Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Gin Januskopf

schließlich am 28. März den Erzbischof von Scherr, ihm Gelegenheit zu geben,
seinen Widerspruch gegen die neuen Dogmen in einer Konferenz zu begründen,
sei es mit den deutschen Bischöfen, die sich gerade zu einer Beratung in Fulda
anschickten, sei es mit einer vom Erzbischof zu ernennenden Kommission. Als
ob es sich damals noch um eine Disputation über den zum Überdruß durch¬
gesprochenen Gegenstand und nicht vielmehr um die Frage gehandelt hätte, ob
der deutsche Katholik das ihm widerwärtige Dogma hinunterwürgen oder sich
durch dessen Ablehnung von: Papste lossagen wollte! Die Bischöfe hatten
samt der Masse der Katholiken das erstere gewühlt, und damit war die Sache
für Deutschland entschieden. Zu optiren, nicht zu disputiren hatte" jene
Männer, die sich geteilten, man darf bei manchen wohl sagen zerrissenen
Herzens auf der Grenze zwischen den zwei Konfessionen hilflos und ratlos uach
Rettung aus einer unhaltbaren Lage umsahen- Döllinger wiederholt dasselbe
Ansinnen noch einmal um 1. März 1887 in einem Schreiben an den Erz¬
bischof von Steichele. Er beruft sich auf die kirchliche Praxis der frühern
Jahrhunderte. Noch im zwölften Jahrhundert sei ein solches Verfahren bei
Abälard und andern beobachtet worden; "aber im dreizehnten errichteten die
Päpste die Glaubensgerichte mit geheimer Prozedur, schrieben Tortur, vM-or
äuruL, qualvolle Hinrichtung als Vekehrungsmittel vor, befahlen, daß schon
auf bloßen Verdacht hin Folterung eintreten solle." Es ist gewiß sehr un¬
bequem für katholische Kirchenfürsten unsrer Zeit, sich diese Dinge öffentlich
sagen lassen zu müssen, die sie ja nicht in Abrede stellen könne"; allein zur
Änderung ihrer Praxis kann es sie nicht bewegen, denn diese Praxis stützt
sich auf eine nnderthalbtauseudjährige Erfahrung. Anfänglich bildeten sich die
kirchlichen Obern in allem Ernste ein, was sie, die von Gott erleuchteten, für
wahr hielten, das müßten auch alle andern als wahr erkennen, daher müßten
die Widersprechenden zunächst belehrt werden, und erst wenn die Disputation
nicht zum Ziele führe, sei böser Wille vorauszusetzen. Als aber dann die
Erfahrung lehrte, daß Belehrungen und Disputationen niemals zusammen-,
sondern nur immer weiter auseinanderführen, dn verwarfen sie dieses Einigungs-
mittel als zweckwidrig und stellten den vollkommen richtigen Grundsatz auf,
Ketzer seien nicht durch Disputiren zu überzeugen. Daraus folgerten sie nun
-- von ihrem Standpunkte ans ebenfalls richtig --, es sei Pflicht, sie durch
körperliche Qualen zur Abschwörung ihrer Irrtümer zu bewegen und so ihre
Seelen zu retten. Und nachdem die moderne Gesetzgebung dieser Art von
Seelenrettung glücklicherweise ein Ende gemacht hat, erachten sie sich wenigstens
für verpflichtet, die "faulen" Glieder vom Leibe der Kirche abzuschneiden, um
die "gesunden" vor Ansteckung zu bewahren. Nun kannte niemand besser als
Döllinger den Weg, auf dein die Kirche zu dieser Praxis gekommen war; er
spricht aber diesen EinWurf, den er sich ohne Zweifel innerlich selbst machte,
in dein zuletzt erwähnten Schreiben nicht aus, sondern sucht ihn durch folgende


Gin Januskopf

schließlich am 28. März den Erzbischof von Scherr, ihm Gelegenheit zu geben,
seinen Widerspruch gegen die neuen Dogmen in einer Konferenz zu begründen,
