Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Gütergemeinschaft in der ersten Lchristongemeinde

hat der Satanas dein Herz erfüllet, daß du den heiligen Geist belögest und
entwendetest etwas von dem Erlös für das Landgut? Blieb es nicht, wenn es
unverkauft blieb, dein Eigentum? Und auch nachdem es verkauft war, stand es
(der Erlös dafür) in deiner Gewalt. Warum hast du denn solches in deinem
Herzen vorgenommen? Du hast nicht Menschen, sondern Gotte gelogen" (5, 3.4).
Ananias sei nach diesen Worten niedergefallen und habe seinen Geist aufge¬
geben. Jünglinge hätten ihn dann fortgetragen und begraben. Nach drei
Stunden sei sein Weib gekommen, die nichts von dem Vorgänge gewußt habe.
Von Petrus uun nach dem Preise des Landgutes befragt, habe sie dieselbe
Summe angegeben wie ihr Mann. Da habe Petrus zu ihr gesagt: "Warum
seid ihr denn eins geworden, zu versuchen den Geist des Herrn? Siehe, die
Füße derer, die deinen Mann begraben haben, sind vor der Thür und werden
dich Hinaustragen!" Darauf sei auch sie zu seinen Füßen gefallen und habe
ihren Geist aufgegeben.

In dieser Erzählung sind zunächst die Worte gar nicht zu verstehen:'
Ananias habe von dem Erlöse etwas für sich "entwendet." Bon entwenden
zu sprechen, hat doch nur da Sinn, wo ich dem andern etwas entziehe, worauf
dieser ein Recht hat. Halten wir uns also an das zweimal gebrauchte Wort
"entwenden" (on^lo-"?^",.), so müssen wir annehmen, daß wirklich die Apostel
für die Gemeinde den Anspruch auf volle Verfügung über den Besitz der
Gläubigen erhoben. Und somit haben wir hier einen Versuch, aus dem frei¬
willigen Verzicht der Gläubigen ein Gemeinderecht geltend zu machen, für das
die Apostel eintreten. Dem scheinen nun allerdings die Worte zu widersprechen:
"Blieb es nicht, wenn es unverkauft blieb, dein Eigentum? Und auch nachdem
es verkauft war, stand es in deiner Gewalt." Aber wenn man diese Worte
so verstehen wollte, daß Ananias fort und fort der Christengemeinde hätte
zugehören und doch dabei an seinem Eigentum in jedem Falle hätte festhalten
können, so würden sie geradezu allem widersprechen, was wir von der Organi¬
sation der ersten Christengemeinde Nüssen. Diese Ansicht als Grundsatz durch¬
geführt, also auf jeden angewendet, hätte die bruderschaftliche Organisation,
die diese erste Gemeinde hat, vollkommen dem Zufall preisgegeben. Die
Worte können also nicht so verstanden werden, als ob Ananias auch bei Be¬
obachtung des angegebenen Verhaltens noch die Eigenschaft als Christns-
gläubigcr hätte beibehalten können. Vielmehr, wollte er dieses Verhalten
beobachten, so hätte er nicht in die Gemeinde einzutreten brauchen. Und
das ist es, was die Worte ausdrücken wollen: "Blieb es nicht, wenn es un¬
verkauft blieb?" u. s. w. Sie sind nnr ein andrer Ausdruck für den Sinn:
Hättest du bei solcher Gesinnung nicht bleiben sollen, wo du wärest, ehe du
zu uns kamst?

Steckt nun hinter den Worten dieser Sir", so ergiebt sich hieraus ein
weiteres. Eine solche Gesinnung und ein derartiges Handeln konnte ihren


Gütergemeinschaft in der ersten Lchristongemeinde

hat der Satanas dein Herz erfüllet, daß du den heiligen Geist belögest und
entwendetest etwas von dem Erlös für das Landgut? Blieb es nicht, wenn es
unverkauft blieb, dein Eigentum? Und auch nachdem es verkauft war, stand es
(der Erlös dafür) in deiner Gewalt. Warum hast du denn solches in deinem
Herzen vorgenommen? Du hast nicht Menschen, sondern Gotte gelogen" (5, 3.4).
Ananias sei nach diesen Worten niedergefallen und habe seinen Geist aufge¬
geben. Jünglinge hätten ihn dann fortgetragen und begraben. Nach drei
Stunden sei sein Weib gekommen, die nichts von dem Vorgänge gewußt habe.
Von Petrus uun nach dem Preise des Landgutes befragt, habe sie dieselbe
Summe angegeben wie ihr Mann. Da habe Petrus zu ihr gesagt: „Warum
seid ihr denn eins geworden, zu versuchen den Geist des Herrn? Siehe, die
Füße derer, die deinen Mann begraben haben, sind vor der Thür und werden
dich Hinaustragen!" Darauf sei auch sie zu seinen Füßen gefallen und habe
ihren Geist aufgegeben.

