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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

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Die Uunst in England

des Tons, zu der die Engländer durch die Aquarelltechnik geführt wurden,
die sie vor dem Fehler, "soßig" zu werden, bewahrte. Nachdem bereits John
Crome den Anfang gemacht hatte, selbst ganz einfachen Naturmotiveu durch
liebevoll wahre Auffassung und harmonische Färbung einen tiefen Reiz abzu¬
gewinnen, drang besonders John Constable mit seinem ehrlichen, ungeschminkten
Naturalismus durch, Constables Stoffe sind weder reich noch vielumfassend.
Es genügt ihm ein Stück Wiese, eine Schleuse mit etwas Gesträuch, einer ver-
ästeten und zerfaserten Vaumgruppe, ja das erste beste Kornfeld. Aber er studirt
alles, Erdboden und Laubwerk, in seineu Einzeltönen, seinem besondern Zuschnitt,
vor allem die Luft und die Wolkenbildungen. Dies Luftleben ist es, was seine
Bilder über die gewöhnliche Kopie eines landschaftlichen Bruchstückes erhebt
und ihnen das Wesen der elementaren Naturseele mitteilt. An diesen Werken
hat sich, als sie 1824 im Pariser Salon erschienen, der junge Millet, haben
sich Corot, Diaz, Duprv, Rousseau und Daubigny begeistert, und bald darauf
schlugen sie ihr Heim im Walde von Barbison auf.

Gehört Constable zu den objektivster Meistern, die die Kunstgeschichte
kennt, und konnte er deshalb schulbildend selbst auf die französische Landschafts-
malerei wirken, so tritt uns ein Künstler, den niemand nachahmen kann, einer
der eigenartigsten und geistvollsten Landschafter aller Zeiten im William Turner
entgegen. Was für ein sonderbarer Mensch, dieser Turner! Wie kann er die
ärgern, die nur das Regelrechte in der Kunst lieben! Sie teilen Turners
Leben in zwei Hälften, die eine, wo er vernünftig, die andre, wo er ein Narr
war. Sie geben ihm einiges Talent für die ersten fünfzehn Jahre seiner
Wirksamkeit, aber in dem Augenblicke, wo er ganz Herr seines Werkzeugs ist,
wo der Maler anfängt, in glühender Begeisterung sein persönliches Ideal zu
verkörpern, da weisen sie ihn aus dem Reiche der Kunst und sperren ihn ins
Irrenhaus. Als in den vierziger Jahren ein sarbenglüheudes Bild Turners
der Münchner Pinakothek angeboten wurde, wußte mau dort, wo man an
Cornelius lind seine Konturen gewohnt war, nur darüber zu lachen. Aus
seiner letzten Zeit erzählt man, er hätte eine Landschaft auf eine Ausstellung
geschickt, die Jury habe dem Bilde nicht ansehen können, was oben und was
unten gewesen sei, und habe es verkehrt aufgehängt. Als Turner später in
die Ausstellung kam und der Irrtum gut gemacht werden sollte, sagte er:
Nein, lassen Sie nnr, es wirkt so in der That besser.

In Wahrheit ist Turner von Anfang an derselbe gewesen. Er hatte nur
eine Absicht, einen Traum, er wollte das Licht malen. Um dazu zu gelangen,
war ihm nichts zu schwer. Lange bescheidet er sich, stellt sich unter die Nach¬
folger des Lichtmalers par vxoöllöuos, studirt, analhsirt, kopirt Claude Lorrain,
nimmt vollkommen dessen Stil an, malt Bilder, die Claude an Großartigkeit
und Leuchtkraft der Farbe weit übertreffen. Aber in der Stunde, wo man
ihm sagt: Sie sind der wahre Claude Lorrain, antwortet er: Jetzt verlasse ich


Grenzboten III 1890 70
Die Uunst in England

des Tons, zu der die Engländer durch die Aquarelltechnik geführt wurden,
die sie vor dem Fehler, „soßig" zu werden, bewahrte. Nachdem bereits John
Crome den Anfang gemacht hatte, selbst ganz einfachen Naturmotiveu durch
liebevoll wahre Auffassung und harmonische Färbung einen tiefen Reiz abzu¬
gewinnen, drang besonders John Constable mit seinem ehrlichen, ungeschminkten
Naturalismus durch, Constables Stoffe sind weder reich noch vielumfassend.
Es genügt ihm ein Stück Wiese, eine Schleuse mit etwas Gesträuch, einer ver-
ästeten und zerfaserten Vaumgruppe, ja das erste beste Kornfeld. Aber er studirt
alles, Erdboden und Laubwerk, in seineu Einzeltönen, seinem besondern Zuschnitt,
vor allem die Luft und die Wolkenbildungen. Dies Luftleben ist es, was seine
Bilder über die gewöhnliche Kopie eines landschaftlichen Bruchstückes erhebt
und ihnen das Wesen der elementaren Naturseele mitteilt. An diesen Werken
hat sich, als sie 1824 im Pariser Salon erschienen, der junge Millet, haben
sich Corot, Diaz, Duprv, Rousseau und Daubigny begeistert, und bald darauf
schlugen sie ihr Heim im Walde von Barbison auf.

