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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

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Die Gütergemeinschaft in der ersten Christengemeinde

Also wir haben an unsern beiden Stellen einundderselben Zustand der
ersten Christengemeinde geschildert. Wie ist er nun nach dieser Schilderung?
lind haben wir hier eine echt geschichtliche Nachricht über die gesellschaftlichen
Verhältnisse dieser Gemeinde?

Neunter (Geschichte der Pflanzung und Leitung n. s. w., 3. Auflage,
S. 34) bezweifelt das. Er meint, es finde sich manches in den Erzählungen
der Apostelgeschichte, was der Vorstellung von einer solchen Gütergemeinschaft
widerstreite. So sagt Petrus zum Ananias (5, 4), es habe von ihm (Ananias)
abgehangen, ob er das Grundstück verkaufen wolle oder für sich behalten,
und daß er auch nach dem Verkauf über den Ertrag nach seiner Neigung habe
bestimmen können. Ferner sei im sechsten Kapitel nur von einer verhältnis¬
müßigen Almosenverteilung an die Witwen, keineswegs von einer gemeinsamen
Kasse für den Unterhalt der ganzen Gemeinde die Rede. Auch fänden nur
(12, 12), daß die Maria zu Jerusalem ein Haus als Eigentum besessen, es
also nicht zum Besten der gemeinsamen Kasse verkauft habe. Das alles
beweise klar, daß wir uus bei dieser ersten Gemeinde keineswegs eine Auflösung
aller Eigentumsverhältnisse zu denken Hütten. Als das historisch Wahre nimmt
Neander an, daß eine gemeinsame Kasse gestiftet worden sei, ans der man für
die Bedürfnisse der größern Zahl ürmerer Mitglieder der Gemeinde sorgte,
aus der man vielleicht much überhaupt Ausgabe", die die ganze Gemeinde
angingen, wie die Veranstaltung der Agapen, bestritten habe, und daß, um
desto mehr beitragen zu können, viele ihre Grundstücke verkauft hätten, daß es
also ein ähnliches Verhältnis gewesen wäre, wie es früher in dem Verein der
Männer und Frauen, die sich an Christus angeschlossen hatten, bestanden habe.

Auch Chr. Ferd. Baur (Paulus, S. 30) will jene Schilderung nicht buch¬
stäblich verstehen. Es habe eben hier ein andres Interesse als das historische
zu Gründe gelegen, das der Jdealisirung dieser ersten Gemeinde. Derselbe
verklärende Schimmer, wie er auf die Apostel in dem Buche der Apostelgeschichte
falle, falle auch auf die ganze Gemeinde der Gläubigen. Es komme dein Ver¬
fasser der Apostelgeschichte darauf an, diese erste Gemeinde "in dem schönen
Lichte eines Vereins erscheinen zu lassen, welcher alles, was sonst störend und
trennend in die gesellschaftlichen Verhältnisse der Menschen eingreift, vor allem
also den Unterschied des Reichtums und der Armut aus seiner Mitte entfernt
hatte. Ein solcher Zustand fand aber in der Wirklichkeit nicht statt und könnte
auch schon der Natur der Sache nach nicht stattfinden; denn wie laßt sich
denken, daß in eiuer Gemeinde, die doch schon damals nach der Angabe des
Schriftstellers ans fünftausend Münnern bestand, alle, welche liegende Güter
und Hüuser besaßen, sogar ihre Häuser verkauften, sodaß demnach keiner in der
ganzen Gemeinde eine eigne Wohnung besessen Hütte? Und wenn es als all¬
gemeine Regel galt, daß jeder, was er als Eigentum besaß, verkaufte und in
einen Geldbeitrag für die allgemeine Kasse verwandelte, warum wird es als


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Die Gütergemeinschaft in der ersten Christengemeinde

Also wir haben an unsern beiden Stellen einundderselben Zustand der
ersten Christengemeinde geschildert. Wie ist er nun nach dieser Schilderung?
lind haben wir hier eine echt geschichtliche Nachricht über die gesellschaftlichen
Verhältnisse dieser Gemeinde?

Neunter (Geschichte der Pflanzung und Leitung n. s. w., 3. Auflage,
S. 34) bezweifelt das. Er meint, es finde sich manches in den Erzählungen
der Apostelgeschichte, was der Vorstellung von einer solchen Gütergemeinschaft
widerstreite. So sagt Petrus zum Ananias (5, 4), es habe von ihm (Ananias)
abgehangen, ob er das Grundstück verkaufen wolle oder für sich behalten,
und daß er auch nach dem Verkauf über den Ertrag nach seiner Neigung habe
bestimmen können. Ferner sei im sechsten Kapitel nur von einer verhältnis¬
müßigen Almosenverteilung an die Witwen, keineswegs von einer gemeinsamen
Kasse für den Unterhalt der ganzen Gemeinde die Rede. Auch fänden nur
(12, 12), daß die Maria zu Jerusalem ein Haus als Eigentum besessen, es
also nicht zum Besten der gemeinsamen Kasse verkauft habe. Das alles
beweise klar, daß wir uus bei dieser ersten Gemeinde keineswegs eine Auflösung
aller Eigentumsverhältnisse zu denken Hütten. Als das historisch Wahre nimmt
Neander an, daß eine gemeinsame Kasse gestiftet worden sei, ans der man für
die Bedürfnisse der größern Zahl ürmerer Mitglieder der Gemeinde sorgte,
aus der man vielleicht much überhaupt Ausgabe», die die ganze Gemeinde
angingen, wie die Veranstaltung der Agapen, bestritten habe, und daß, um
desto mehr beitragen zu können, viele ihre Grundstücke verkauft hätten, daß es
also ein ähnliches Verhältnis gewesen wäre, wie es früher in dem Verein der
Männer und Frauen, die sich an Christus angeschlossen hatten, bestanden habe.