sei es mit den deutschen Bischöfen, die sich gerade zu einer Beratung in Fulda
anschickten, sei es mit einer vom Erzbischof zu ernennenden Kommission. Als
ob es sich damals noch um eine Disputation über den zum Überdruß durch¬
gesprochenen Gegenstand und nicht vielmehr um die Frage gehandelt hätte, ob
der deutsche Katholik das ihm widerwärtige Dogma hinunterwürgen oder sich
durch dessen Ablehnung von: Papste lossagen wollte! Die Bischöfe hatten
samt der Masse der Katholiken das erstere gewühlt, und damit war die Sache
für Deutschland entschieden. Zu optiren, nicht zu disputiren hatte« jene
Männer, die sich geteilten, man darf bei manchen wohl sagen zerrissenen
Herzens auf der Grenze zwischen den zwei Konfessionen hilflos und ratlos uach
Rettung aus einer unhaltbaren Lage umsahen- Döllinger wiederholt dasselbe
Ansinnen noch einmal um 1. März 1887 in einem Schreiben an den Erz¬
bischof von Steichele. Er beruft sich auf die kirchliche Praxis der frühern
Jahrhunderte. Noch im zwölften Jahrhundert sei ein solches Verfahren bei
Abälard und andern beobachtet worden; „aber im dreizehnten errichteten die
Päpste die Glaubensgerichte mit geheimer Prozedur, schrieben Tortur, vM-or
äuruL, qualvolle Hinrichtung als Vekehrungsmittel vor, befahlen, daß schon
auf bloßen Verdacht hin Folterung eintreten solle." Es ist gewiß sehr un¬
bequem für katholische Kirchenfürsten unsrer Zeit, sich diese Dinge öffentlich
sagen lassen zu müssen, die sie ja nicht in Abrede stellen könne«; allein zur
Änderung ihrer Praxis kann es sie nicht bewegen, denn diese Praxis stützt
sich auf eine nnderthalbtauseudjährige Erfahrung. Anfänglich bildeten sich die
kirchlichen Obern in allem Ernste ein, was sie, die von Gott erleuchteten, für
wahr hielten, das müßten auch alle andern als wahr erkennen, daher müßten
die Widersprechenden zunächst belehrt werden, und erst wenn die Disputation
nicht zum Ziele führe, sei böser Wille vorauszusetzen. Als aber dann die
Erfahrung lehrte, daß Belehrungen und Disputationen niemals zusammen-,
sondern nur immer weiter auseinanderführen, dn verwarfen sie dieses Einigungs-
mittel als zweckwidrig und stellten den vollkommen richtigen Grundsatz auf,
Ketzer seien nicht durch Disputiren zu überzeugen. Daraus folgerten sie nun
— von ihrem Standpunkte ans ebenfalls richtig —, es sei Pflicht, sie durch
körperliche Qualen zur Abschwörung ihrer Irrtümer zu bewegen und so ihre
Seelen zu retten. Und nachdem die moderne Gesetzgebung dieser Art von
Seelenrettung glücklicherweise ein Ende gemacht hat, erachten sie sich wenigstens
für verpflichtet, die „faulen" Glieder vom Leibe der Kirche abzuschneiden, um
die „gesunden" vor Ansteckung zu bewahren. Nun kannte niemand besser als
Döllinger den Weg, auf dein die Kirche zu dieser Praxis gekommen war; er
spricht aber diesen EinWurf, den er sich ohne Zweifel innerlich selbst machte,
in dein zuletzt erwähnten Schreiben nicht aus, sondern sucht ihn durch folgende


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0525" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/208462"/>
          <fw type="header" place="top"> Gin Januskopf</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1629" prev="#ID_1628" next="#ID_1630"> schließlich am 28. März den Erzbischof von Scherr, ihm Gelegenheit zu geben,<lb/>
