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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

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Römische Frühlingsbilder

Eine dritte vielgepriesene Schöpfung der Renaissance, schon ihrem Nieder¬
gange, den spätesten Tagen Michel Angelos angehörig, besser erhalten, aber
gleichfalls im beständigen und nicht immer würdigen Wandel der Geschicke stark
beschädigt und ihres ursprünglichen Glanzes beraubt, ist die vor der Porta del
Popolo, nördlich von den Borghesischen Gärten gelegene Villa ti Papa Giulio.
Nicht der gewaltige Julius II., wie in einzelnen Führern und Handbüchern
zu lesen steht, sondern Julius III., "kleiner und nicht so groß als der
Telamonier Ajas, nein, viel kleiner an Wuchs" (Ilias), ließ sich um die Mitte
des sechzehnten Jahrhunderts von Vasari und Vignola das reiche Landhaus
in nächster Nähe der Stadt errichten, während andre schöne, aber entferntere
Villen bereits verödeten. Federigo Zuccaro schmückte in seiner leichtfertigen,
aber glänzenden und technisch verblüffenden Manier die Säle der Villa mit
Deckenbildern; weder Farben noch Marmor wurden gespart, um dem Ganzen
ein prächtig heiteres Aussehen zu geben, und bis heute, wo nun auch dieser
Bau verlassen und gleichsam überflüssig zwischen einsamen Gärten und Garten¬
mauern liegt, wirken die stattliche Fassade, der Hof mit seinen Arkaden mit all
dem Zauber, der den Werken dieser Zeit zu eigen ist. Den bleibendsten Ein¬
druck empfängt man von dem schönen Bauwerk, wenn man von der Acqua
Aeetosa oder dem neuen, zur Zeit noch sehr dürftigen, schattenlosen Pareo
Margherita (nicht zu verwechseln mit der Passeggiata Margherita) herüber¬
kommend, zwischen Weinbcrgsmnuern, hohen Gartenmauern über die Laub¬
kronen, Cypressenspitzen und Silberpappeln emporschauend, zwischen allerhand
verräucherten kleinen Häusern und versteckten Kapellchen, auf holprigen auf
und ab führenden Pfaden plötzlich die Wölbung des Arcoscuro (^re,o c>8ourv)
erreicht, hinter der sich der sonnenbeschienene Platz vor der Villa aufthut.
Dann ist mau mit einem Schlage aus den Eindrücken der Ccimpagna und der
malerischen Unregelmäßigkeit, ja Wüstheit eines halb vorstädtischen, halb länd¬
lichen Terrains mitten in die anspruchsvolle Welt edler Anmut und Vor¬
nehmheit hineinversetzt, die zu verschiednen Zeiten für ganz Rom erstrebt, aber
niemals -- auch in der römischen Kaiserzeit nicht -- erreicht worden ist. Hier
versteht man vollständig, warum unser großer Dichter, dem es weder nu Be¬
geisterung noch an Billigkeit fehlte, sich "nicht enthalten konnte, Rom als ein
Quodlibet, aber als einziges in seiner Art anzusehen," denn die gleiche Em¬
pfindung überschleicht nach einem vollen Jahrhundert den Wandrer von heute
wieder.

Angesichts so vieler köstlichen, halb zerbrochenen, halb verblaßten Schalen
eines ehemals reichen Lebens, das wir uns aus guten Gründen, trotz aller
seiner Schatten und Widersprüche, gern wieder vor den innern Blick rufen,
thut es doppelt wohl, daß wenigstens an einer Stelle ein Privatprachtban der
Hochrenaissance, die herrliche, einzig vollendete Farnesina, die Jakob Burckhardt
mit Recht "das schönste Sommerhaus der Erde" nennt, so ziemlich unberührt,


Römische Frühlingsbilder

Eine dritte vielgepriesene Schöpfung der Renaissance, schon ihrem Nieder¬
gange, den spätesten Tagen Michel Angelos angehörig, besser erhalten, aber
gleichfalls im beständigen und nicht immer würdigen Wandel der Geschicke stark
beschädigt und ihres ursprünglichen Glanzes beraubt, ist die vor der Porta del
Popolo, nördlich von den Borghesischen Gärten gelegene Villa ti Papa Giulio.
Nicht der gewaltige Julius II., wie in einzelnen Führern und Handbüchern
zu lesen steht, sondern Julius III., „kleiner und nicht so groß als der
Telamonier Ajas, nein, viel kleiner an Wuchs" (Ilias), ließ sich um die Mitte
des sechzehnten Jahrhunderts von Vasari und Vignola das reiche Landhaus
in nächster Nähe der Stadt errichten, während andre schöne, aber entferntere
Villen bereits verödeten. Federigo Zuccaro schmückte in seiner leichtfertigen,
aber glänzenden und technisch verblüffenden Manier die Säle der Villa mit
Deckenbildern; weder Farben noch Marmor wurden gespart, um dem Ganzen
ein prächtig heiteres Aussehen zu geben, und bis heute, wo nun auch dieser
Bau verlassen und gleichsam überflüssig zwischen einsamen Gärten und Garten¬
mauern liegt, wirken die stattliche Fassade, der Hof mit seinen Arkaden mit all
dem Zauber, der den Werken dieser Zeit zu eigen ist. Den bleibendsten Ein¬
druck empfängt man von dem schönen Bauwerk, wenn man von der Acqua
Aeetosa oder dem neuen, zur Zeit noch sehr dürftigen, schattenlosen Pareo
Margherita (nicht zu verwechseln mit der Passeggiata Margherita) herüber¬
kommend, zwischen Weinbcrgsmnuern, hohen Gartenmauern über die Laub¬
kronen, Cypressenspitzen und Silberpappeln emporschauend, zwischen allerhand
verräucherten kleinen Häusern und versteckten Kapellchen, auf holprigen auf
und ab führenden Pfaden plötzlich die Wölbung des Arcoscuro (^re,o c>8ourv)
erreicht, hinter der sich der sonnenbeschienene Platz vor der Villa aufthut.
Dann ist mau mit einem Schlage aus den Eindrücken der Ccimpagna und der
malerischen Unregelmäßigkeit, ja Wüstheit eines halb vorstädtischen, halb länd¬
lichen Terrains mitten in die anspruchsvolle Welt edler Anmut und Vor¬
nehmheit hineinversetzt, die zu verschiednen Zeiten für ganz Rom erstrebt, aber
niemals — auch in der römischen Kaiserzeit nicht — erreicht worden ist. Hier
versteht man vollständig, warum unser großer Dichter, dem es weder nu Be¬
geisterung noch an Billigkeit fehlte, sich „nicht enthalten konnte, Rom als ein
Quodlibet, aber als einziges in seiner Art anzusehen," denn die gleiche Em¬
pfindung überschleicht nach einem vollen Jahrhundert den Wandrer von heute
wieder.

