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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

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Die Aunst in England

weibliche, jene das gesund männliche Element im englischen Nationalcharakter.
Die Bilder, die im Southkensingtomnuseum vereinigt sind, überbieten an
Zartheit und Lvsswos8, freilich auch an spiritistischer Mystik alles, was jemals
andre Völker darin geleistet haben. Von heiligem Eifer für die gute Sache
erfüllt, empfanden es Rossetti, Hunt, Burne Jones und ihre Genossen
als einen Mangel, daß die englische Kunst in ihren Stoffen bisher zu unbe¬
deutend gewesen sei, und suchten mit der Begeisterung von Fanatikern eine
große poetische englische Kunst zu schaffen, schössen dabei aber über das Ziel
hinaus, indem sie, statt an das Bestehende anzuknüpfen, gleich den deutschen
Nazarenern zu weit entlegenen Zeiten und der Sprache eines völlig fremden
Volkes griffen und sich überdies an Stoffe hinanwagten, die die Grenzen des
Darstellbaren überschreiten. Was sich poetisch andeutungsweise wiedergeben
ließ, sollte hier zu greifbarer Gestalt gebracht werden; da es aber mit seinem
Inhalt weit über die Form hinausgeht, blieb es unklar und mystisch. Infolge
des mangelnden Zusammenhanges mit ihrer Umgebung und dem Publikum
verbissen sie sich immer mehr in ihre Absonderlichkeiten und brachten so
jene farbenstrahlenden und minutiös durchgeführten Bilder hervor, die es
im Grnnde doch nicht über den kaleidoskopartigen Eindruck hinausbringen,
weil ihnen das Beste fehlt: die Unmittelbarkeit, Frische und Einheit der
Empfindung.

Aber diese Periode zarter Überschwänglichkeit, die überdies in England
berechtigter war und viel Schöneres als unser Nazarenertum hervorgebracht
hat, wurde rasch überwunden. Der heutige englische Maler zieht den Klang
des Goldes entschieden dein Lilienduft vor. Namentlich die in England thätigen
Ausländer haben sich bekanntlich mit ihrer Malerei dort große Vermögen er¬
worben. Hubert Herkomer, der Bauernsohn aus Landsberg am Lech, hat
sein eignes Theater, läßt sich nach dem Erfolge der Miß Great für seine Por¬
träts 3 bis 4000 Pfund, also 60 bis 80000 Mark bezahlen und hat auf
Jahre hinaus Bestellungen. Alma Tadema kann heute für seine Bilder ver¬
langen, was er will, und findet jeden Tag Käufer. Er hat sich mitten im
Herzen Londons aus einem stockenglischen Hanse eine römische Villa geschaffen,
dem Garten einen römischen Anstrich gegeben, ein großes daranstoßendes Glas¬
haus mit südlichen Palmen und Platanen bepflanzt, dort findet er jene prächtig
wahre, klassische Lokalfarbe, die aus seinen Werken spricht. All die berühmten
Marmorbänke und Marmorbnssins, die steinernen und bronzenen Figuren, die
Tigerfelle, die antiken Gefäße und Gewänder seiner Bilder trifft man in dem
merkwürdigen Hause mitten in London an. Vergeblich aber wird man nach
einem ältern Bilde Tademas, selbst nach einer Farbenskizze suchen. Alles, was
er schafft, wird ihm unter dem Pinsel weggekauft und wandert in die eng¬
lischen Schlösser oder nach Amerika. Es ist der Name, die Firma, die mit
Gold aufgewogen wird, wir können froh sein, daß wir es bei uns noch nicht


Die Aunst in England

weibliche, jene das gesund männliche Element im englischen Nationalcharakter.
Die Bilder, die im Southkensingtomnuseum vereinigt sind, überbieten an
Zartheit und Lvsswos8, freilich auch an spiritistischer Mystik alles, was jemals
andre Völker darin geleistet haben. Von heiligem Eifer für die gute Sache
erfüllt, empfanden es Rossetti, Hunt, Burne Jones und ihre Genossen
als einen Mangel, daß die englische Kunst in ihren Stoffen bisher zu unbe¬
deutend gewesen sei, und suchten mit der Begeisterung von Fanatikern eine
große poetische englische Kunst zu schaffen, schössen dabei aber über das Ziel
hinaus, indem sie, statt an das Bestehende anzuknüpfen, gleich den deutschen
Nazarenern zu weit entlegenen Zeiten und der Sprache eines völlig fremden
Volkes griffen und sich überdies an Stoffe hinanwagten, die die Grenzen des
Darstellbaren überschreiten. Was sich poetisch andeutungsweise wiedergeben
ließ, sollte hier zu greifbarer Gestalt gebracht werden; da es aber mit seinem
Inhalt weit über die Form hinausgeht, blieb es unklar und mystisch. Infolge
des mangelnden Zusammenhanges mit ihrer Umgebung und dem Publikum
verbissen sie sich immer mehr in ihre Absonderlichkeiten und brachten so
jene farbenstrahlenden und minutiös durchgeführten Bilder hervor, die es
im Grnnde doch nicht über den kaleidoskopartigen Eindruck hinausbringen,
weil ihnen das Beste fehlt: die Unmittelbarkeit, Frische und Einheit der
Empfindung.