Auch Chr. Ferd. Baur (Paulus, S. 30) will jene Schilderung nicht buch¬
stäblich verstehen. Es habe eben hier ein andres Interesse als das historische
zu Gründe gelegen, das der Jdealisirung dieser ersten Gemeinde. Derselbe
verklärende Schimmer, wie er auf die Apostel in dem Buche der Apostelgeschichte
falle, falle auch auf die ganze Gemeinde der Gläubigen. Es komme dein Ver¬
fasser der Apostelgeschichte darauf an, diese erste Gemeinde „in dem schönen
Lichte eines Vereins erscheinen zu lassen, welcher alles, was sonst störend und
trennend in die gesellschaftlichen Verhältnisse der Menschen eingreift, vor allem
also den Unterschied des Reichtums und der Armut aus seiner Mitte entfernt
hatte. Ein solcher Zustand fand aber in der Wirklichkeit nicht statt und könnte
auch schon der Natur der Sache nach nicht stattfinden; denn wie laßt sich
denken, daß in eiuer Gemeinde, die doch schon damals nach der Angabe des
Schriftstellers ans fünftausend Münnern bestand, alle, welche liegende Güter
und Hüuser besaßen, sogar ihre Häuser verkauften, sodaß demnach keiner in der
ganzen Gemeinde eine eigne Wohnung besessen Hütte? Und wenn es als all¬
gemeine Regel galt, daß jeder, was er als Eigentum besaß, verkaufte und in
einen Geldbeitrag für die allgemeine Kasse verwandelte, warum wird es als


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[0601] Die Gütergemeinschaft in der ersten Christengemeinde Also wir haben an unsern beiden Stellen einundderselben Zustand der ersten Christengemeinde geschildert. Wie ist er nun nach dieser Schilderung? lind haben wir hier eine echt geschichtliche Nachricht über die gesellschaftlichen Verhältnisse dieser Gemeinde? Neunter (Geschichte der Pflanzung und Leitung n. s. w., 3. Auflage, S. 34) bezweifelt das. Er meint, es finde sich manches in den Erzählungen der Apostelgeschichte, was der Vorstellung von einer solchen Gütergemeinschaft widerstreite. So sagt Petrus zum Ananias (5, 4), es habe von ihm (Ananias) abgehangen, ob er das Grundstück verkaufen wolle oder für sich behalten, und daß er auch nach dem Verkauf über den Ertrag nach seiner Neigung habe bestimmen können. Ferner sei im sechsten Kapitel nur von einer verhältnis¬ müßigen Almosenverteilung an die Witwen, keineswegs von einer gemeinsamen Kasse für den Unterhalt der ganzen Gemeinde die Rede. Auch fänden nur (12, 12), daß die Maria zu Jerusalem ein Haus als Eigentum besessen, es also nicht zum Besten der gemeinsamen Kasse verkauft habe. Das alles beweise klar, daß wir uus bei dieser ersten Gemeinde keineswegs eine Auflösung aller Eigentumsverhältnisse zu denken Hütten. Als das historisch Wahre nimmt Neander an, daß eine gemeinsame Kasse gestiftet worden sei, ans der man für die Bedürfnisse der größern Zahl ürmerer Mitglieder der Gemeinde sorgte, aus der man vielleicht much überhaupt Ausgabe», die die ganze Gemeinde angingen, wie die Veranstaltung der Agapen, bestritten habe, und daß, um desto mehr beitragen zu können, viele ihre Grundstücke verkauft hätten, daß es also ein ähnliches Verhältnis gewesen wäre, wie es früher in dem Verein der Männer und Frauen, die sich an Christus angeschlossen hatten, bestanden habe. Auch Chr. Ferd. Baur (Paulus, S. 30) will jene Schilderung nicht buch¬ stäblich verstehen. Es habe eben hier ein andres Interesse als das historische zu Gründe gelegen, das der Jdealisirung dieser ersten Gemeinde. Derselbe verklärende Schimmer, wie er auf die Apostel in dem Buche der Apostelgeschichte falle, falle auch auf die ganze Gemeinde der Gläubigen. Es komme dein Ver¬ fasser der Apostelgeschichte darauf an, diese erste Gemeinde „in dem schönen Lichte eines Vereins erscheinen zu lassen, welcher alles, was sonst störend und trennend in die gesellschaftlichen Verhältnisse der Menschen eingreift, vor allem also den Unterschied des Reichtums und der Armut aus seiner Mitte entfernt hatte. Ein solcher Zustand fand aber in der Wirklichkeit nicht statt und könnte auch schon der Natur der Sache nach nicht stattfinden; denn wie laßt sich denken, daß in eiuer Gemeinde, die doch schon damals nach der Angabe des Schriftstellers ans fünftausend Münnern bestand, alle, welche liegende Güter und Hüuser besaßen, sogar ihre Häuser verkauften, sodaß demnach keiner in der ganzen Gemeinde eine eigne Wohnung besessen Hütte? Und wenn es als all¬ gemeine Regel galt, daß jeder, was er als Eigentum besaß, verkaufte und in einen Geldbeitrag für die allgemeine Kasse verwandelte, warum wird es als Grenzbote» III I»»0 75

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/601>, abgerufen am 28.09.2024.