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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

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Widerlegung an der Schwelle abzuweisen: "Es handelt sich ja nicht um
Glaubensmhsterien, wie Trinität und Inkarnation, über welche man freilich
erfolglos bis zum jüngsten Tage disputiren kann. Wir stehen hier auf dem
festen Boden der Geschichte, der Zeugnisse, der Thatsachen. Dies sind Dinge,
welche sich so ausheilen und erläutern lassen, daß jeder gut erzogene und unter¬
richtete Mann sich ein eignes Urteil über Recht oder Unrecht der einen oder
andern Seite bilden kann, auch ohne theologische Studien gemacht zu haben."
Als ob sichs bei den Streitigkeiten über die Glaubensgeheimnisse nicht eben¬
falls um historische Thatsachen gehandelt hätte, nämlich darum, ob die Sätze,
in denen die .Kirche sie ausspricht, dem Wortlaut der Bibel entsprechen oder
nicht! Und als ob es irgend eine historische Thatsache von Bedeutung in der
Welt gäbe, über die sich die Gelehrten und die -- Interessenten zu einigen
vermöchten! Von dem Augenblick an, wo der auf Thatsachen gestützte Nach¬
weis eines Rechtsanspruches alle Beteiligte" überzeugt, giebt es weder Kriege
noch Zivilprozesfe mehr, sondern nur noch Schiedsgerichte.

Die gläubige,: Katholiken sind Positivsten; alles Wissen hat ihrer Ansicht
nach nur in soweit Wert, als es einem praktischen Zwecke dient. Höchster
Lebenszweck ist ihnen die Sicherung der ewigen Seligkeit, und dieser Haupt¬
zweck wird durch die Trennung 0vu der Kirche gefährdet. Daher lassen sie
sich auf die Prüfung solcher wissenschaftlichen Beweise, die von der Kirche ab¬
zuführen geeignet erscheinen, gar nicht ein. Thun sie es dennoch einmal, so
geschieht es mit dem Vorbehalt, jede Beweisführung für falsch zu halten, die
für die kirchliche Autorität ungünstig ausfällt, auch wenn der Fehler, der
notwendigerweise darin stecken müsse, nicht herauszufinden sei. Die Frauen
gnr -- und man weiß ja, wie mächtig die im kirchlichen Leben sind, hat es
doch Windthorst erst dieser Tage- wieder einmal gesagt -- die behandeln alle
Vernunftgriinde gegen kirchliche Lehren einfach als Luft, und das unermeßliche
Wissen eines Döllinger kommt für sie höchstens als erschwerender Umstand in
Betracht. Er müsse doch wissen, schreibt eine hochgestellte Dame am
15. Februar 1880 an Döllinger, "daß, wenn ein so reichbegnadeter, hoch¬
begabter und Hellerlenchteter Priester sich gegen die Autorität der Kirche auf¬
lehnt und im Ungehorsam gegen dieselbe stirbt, er eine viel schrecklichere Strafe
in der Ewigkeit zu erwarten hat, als andre, die weniger Erkenntnis, weniger
Gnaden und daher geringere Verantwortung hatten. Es erfaßt mich wahr¬
haftes Grauen und ein ganz nnsagbares Mitleid, wenn ich an die entsetzliche
Zukunft denke, welcher Sie unfehlbar entgegengehen, wenn u. f. w." Es war
wirklich recht überflüssig, daß Döllinger auch in der Antwort an diese Dame
noch seine alte Beweisführung wiederholte. Mehr als weiblich, geradezu
kindlich klingt es, wenn der Nuntius Nuffv Scilla in einem Schreiben vom
l. Oktober 1887 die Hoffnung ausspricht, die allerseligste Jungfrau von:
Rosenkränze lind der Schutzengel würden dem "erlauchten Doktor" eingeben,


Widerlegung an der Schwelle abzuweisen: „Es handelt sich ja nicht um
Glaubensmhsterien, wie Trinität und Inkarnation, über welche man freilich
erfolglos bis zum jüngsten Tage disputiren kann. Wir stehen hier auf dem
festen Boden der Geschichte, der Zeugnisse, der Thatsachen. Dies sind Dinge,
welche sich so ausheilen und erläutern lassen, daß jeder gut erzogene und unter¬
richtete Mann sich ein eignes Urteil über Recht oder Unrecht der einen oder
andern Seite bilden kann, auch ohne theologische Studien gemacht zu haben."
Als ob sichs bei den Streitigkeiten über die Glaubensgeheimnisse nicht eben¬
falls um historische Thatsachen gehandelt hätte, nämlich darum, ob die Sätze,
in denen die .Kirche sie ausspricht, dem Wortlaut der Bibel entsprechen oder
nicht! Und als ob es irgend eine historische Thatsache von Bedeutung in der
Welt gäbe, über die sich die Gelehrten und die — Interessenten zu einigen
vermöchten! Von dem Augenblick an, wo der auf Thatsachen gestützte Nach¬
weis eines Rechtsanspruches alle Beteiligte» überzeugt, giebt es weder Kriege
noch Zivilprozesfe mehr, sondern nur noch Schiedsgerichte.