seinen Widerspruch gegen die neuen Dogmen in einer Konferenz zu begründen,<lb/>
sei es mit den deutschen Bischöfen, die sich gerade zu einer Beratung in Fulda<lb/>
anschickten, sei es mit einer vom Erzbischof zu ernennenden Kommission. Als<lb/>
ob es sich damals noch um eine Disputation über den zum Überdruß durch¬<lb/>
gesprochenen Gegenstand und nicht vielmehr um die Frage gehandelt hätte, ob<lb/>
der deutsche Katholik das ihm widerwärtige Dogma hinunterwürgen oder sich<lb/>
durch dessen Ablehnung von: Papste lossagen wollte! Die Bischöfe hatten<lb/>
samt der Masse der Katholiken das erstere gewühlt, und damit war die Sache<lb/>
für Deutschland entschieden. Zu optiren, nicht zu disputiren hatte« jene<lb/>
Männer, die sich geteilten, man darf bei manchen wohl sagen zerrissenen<lb/>
Herzens auf der Grenze zwischen den zwei Konfessionen hilflos und ratlos uach<lb/>
Rettung aus einer unhaltbaren Lage umsahen- Döllinger wiederholt dasselbe<lb/>
Ansinnen noch einmal um 1. März 1887 in einem Schreiben an den Erz¬<lb/>
bischof von Steichele. Er beruft sich auf die kirchliche Praxis der frühern<lb/>
Jahrhunderte. Noch im zwölften Jahrhundert sei ein solches Verfahren bei<lb/>
Abälard und andern beobachtet worden; &#x201E;aber im dreizehnten errichteten die<lb/>
Päpste die Glaubensgerichte mit geheimer Prozedur, schrieben Tortur, vM-or<lb/>
äuruL, qualvolle Hinrichtung als Vekehrungsmittel vor, befahlen, daß schon<lb/>
auf bloßen Verdacht hin Folterung eintreten solle." Es ist gewiß sehr un¬<lb/>
bequem für katholische Kirchenfürsten unsrer Zeit, sich diese Dinge öffentlich<lb/>
sagen lassen zu müssen, die sie ja nicht in Abrede stellen könne«; allein zur<lb/>
Änderung ihrer Praxis kann es sie nicht bewegen, denn diese Praxis stützt<lb/>
sich auf eine nnderthalbtauseudjährige Erfahrung. Anfänglich bildeten sich die<lb/>
kirchlichen Obern in allem Ernste ein, was sie, die von Gott erleuchteten, für<lb/>
wahr hielten, das müßten auch alle andern als wahr erkennen, daher müßten<lb/>
die Widersprechenden zunächst belehrt werden, und erst wenn die Disputation<lb/>
nicht zum Ziele führe, sei böser Wille vorauszusetzen. Als aber dann die<lb/>
Erfahrung lehrte, daß Belehrungen und Disputationen niemals zusammen-,<lb/>
sondern nur immer weiter auseinanderführen, dn verwarfen sie dieses Einigungs-<lb/>
mittel als zweckwidrig und stellten den vollkommen richtigen Grundsatz auf,<lb/>
Ketzer seien nicht durch Disputiren zu überzeugen. Daraus folgerten sie nun<lb/>
&#x2014; von ihrem Standpunkte ans ebenfalls richtig &#x2014;, es sei Pflicht, sie durch<lb/>
körperliche Qualen zur Abschwörung ihrer Irrtümer zu bewegen und so ihre<lb/>
Seelen zu retten. Und nachdem die moderne Gesetzgebung dieser Art von<lb/>
Seelenrettung glücklicherweise ein Ende gemacht hat, erachten sie sich wenigstens<lb/>
für verpflichtet, die &#x201E;faulen" Glieder vom Leibe der Kirche abzuschneiden, um<lb/>
die &#x201E;gesunden" vor Ansteckung zu bewahren. Nun kannte niemand besser als<lb/>
Döllinger den Weg, auf dein die Kirche zu dieser Praxis gekommen war; er<lb/>
spricht aber diesen EinWurf, den er sich ohne Zweifel innerlich selbst machte,<lb/>