In dieser Erzählung sind zunächst die Worte gar nicht zu verstehen:'
Ananias habe von dem Erlöse etwas für sich „entwendet." Bon entwenden
zu sprechen, hat doch nur da Sinn, wo ich dem andern etwas entziehe, worauf
dieser ein Recht hat. Halten wir uns also an das zweimal gebrauchte Wort
„entwenden" (on^lo-«?^«,.), so müssen wir annehmen, daß wirklich die Apostel
für die Gemeinde den Anspruch auf volle Verfügung über den Besitz der
Gläubigen erhoben. Und somit haben wir hier einen Versuch, aus dem frei¬
willigen Verzicht der Gläubigen ein Gemeinderecht geltend zu machen, für das
die Apostel eintreten. Dem scheinen nun allerdings die Worte zu widersprechen:
„Blieb es nicht, wenn es unverkauft blieb, dein Eigentum? Und auch nachdem
es verkauft war, stand es in deiner Gewalt." Aber wenn man diese Worte
so verstehen wollte, daß Ananias fort und fort der Christengemeinde hätte
zugehören und doch dabei an seinem Eigentum in jedem Falle hätte festhalten
können, so würden sie geradezu allem widersprechen, was wir von der Organi¬
sation der ersten Christengemeinde Nüssen. Diese Ansicht als Grundsatz durch¬
geführt, also auf jeden angewendet, hätte die bruderschaftliche Organisation,
die diese erste Gemeinde hat, vollkommen dem Zufall preisgegeben. Die
Worte können also nicht so verstanden werden, als ob Ananias auch bei Be¬
obachtung des angegebenen Verhaltens noch die Eigenschaft als Christns-
gläubigcr hätte beibehalten können. Vielmehr, wollte er dieses Verhalten
beobachten, so hätte er nicht in die Gemeinde einzutreten brauchen. Und
das ist es, was die Worte ausdrücken wollen: „Blieb es nicht, wenn es un¬
verkauft blieb?" u. s. w. Sie sind nnr ein andrer Ausdruck für den Sinn:
Hättest du bei solcher Gesinnung nicht bleiben sollen, wo du wärest, ehe du
zu uns kamst?

Steckt nun hinter den Worten dieser Sir», so ergiebt sich hieraus ein
weiteres. Eine solche Gesinnung und ein derartiges Handeln konnte ihren


