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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

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Die Kunst in England

Die vornehme Welt, in die uns Reynolds und Gainsborongh führen,
wußte von diesen Dingen so wenig, wie eine heutige Lady von den Orgien
weiß, die die ?Al NaII (Z^few, erzählt. Und in demselben Maße, wie der
gesellschaftliche Ton am Strand ein andrer ist als in Whitechapel, ist die
Malweise eines Reynolds und eines Gainsborough von der eines Hogarth
verschieden. Sie waren die echten Maler der Aristokratie, nicht nur die größten
Porträtisten, die seit der Anwesenheit van Dycks auf Englands Boden ge¬
wandelt waren, sondern die ersten Porträtmaler Europas in jener Zeit. Die
berühmtesten und weisesten Männer, die schönsten und umschwärmtesten Frauen
saßen ihnen. Die ganze englische Geschichte des achtzehnten Jahrhunderts
zieht in ihren Bildnissen an uns vorüber -- zwar nicht in pragmatischer Treue,
sondern in einem gewissen abgedämpften Idealismus --, es geht eine weibliche
Zartheit, nichts Leubachsches, mehr etwas Kanlbachsches durch alles hindurch.
Die Wiedergabe des Charakters gelingt ihnen weniger als die der Schönheit,
der fein leidende Zug der jungen Mutter, die ätherische Zartheit der ebeu er¬
blühenden Miß, die Eleganz vornehm erzogener Kinder. Namentlich ihre
Kinderdarstcllungen sind von entzückender Anmut, und nur der Farbendruck,
die damals in England so hoch entwickelte Technik, kann eine Vorstellung von
dem Duft geben, der über den Originalen ruht.

Am epochemachendsten aber ist England für die Landschaftsmalerei ge¬
worden. Von England aus wurde im Beginn der modernen Zeit -- durch
Bacon -- ein neues Weltalter auf Grund der Beobachtung der Natur ver¬
kündigt. Kein Wunder, daß dort auch die moderne Landschaftsmalerei ihre
ersten Triumphe feierte. Auch auf diesem Gebiete vermieden die Engländer
alle idealistischen Irrwege, hielten sich an das Nächstliegende, allen bekannte,
an den heimischen Boden und wurden auf diese Weise verhindert, sich von der
Wirklichkeit zu entfernen. Bis zu der schöpferischen Gewalt eines Preller ragt
daher keiner Hera"; auf der andern Seite fehlen aber auch all die lauwarmen
klassizistischen Scheinen, die das Gros der deutschen Landschaften jener Zeit
bilden. Ihre Stoffe waren von jeher einfach. Bald war es die endlose Tiefe
des Himmels in seinen tausenderlei Erscheinungsformen und Beleuchtungen,
bald tiefblau in Hellem Mittagsschein, bald unheimlich düster und zerrisse",
aber stets bewegt und farbenlenchtend, die sie sowohl in Gemälden als in kühn
behandelten Aquarellen zur Darstellung brachten; bald waren es Ausblicke auf
die gleichmäßigen Rasenflächen mit dem wolkenlosen klaren Himmel darüber,
die man so oft in England antrifft, und die zwar durch ihre Einförmigkeit,
durch ihren Maugel an Charakter, durch das Weiche und Sentimentale er¬
müden, aber doch stets intimen Reiz haben. Was diesen Bildern namentlich
in der ersten Hälfte unsers Jahrhunderts ihre ganz eigenartige Bedeutung
gab, war zunächst schon das Motiv, die liebevoll wahre Auffassung einer un¬
scheinbaren Natur, dann namentlich much die damals einzig dastehende Helligkeit


Die Kunst in England

Die vornehme Welt, in die uns Reynolds und Gainsborongh führen,
wußte von diesen Dingen so wenig, wie eine heutige Lady von den Orgien
weiß, die die ?Al NaII (Z^few, erzählt. Und in demselben Maße, wie der
gesellschaftliche Ton am Strand ein andrer ist als in Whitechapel, ist die
Malweise eines Reynolds und eines Gainsborough von der eines Hogarth
verschieden. Sie waren die echten Maler der Aristokratie, nicht nur die größten
Porträtisten, die seit der Anwesenheit van Dycks auf Englands Boden ge¬
wandelt waren, sondern die ersten Porträtmaler Europas in jener Zeit. Die
berühmtesten und weisesten Männer, die schönsten und umschwärmtesten Frauen
saßen ihnen. Die ganze englische Geschichte des achtzehnten Jahrhunderts
zieht in ihren Bildnissen an uns vorüber — zwar nicht in pragmatischer Treue,
sondern in einem gewissen abgedämpften Idealismus —, es geht eine weibliche
Zartheit, nichts Leubachsches, mehr etwas Kanlbachsches durch alles hindurch.
Die Wiedergabe des Charakters gelingt ihnen weniger als die der Schönheit,
der fein leidende Zug der jungen Mutter, die ätherische Zartheit der ebeu er¬
blühenden Miß, die Eleganz vornehm erzogener Kinder. Namentlich ihre
Kinderdarstcllungen sind von entzückender Anmut, und nur der Farbendruck,
die damals in England so hoch entwickelte Technik, kann eine Vorstellung von
dem Duft geben, der über den Originalen ruht.

