Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Gütergemeinschaft in der ersten Christengemeinde

Wir werden also nicht fehl gehen, wenn wir annehmen, daß zwar die
Gütergemeinschaft freiwillig, daß aber nicht nur die Bereitwilligkeit dazu all¬
gemein, sondern auch die Verwirklichung derselben, relativ wenigstens, allgemein
gewesen sei. Ein solches gesellschaftliches Verhältnis entspricht auch dem
Geisteszustände dieser ersten Christengemeinde, die "das verheißene Reich Gottes
nicht nur erwartete als ein kommendes, sondern daran ging, es als ein gegen¬
wärtiges wirklich aufzurichten" (Hausrath, Der Apostel Paulus, S. 90), und
für die der Ausblick auf den demnächst auf den Wolken des Himmels kommenden
Menschensohn das einzige Steuer war, das ihre Fahrt lenkte. Für die Be¬
urteilung dieser ersten Gemeinde und für das Verstüuduis ihrer gesellschaft¬
lichen Einrichtungen ist das Vertrauen auf die demnächst bevorstehende Wieder¬
kunft des Menschensohnes zu allermeist in Rechnung zu setzen. Wie es dereinst,
als der Mann vom See Genezareth noch unter ihnen wandelte, die Liebes¬
bande des persönlichen Verkehrs gewesen waren, die die Jünger bestimmt hatten,
ihre Netze zu verlassen und zu Menschenfischern zu werden, gerade so war es
auch jetzt noch, nachdem er von ihnen genommen, aber seine Wiederkunft für
sie die gewisseste Sache von der Welt war, dieselbe im Eifer der Verfolgung
nur noch erhöhte Liebesglut zu ihm, dem kommenden Streiter Gottes und
Menschensohn, die sie zum Zwecke des Sieges seiner Sache auch das Opfer
ihres Eigentums gern bringen ließ. Mag also immerhin die Darstellung der
Apostelgeschichte insoweit übertrieben sein, daß nicht gerade alle Besitzer von
Häusern diese verkauft haben, weit genng mußte die Gemeinschaft der Güter
sein, wenn dem Glauben und Hoffe" dieser Messiasgläubigen entsprechend gelebt
wurde, immerhin so weit, daß "einem jeden ausgeteilt wurde, je unchdem ihm
not war." Der geschichtliche Kern, deu die Darstellung einer allgemein aus¬
gedehnten Gemeinsamkeit des Besitzes hat, ist also energischer zu betonen, als
Baur thut, und mindestens in dein Maße, als Pfleiderer angiebt. Denn
obschon dieser mit geschichtlichem Sinn sehr wohl ausgerüstete Forscher sich
insoweit an Baur anschließt, daß er die Darstellung der Apostelgeschichte auch
hier in übertreibender Weise idealisiren läßt, so sieht er doch darin das Richtige,
daß er das innere Leben der Urgemeinde als das einer religiös-sozialistischen
Bruderschaft betrachtet, die verhalten war teils durch die gemeinsame Erbauung
an apostolischer Predigt und Gebet, teils durch gemeinsame Brudermahle und
eine "weitgehende Gütergemeinschaft." "Man sollte, sagt Plciderer (Urchristentum,
S. 555), viel mehr, als die deutsche Kritik bisher zu thun pflegte, die unbe¬
streitbare Thatsache im Auge behalten, daß die älteste Gemeinde nicht eine
Schule war, die mit idealistische Theorien, und nicht eine Kirche, die um
spiritualistische Dogmen sich Scharte, souderu einfach eine religiöse Bruderschaft,
welche von der nahen Ankunft des himmlischen Messias Jesus eine beglückende
Neuordnung der Dinge auf Erden erhoffte; wie hätte aber eine solche Hoffnung
sich lebendig erhalten und die Gemeinschaft zusammenhalten können, wenn sie


Die Gütergemeinschaft in der ersten Christengemeinde

Wir werden also nicht fehl gehen, wenn wir annehmen, daß zwar die
