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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

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Die Gütergemeinschaft in der ersten Christengemeinde

eine besonders rühmliche Handlung des Josef Barnabas hervorgehoben, daß
er sein Grundstück verlauft und den Erlös aus demselben vor die Füße der
Apostel gelegt habe? Auch hieraus müssen wir also schließen, daß das, was
der Schriftsteller zuvor als eine allgemeine Einrichtung der ersten Christeu¬
gesellschaft angegeben hat, in dieser Allgemeinheit nicht wirklich stattfand."
Baur meint, die Erzählung lasse uns ungewiß, wie viel geschichtlich Wahres
zu Grunde liegen möge; nur insofern auch eine unhistorische Darstellung in
den meisten Füllen wenigstens von einem geschichtlichen Anlaß ausgehe, mochten
wir auch hier zur Voraussetzung einer historischen Grundlage geneigt sein.
Um nun die geschichtliche Grundlage genauer zu ermitteln, wendet sich Baur
zu dem Bericht, den uns Epiphanius über die Ebioniten (Härescs 3V) giebt,
die, allerdings später von der griechisch gesitteten Kirche des zweiten Jahr¬
hunderts als Häretiker ausgeschieden, in einem sehr nahen Verhältnis
zur ersten jernsalemischeu Christengeiuelude stehend zu denken sind. Ebio-
uiteu heißt Arme. Diesen Namen nnn, "den sie sich selbst gaben und
als eine ehrende Auszeichnung betrachteten, haben sie vapor erhalten, daß
sie in den Zeiten der Apostel ihr Eigentum verkauften und zu deu Füßen der
Apostel legten und zur Armut und Entsagung übergingen." Es stehe dies,
lueiut Baur, in sehr naher Beziehung zu unsern beiden Stelle" der Apostel¬
geschichte. "Wir haben hier ein wirklich historisches Datum, das uns el"
ähnliches "ni>Spott ?oux nKo^ ^5>v "Trocun^v (ein Niederlegen zu den
Füßen der Apostel) als charakteristischen Zug der apostolischen Zeit kennen
lehrt." So weit ist Baurs Betrachtung vollständig richtig. Er meint aber
uun weiter, mau dürfe nicht annehmen, die Armut der Ebiouiteu sei nicht erst
daraus entstanden, daß sie alle ihre Güter verkauften, sondern die Annahme
sei weit natürlicher, daß sie von Anfang an arm gewesen seien; weil sie aber
ihre Armut als etwas Ehrendes und Auszeichnendes betrachteten, so hätten sie
sie auch als etwas Selbstgewähltes angesehen wissen wollen. Mit dieser An¬
nahme schlägt der Scharfsinn Baurs über deu Strang. Daß viele Glieder
der ersten Gemeinde arm gewesen sind, ist zweifellos, daß es alle gewesen seien,
ist sehr zu bezweifeln. Schon der erste Verein der Männer und Frauen, die
sich an Christus angeschlossen hatten, war nicht mittellos. Die Bildung einer
gemeinschaftlichen Kasse weist schon darauf hin, ebenso die wenigen Nachrichten,
die wir über die äußern Verhältnisse der einzelnen Jünger erhalten. Petrus
und Andreas hatten ein Haus (Mutes. L, 14, Mark. 1, 2ö). Die Söhne
Zebedäi, Besitzer eines Schiffes, worin sie mit ihrem Vater sitzen und ihre Netze
flicken, werden wohl in gleicher Lage gewesen sein und zum Schiff auch das
Geschirr gehabt haben. Simon, der (einst) Aussätzige, in dessen Hause zu
Bethanien Jesus verkehrte, und der vermutlich zu dein weiter" Jüugerkreis
gehörte, ist nicht als arm zu denken, ebenso wenig das Weib, das in diesem
Hause zu Jesus mit einer Alabasterflasche voll kostbaren Nnrdenöls herantrat,


