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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

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Die Gütergemeinschaft in der ersten Christengemeinde

um ihn zu salben (Matth. 2<>, 6 ff., Mark. 14, 3 ff.). Die Frauen, die zum
Grabe Jesu kommen, tragen Spezereien mit sich, die nicht wohlfeil waren
(Matth. 28, 1. Mark. 16, 1). Als das geschichtlich Wahre dürfen wir also
schwerlich annehmen, daß die Ebioniten damit eine falsche Angabe gemacht
hätten, daß sie sagten, sie hätten in den Zeiten der Apostel ihr Eigentum ver¬
kauft und zu den Füßen der Apostel gelegt. Und darum dürfen wir auch das
nicht mit Baur annehmen, daß in den Berichten der Apostelgeschichte das
geschichtlich Wahre "nicht sowohl die Handlung, als vielmehr die der augen¬
blicklichen Handlung zu Grunde liegende Gesinnung und Ansicht von den zeit¬
lichen Gütern" sei. Baur meint, wenn in den Berichten von einem wirklichen
Verzichtleisten auf jeden irdischen Besitz, von einer allgemein eingeführten
Gütergemeinschaft die Rede sei, so gebe sich darin das eigentümliche Wesen der
mythischen Überlieferung kund, die das Konkrete, das sinnlich Anschauliche
liebe und darum die Gesinnung durch die That verwirklichen lasse als den
Reflex der Gesinnung. Das Thatsächliche in den gesellschaftlichen Verhältnissen
der ersten Christen sei also eine allgemeine, vou "einzelnen wie von Barnabas
auch durch die That bewiesene Bereitwilligkeit, ihr irdisches Gut und Eigentum
für die Sache Jesu hinzugeben und den Zwecken der Gesellschaft zum Opfer
zu bringen." Wenn aber Baur so vou "einzelnen" spricht, die durch die
That ihre Gesinnung bewiesen hätten, im übrigen dagegen geneigt ist, ans der
allgemeinen Gütergemeinschaft, von der der Text redet, nur eine allgemeine
Bereitwilligkeit der Gesinnung zu machen, so nimmt er wie dein Text so dein
historischen Verhältnis seine bestimmte Färbung. Freilich, eine formal gesetzlich
eingeführte Gütergemeinschaft hat es nicht gegeben und konnte es nicht geben.
Wer hätte bei dieser ohne alle staatliche Berechtigung und Anerkennung sich
bildenden Gemeinschaft den Zwang geltend machen können, den die Ausführung
des Gesetzes erforderte? Also von einer gänzlichen und wirklichen Güter¬
gemeinschaft in dem Sinne, daß der Einzelne hätte gezwungen werden können,
seine Güter zu verkaufen und den Erlös für das allgemeine Beste zu ver¬
wenden, kann leine Rede sein. Dagegen ist das thatsächliche Bestehen einer
Gütergemeinschaft innerhalb der Grenzen, die der Bestand der Gemeinde selbst
zog, mit Sicherheit anzunehmen. Was Baur bestreitet, indem er sagt, "daß
das, was der Schriftsteller als eine allgemeine Einrichtung der ersten Christen¬
gesellschaft angegeben hat, in dieser Allgemeinheit nicht wirklich stattgefunden
habe," gerade das ist anzunehmen; es fand in dieser Allgemeinheit statt, aller¬
dings, wie wir wiederholen, innerhalb der Grenzen, die der Bestand der Ge¬
meinde selbst zog. Dahin gehört der Fall, daß unmöglich alle Häuser verkauft
werden konnten, sodaß dann keines in der Gemeinde eine eigne Wohnung be¬
sessen hätte. Die Angabe also, daß die Gläubigen alle ihre Güter und Häuser
verkauft hätten, muß ihre Grenze da finden, wo sie das Leben selbst zog, und
fand sie auch.


Die Gütergemeinschaft in der ersten Christengemeinde

um ihn zu salben (Matth. 2<>, 6 ff., Mark. 14, 3 ff.). Die Frauen, die zum
Grabe Jesu kommen, tragen Spezereien mit sich, die nicht wohlfeil waren
(Matth. 28, 1. Mark. 16, 1). Als das geschichtlich Wahre dürfen wir also
schwerlich annehmen, daß die Ebioniten damit eine falsche Angabe gemacht
hätten, daß sie sagten, sie hätten in den Zeiten der Apostel ihr Eigentum ver¬
kauft und zu den Füßen der Apostel gelegt. Und darum dürfen wir auch das
nicht mit Baur annehmen, daß in den Berichten der Apostelgeschichte das
geschichtlich Wahre „nicht sowohl die Handlung, als vielmehr die der augen¬
blicklichen Handlung zu Grunde liegende Gesinnung und Ansicht von den zeit¬
lichen Gütern" sei. Baur meint, wenn in den Berichten von einem wirklichen
Verzichtleisten auf jeden irdischen Besitz, von einer allgemein eingeführten
Gütergemeinschaft die Rede sei, so gebe sich darin das eigentümliche Wesen der
mythischen Überlieferung kund, die das Konkrete, das sinnlich Anschauliche
liebe und darum die Gesinnung durch die That verwirklichen lasse als den
Reflex der Gesinnung. Das Thatsächliche in den gesellschaftlichen Verhältnissen
der ersten Christen sei also eine allgemeine, vou „einzelnen wie von Barnabas
auch durch die That bewiesene Bereitwilligkeit, ihr irdisches Gut und Eigentum
für die Sache Jesu hinzugeben und den Zwecken der Gesellschaft zum Opfer
zu bringen." Wenn aber Baur so vou „einzelnen" spricht, die durch die
That ihre Gesinnung bewiesen hätten, im übrigen dagegen geneigt ist, ans der
allgemeinen Gütergemeinschaft, von der der Text redet, nur eine allgemeine
Bereitwilligkeit der Gesinnung zu machen, so nimmt er wie dein Text so dein
historischen Verhältnis seine bestimmte Färbung. Freilich, eine formal gesetzlich
eingeführte Gütergemeinschaft hat es nicht gegeben und konnte es nicht geben.
Wer hätte bei dieser ohne alle staatliche Berechtigung und Anerkennung sich
bildenden Gemeinschaft den Zwang geltend machen können, den die Ausführung
des Gesetzes erforderte? Also von einer gänzlichen und wirklichen Güter¬
gemeinschaft in dem Sinne, daß der Einzelne hätte gezwungen werden können,
seine Güter zu verkaufen und den Erlös für das allgemeine Beste zu ver¬
wenden, kann leine Rede sein. Dagegen ist das thatsächliche Bestehen einer
Gütergemeinschaft innerhalb der Grenzen, die der Bestand der Gemeinde selbst
zog, mit Sicherheit anzunehmen. Was Baur bestreitet, indem er sagt, „daß
das, was der Schriftsteller als eine allgemeine Einrichtung der ersten Christen¬
gesellschaft angegeben hat, in dieser Allgemeinheit nicht wirklich stattgefunden
habe," gerade das ist anzunehmen; es fand in dieser Allgemeinheit statt, aller¬
dings, wie wir wiederholen, innerhalb der Grenzen, die der Bestand der Ge¬
meinde selbst zog. Dahin gehört der Fall, daß unmöglich alle Häuser verkauft
werden konnten, sodaß dann keines in der Gemeinde eine eigne Wohnung be¬
sessen hätte. Die Angabe also, daß die Gläubigen alle ihre Güter und Häuser
verkauft hätten, muß ihre Grenze da finden, wo sie das Leben selbst zog, und
fand sie auch.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/603>, abgerufen am 29.06.2024.