Gütergemeinschaft freiwillig, daß aber nicht nur die Bereitwilligkeit dazu all¬
gemein, sondern auch die Verwirklichung derselben, relativ wenigstens, allgemein
gewesen sei. Ein solches gesellschaftliches Verhältnis entspricht auch dem
Geisteszustände dieser ersten Christengemeinde, die „das verheißene Reich Gottes
nicht nur erwartete als ein kommendes, sondern daran ging, es als ein gegen¬
wärtiges wirklich aufzurichten" (Hausrath, Der Apostel Paulus, S. 90), und
für die der Ausblick auf den demnächst auf den Wolken des Himmels kommenden
Menschensohn das einzige Steuer war, das ihre Fahrt lenkte. Für die Be¬
urteilung dieser ersten Gemeinde und für das Verstüuduis ihrer gesellschaft¬
lichen Einrichtungen ist das Vertrauen auf die demnächst bevorstehende Wieder¬
kunft des Menschensohnes zu allermeist in Rechnung zu setzen. Wie es dereinst,
als der Mann vom See Genezareth noch unter ihnen wandelte, die Liebes¬
bande des persönlichen Verkehrs gewesen waren, die die Jünger bestimmt hatten,
ihre Netze zu verlassen und zu Menschenfischern zu werden, gerade so war es
auch jetzt noch, nachdem er von ihnen genommen, aber seine Wiederkunft für
sie die gewisseste Sache von der Welt war, dieselbe im Eifer der Verfolgung
nur noch erhöhte Liebesglut zu ihm, dem kommenden Streiter Gottes und
Menschensohn, die sie zum Zwecke des Sieges seiner Sache auch das Opfer
ihres Eigentums gern bringen ließ. Mag also immerhin die Darstellung der
Apostelgeschichte insoweit übertrieben sein, daß nicht gerade alle Besitzer von
Häusern diese verkauft haben, weit genng mußte die Gemeinschaft der Güter
sein, wenn dem Glauben und Hoffe» dieser Messiasgläubigen entsprechend gelebt
wurde, immerhin so weit, daß „einem jeden ausgeteilt wurde, je unchdem ihm
not war." Der geschichtliche Kern, deu die Darstellung einer allgemein aus¬
gedehnten Gemeinsamkeit des Besitzes hat, ist also energischer zu betonen, als
Baur thut, und mindestens in dein Maße, als Pfleiderer angiebt. Denn
obschon dieser mit geschichtlichem Sinn sehr wohl ausgerüstete Forscher sich
insoweit an Baur anschließt, daß er die Darstellung der Apostelgeschichte auch
hier in übertreibender Weise idealisiren läßt, so sieht er doch darin das Richtige,
daß er das innere Leben der Urgemeinde als das einer religiös-sozialistischen
Bruderschaft betrachtet, die verhalten war teils durch die gemeinsame Erbauung
an apostolischer Predigt und Gebet, teils durch gemeinsame Brudermahle und
eine „weitgehende Gütergemeinschaft." „Man sollte, sagt Plciderer (Urchristentum,
S. 555), viel mehr, als die deutsche Kritik bisher zu thun pflegte, die unbe¬
streitbare Thatsache im Auge behalten, daß die älteste Gemeinde nicht eine
Schule war, die mit idealistische Theorien, und nicht eine Kirche, die um
spiritualistische Dogmen sich Scharte, souderu einfach eine religiöse Bruderschaft,
welche von der nahen Ankunft des himmlischen Messias Jesus eine beglückende
Neuordnung der Dinge auf Erden erhoffte; wie hätte aber eine solche Hoffnung
sich lebendig erhalten und die Gemeinschaft zusammenhalten können, wenn sie


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0604" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/208541"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Gütergemeinschaft in der ersten Christengemeinde</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1858" next="#ID_1859"> Wir werden also nicht fehl gehen, wenn wir annehmen, daß zwar die<lb/>