Aber diese Periode zarter Überschwänglichkeit, die überdies in England
berechtigter war und viel Schöneres als unser Nazarenertum hervorgebracht
hat, wurde rasch überwunden. Der heutige englische Maler zieht den Klang
des Goldes entschieden dein Lilienduft vor. Namentlich die in England thätigen
Ausländer haben sich bekanntlich mit ihrer Malerei dort große Vermögen er¬
worben. Hubert Herkomer, der Bauernsohn aus Landsberg am Lech, hat
sein eignes Theater, läßt sich nach dem Erfolge der Miß Great für seine Por¬
träts 3 bis 4000 Pfund, also 60 bis 80000 Mark bezahlen und hat auf
Jahre hinaus Bestellungen. Alma Tadema kann heute für seine Bilder ver¬
langen, was er will, und findet jeden Tag Käufer. Er hat sich mitten im
Herzen Londons aus einem stockenglischen Hanse eine römische Villa geschaffen,
dem Garten einen römischen Anstrich gegeben, ein großes daranstoßendes Glas¬
haus mit südlichen Palmen und Platanen bepflanzt, dort findet er jene prächtig
wahre, klassische Lokalfarbe, die aus seinen Werken spricht. All die berühmten
Marmorbänke und Marmorbnssins, die steinernen und bronzenen Figuren, die
Tigerfelle, die antiken Gefäße und Gewänder seiner Bilder trifft man in dem
merkwürdigen Hause mitten in London an. Vergeblich aber wird man nach
einem ältern Bilde Tademas, selbst nach einer Farbenskizze suchen. Alles, was
er schafft, wird ihm unter dem Pinsel weggekauft und wandert in die eng¬
lischen Schlösser oder nach Amerika. Es ist der Name, die Firma, die mit
Gold aufgewogen wird, wir können froh sein, daß wir es bei uns noch nicht


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[0563] Die Aunst in England weibliche, jene das gesund männliche Element im englischen Nationalcharakter. Die Bilder, die im Southkensingtomnuseum vereinigt sind, überbieten an Zartheit und Lvsswos8, freilich auch an spiritistischer Mystik alles, was jemals andre Völker darin geleistet haben. Von heiligem Eifer für die gute Sache erfüllt, empfanden es Rossetti, Hunt, Burne Jones und ihre Genossen als einen Mangel, daß die englische Kunst in ihren Stoffen bisher zu unbe¬ deutend gewesen sei, und suchten mit der Begeisterung von Fanatikern eine große poetische englische Kunst zu schaffen, schössen dabei aber über das Ziel hinaus, indem sie, statt an das Bestehende anzuknüpfen, gleich den deutschen Nazarenern zu weit entlegenen Zeiten und der Sprache eines völlig fremden Volkes griffen und sich überdies an Stoffe hinanwagten, die die Grenzen des Darstellbaren überschreiten. Was sich poetisch andeutungsweise wiedergeben ließ, sollte hier zu greifbarer Gestalt gebracht werden; da es aber mit seinem Inhalt weit über die Form hinausgeht, blieb es unklar und mystisch. Infolge des mangelnden Zusammenhanges mit ihrer Umgebung und dem Publikum verbissen sie sich immer mehr in ihre Absonderlichkeiten und brachten so jene farbenstrahlenden und minutiös durchgeführten Bilder hervor, die es im Grnnde doch nicht über den kaleidoskopartigen Eindruck hinausbringen, weil ihnen das Beste fehlt: die Unmittelbarkeit, Frische und Einheit der Empfindung. Aber diese Periode zarter Überschwänglichkeit, die überdies in England berechtigter war und viel Schöneres als unser Nazarenertum hervorgebracht hat, wurde rasch überwunden. Der heutige englische Maler zieht den Klang des Goldes entschieden dein Lilienduft vor. Namentlich die in England thätigen Ausländer haben sich bekanntlich mit ihrer Malerei dort große Vermögen er¬ worben. Hubert Herkomer, der Bauernsohn aus Landsberg am Lech, hat sein eignes Theater, läßt sich nach dem Erfolge der Miß Great für seine Por¬ träts 3 bis 4000 Pfund, also 60 bis 80000 Mark bezahlen und hat auf Jahre hinaus Bestellungen. Alma Tadema kann heute für seine Bilder ver¬ langen, was er will, und findet jeden Tag Käufer. Er hat sich mitten im Herzen Londons aus einem stockenglischen Hanse eine römische Villa geschaffen, dem Garten einen römischen Anstrich gegeben, ein großes daranstoßendes Glas¬ haus mit südlichen Palmen und Platanen bepflanzt, dort findet er jene prächtig wahre, klassische Lokalfarbe, die aus seinen Werken spricht. All die berühmten Marmorbänke und Marmorbnssins, die steinernen und bronzenen Figuren, die Tigerfelle, die antiken Gefäße und Gewänder seiner Bilder trifft man in dem merkwürdigen Hause mitten in London an. Vergeblich aber wird man nach einem ältern Bilde Tademas, selbst nach einer Farbenskizze suchen. Alles, was er schafft, wird ihm unter dem Pinsel weggekauft und wandert in die eng¬ lischen Schlösser oder nach Amerika. Es ist der Name, die Firma, die mit Gold aufgewogen wird, wir können froh sein, daß wir es bei uns noch nicht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/563>, abgerufen am 29.06.2024.