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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

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Die Kunst in England

in die Landschaftsmalerei gekommen und den Engländern noch heute ziemlich
unbekannt. Sowohl ihre Landschaften, wie ihre Seestücke sind äußerst fein,
fast zu fein im Ton, aber ebenfalls von jener bläulichen Gesamtstimmung und
solcher Schürfe der Umrisse, die uus heute, wo wir gewohnt sind, die atmo¬
sphärischen Einflüsse berücksichtigt zu sehen, die die Umrisse der Gegenstände
abstumpfen, die Farben verwischen und einander nähern, schon fast altertümlich
erscheint. Und deshalb war es für den, der den Charakter der englischen
Malerei kannte, eine umso größere Überraschung, als in diesem Jahre über
den Kanal Werke herübergeschickt wurden, die mit jenen herkömmlichen Londoner
Bildern nicht das geringste gemein haben, sondern sich nach Inhalt, Form und
Farbe in schroffen Gegensatz dazu stellen.

Daß einer eine moderne Malerkolonie ausgrübt, von der die Welt noch
keine Ahnung hatte, kommt gewiß ebenso selten vor, als daß einer in ägyp¬
tischen Gräbern altgriechische Bildnisse findet. Dieses glückte bekanntlich vor
ein paar Jahren einem Herrn Theodor Graf, durch dessen merkwürdigen Fund
wir erfuhren, daß schon vor Christi Geburt Porträts gemalt worden sind,
deren geistreicher Auffassung und meisterlicher Technik sich ein Lenbach nicht
zu schämen brauchte. Jenes gelang im vorigen Frühling den Herren Paulus
und Firle, als sie nach England gegangen waren, um von dort Bilder für
die Münchner Ausstellung zu beschaffen. Wer wußte bisher, selbst in Eng¬
land, etwas von den Geheimnissen der schottischen Kunst! Wir wußten, daß
es in Edinburg eine Kunstakademie gebe und daß Glasgow eine rauchige
Fabrikstadt sei mit Vaumwvllspinnereien, Maschinenbau, Töpfereien und
Glashütten, wo auch der eine oder andre Fabrikant, wie das dort selbst¬
verständlich ist, ein paar gute alte Meister besitze. Aber eine ,,Glasgower
Malerschule" wird erst von jetzt an in den Handbüchern der Kunstgeschichte
zu verzeichne" sein, und die guten Glasgower werden vielleicht später gar
nicht mehr glauben, aus was für unscheinbaren Anfängen sich ihre "Schule"
entwickelte.

In Glasgow giebt es viel, sehr viel junge Kaufleute. In einem Lande,
wo viel mehr als in Deutschland auf Selbstbildung gegeben wird, wo selbst
der Kohlengrubenarbeiter die Borlesungen der Universität hört, fühlten auch
diese jungen Kaufleute das Bedürfnis, ein wenig zeichnen zu lernen, und be¬
suchten zu diesem Zwecke die Usob^rios Institution, eine jener Fortbildungs¬
schulen, die sich nach dem Vorbilde des Southkensingtvnmuseums über alle
Städte des Königreichs verbreitet haben. Von da bis zum Bildermalen war
nur noch ein Schritt. Frisch und guter Dinge wanderten die jungen Leute
vor oder nach den Büreaustunden mit dem Malkasten vor die Thore der
rauchige" Stadt, zwischen Feldern und niedrigen, kaum belaubten Anhöhen die
Ufer des Clyde entlang, auf staubigen und aufgefahrenen Wegen, wo ihnen
nur der Bauersmann mit seinem Karren oder der Schiffsführer mit seinen


Die Kunst in England

in die Landschaftsmalerei gekommen und den Engländern noch heute ziemlich
unbekannt. Sowohl ihre Landschaften, wie ihre Seestücke sind äußerst fein,
fast zu fein im Ton, aber ebenfalls von jener bläulichen Gesamtstimmung und
solcher Schürfe der Umrisse, die uus heute, wo wir gewohnt sind, die atmo¬
sphärischen Einflüsse berücksichtigt zu sehen, die die Umrisse der Gegenstände
abstumpfen, die Farben verwischen und einander nähern, schon fast altertümlich
erscheint. Und deshalb war es für den, der den Charakter der englischen
Malerei kannte, eine umso größere Überraschung, als in diesem Jahre über
den Kanal Werke herübergeschickt wurden, die mit jenen herkömmlichen Londoner
Bildern nicht das geringste gemein haben, sondern sich nach Inhalt, Form und
Farbe in schroffen Gegensatz dazu stellen.

Daß einer eine moderne Malerkolonie ausgrübt, von der die Welt noch
keine Ahnung hatte, kommt gewiß ebenso selten vor, als daß einer in ägyp¬
tischen Gräbern altgriechische Bildnisse findet. Dieses glückte bekanntlich vor
ein paar Jahren einem Herrn Theodor Graf, durch dessen merkwürdigen Fund
wir erfuhren, daß schon vor Christi Geburt Porträts gemalt worden sind,
deren geistreicher Auffassung und meisterlicher Technik sich ein Lenbach nicht
zu schämen brauchte. Jenes gelang im vorigen Frühling den Herren Paulus
und Firle, als sie nach England gegangen waren, um von dort Bilder für
die Münchner Ausstellung zu beschaffen. Wer wußte bisher, selbst in Eng¬
land, etwas von den Geheimnissen der schottischen Kunst! Wir wußten, daß
es in Edinburg eine Kunstakademie gebe und daß Glasgow eine rauchige
Fabrikstadt sei mit Vaumwvllspinnereien, Maschinenbau, Töpfereien und
Glashütten, wo auch der eine oder andre Fabrikant, wie das dort selbst¬
verständlich ist, ein paar gute alte Meister besitze. Aber eine ,,Glasgower
Malerschule" wird erst von jetzt an in den Handbüchern der Kunstgeschichte
zu verzeichne» sein, und die guten Glasgower werden vielleicht später gar
nicht mehr glauben, aus was für unscheinbaren Anfängen sich ihre „Schule"
entwickelte.

