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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

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Die Kunst in England

ganz so weit gebracht haben. Unsre berüchtigtsten Fcnseurs sind Kinder gegen
die Reklamehelden Englands. Im ^re, ^ourng.1, in der Tagespresse, in den
Salons der Damen und den aristokratischen Klubs der Herren muß der
Künstler "gemacht" werden, dann huldigt das sonst so selbständige Volk assises
dem Löwen des Tages, den eine Koterie ihm aufdrängt.

Die Werke der eigentlichen englischen Maler wurden, da nicht für den
Export gearbeitet wird und es auf dem Festland, abgesehen von Hamburg,
keine englischen Bilder giebt, erst seit den letzten großen Ausstellungen bei uns
bekannt, und es gehört seitdem zum guten Ton, die moderne Malerei Eng¬
lands, die man früher unterschätzte, da man nichts von ihr wußte, nun, wo
man sie kennt, zu überschätzen. Jedes Jahr, wenn die Engländer in Deutsch¬
land erscheinen, wiederholt sich allgemeines Staunen über so viele ernste und
gediegne Bilder, die uns sämtlich mit der ruhigen Sicherheit wohlgeborgener
Menschenkinder anblicken, die nicht mehr sür ihre Existenz zu sorgen haben.
Den englischen Künstler zwingt nichts zu jener fieberhaften Produktion, die bei
uns so viele Talente frühzeitig aufzehrt, sondern er kann in aller Ruhe seiner
Kunst leben. Auf deutsche Maler macht eine Ausstellung englischer Werke
daher jedesmal den Eindruck, als ob jenseits des Kanals nur reiche Leute
Künstler würden, so kondensirte, teure Arbeit spricht aus den Leistungen.

Auf der andern Seite tritt freilich auch, je öfter die Engländer auf das
Festland kommen oder je öfter man Gelegenheit hat, die Londoner Ausstellungen
zu sehen, um so deutlicher hervor, in wie engem Rahmen sich ihre Kunst be¬
wegt. Gewiß macht sie, auch wenn man sie zu Hause, in der RoM ^oaäöinv
aufsucht, einen sehr sympathischen Eindruck. In den elf Sälen des vornehmen
Renaissancepalastes herrscht eine so eigentümliche Ruhe und Behaglichkeit, daß
man gern darin verweilt und sie öfter wieder besucht, während man den Sälen
des französischen Salons, sobald man seine Pflicht gethan hat, gern für immer
den Rücken kehrt, froh, aus dem traurigen Reiche der Realistik sich in die
meistens angenehmere, wenn auch viel zu wünschen übriglassende Wirklichkeit
zurückzuversetzen. Aber so gut wie auf den deutschen Ausstellungen wirkt die
englische Malerei in ihrer Heimat nicht. Man sieht eben doch, daß die Bilder,
die uns damals überraschten, nicht so zufällig zusammengewürfelt waren, wie
man uns glauben machte, sondern Paradepferde und der Extrakt des Besten
aus einer längern Zeit. Die englische Malerei kann heute weder mit der
französischen noch mit der deutschen Malerei in die Schranken treten, dazu ist
schon ihr Stoffkreis zu eng. Für kirchliche Zwecke hat die Kunst nichts zu
thun, da die Formen des Kultus dies verbieten; zu monumentalen, zur Deko¬
ration öffentlicher Gebäude wird sie nicht herangezogen, und wenn einmal der
Versuch gemacht wird, ihr solche Aufgaben zu gewähren, wie bei der Aus¬
schmückung der Parlamentshäuser, so sällt die Sache ungenügend aus, denn
hierzu mangelt es den englischen Künstlern an Sinn wie an Vorbildung. Es


Die Kunst in England

ganz so weit gebracht haben. Unsre berüchtigtsten Fcnseurs sind Kinder gegen
die Reklamehelden Englands. Im ^re, ^ourng.1, in der Tagespresse, in den
Salons der Damen und den aristokratischen Klubs der Herren muß der
Künstler „gemacht" werden, dann huldigt das sonst so selbständige Volk assises
dem Löwen des Tages, den eine Koterie ihm aufdrängt.

Die Werke der eigentlichen englischen Maler wurden, da nicht für den
Export gearbeitet wird und es auf dem Festland, abgesehen von Hamburg,
keine englischen Bilder giebt, erst seit den letzten großen Ausstellungen bei uns
bekannt, und es gehört seitdem zum guten Ton, die moderne Malerei Eng¬
lands, die man früher unterschätzte, da man nichts von ihr wußte, nun, wo
man sie kennt, zu überschätzen. Jedes Jahr, wenn die Engländer in Deutsch¬
land erscheinen, wiederholt sich allgemeines Staunen über so viele ernste und
gediegne Bilder, die uns sämtlich mit der ruhigen Sicherheit wohlgeborgener
Menschenkinder anblicken, die nicht mehr sür ihre Existenz zu sorgen haben.
Den englischen Künstler zwingt nichts zu jener fieberhaften Produktion, die bei
uns so viele Talente frühzeitig aufzehrt, sondern er kann in aller Ruhe seiner
Kunst leben. Auf deutsche Maler macht eine Ausstellung englischer Werke
daher jedesmal den Eindruck, als ob jenseits des Kanals nur reiche Leute
Künstler würden, so kondensirte, teure Arbeit spricht aus den Leistungen.

