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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

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machen." Diese erinnerten sich, daß die Radirung eine Lieblingsbeschäftigung
fast aller bedeutenden Meister des siebzehnten und achtzehnten Jahrhunderts
gewesen und eine dankbare, verhältnismäßig leichte Technik sei. Sie studirten
die Werke der alten Nndirer, namentlich des Großmeisters Rembrandt, und
wußten die Geheimnisse fast vergessener Prozeduren und Rezepte zu ergründen.
Sie begannen mit anspruchslosen Landschaften und Seestücken und gingen all¬
mählich zu Figurenkompvsitionen und zum Bildnis über. Auf diese Weise
wurde England die vornehmste Pflegestätte der modernen Radirkunst. Nicht
n"r Maler wie Whistler und Herkomer, auch eine ganze Anzahl von Dilet¬
tanten verfügen über alle Ateliergeheimnisfe und praktischen Kunstgriffe der
Radirer vom Fach. Die Gediegenheit der Mache, wie sie alle englischen Er¬
zeugnisse, selbst die des Londoner Schneiders auszeichnet, kommt auch den
englischen Radirungen zu statten. So sehr sich bei uns in den letzten Jahren
die Nadirung gehoben hat, so ist eine Konkurrenz mit den Engländern doch
noch nicht möglich. Unsre Kupferstecher und Nndirer haben nicht nur viel zu
lernen, fondern ebenso viel zu verlernen, ehe sie einen Vergleich mit jenen
aushalten können. Was hilft es uns z. V., den alten Linienstich noch immer
künstlich hinzupäppelu, nachdem er in allen andern Ländern klanglos begraben
worden ist? Diese kalte, mühsame und daher so selten vom Hauch des Genius
berührte Technik muß allmählich zu den überwundenen Dingen gerechnet
werden. Das Kalligraphische an ihr, die Meisterschaft, die der Stich als solcher
erfordert, und die vollkommene Entäußerung von allem Persönlichen, die dem
Kupferstecher als Höchstes vorschwebt, imponirt nicht mehr, sondern erscheint als
Verlorne Liebesmüh, seitdem die Oainsra, obsoura, dasselbe Ergebnis, wozu der
Kupferstecher Jnhre schweißtriefender Arbeit braucht, mühelos in ebensoviel
Sekunden erzielt. Stiche nach klassischen italienischen Bildern mögen noch eine
gewisse Berechtigung haben, während in allen andern Fällen, wo es sich
weniger um Form als um Farbe handelt, also bei allen Reproduktionen
niederländischer oder moderner Bilder, der Kupferstich nur als Anachronismus
erscheint. Übrigens werden solche Stiche nach modernen Bildern in Zukunft
von selbst aufhören, seitdem, der Naturalismus, der das Wesen der Kunst im
optischen Eindruck, in der Impression sucht, all den schönen Vorwürfen, in
deren Wiedergabe sich der Linienstich zu ergehen liebte, den Laufpaß gegeben
hat. Der Grabstichel ist seiner Natur nach nichts weniger als impressionistisch
und muß daher ganz von selbst vor dein Ätzwasfer die Waffen strecken, das
keinen höhern Ehrgeiz kennt, als farbige Werte in schwarz und weiß zu über¬
setzen.

Gerade deshalb und wegen ihres unversteglichen individuellen Reizes wird
die Radirnng stets neben den mechanischen Reproduktivnsarten das Feld be¬
haupte", und daß sie sich, gleich Aquarell und Pastell, auch bei uns glücklich
aus Zopf und Pedanterie emporzuarbeiten beginnt, ist als einer der ynupt-


Grenzboten III 1390 65
Die llunst i» England

machen." Diese erinnerten sich, daß die Radirung eine Lieblingsbeschäftigung
fast aller bedeutenden Meister des siebzehnten und achtzehnten Jahrhunderts
gewesen und eine dankbare, verhältnismäßig leichte Technik sei. Sie studirten
die Werke der alten Nndirer, namentlich des Großmeisters Rembrandt, und
wußten die Geheimnisse fast vergessener Prozeduren und Rezepte zu ergründen.
Sie begannen mit anspruchslosen Landschaften und Seestücken und gingen all¬
mählich zu Figurenkompvsitionen und zum Bildnis über. Auf diese Weise
wurde England die vornehmste Pflegestätte der modernen Radirkunst. Nicht
n»r Maler wie Whistler und Herkomer, auch eine ganze Anzahl von Dilet¬
tanten verfügen über alle Ateliergeheimnisfe und praktischen Kunstgriffe der
Radirer vom Fach. Die Gediegenheit der Mache, wie sie alle englischen Er¬
zeugnisse, selbst die des Londoner Schneiders auszeichnet, kommt auch den
englischen Radirungen zu statten. So sehr sich bei uns in den letzten Jahren
die Nadirung gehoben hat, so ist eine Konkurrenz mit den Engländern doch
noch nicht möglich. Unsre Kupferstecher und Nndirer haben nicht nur viel zu
lernen, fondern ebenso viel zu verlernen, ehe sie einen Vergleich mit jenen
aushalten können. Was hilft es uns z. V., den alten Linienstich noch immer
künstlich hinzupäppelu, nachdem er in allen andern Ländern klanglos begraben
worden ist? Diese kalte, mühsame und daher so selten vom Hauch des Genius
berührte Technik muß allmählich zu den überwundenen Dingen gerechnet
werden. Das Kalligraphische an ihr, die Meisterschaft, die der Stich als solcher
erfordert, und die vollkommene Entäußerung von allem Persönlichen, die dem
Kupferstecher als Höchstes vorschwebt, imponirt nicht mehr, sondern erscheint als
Verlorne Liebesmüh, seitdem die Oainsra, obsoura, dasselbe Ergebnis, wozu der
Kupferstecher Jnhre schweißtriefender Arbeit braucht, mühelos in ebensoviel
Sekunden erzielt. Stiche nach klassischen italienischen Bildern mögen noch eine
gewisse Berechtigung haben, während in allen andern Fällen, wo es sich
weniger um Form als um Farbe handelt, also bei allen Reproduktionen
niederländischer oder moderner Bilder, der Kupferstich nur als Anachronismus
erscheint. Übrigens werden solche Stiche nach modernen Bildern in Zukunft
von selbst aufhören, seitdem, der Naturalismus, der das Wesen der Kunst im
optischen Eindruck, in der Impression sucht, all den schönen Vorwürfen, in
deren Wiedergabe sich der Linienstich zu ergehen liebte, den Laufpaß gegeben
hat. Der Grabstichel ist seiner Natur nach nichts weniger als impressionistisch
und muß daher ganz von selbst vor dein Ätzwasfer die Waffen strecken, das
keinen höhern Ehrgeiz kennt, als farbige Werte in schwarz und weiß zu über¬
setzen.