Angesichts so vieler köstlichen, halb zerbrochenen, halb verblaßten Schalen
eines ehemals reichen Lebens, das wir uns aus guten Gründen, trotz aller
seiner Schatten und Widersprüche, gern wieder vor den innern Blick rufen,
thut es doppelt wohl, daß wenigstens an einer Stelle ein Privatprachtban der
Hochrenaissance, die herrliche, einzig vollendete Farnesina, die Jakob Burckhardt
mit Recht „das schönste Sommerhaus der Erde" nennt, so ziemlich unberührt,


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[0574] Römische Frühlingsbilder Eine dritte vielgepriesene Schöpfung der Renaissance, schon ihrem Nieder¬ gange, den spätesten Tagen Michel Angelos angehörig, besser erhalten, aber gleichfalls im beständigen und nicht immer würdigen Wandel der Geschicke stark beschädigt und ihres ursprünglichen Glanzes beraubt, ist die vor der Porta del Popolo, nördlich von den Borghesischen Gärten gelegene Villa ti Papa Giulio. Nicht der gewaltige Julius II., wie in einzelnen Führern und Handbüchern zu lesen steht, sondern Julius III., „kleiner und nicht so groß als der Telamonier Ajas, nein, viel kleiner an Wuchs" (Ilias), ließ sich um die Mitte des sechzehnten Jahrhunderts von Vasari und Vignola das reiche Landhaus in nächster Nähe der Stadt errichten, während andre schöne, aber entferntere Villen bereits verödeten. Federigo Zuccaro schmückte in seiner leichtfertigen, aber glänzenden und technisch verblüffenden Manier die Säle der Villa mit Deckenbildern; weder Farben noch Marmor wurden gespart, um dem Ganzen ein prächtig heiteres Aussehen zu geben, und bis heute, wo nun auch dieser Bau verlassen und gleichsam überflüssig zwischen einsamen Gärten und Garten¬ mauern liegt, wirken die stattliche Fassade, der Hof mit seinen Arkaden mit all dem Zauber, der den Werken dieser Zeit zu eigen ist. Den bleibendsten Ein¬ druck empfängt man von dem schönen Bauwerk, wenn man von der Acqua Aeetosa oder dem neuen, zur Zeit noch sehr dürftigen, schattenlosen Pareo Margherita (nicht zu verwechseln mit der Passeggiata Margherita) herüber¬ kommend, zwischen Weinbcrgsmnuern, hohen Gartenmauern über die Laub¬ kronen, Cypressenspitzen und Silberpappeln emporschauend, zwischen allerhand verräucherten kleinen Häusern und versteckten Kapellchen, auf holprigen auf und ab führenden Pfaden plötzlich die Wölbung des Arcoscuro (^re,o c>8ourv) erreicht, hinter der sich der sonnenbeschienene Platz vor der Villa aufthut. Dann ist mau mit einem Schlage aus den Eindrücken der Ccimpagna und der malerischen Unregelmäßigkeit, ja Wüstheit eines halb vorstädtischen, halb länd¬ lichen Terrains mitten in die anspruchsvolle Welt edler Anmut und Vor¬ nehmheit hineinversetzt, die zu verschiednen Zeiten für ganz Rom erstrebt, aber niemals — auch in der römischen Kaiserzeit nicht — erreicht worden ist. Hier versteht man vollständig, warum unser großer Dichter, dem es weder nu Be¬ geisterung noch an Billigkeit fehlte, sich „nicht enthalten konnte, Rom als ein Quodlibet, aber als einziges in seiner Art anzusehen," denn die gleiche Em¬ pfindung überschleicht nach einem vollen Jahrhundert den Wandrer von heute wieder. Angesichts so vieler köstlichen, halb zerbrochenen, halb verblaßten Schalen eines ehemals reichen Lebens, das wir uns aus guten Gründen, trotz aller seiner Schatten und Widersprüche, gern wieder vor den innern Blick rufen, thut es doppelt wohl, daß wenigstens an einer Stelle ein Privatprachtban der Hochrenaissance, die herrliche, einzig vollendete Farnesina, die Jakob Burckhardt mit Recht „das schönste Sommerhaus der Erde" nennt, so ziemlich unberührt,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/574>, abgerufen am 29.06.2024.