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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

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Römische Frühlingsbilder

unverletzt an der Longara und in ihren Gärten am Tiberufer steht. Das
Erdgeschoß mit Rafaels Galatea und der Geschichte der Psyche gehört zu jenen
von allen gesehenen Herrlichkeiten Roms, über die niemand mehr berichtet, der
nichts als seinen persönlichen Eindruck wiederzugeben hat. Was läßt sich von
den Stanzen und Loggien Rafaels im Vatikan, von Guido Renis leuchtender
Aurora im Rospigliosipalast, selbst von den Fresken Annibale Carciccis im
Palast Farnese und Domenichinos entzückenden Cäcilienbildern in San Luigi,
der Nationalkirche der Franzosen, noch sagen, das nicht tausendmal besser ge¬
sagt worden wäre? Der Eindruck ist für jeden Empfänglichen gleich groß, gleich
frisch, obschon jeder Empfängliche gerade diese Kunstwerke in Nachbildungen
und Verkleinerungen, in Stich und Photographie kennen gelernt hat, lange bevor
er sie im Urbild schauen durfte. Von den Decken- und Zwickelbildern der
Farnesina, die die Geschichte der Psyche darstellen und von Rafaels Schülern
(Giulio Romano, Francesco Penni und Giovanni da Udine) gemalt find, von
dem großen Wandbild der Galatea im andern Gartensaal der Villa gilt das¬
selbe -- die Labung der Sinne wie der Seele, die von ihnen immer neu aus¬
strömt, verhilft doch zu keinem neuen Ausdruck des Entzückens, und wer nur
sehen lernt, was tausend Bessere vor ihm mit gleicher Freude gesehen haben,
der kann zufrieden sein. Unwiderstehlich aber locken die wundervollen Ver¬
hältnisse dieser untern Räume nach oben, und ein strenges Verbot hemmt die
Schritte jedes Genuß- und Wißbegierigen am Fuße der Treppe. Die Farnesina
gehört zur Zeit oder ist vermietet an einen Granden von Spanien, irgend
einen Marquis oder Herzog, der von Zeit zu Zeit ein Paar Monate oder
Wochen darin Haus hält. Mehrere Jahre hat er sie dem Zutritt der Fremden
überhaupt verschlossen, und tausendfachem Andringen endlich so weit nach¬
gegeben, daß am ersten und fünfzehnten jeden Monats die untern Säle der
Farnesina mit den Nafaelischen Fresken, die ja die Hauptsache sind, geöffnet
werden. Selbst das in Rom so allmächtige Trinkgeld scheint nur in einzelnen
Fällen treppauf zu verhelfen. Aber je hartnäckiger der Einlaß geweigert ward,
umso mehr wuchs das Verlangen, zunächst die Hochzeit Alexanders des Großen
mit Noxane, das berühmteste Wandbild Giovanni Antonio Bazzis, bekannter
unter seinem häßlichen Beinamen Il Sodoma, daneben doch auch die Architektur-
und Landschaftsmalereien Baldassare Peruzzis und die vielgepriesene schöne
Raumeinteilnug zu sehen. Am Ende war ich glücklich genug, durch dankens¬
werte Vermittlung einer in Rom ansässigen deutschen Gelehrtenfamilie eine
Weisung des Haushofmeisters des erwähnten spanischen Herzogs an den
Kustoden der Farnesina zu erlangen, uns das verschlossene Obergeschoß des
Palastes zu öffnen. Da die Zahl der Besucher auf der Karte nicht bemerkt
war, konnte ich es wagen, auch ein liebenswürdiges Freundespaar aus Köln,
dem wir Tags zuvor unerwartet begegnet waren, mit einzuführen. Und in
der That gaben erst die obern Räume mit ihren Fresken und Friesen, ihren