Gerade deshalb und wegen ihres unversteglichen individuellen Reizes wird
die Radirnng stets neben den mechanischen Reproduktivnsarten das Feld be¬
haupte«, und daß sie sich, gleich Aquarell und Pastell, auch bei uns glücklich
aus Zopf und Pedanterie emporzuarbeiten beginnt, ist als einer der ynupt-


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[0521] Die llunst i» England machen." Diese erinnerten sich, daß die Radirung eine Lieblingsbeschäftigung fast aller bedeutenden Meister des siebzehnten und achtzehnten Jahrhunderts gewesen und eine dankbare, verhältnismäßig leichte Technik sei. Sie studirten die Werke der alten Nndirer, namentlich des Großmeisters Rembrandt, und wußten die Geheimnisse fast vergessener Prozeduren und Rezepte zu ergründen. Sie begannen mit anspruchslosen Landschaften und Seestücken und gingen all¬ mählich zu Figurenkompvsitionen und zum Bildnis über. Auf diese Weise wurde England die vornehmste Pflegestätte der modernen Radirkunst. Nicht n»r Maler wie Whistler und Herkomer, auch eine ganze Anzahl von Dilet¬ tanten verfügen über alle Ateliergeheimnisfe und praktischen Kunstgriffe der Radirer vom Fach. Die Gediegenheit der Mache, wie sie alle englischen Er¬ zeugnisse, selbst die des Londoner Schneiders auszeichnet, kommt auch den englischen Radirungen zu statten. So sehr sich bei uns in den letzten Jahren die Nadirung gehoben hat, so ist eine Konkurrenz mit den Engländern doch noch nicht möglich. Unsre Kupferstecher und Nndirer haben nicht nur viel zu lernen, fondern ebenso viel zu verlernen, ehe sie einen Vergleich mit jenen aushalten können. Was hilft es uns z. V., den alten Linienstich noch immer künstlich hinzupäppelu, nachdem er in allen andern Ländern klanglos begraben worden ist? Diese kalte, mühsame und daher so selten vom Hauch des Genius berührte Technik muß allmählich zu den überwundenen Dingen gerechnet werden. Das Kalligraphische an ihr, die Meisterschaft, die der Stich als solcher erfordert, und die vollkommene Entäußerung von allem Persönlichen, die dem Kupferstecher als Höchstes vorschwebt, imponirt nicht mehr, sondern erscheint als Verlorne Liebesmüh, seitdem die Oainsra, obsoura, dasselbe Ergebnis, wozu der Kupferstecher Jnhre schweißtriefender Arbeit braucht, mühelos in ebensoviel Sekunden erzielt. Stiche nach klassischen italienischen Bildern mögen noch eine gewisse Berechtigung haben, während in allen andern Fällen, wo es sich weniger um Form als um Farbe handelt, also bei allen Reproduktionen niederländischer oder moderner Bilder, der Kupferstich nur als Anachronismus erscheint. Übrigens werden solche Stiche nach modernen Bildern in Zukunft von selbst aufhören, seitdem, der Naturalismus, der das Wesen der Kunst im optischen Eindruck, in der Impression sucht, all den schönen Vorwürfen, in deren Wiedergabe sich der Linienstich zu ergehen liebte, den Laufpaß gegeben hat. Der Grabstichel ist seiner Natur nach nichts weniger als impressionistisch und muß daher ganz von selbst vor dein Ätzwasfer die Waffen strecken, das keinen höhern Ehrgeiz kennt, als farbige Werte in schwarz und weiß zu über¬ setzen. Gerade deshalb und wegen ihres unversteglichen individuellen Reizes wird die Radirnng stets neben den mechanischen Reproduktivnsarten das Feld be¬ haupte«, und daß sie sich, gleich Aquarell und Pastell, auch bei uns glücklich aus Zopf und Pedanterie emporzuarbeiten beginnt, ist als einer der ynupt- Grenzboten III 1390 65

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/521>, abgerufen am 29.06.2024.