Gütergemeinschaft freiwillig, daß aber nicht nur die Bereitwilligkeit dazu all¬<lb/>
gemein, sondern auch die Verwirklichung derselben, relativ wenigstens, allgemein<lb/>
gewesen sei. Ein solches gesellschaftliches Verhältnis entspricht auch dem<lb/>
Geisteszustände dieser ersten Christengemeinde, die &#x201E;das verheißene Reich Gottes<lb/>
nicht nur erwartete als ein kommendes, sondern daran ging, es als ein gegen¬<lb/>
wärtiges wirklich aufzurichten" (Hausrath, Der Apostel Paulus, S. 90), und<lb/>
für die der Ausblick auf den demnächst auf den Wolken des Himmels kommenden<lb/>
Menschensohn das einzige Steuer war, das ihre Fahrt lenkte. Für die Be¬<lb/>
urteilung dieser ersten Gemeinde und für das Verstüuduis ihrer gesellschaft¬<lb/>
lichen Einrichtungen ist das Vertrauen auf die demnächst bevorstehende Wieder¬<lb/>
kunft des Menschensohnes zu allermeist in Rechnung zu setzen. Wie es dereinst,<lb/>
als der Mann vom See Genezareth noch unter ihnen wandelte, die Liebes¬<lb/>
bande des persönlichen Verkehrs gewesen waren, die die Jünger bestimmt hatten,<lb/>
ihre Netze zu verlassen und zu Menschenfischern zu werden, gerade so war es<lb/>
auch jetzt noch, nachdem er von ihnen genommen, aber seine Wiederkunft für<lb/>
sie die gewisseste Sache von der Welt war, dieselbe im Eifer der Verfolgung<lb/>
nur noch erhöhte Liebesglut zu ihm, dem kommenden Streiter Gottes und<lb/>
Menschensohn, die sie zum Zwecke des Sieges seiner Sache auch das Opfer<lb/>
ihres Eigentums gern bringen ließ. Mag also immerhin die Darstellung der<lb/>
Apostelgeschichte insoweit übertrieben sein, daß nicht gerade alle Besitzer von<lb/>
Häusern diese verkauft haben, weit genng mußte die Gemeinschaft der Güter<lb/>
sein, wenn dem Glauben und Hoffe» dieser Messiasgläubigen entsprechend gelebt<lb/>
wurde, immerhin so weit, daß &#x201E;einem jeden ausgeteilt wurde, je unchdem ihm<lb/>
not war." Der geschichtliche Kern, deu die Darstellung einer allgemein aus¬<lb/>
gedehnten Gemeinsamkeit des Besitzes hat, ist also energischer zu betonen, als<lb/>
Baur thut, und mindestens in dein Maße, als Pfleiderer angiebt. Denn<lb/>
obschon dieser mit geschichtlichem Sinn sehr wohl ausgerüstete Forscher sich<lb/>
insoweit an Baur anschließt, daß er die Darstellung der Apostelgeschichte auch<lb/>
hier in übertreibender Weise idealisiren läßt, so sieht er doch darin das Richtige,<lb/>
daß er das innere Leben der Urgemeinde als das einer religiös-sozialistischen<lb/>
Bruderschaft betrachtet, die verhalten war teils durch die gemeinsame Erbauung<lb/>
an apostolischer Predigt und Gebet, teils durch gemeinsame Brudermahle und<lb/>
eine &#x201E;weitgehende Gütergemeinschaft." &#x201E;Man sollte, sagt Plciderer (Urchristentum,<lb/>
S. 555), viel mehr, als die deutsche Kritik bisher zu thun pflegte, die unbe¬<lb/>
streitbare Thatsache im Auge behalten, daß die älteste Gemeinde nicht eine<lb/>
Schule war, die mit idealistische Theorien, und nicht eine Kirche, die um<lb/>
spiritualistische Dogmen sich Scharte, souderu einfach eine religiöse Bruderschaft,<lb/>
welche von der nahen Ankunft des himmlischen Messias Jesus eine beglückende<lb/>
Neuordnung der Dinge auf Erden erhoffte; wie hätte aber eine solche Hoffnung<lb/>