Auf der andern Seite tritt freilich auch, je öfter die Engländer auf das
Festland kommen oder je öfter man Gelegenheit hat, die Londoner Ausstellungen
zu sehen, um so deutlicher hervor, in wie engem Rahmen sich ihre Kunst be¬
wegt. Gewiß macht sie, auch wenn man sie zu Hause, in der RoM ^oaäöinv
aufsucht, einen sehr sympathischen Eindruck. In den elf Sälen des vornehmen
Renaissancepalastes herrscht eine so eigentümliche Ruhe und Behaglichkeit, daß
man gern darin verweilt und sie öfter wieder besucht, während man den Sälen
des französischen Salons, sobald man seine Pflicht gethan hat, gern für immer
den Rücken kehrt, froh, aus dem traurigen Reiche der Realistik sich in die
meistens angenehmere, wenn auch viel zu wünschen übriglassende Wirklichkeit
zurückzuversetzen. Aber so gut wie auf den deutschen Ausstellungen wirkt die
englische Malerei in ihrer Heimat nicht. Man sieht eben doch, daß die Bilder,
die uns damals überraschten, nicht so zufällig zusammengewürfelt waren, wie
man uns glauben machte, sondern Paradepferde und der Extrakt des Besten
aus einer längern Zeit. Die englische Malerei kann heute weder mit der
französischen noch mit der deutschen Malerei in die Schranken treten, dazu ist
schon ihr Stoffkreis zu eng. Für kirchliche Zwecke hat die Kunst nichts zu
thun, da die Formen des Kultus dies verbieten; zu monumentalen, zur Deko¬
ration öffentlicher Gebäude wird sie nicht herangezogen, und wenn einmal der
Versuch gemacht wird, ihr solche Aufgaben zu gewähren, wie bei der Aus¬
schmückung der Parlamentshäuser, so sällt die Sache ungenügend aus, denn
hierzu mangelt es den englischen Künstlern an Sinn wie an Vorbildung. Es


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[0564] Die Kunst in England ganz so weit gebracht haben. Unsre berüchtigtsten Fcnseurs sind Kinder gegen die Reklamehelden Englands. Im ^re, ^ourng.1, in der Tagespresse, in den Salons der Damen und den aristokratischen Klubs der Herren muß der Künstler „gemacht" werden, dann huldigt das sonst so selbständige Volk assises dem Löwen des Tages, den eine Koterie ihm aufdrängt. Die Werke der eigentlichen englischen Maler wurden, da nicht für den Export gearbeitet wird und es auf dem Festland, abgesehen von Hamburg, keine englischen Bilder giebt, erst seit den letzten großen Ausstellungen bei uns bekannt, und es gehört seitdem zum guten Ton, die moderne Malerei Eng¬ lands, die man früher unterschätzte, da man nichts von ihr wußte, nun, wo man sie kennt, zu überschätzen. Jedes Jahr, wenn die Engländer in Deutsch¬ land erscheinen, wiederholt sich allgemeines Staunen über so viele ernste und gediegne Bilder, die uns sämtlich mit der ruhigen Sicherheit wohlgeborgener Menschenkinder anblicken, die nicht mehr sür ihre Existenz zu sorgen haben. Den englischen Künstler zwingt nichts zu jener fieberhaften Produktion, die bei uns so viele Talente frühzeitig aufzehrt, sondern er kann in aller Ruhe seiner Kunst leben. Auf deutsche Maler macht eine Ausstellung englischer Werke daher jedesmal den Eindruck, als ob jenseits des Kanals nur reiche Leute Künstler würden, so kondensirte, teure Arbeit spricht aus den Leistungen. Auf der andern Seite tritt freilich auch, je öfter die Engländer auf das Festland kommen oder je öfter man Gelegenheit hat, die Londoner Ausstellungen zu sehen, um so deutlicher hervor, in wie engem Rahmen sich ihre Kunst be¬ wegt. Gewiß macht sie, auch wenn man sie zu Hause, in der RoM ^oaäöinv aufsucht, einen sehr sympathischen Eindruck. In den elf Sälen des vornehmen Renaissancepalastes herrscht eine so eigentümliche Ruhe und Behaglichkeit, daß man gern darin verweilt und sie öfter wieder besucht, während man den Sälen des französischen Salons, sobald man seine Pflicht gethan hat, gern für immer den Rücken kehrt, froh, aus dem traurigen Reiche der Realistik sich in die meistens angenehmere, wenn auch viel zu wünschen übriglassende Wirklichkeit zurückzuversetzen. Aber so gut wie auf den deutschen Ausstellungen wirkt die englische Malerei in ihrer Heimat nicht. Man sieht eben doch, daß die Bilder, die uns damals überraschten, nicht so zufällig zusammengewürfelt waren, wie man uns glauben machte, sondern Paradepferde und der Extrakt des Besten aus einer längern Zeit. Die englische Malerei kann heute weder mit der französischen noch mit der deutschen Malerei in die Schranken treten, dazu ist schon ihr Stoffkreis zu eng. Für kirchliche Zwecke hat die Kunst nichts zu thun, da die Formen des Kultus dies verbieten; zu monumentalen, zur Deko¬ ration öffentlicher Gebäude wird sie nicht herangezogen, und wenn einmal der Versuch gemacht wird, ihr solche Aufgaben zu gewähren, wie bei der Aus¬ schmückung der Parlamentshäuser, so sällt die Sache ungenügend aus, denn hierzu mangelt es den englischen Künstlern an Sinn wie an Vorbildung. Es

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/564>, abgerufen am 29.06.2024.