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0606" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/208543"/>
          <fw type="header" place="top"> Gütergemeinschaft in der ersten Lchristongemeinde</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1862" prev="#ID_1861"> hat der Satanas dein Herz erfüllet, daß du den heiligen Geist belögest und<lb/>
entwendetest etwas von dem Erlös für das Landgut? Blieb es nicht, wenn es<lb/>
unverkauft blieb, dein Eigentum? Und auch nachdem es verkauft war, stand es<lb/>
(der Erlös dafür) in deiner Gewalt. Warum hast du denn solches in deinem<lb/>
Herzen vorgenommen? Du hast nicht Menschen, sondern Gotte gelogen" (5, 3.4).<lb/>
Ananias sei nach diesen Worten niedergefallen und habe seinen Geist aufge¬<lb/>
geben. Jünglinge hätten ihn dann fortgetragen und begraben. Nach drei<lb/>
Stunden sei sein Weib gekommen, die nichts von dem Vorgänge gewußt habe.<lb/>
Von Petrus uun nach dem Preise des Landgutes befragt, habe sie dieselbe<lb/>
Summe angegeben wie ihr Mann. Da habe Petrus zu ihr gesagt: &#x201E;Warum<lb/>
seid ihr denn eins geworden, zu versuchen den Geist des Herrn? Siehe, die<lb/>
Füße derer, die deinen Mann begraben haben, sind vor der Thür und werden<lb/>
dich Hinaustragen!" Darauf sei auch sie zu seinen Füßen gefallen und habe<lb/>
ihren Geist aufgegeben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1863"> In dieser Erzählung sind zunächst die Worte gar nicht zu verstehen:'<lb/>
Ananias habe von dem Erlöse etwas für sich &#x201E;entwendet." Bon entwenden<lb/>
zu sprechen, hat doch nur da Sinn, wo ich dem andern etwas entziehe, worauf<lb/>
dieser ein Recht hat. Halten wir uns also an das zweimal gebrauchte Wort<lb/>
&#x201E;entwenden" (on^lo-«?^«,.), so müssen wir annehmen, daß wirklich die Apostel<lb/>
für die Gemeinde den Anspruch auf volle Verfügung über den Besitz der<lb/>
Gläubigen erhoben. Und somit haben wir hier einen Versuch, aus dem frei¬<lb/>
willigen Verzicht der Gläubigen ein Gemeinderecht geltend zu machen, für das<lb/>
die Apostel eintreten. Dem scheinen nun allerdings die Worte zu widersprechen:<lb/>
&#x201E;Blieb es nicht, wenn es unverkauft blieb, dein Eigentum? Und auch nachdem<lb/>
es verkauft war, stand es in deiner Gewalt." Aber wenn man diese Worte<lb/>
so verstehen wollte, daß Ananias fort und fort der Christengemeinde hätte<lb/>
zugehören und doch dabei an seinem Eigentum in jedem Falle hätte festhalten<lb/>
können, so würden sie geradezu allem widersprechen, was wir von der Organi¬<lb/>
sation der ersten Christengemeinde Nüssen. Diese Ansicht als Grundsatz durch¬<lb/>
geführt, also auf jeden angewendet, hätte die bruderschaftliche Organisation,<lb/>
die diese erste Gemeinde hat, vollkommen dem Zufall preisgegeben. Die<lb/>
Worte können also nicht so verstanden werden, als ob Ananias auch bei Be¬<lb/>
obachtung des angegebenen Verhaltens noch die Eigenschaft als Christns-<lb/>
gläubigcr hätte beibehalten können. Vielmehr, wollte er dieses Verhalten<lb/>
beobachten, so hätte er nicht in die Gemeinde einzutreten brauchen. Und<lb/>
das ist es, was die Worte ausdrücken wollen: &#x201E;Blieb es nicht, wenn es un¬<lb/>
verkauft blieb?" u. s. w. Sie sind nnr ein andrer Ausdruck für den Sinn:<lb/>
Hättest du bei solcher Gesinnung nicht bleiben sollen, wo du wärest, ehe du<lb/>
zu uns kamst?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1864" next="#ID_1865"> Steckt nun hinter den Worten dieser Sir», so ergiebt sich hieraus ein<lb/>
weiteres.  Eine solche Gesinnung und ein derartiges Handeln konnte ihren</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0606] Gütergemeinschaft in der ersten Lchristongemeinde hat der Satanas dein Herz erfüllet, daß du den heiligen Geist belögest und entwendetest etwas von dem Erlös für das Landgut? Blieb es nicht, wenn es unverkauft blieb, dein Eigentum? Und auch nachdem es verkauft war, stand es (der Erlös dafür) in deiner Gewalt. Warum hast du denn solches in deinem Herzen vorgenommen? Du hast nicht Menschen, sondern Gotte gelogen" (5, 3.4). Ananias sei nach diesen Worten niedergefallen und habe seinen Geist aufge¬ geben. Jünglinge hätten ihn dann fortgetragen und begraben. Nach drei Stunden sei sein Weib gekommen, die nichts von dem Vorgänge gewußt habe. Von Petrus uun nach dem Preise des Landgutes befragt, habe sie dieselbe Summe angegeben wie ihr Mann. Da habe Petrus zu ihr gesagt: „Warum seid ihr denn eins geworden, zu versuchen den Geist des Herrn? Siehe, die Füße derer, die deinen Mann begraben haben, sind vor der Thür und werden dich Hinaustragen!" Darauf sei auch sie zu seinen Füßen gefallen und habe ihren Geist aufgegeben. In dieser Erzählung sind zunächst die Worte gar nicht zu verstehen:' Ananias habe von dem Erlöse etwas für sich „entwendet." Bon entwenden zu sprechen, hat doch nur da Sinn, wo ich dem andern etwas entziehe, worauf dieser ein Recht hat. Halten wir uns also an das zweimal gebrauchte Wort „entwenden" (on^lo-«?^«,.), so müssen wir annehmen, daß wirklich die Apostel für die Gemeinde den Anspruch auf volle Verfügung über den Besitz der Gläubigen erhoben. Und somit haben wir hier einen Versuch, aus dem frei¬ willigen Verzicht der Gläubigen ein Gemeinderecht geltend zu machen, für das die Apostel eintreten. Dem scheinen nun allerdings die Worte zu widersprechen: „Blieb es nicht, wenn es unverkauft blieb, dein Eigentum? Und auch nachdem es verkauft war, stand es in deiner Gewalt." Aber wenn man diese Worte so verstehen wollte, daß Ananias fort und fort der Christengemeinde hätte zugehören und doch dabei an seinem Eigentum in jedem Falle hätte festhalten können, so würden sie geradezu allem widersprechen, was wir von der Organi¬ sation der ersten Christengemeinde Nüssen. Diese Ansicht als Grundsatz durch¬ geführt, also auf jeden angewendet, hätte die bruderschaftliche Organisation, die diese erste Gemeinde hat, vollkommen dem Zufall preisgegeben. Die Worte können also nicht so verstanden werden, als ob Ananias auch bei Be¬ obachtung des angegebenen Verhaltens noch die Eigenschaft als Christns- gläubigcr hätte beibehalten können. Vielmehr, wollte er dieses Verhalten beobachten, so hätte er nicht in die Gemeinde einzutreten brauchen. Und das ist es, was die Worte ausdrücken wollen: „Blieb es nicht, wenn es un¬ verkauft blieb?" u. s. w. Sie sind nnr ein andrer Ausdruck für den Sinn: Hättest du bei solcher Gesinnung nicht bleiben sollen, wo du wärest, ehe du zu uns kamst? Steckt nun hinter den Worten dieser Sir», so ergiebt sich hieraus ein weiteres. Eine solche Gesinnung und ein derartiges Handeln konnte ihren

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/606
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/606>, abgerufen am 29.06.2024.