Gehört Constable zu den objektivster Meistern, die die Kunstgeschichte
kennt, und konnte er deshalb schulbildend selbst auf die französische Landschafts-
malerei wirken, so tritt uns ein Künstler, den niemand nachahmen kann, einer
der eigenartigsten und geistvollsten Landschafter aller Zeiten im William Turner
entgegen. Was für ein sonderbarer Mensch, dieser Turner! Wie kann er die
ärgern, die nur das Regelrechte in der Kunst lieben! Sie teilen Turners
Leben in zwei Hälften, die eine, wo er vernünftig, die andre, wo er ein Narr
war. Sie geben ihm einiges Talent für die ersten fünfzehn Jahre seiner
Wirksamkeit, aber in dem Augenblicke, wo er ganz Herr seines Werkzeugs ist,
wo der Maler anfängt, in glühender Begeisterung sein persönliches Ideal zu
verkörpern, da weisen sie ihn aus dem Reiche der Kunst und sperren ihn ins
Irrenhaus. Als in den vierziger Jahren ein sarbenglüheudes Bild Turners
der Münchner Pinakothek angeboten wurde, wußte mau dort, wo man an
Cornelius lind seine Konturen gewohnt war, nur darüber zu lachen. Aus
seiner letzten Zeit erzählt man, er hätte eine Landschaft auf eine Ausstellung
geschickt, die Jury habe dem Bilde nicht ansehen können, was oben und was
unten gewesen sei, und habe es verkehrt aufgehängt. Als Turner später in
die Ausstellung kam und der Irrtum gut gemacht werden sollte, sagte er:
Nein, lassen Sie nnr, es wirkt so in der That besser.

In Wahrheit ist Turner von Anfang an derselbe gewesen. Er hatte nur
eine Absicht, einen Traum, er wollte das Licht malen. Um dazu zu gelangen,
war ihm nichts zu schwer. Lange bescheidet er sich, stellt sich unter die Nach¬
folger des Lichtmalers par vxoöllöuos, studirt, analhsirt, kopirt Claude Lorrain,
nimmt vollkommen dessen Stil an, malt Bilder, die Claude an Großartigkeit
und Leuchtkraft der Farbe weit übertreffen. Aber in der Stunde, wo man
ihm sagt: Sie sind der wahre Claude Lorrain, antwortet er: Jetzt verlasse ich


Grenzboten III 1890 70
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[0561] Die Uunst in England des Tons, zu der die Engländer durch die Aquarelltechnik geführt wurden, die sie vor dem Fehler, „soßig" zu werden, bewahrte. Nachdem bereits John Crome den Anfang gemacht hatte, selbst ganz einfachen Naturmotiveu durch liebevoll wahre Auffassung und harmonische Färbung einen tiefen Reiz abzu¬ gewinnen, drang besonders John Constable mit seinem ehrlichen, ungeschminkten Naturalismus durch, Constables Stoffe sind weder reich noch vielumfassend. Es genügt ihm ein Stück Wiese, eine Schleuse mit etwas Gesträuch, einer ver- ästeten und zerfaserten Vaumgruppe, ja das erste beste Kornfeld. Aber er studirt alles, Erdboden und Laubwerk, in seineu Einzeltönen, seinem besondern Zuschnitt, vor allem die Luft und die Wolkenbildungen. Dies Luftleben ist es, was seine Bilder über die gewöhnliche Kopie eines landschaftlichen Bruchstückes erhebt und ihnen das Wesen der elementaren Naturseele mitteilt. An diesen Werken hat sich, als sie 1824 im Pariser Salon erschienen, der junge Millet, haben sich Corot, Diaz, Duprv, Rousseau und Daubigny begeistert, und bald darauf schlugen sie ihr Heim im Walde von Barbison auf. Gehört Constable zu den objektivster Meistern, die die Kunstgeschichte kennt, und konnte er deshalb schulbildend selbst auf die französische Landschafts- malerei wirken, so tritt uns ein Künstler, den niemand nachahmen kann, einer der eigenartigsten und geistvollsten Landschafter aller Zeiten im William Turner entgegen. Was für ein sonderbarer Mensch, dieser Turner! Wie kann er die ärgern, die nur das Regelrechte in der Kunst lieben! Sie teilen Turners Leben in zwei Hälften, die eine, wo er vernünftig, die andre, wo er ein Narr war. Sie geben ihm einiges Talent für die ersten fünfzehn Jahre seiner Wirksamkeit, aber in dem Augenblicke, wo er ganz Herr seines Werkzeugs ist, wo der Maler anfängt, in glühender Begeisterung sein persönliches Ideal zu verkörpern, da weisen sie ihn aus dem Reiche der Kunst und sperren ihn ins Irrenhaus. Als in den vierziger Jahren ein sarbenglüheudes Bild Turners der Münchner Pinakothek angeboten wurde, wußte mau dort, wo man an Cornelius lind seine Konturen gewohnt war, nur darüber zu lachen. Aus seiner letzten Zeit erzählt man, er hätte eine Landschaft auf eine Ausstellung geschickt, die Jury habe dem Bilde nicht ansehen können, was oben und was unten gewesen sei, und habe es verkehrt aufgehängt. Als Turner später in die Ausstellung kam und der Irrtum gut gemacht werden sollte, sagte er: Nein, lassen Sie nnr, es wirkt so in der That besser. In Wahrheit ist Turner von Anfang an derselbe gewesen. Er hatte nur eine Absicht, einen Traum, er wollte das Licht malen. Um dazu zu gelangen, war ihm nichts zu schwer. Lange bescheidet er sich, stellt sich unter die Nach¬ folger des Lichtmalers par vxoöllöuos, studirt, analhsirt, kopirt Claude Lorrain, nimmt vollkommen dessen Stil an, malt Bilder, die Claude an Großartigkeit und Leuchtkraft der Farbe weit übertreffen. Aber in der Stunde, wo man ihm sagt: Sie sind der wahre Claude Lorrain, antwortet er: Jetzt verlasse ich Grenzboten III 1890 70

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/561>, abgerufen am 29.06.2024.