Die gläubige,: Katholiken sind Positivsten; alles Wissen hat ihrer Ansicht
nach nur in soweit Wert, als es einem praktischen Zwecke dient. Höchster
Lebenszweck ist ihnen die Sicherung der ewigen Seligkeit, und dieser Haupt¬
zweck wird durch die Trennung 0vu der Kirche gefährdet. Daher lassen sie
sich auf die Prüfung solcher wissenschaftlichen Beweise, die von der Kirche ab¬
zuführen geeignet erscheinen, gar nicht ein. Thun sie es dennoch einmal, so
geschieht es mit dem Vorbehalt, jede Beweisführung für falsch zu halten, die
für die kirchliche Autorität ungünstig ausfällt, auch wenn der Fehler, der
notwendigerweise darin stecken müsse, nicht herauszufinden sei. Die Frauen
gnr — und man weiß ja, wie mächtig die im kirchlichen Leben sind, hat es
doch Windthorst erst dieser Tage- wieder einmal gesagt — die behandeln alle
Vernunftgriinde gegen kirchliche Lehren einfach als Luft, und das unermeßliche
Wissen eines Döllinger kommt für sie höchstens als erschwerender Umstand in
Betracht. Er müsse doch wissen, schreibt eine hochgestellte Dame am
15. Februar 1880 an Döllinger, „daß, wenn ein so reichbegnadeter, hoch¬
begabter und Hellerlenchteter Priester sich gegen die Autorität der Kirche auf¬
lehnt und im Ungehorsam gegen dieselbe stirbt, er eine viel schrecklichere Strafe
in der Ewigkeit zu erwarten hat, als andre, die weniger Erkenntnis, weniger
Gnaden und daher geringere Verantwortung hatten. Es erfaßt mich wahr¬
haftes Grauen und ein ganz nnsagbares Mitleid, wenn ich an die entsetzliche
Zukunft denke, welcher Sie unfehlbar entgegengehen, wenn u. f. w." Es war
wirklich recht überflüssig, daß Döllinger auch in der Antwort an diese Dame
noch seine alte Beweisführung wiederholte. Mehr als weiblich, geradezu
kindlich klingt es, wenn der Nuntius Nuffv Scilla in einem Schreiben vom
l. Oktober 1887 die Hoffnung ausspricht, die allerseligste Jungfrau von:
Rosenkränze lind der Schutzengel würden dem „erlauchten Doktor" eingeben,


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[0526] Widerlegung an der Schwelle abzuweisen: „Es handelt sich ja nicht um Glaubensmhsterien, wie Trinität und Inkarnation, über welche man freilich erfolglos bis zum jüngsten Tage disputiren kann. Wir stehen hier auf dem festen Boden der Geschichte, der Zeugnisse, der Thatsachen. Dies sind Dinge, welche sich so ausheilen und erläutern lassen, daß jeder gut erzogene und unter¬ richtete Mann sich ein eignes Urteil über Recht oder Unrecht der einen oder andern Seite bilden kann, auch ohne theologische Studien gemacht zu haben." Als ob sichs bei den Streitigkeiten über die Glaubensgeheimnisse nicht eben¬ falls um historische Thatsachen gehandelt hätte, nämlich darum, ob die Sätze, in denen die .Kirche sie ausspricht, dem Wortlaut der Bibel entsprechen oder nicht! Und als ob es irgend eine historische Thatsache von Bedeutung in der Welt gäbe, über die sich die Gelehrten und die — Interessenten zu einigen vermöchten! Von dem Augenblick an, wo der auf Thatsachen gestützte Nach¬ weis eines Rechtsanspruches alle Beteiligte» überzeugt, giebt es weder Kriege noch Zivilprozesfe mehr, sondern nur noch Schiedsgerichte. Die gläubige,: Katholiken sind Positivsten; alles Wissen hat ihrer Ansicht nach nur in soweit Wert, als es einem praktischen Zwecke dient. Höchster Lebenszweck ist ihnen die Sicherung der ewigen Seligkeit, und dieser Haupt¬ zweck wird durch die Trennung 0vu der Kirche gefährdet. Daher lassen sie sich auf die Prüfung solcher wissenschaftlichen Beweise, die von der Kirche ab¬ zuführen geeignet erscheinen, gar nicht ein. Thun sie es dennoch einmal, so geschieht es mit dem Vorbehalt, jede Beweisführung für falsch zu halten, die für die kirchliche Autorität ungünstig ausfällt, auch wenn der Fehler, der notwendigerweise darin stecken müsse, nicht herauszufinden sei. Die Frauen gnr — und man weiß ja, wie mächtig die im kirchlichen Leben sind, hat es doch Windthorst erst dieser Tage- wieder einmal gesagt — die behandeln alle Vernunftgriinde gegen kirchliche Lehren einfach als Luft, und das unermeßliche Wissen eines Döllinger kommt für sie höchstens als erschwerender Umstand in Betracht. Er müsse doch wissen, schreibt eine hochgestellte Dame am 15. Februar 1880 an Döllinger, „daß, wenn ein so reichbegnadeter, hoch¬ begabter und Hellerlenchteter Priester sich gegen die Autorität der Kirche auf¬ lehnt und im Ungehorsam gegen dieselbe stirbt, er eine viel schrecklichere Strafe in der Ewigkeit zu erwarten hat, als andre, die weniger Erkenntnis, weniger Gnaden und daher geringere Verantwortung hatten. Es erfaßt mich wahr¬ haftes Grauen und ein ganz nnsagbares Mitleid, wenn ich an die entsetzliche Zukunft denke, welcher Sie unfehlbar entgegengehen, wenn u. f. w." Es war wirklich recht überflüssig, daß Döllinger auch in der Antwort an diese Dame noch seine alte Beweisführung wiederholte. Mehr als weiblich, geradezu kindlich klingt es, wenn der Nuntius Nuffv Scilla in einem Schreiben vom l. Oktober 1887 die Hoffnung ausspricht, die allerseligste Jungfrau von: Rosenkränze lind der Schutzengel würden dem „erlauchten Doktor" eingeben,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/526>, abgerufen am 29.06.2024.