sich lebendig erhalten und die Gemeinschaft zusammenhalten können, wenn sie</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0604] Die Gütergemeinschaft in der ersten Christengemeinde Wir werden also nicht fehl gehen, wenn wir annehmen, daß zwar die Gütergemeinschaft freiwillig, daß aber nicht nur die Bereitwilligkeit dazu all¬ gemein, sondern auch die Verwirklichung derselben, relativ wenigstens, allgemein gewesen sei. Ein solches gesellschaftliches Verhältnis entspricht auch dem Geisteszustände dieser ersten Christengemeinde, die „das verheißene Reich Gottes nicht nur erwartete als ein kommendes, sondern daran ging, es als ein gegen¬ wärtiges wirklich aufzurichten" (Hausrath, Der Apostel Paulus, S. 90), und für die der Ausblick auf den demnächst auf den Wolken des Himmels kommenden Menschensohn das einzige Steuer war, das ihre Fahrt lenkte. Für die Be¬ urteilung dieser ersten Gemeinde und für das Verstüuduis ihrer gesellschaft¬ lichen Einrichtungen ist das Vertrauen auf die demnächst bevorstehende Wieder¬ kunft des Menschensohnes zu allermeist in Rechnung zu setzen. Wie es dereinst, als der Mann vom See Genezareth noch unter ihnen wandelte, die Liebes¬ bande des persönlichen Verkehrs gewesen waren, die die Jünger bestimmt hatten, ihre Netze zu verlassen und zu Menschenfischern zu werden, gerade so war es auch jetzt noch, nachdem er von ihnen genommen, aber seine Wiederkunft für sie die gewisseste Sache von der Welt war, dieselbe im Eifer der Verfolgung nur noch erhöhte Liebesglut zu ihm, dem kommenden Streiter Gottes und Menschensohn, die sie zum Zwecke des Sieges seiner Sache auch das Opfer ihres Eigentums gern bringen ließ. Mag also immerhin die Darstellung der Apostelgeschichte insoweit übertrieben sein, daß nicht gerade alle Besitzer von Häusern diese verkauft haben, weit genng mußte die Gemeinschaft der Güter sein, wenn dem Glauben und Hoffe» dieser Messiasgläubigen entsprechend gelebt wurde, immerhin so weit, daß „einem jeden ausgeteilt wurde, je unchdem ihm not war." Der geschichtliche Kern, deu die Darstellung einer allgemein aus¬ gedehnten Gemeinsamkeit des Besitzes hat, ist also energischer zu betonen, als Baur thut, und mindestens in dein Maße, als Pfleiderer angiebt. Denn obschon dieser mit geschichtlichem Sinn sehr wohl ausgerüstete Forscher sich insoweit an Baur anschließt, daß er die Darstellung der Apostelgeschichte auch hier in übertreibender Weise idealisiren läßt, so sieht er doch darin das Richtige, daß er das innere Leben der Urgemeinde als das einer religiös-sozialistischen Bruderschaft betrachtet, die verhalten war teils durch die gemeinsame Erbauung an apostolischer Predigt und Gebet, teils durch gemeinsame Brudermahle und eine „weitgehende Gütergemeinschaft." „Man sollte, sagt Plciderer (Urchristentum, S. 555), viel mehr, als die deutsche Kritik bisher zu thun pflegte, die unbe¬ streitbare Thatsache im Auge behalten, daß die älteste Gemeinde nicht eine Schule war, die mit idealistische Theorien, und nicht eine Kirche, die um spiritualistische Dogmen sich Scharte, souderu einfach eine religiöse Bruderschaft, welche von der nahen Ankunft des himmlischen Messias Jesus eine beglückende Neuordnung der Dinge auf Erden erhoffte; wie hätte aber eine solche Hoffnung sich lebendig erhalten und die Gemeinschaft zusammenhalten können, wenn sie

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/604
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/604>, abgerufen am 29.06.2024.