In Glasgow giebt es viel, sehr viel junge Kaufleute. In einem Lande,
wo viel mehr als in Deutschland auf Selbstbildung gegeben wird, wo selbst
der Kohlengrubenarbeiter die Borlesungen der Universität hört, fühlten auch
diese jungen Kaufleute das Bedürfnis, ein wenig zeichnen zu lernen, und be¬
suchten zu diesem Zwecke die Usob^rios Institution, eine jener Fortbildungs¬
schulen, die sich nach dem Vorbilde des Southkensingtvnmuseums über alle
Städte des Königreichs verbreitet haben. Von da bis zum Bildermalen war
nur noch ein Schritt. Frisch und guter Dinge wanderten die jungen Leute
vor oder nach den Büreaustunden mit dem Malkasten vor die Thore der
rauchige» Stadt, zwischen Feldern und niedrigen, kaum belaubten Anhöhen die
Ufer des Clyde entlang, auf staubigen und aufgefahrenen Wegen, wo ihnen
nur der Bauersmann mit seinem Karren oder der Schiffsführer mit seinen


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[0566] Die Kunst in England in die Landschaftsmalerei gekommen und den Engländern noch heute ziemlich unbekannt. Sowohl ihre Landschaften, wie ihre Seestücke sind äußerst fein, fast zu fein im Ton, aber ebenfalls von jener bläulichen Gesamtstimmung und solcher Schürfe der Umrisse, die uus heute, wo wir gewohnt sind, die atmo¬ sphärischen Einflüsse berücksichtigt zu sehen, die die Umrisse der Gegenstände abstumpfen, die Farben verwischen und einander nähern, schon fast altertümlich erscheint. Und deshalb war es für den, der den Charakter der englischen Malerei kannte, eine umso größere Überraschung, als in diesem Jahre über den Kanal Werke herübergeschickt wurden, die mit jenen herkömmlichen Londoner Bildern nicht das geringste gemein haben, sondern sich nach Inhalt, Form und Farbe in schroffen Gegensatz dazu stellen. Daß einer eine moderne Malerkolonie ausgrübt, von der die Welt noch keine Ahnung hatte, kommt gewiß ebenso selten vor, als daß einer in ägyp¬ tischen Gräbern altgriechische Bildnisse findet. Dieses glückte bekanntlich vor ein paar Jahren einem Herrn Theodor Graf, durch dessen merkwürdigen Fund wir erfuhren, daß schon vor Christi Geburt Porträts gemalt worden sind, deren geistreicher Auffassung und meisterlicher Technik sich ein Lenbach nicht zu schämen brauchte. Jenes gelang im vorigen Frühling den Herren Paulus und Firle, als sie nach England gegangen waren, um von dort Bilder für die Münchner Ausstellung zu beschaffen. Wer wußte bisher, selbst in Eng¬ land, etwas von den Geheimnissen der schottischen Kunst! Wir wußten, daß es in Edinburg eine Kunstakademie gebe und daß Glasgow eine rauchige Fabrikstadt sei mit Vaumwvllspinnereien, Maschinenbau, Töpfereien und Glashütten, wo auch der eine oder andre Fabrikant, wie das dort selbst¬ verständlich ist, ein paar gute alte Meister besitze. Aber eine ,,Glasgower Malerschule" wird erst von jetzt an in den Handbüchern der Kunstgeschichte zu verzeichne» sein, und die guten Glasgower werden vielleicht später gar nicht mehr glauben, aus was für unscheinbaren Anfängen sich ihre „Schule" entwickelte. In Glasgow giebt es viel, sehr viel junge Kaufleute. In einem Lande, wo viel mehr als in Deutschland auf Selbstbildung gegeben wird, wo selbst der Kohlengrubenarbeiter die Borlesungen der Universität hört, fühlten auch diese jungen Kaufleute das Bedürfnis, ein wenig zeichnen zu lernen, und be¬ suchten zu diesem Zwecke die Usob^rios Institution, eine jener Fortbildungs¬ schulen, die sich nach dem Vorbilde des Southkensingtvnmuseums über alle Städte des Königreichs verbreitet haben. Von da bis zum Bildermalen war nur noch ein Schritt. Frisch und guter Dinge wanderten die jungen Leute vor oder nach den Büreaustunden mit dem Malkasten vor die Thore der rauchige» Stadt, zwischen Feldern und niedrigen, kaum belaubten Anhöhen die Ufer des Clyde entlang, auf staubigen und aufgefahrenen Wegen, wo ihnen nur der Bauersmann mit seinem Karren oder der Schiffsführer mit seinen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/566>, abgerufen am 28.09.2024.