Römische Frühlingsbilder

unverletzt an der Longara und in ihren Gärten am Tiberufer steht. Das
Erdgeschoß mit Rafaels Galatea und der Geschichte der Psyche gehört zu jenen
von allen gesehenen Herrlichkeiten Roms, über die niemand mehr berichtet, der
nichts als seinen persönlichen Eindruck wiederzugeben hat. Was läßt sich von
den Stanzen und Loggien Rafaels im Vatikan, von Guido Renis leuchtender
Aurora im Rospigliosipalast, selbst von den Fresken Annibale Carciccis im
Palast Farnese und Domenichinos entzückenden Cäcilienbildern in San Luigi,
der Nationalkirche der Franzosen, noch sagen, das nicht tausendmal besser ge¬
sagt worden wäre? Der Eindruck ist für jeden Empfänglichen gleich groß, gleich
frisch, obschon jeder Empfängliche gerade diese Kunstwerke in Nachbildungen
und Verkleinerungen, in Stich und Photographie kennen gelernt hat, lange bevor
er sie im Urbild schauen durfte. Von den Decken- und Zwickelbildern der
Farnesina, die die Geschichte der Psyche darstellen und von Rafaels Schülern
(Giulio Romano, Francesco Penni und Giovanni da Udine) gemalt find, von
dem großen Wandbild der Galatea im andern Gartensaal der Villa gilt das¬
selbe — die Labung der Sinne wie der Seele, die von ihnen immer neu aus¬
strömt, verhilft doch zu keinem neuen Ausdruck des Entzückens, und wer nur
sehen lernt, was tausend Bessere vor ihm mit gleicher Freude gesehen haben,
der kann zufrieden sein. Unwiderstehlich aber locken die wundervollen Ver¬
hältnisse dieser untern Räume nach oben, und ein strenges Verbot hemmt die
Schritte jedes Genuß- und Wißbegierigen am Fuße der Treppe. Die Farnesina
gehört zur Zeit oder ist vermietet an einen Granden von Spanien, irgend
einen Marquis oder Herzog, der von Zeit zu Zeit ein Paar Monate oder
Wochen darin Haus hält. Mehrere Jahre hat er sie dem Zutritt der Fremden
überhaupt verschlossen, und tausendfachem Andringen endlich so weit nach¬
gegeben, daß am ersten und fünfzehnten jeden Monats die untern Säle der
Farnesina mit den Nafaelischen Fresken, die ja die Hauptsache sind, geöffnet
werden. Selbst das in Rom so allmächtige Trinkgeld scheint nur in einzelnen
Fällen treppauf zu verhelfen. Aber je hartnäckiger der Einlaß geweigert ward,
umso mehr wuchs das Verlangen, zunächst die Hochzeit Alexanders des Großen
mit Noxane, das berühmteste Wandbild Giovanni Antonio Bazzis, bekannter
unter seinem häßlichen Beinamen Il Sodoma, daneben doch auch die Architektur-
und Landschaftsmalereien Baldassare Peruzzis und die vielgepriesene schöne
Raumeinteilnug zu sehen. Am Ende war ich glücklich genug, durch dankens¬
werte Vermittlung einer in Rom ansässigen deutschen Gelehrtenfamilie eine
Weisung des Haushofmeisters des erwähnten spanischen Herzogs an den
Kustoden der Farnesina zu erlangen, uns das verschlossene Obergeschoß des
Palastes zu öffnen. Da die Zahl der Besucher auf der Karte nicht bemerkt
war, konnte ich es wagen, auch ein liebenswürdiges Freundespaar aus Köln,
dem wir Tags zuvor unerwartet begegnet waren, mit einzuführen. Und in
der That gaben erst die obern Räume mit ihren Fresken und Friesen, ihren


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[0575] Römische Frühlingsbilder unverletzt an der Longara und in ihren Gärten am Tiberufer steht. Das Erdgeschoß mit Rafaels Galatea und der Geschichte der Psyche gehört zu jenen von allen gesehenen Herrlichkeiten Roms, über die niemand mehr berichtet, der nichts als seinen persönlichen Eindruck wiederzugeben hat. Was läßt sich von den Stanzen und Loggien Rafaels im Vatikan, von Guido Renis leuchtender Aurora im Rospigliosipalast, selbst von den Fresken Annibale Carciccis im Palast Farnese und Domenichinos entzückenden Cäcilienbildern in San Luigi, der Nationalkirche der Franzosen, noch sagen, das nicht tausendmal besser ge¬ sagt worden wäre? Der Eindruck ist für jeden Empfänglichen gleich groß, gleich frisch, obschon jeder Empfängliche gerade diese Kunstwerke in Nachbildungen und Verkleinerungen, in Stich und Photographie kennen gelernt hat, lange bevor er sie im Urbild schauen durfte. Von den Decken- und Zwickelbildern der Farnesina, die die Geschichte der Psyche darstellen und von Rafaels Schülern (Giulio Romano, Francesco Penni und Giovanni da Udine) gemalt find, von dem großen Wandbild der Galatea im andern Gartensaal der Villa gilt das¬ selbe — die Labung der Sinne wie der Seele, die von ihnen immer neu aus¬ strömt, verhilft doch zu keinem neuen Ausdruck des Entzückens, und wer nur sehen lernt, was tausend Bessere vor ihm mit gleicher Freude gesehen haben, der kann zufrieden sein. Unwiderstehlich aber locken die wundervollen Ver¬ hältnisse dieser untern Räume nach oben, und ein strenges Verbot hemmt die Schritte jedes Genuß- und Wißbegierigen am Fuße der Treppe. Die Farnesina gehört zur Zeit oder ist vermietet an einen Granden von Spanien, irgend einen Marquis oder Herzog, der von Zeit zu Zeit ein Paar Monate oder Wochen darin Haus hält. Mehrere Jahre hat er sie dem Zutritt der Fremden überhaupt verschlossen, und tausendfachem Andringen endlich so weit nach¬ gegeben, daß am ersten und fünfzehnten jeden Monats die untern Säle der Farnesina mit den Nafaelischen Fresken, die ja die Hauptsache sind, geöffnet werden. Selbst das in Rom so allmächtige Trinkgeld scheint nur in einzelnen Fällen treppauf zu verhelfen. Aber je hartnäckiger der Einlaß geweigert ward, umso mehr wuchs das Verlangen, zunächst die Hochzeit Alexanders des Großen mit Noxane, das berühmteste Wandbild Giovanni Antonio Bazzis, bekannter unter seinem häßlichen Beinamen Il Sodoma, daneben doch auch die Architektur- und Landschaftsmalereien Baldassare Peruzzis und die vielgepriesene schöne Raumeinteilnug zu sehen. Am Ende war ich glücklich genug, durch dankens¬ werte Vermittlung einer in Rom ansässigen deutschen Gelehrtenfamilie eine Weisung des Haushofmeisters des erwähnten spanischen Herzogs an den Kustoden der Farnesina zu erlangen, uns das verschlossene Obergeschoß des Palastes zu öffnen. Da die Zahl der Besucher auf der Karte nicht bemerkt war, konnte ich es wagen, auch ein liebenswürdiges Freundespaar aus Köln, dem wir Tags zuvor unerwartet begegnet waren, mit einzuführen. Und in der That gaben erst die obern Räume mit ihren Fresken und Friesen, ihren

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/575>, abgerufen am 28.09.2024.