Die Gütergemeinschaft in der ersten Christengemeinde

eine besonders rühmliche Handlung des Josef Barnabas hervorgehoben, daß
er sein Grundstück verlauft und den Erlös aus demselben vor die Füße der
Apostel gelegt habe? Auch hieraus müssen wir also schließen, daß das, was
der Schriftsteller zuvor als eine allgemeine Einrichtung der ersten Christeu¬
gesellschaft angegeben hat, in dieser Allgemeinheit nicht wirklich stattfand."
Baur meint, die Erzählung lasse uns ungewiß, wie viel geschichtlich Wahres
zu Grunde liegen möge; nur insofern auch eine unhistorische Darstellung in
den meisten Füllen wenigstens von einem geschichtlichen Anlaß ausgehe, mochten
wir auch hier zur Voraussetzung einer historischen Grundlage geneigt sein.
Um nun die geschichtliche Grundlage genauer zu ermitteln, wendet sich Baur
zu dem Bericht, den uns Epiphanius über die Ebioniten (Härescs 3V) giebt,
die, allerdings später von der griechisch gesitteten Kirche des zweiten Jahr¬
hunderts als Häretiker ausgeschieden, in einem sehr nahen Verhältnis
zur ersten jernsalemischeu Christengeiuelude stehend zu denken sind. Ebio-
uiteu heißt Arme. Diesen Namen nnn, „den sie sich selbst gaben und
als eine ehrende Auszeichnung betrachteten, haben sie vapor erhalten, daß
sie in den Zeiten der Apostel ihr Eigentum verkauften und zu deu Füßen der
Apostel legten und zur Armut und Entsagung übergingen." Es stehe dies,
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geschichte. „Wir haben hier ein wirklich historisches Datum, das uns el»
ähnliches "ni>Spott ?oux nKo^ ^5>v «Trocun^v (ein Niederlegen zu den
Füßen der Apostel) als charakteristischen Zug der apostolischen Zeit kennen
lehrt." So weit ist Baurs Betrachtung vollständig richtig. Er meint aber
uun weiter, mau dürfe nicht annehmen, die Armut der Ebiouiteu sei nicht erst
daraus entstanden, daß sie alle ihre Güter verkauften, sondern die Annahme
sei weit natürlicher, daß sie von Anfang an arm gewesen seien; weil sie aber
ihre Armut als etwas Ehrendes und Auszeichnendes betrachteten, so hätten sie
sie auch als etwas Selbstgewähltes angesehen wissen wollen. Mit dieser An¬
nahme schlägt der Scharfsinn Baurs über deu Strang. Daß viele Glieder
der ersten Gemeinde arm gewesen sind, ist zweifellos, daß es alle gewesen seien,
ist sehr zu bezweifeln. Schon der erste Verein der Männer und Frauen, die
sich an Christus angeschlossen hatten, war nicht mittellos. Die Bildung einer
gemeinschaftlichen Kasse weist schon darauf hin, ebenso die wenigen Nachrichten,
die wir über die äußern Verhältnisse der einzelnen Jünger erhalten. Petrus
und Andreas hatten ein Haus (Mutes. L, 14, Mark. 1, 2ö). Die Söhne
Zebedäi, Besitzer eines Schiffes, worin sie mit ihrem Vater sitzen und ihre Netze
flicken, werden wohl in gleicher Lage gewesen sein und zum Schiff auch das
Geschirr gehabt haben. Simon, der (einst) Aussätzige, in dessen Hause zu
Bethanien Jesus verkehrte, und der vermutlich zu dein weiter» Jüugerkreis
gehörte, ist nicht als arm zu denken, ebenso wenig das Weib, das in diesem
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[0602] Die Gütergemeinschaft in der ersten Christengemeinde eine besonders rühmliche Handlung des Josef Barnabas hervorgehoben, daß er sein Grundstück verlauft und den Erlös aus demselben vor die Füße der Apostel gelegt habe? Auch hieraus müssen wir also schließen, daß das, was der Schriftsteller zuvor als eine allgemeine Einrichtung der ersten Christeu¬ gesellschaft angegeben hat, in dieser Allgemeinheit nicht wirklich stattfand." Baur meint, die Erzählung lasse uns ungewiß, wie viel geschichtlich Wahres zu Grunde liegen möge; nur insofern auch eine unhistorische Darstellung in den meisten Füllen wenigstens von einem geschichtlichen Anlaß ausgehe, mochten wir auch hier zur Voraussetzung einer historischen Grundlage geneigt sein. Um nun die geschichtliche Grundlage genauer zu ermitteln, wendet sich Baur zu dem Bericht, den uns Epiphanius über die Ebioniten (Härescs 3V) giebt, die, allerdings später von der griechisch gesitteten Kirche des zweiten Jahr¬ hunderts als Häretiker ausgeschieden, in einem sehr nahen Verhältnis zur ersten jernsalemischeu Christengeiuelude stehend zu denken sind. Ebio- uiteu heißt Arme. Diesen Namen nnn, „den sie sich selbst gaben und als eine ehrende Auszeichnung betrachteten, haben sie vapor erhalten, daß sie in den Zeiten der Apostel ihr Eigentum verkauften und zu deu Füßen der Apostel legten und zur Armut und Entsagung übergingen." Es stehe dies, lueiut Baur, in sehr naher Beziehung zu unsern beiden Stelle» der Apostel¬ geschichte. „Wir haben hier ein wirklich historisches Datum, das uns el» ähnliches "ni>Spott ?oux nKo^ ^5>v «Trocun^v (ein Niederlegen zu den Füßen der Apostel) als charakteristischen Zug der apostolischen Zeit kennen lehrt." So weit ist Baurs Betrachtung vollständig richtig. Er meint aber uun weiter, mau dürfe nicht annehmen, die Armut der Ebiouiteu sei nicht erst daraus entstanden, daß sie alle ihre Güter verkauften, sondern die Annahme sei weit natürlicher, daß sie von Anfang an arm gewesen seien; weil sie aber ihre Armut als etwas Ehrendes und Auszeichnendes betrachteten, so hätten sie sie auch als etwas Selbstgewähltes angesehen wissen wollen. Mit dieser An¬ nahme schlägt der Scharfsinn Baurs über deu Strang. Daß viele Glieder der ersten Gemeinde arm gewesen sind, ist zweifellos, daß es alle gewesen seien, ist sehr zu bezweifeln. Schon der erste Verein der Männer und Frauen, die sich an Christus angeschlossen hatten, war nicht mittellos. Die Bildung einer gemeinschaftlichen Kasse weist schon darauf hin, ebenso die wenigen Nachrichten, die wir über die äußern Verhältnisse der einzelnen Jünger erhalten. Petrus und Andreas hatten ein Haus (Mutes. L, 14, Mark. 1, 2ö). Die Söhne Zebedäi, Besitzer eines Schiffes, worin sie mit ihrem Vater sitzen und ihre Netze flicken, werden wohl in gleicher Lage gewesen sein und zum Schiff auch das Geschirr gehabt haben. Simon, der (einst) Aussätzige, in dessen Hause zu Bethanien Jesus verkehrte, und der vermutlich zu dein weiter» Jüugerkreis gehörte, ist nicht als arm zu denken, ebenso wenig das Weib, das in diesem Hause zu Jesus mit einer Alabasterflasche voll kostbaren Nnrdenöls herantrat,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/602>, abgerufen am 29.06.2024.