese Erzählung zu verschieben.

Das Ergebnis unsrer Untersuchung ist das, daß die gesellschaftlichen Ver¬
hältnisse der ersten Christengemeinde zwar nicht auf einer zwangsweise ein-
und durchgeführten, gesetzlichen und gänzlichen Gütergemeinschaft beruhten,
aber wohl auf einer mit Freiwilligkeit aller Mitglieder, also allgemeinen, und
in Bezug auf die Güterveräußerung nur durch die Lebensbedingungen der Ge¬
meinde selbst beschränkten Gütergemeinschaft. Die Bereitwilligkeit des Dar¬
bringens wurde bei allen nur gerade so weit in Anspruch genommen, als es
nach dem Ermessen der Gemeindevertreter, der Apostel, nötig schien. Aber so
weit wurde sie auch in Anspruch genommen. Von der Bereitwilligkeit einzelner
oder auch vieler zu reden, geht um so weniger, als sich sogar eine große


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/608>, abgerufen am 28.09.2024.