in dein zuletzt erwähnten Schreiben nicht aus, sondern sucht ihn durch folgende</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0525] Gin Januskopf schließlich am 28. März den Erzbischof von Scherr, ihm Gelegenheit zu geben, seinen Widerspruch gegen die neuen Dogmen in einer Konferenz zu begründen, sei es mit den deutschen Bischöfen, die sich gerade zu einer Beratung in Fulda anschickten, sei es mit einer vom Erzbischof zu ernennenden Kommission. Als ob es sich damals noch um eine Disputation über den zum Überdruß durch¬ gesprochenen Gegenstand und nicht vielmehr um die Frage gehandelt hätte, ob der deutsche Katholik das ihm widerwärtige Dogma hinunterwürgen oder sich durch dessen Ablehnung von: Papste lossagen wollte! Die Bischöfe hatten samt der Masse der Katholiken das erstere gewühlt, und damit war die Sache für Deutschland entschieden. Zu optiren, nicht zu disputiren hatte« jene Männer, die sich geteilten, man darf bei manchen wohl sagen zerrissenen Herzens auf der Grenze zwischen den zwei Konfessionen hilflos und ratlos uach Rettung aus einer unhaltbaren Lage umsahen- Döllinger wiederholt dasselbe Ansinnen noch einmal um 1. März 1887 in einem Schreiben an den Erz¬ bischof von Steichele. Er beruft sich auf die kirchliche Praxis der frühern Jahrhunderte. Noch im zwölften Jahrhundert sei ein solches Verfahren bei Abälard und andern beobachtet worden; „aber im dreizehnten errichteten die Päpste die Glaubensgerichte mit geheimer Prozedur, schrieben Tortur, vM-or äuruL, qualvolle Hinrichtung als Vekehrungsmittel vor, befahlen, daß schon auf bloßen Verdacht hin Folterung eintreten solle." Es ist gewiß sehr un¬ bequem für katholische Kirchenfürsten unsrer Zeit, sich diese Dinge öffentlich sagen lassen zu müssen, die sie ja nicht in Abrede stellen könne«; allein zur Änderung ihrer Praxis kann es sie nicht bewegen, denn diese Praxis stützt sich auf eine nnderthalbtauseudjährige Erfahrung. Anfänglich bildeten sich die kirchlichen Obern in allem Ernste ein, was sie, die von Gott erleuchteten, für wahr hielten, das müßten auch alle andern als wahr erkennen, daher müßten die Widersprechenden zunächst belehrt werden, und erst wenn die Disputation nicht zum Ziele führe, sei böser Wille vorauszusetzen. Als aber dann die Erfahrung lehrte, daß Belehrungen und Disputationen niemals zusammen-, sondern nur immer weiter auseinanderführen, dn verwarfen sie dieses Einigungs- mittel als zweckwidrig und stellten den vollkommen richtigen Grundsatz auf, Ketzer seien nicht durch Disputiren zu überzeugen. Daraus folgerten sie nun — von ihrem Standpunkte ans ebenfalls richtig —, es sei Pflicht, sie durch körperliche Qualen zur Abschwörung ihrer Irrtümer zu bewegen und so ihre Seelen zu retten. Und nachdem die moderne Gesetzgebung dieser Art von Seelenrettung glücklicherweise ein Ende gemacht hat, erachten sie sich wenigstens für verpflichtet, die „faulen" Glieder vom Leibe der Kirche abzuschneiden, um die „gesunden" vor Ansteckung zu bewahren. Nun kannte niemand besser als Döllinger den Weg, auf dein die Kirche zu dieser Praxis gekommen war; er spricht aber diesen EinWurf, den er sich ohne Zweifel innerlich selbst machte, in dein zuletzt erwähnten Schreiben nicht aus, sondern sucht ihn durch folgende

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/525
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/525>, abgerufen am 28.09.2024.