Am epochemachendsten aber ist England für die Landschaftsmalerei ge¬
worden. Von England aus wurde im Beginn der modernen Zeit — durch
Bacon — ein neues Weltalter auf Grund der Beobachtung der Natur ver¬
kündigt. Kein Wunder, daß dort auch die moderne Landschaftsmalerei ihre
ersten Triumphe feierte. Auch auf diesem Gebiete vermieden die Engländer
alle idealistischen Irrwege, hielten sich an das Nächstliegende, allen bekannte,
an den heimischen Boden und wurden auf diese Weise verhindert, sich von der
Wirklichkeit zu entfernen. Bis zu der schöpferischen Gewalt eines Preller ragt
daher keiner Hera»; auf der andern Seite fehlen aber auch all die lauwarmen
klassizistischen Scheinen, die das Gros der deutschen Landschaften jener Zeit
bilden. Ihre Stoffe waren von jeher einfach. Bald war es die endlose Tiefe
des Himmels in seinen tausenderlei Erscheinungsformen und Beleuchtungen,
bald tiefblau in Hellem Mittagsschein, bald unheimlich düster und zerrisse»,
aber stets bewegt und farbenlenchtend, die sie sowohl in Gemälden als in kühn
behandelten Aquarellen zur Darstellung brachten; bald waren es Ausblicke auf
die gleichmäßigen Rasenflächen mit dem wolkenlosen klaren Himmel darüber,
die man so oft in England antrifft, und die zwar durch ihre Einförmigkeit,
durch ihren Maugel an Charakter, durch das Weiche und Sentimentale er¬
müden, aber doch stets intimen Reiz haben. Was diesen Bildern namentlich
in der ersten Hälfte unsers Jahrhunderts ihre ganz eigenartige Bedeutung
gab, war zunächst schon das Motiv, die liebevoll wahre Auffassung einer un¬
scheinbaren Natur, dann namentlich much die damals einzig dastehende Helligkeit


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[0560] Die Kunst in England Die vornehme Welt, in die uns Reynolds und Gainsborongh führen, wußte von diesen Dingen so wenig, wie eine heutige Lady von den Orgien weiß, die die ?Al NaII (Z^few, erzählt. Und in demselben Maße, wie der gesellschaftliche Ton am Strand ein andrer ist als in Whitechapel, ist die Malweise eines Reynolds und eines Gainsborough von der eines Hogarth verschieden. Sie waren die echten Maler der Aristokratie, nicht nur die größten Porträtisten, die seit der Anwesenheit van Dycks auf Englands Boden ge¬ wandelt waren, sondern die ersten Porträtmaler Europas in jener Zeit. Die berühmtesten und weisesten Männer, die schönsten und umschwärmtesten Frauen saßen ihnen. Die ganze englische Geschichte des achtzehnten Jahrhunderts zieht in ihren Bildnissen an uns vorüber — zwar nicht in pragmatischer Treue, sondern in einem gewissen abgedämpften Idealismus —, es geht eine weibliche Zartheit, nichts Leubachsches, mehr etwas Kanlbachsches durch alles hindurch. Die Wiedergabe des Charakters gelingt ihnen weniger als die der Schönheit, der fein leidende Zug der jungen Mutter, die ätherische Zartheit der ebeu er¬ blühenden Miß, die Eleganz vornehm erzogener Kinder. Namentlich ihre Kinderdarstcllungen sind von entzückender Anmut, und nur der Farbendruck, die damals in England so hoch entwickelte Technik, kann eine Vorstellung von dem Duft geben, der über den Originalen ruht. Am epochemachendsten aber ist England für die Landschaftsmalerei ge¬ worden. Von England aus wurde im Beginn der modernen Zeit — durch Bacon — ein neues Weltalter auf Grund der Beobachtung der Natur ver¬ kündigt. Kein Wunder, daß dort auch die moderne Landschaftsmalerei ihre ersten Triumphe feierte. Auch auf diesem Gebiete vermieden die Engländer alle idealistischen Irrwege, hielten sich an das Nächstliegende, allen bekannte, an den heimischen Boden und wurden auf diese Weise verhindert, sich von der Wirklichkeit zu entfernen. Bis zu der schöpferischen Gewalt eines Preller ragt daher keiner Hera»; auf der andern Seite fehlen aber auch all die lauwarmen klassizistischen Scheinen, die das Gros der deutschen Landschaften jener Zeit bilden. Ihre Stoffe waren von jeher einfach. Bald war es die endlose Tiefe des Himmels in seinen tausenderlei Erscheinungsformen und Beleuchtungen, bald tiefblau in Hellem Mittagsschein, bald unheimlich düster und zerrisse», aber stets bewegt und farbenlenchtend, die sie sowohl in Gemälden als in kühn behandelten Aquarellen zur Darstellung brachten; bald waren es Ausblicke auf die gleichmäßigen Rasenflächen mit dem wolkenlosen klaren Himmel darüber, die man so oft in England antrifft, und die zwar durch ihre Einförmigkeit, durch ihren Maugel an Charakter, durch das Weiche und Sentimentale er¬ müden, aber doch stets intimen Reiz haben. Was diesen Bildern namentlich in der ersten Hälfte unsers Jahrhunderts ihre ganz eigenartige Bedeutung gab, war zunächst schon das Motiv, die liebevoll wahre Auffassung einer un¬ scheinbaren Natur, dann namentlich much die damals einzig dastehende Helligkeit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/560>, abgerufen am 28.09.2024.