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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

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seit dem Beginne des siebzehnten Jahrhunderts überall an Boden. Im acht¬
zehnten Jahrhundert war er nur noch für ganz untergeordnete Zwecke im
Gebrauch und sogar aus der Buchillustration durch den zarten Kupferstich ver¬
drängt, obgleich sich dieser nur sehr umständlich und kostspielig in den Thpcn-
druck einfügen ließ. Erst Thomas Bewick erweckte ihn zu neuem Leben, indem
er das raffinirte Verfahren des modernen Holzschnittes erfand, der nur noch
dem Namen nach mit dem alten zusammenhängt, sich aber sonst als eine ganz
neue, nach eignen Gesetzen arbeitende Reproduktionsgattung darstellt. Die
Nachfolger bildeten in regem Wetteifer Bewicks Prinzipien weiter. In wenige"?
Jahrzehnten hatte der Holzschnitt die Buchausstattung zurückgewonnen, und
bereits 1842 wurde die erste illustrirte Zeitung gegründet. Damit beginnt für
den Holzschnitt eine neue Periode. Keiner andern Reproduktionstechnik wurden
jemals so mannichfache Aufgaben gestellt. Englands Interessen gehen über den
ganzen Erdball. Was sich in der Heimat und in den Provinzen zutrug,
wurde sofort durch die Hand des Zeichners festgehalten. Von Wichtigkeit
wurde namentlich das große Format der Zeitungen, wodurch ein monumentaler
Zug, der sich bis dahin an den zierlichen Buchillustratiouen nicht hatte ent¬
wickeln können, in die Darstellung kam. So schnell Deutschland dem Vorgänge
Englands folgte, so haben die englischen illustrirten Zeitungen doch bis heute
das höchste Maß künstlerischer Haltung -- mau braucht nur den (Z-mpdiv, die
I>In8ert>doa I^onäon Rooo8 oder IlaiPgrs MiZÄninv mit den entsprechenden
deutschen Blättern, der Leipziger Jllustrirten, "Über Land und Meer" und
andern unsrer illustrirten Wochenschriften zu vergleichen. Nirgends weiß man
so geschickt die entsprechende Art der Darstellung für jeden Gegenstand zu
finden, vom Facsimileschnitt der flüchtigen Skizze eines Schlachtenbevbachters
bis zu den raffinirt durchgebildeten Schilderungen des gesellschaftlichen Lebens,
die den Roman des Blattes illustriren.

Von den Arten des Kupferstichs ist die Radirung wohl die einzige, der
man noch eine Zukunft prophezeien kann. Während der eigentliche Kupferstich
aus seinen ausgefahrnen Geleisen selten mehr heraustritt, seit der Durchbildung
der mechanischen Reproduktionstechniken immer mehr an Boden verliert und
trotz Kunstvereinsprämien nur noch als Zimmerschmuck für die mittlern Kreise
in Betracht kommt, die sich den Luxus eines "Ölbildes" nicht gestatten können,
hat die vornehme Radirung in dem Kunstbetriebe der Gegenwart wieder wach¬
sende Bedeutung gewonnen, nachdem sie in der ersten Hälfte des Jahrhunderts
ebenfalls völlig vergessen und überall durch die Lithographie verdrängt worden
war. Ihre Wiederbelebung erfolgte durch die englischen Dilettanten, die, zu
Hunderttausenden verbreitet, dort ein wichtiges Bindeglied zwischen Künstler¬
schaft und Publikum bilden, als vornehme Liebhaber in gewissen Sinne den
Geschmack dirigiren und sich sogar an positivem Können vom berufsmäßigen
Künstler oft nur dadurch unterscheiden, daß sie aus der Kunst ,,kein Gewerbe


seit dem Beginne des siebzehnten Jahrhunderts überall an Boden. Im acht¬
zehnten Jahrhundert war er nur noch für ganz untergeordnete Zwecke im
Gebrauch und sogar aus der Buchillustration durch den zarten Kupferstich ver¬
drängt, obgleich sich dieser nur sehr umständlich und kostspielig in den Thpcn-
druck einfügen ließ. Erst Thomas Bewick erweckte ihn zu neuem Leben, indem
er das raffinirte Verfahren des modernen Holzschnittes erfand, der nur noch
dem Namen nach mit dem alten zusammenhängt, sich aber sonst als eine ganz
neue, nach eignen Gesetzen arbeitende Reproduktionsgattung darstellt. Die
Nachfolger bildeten in regem Wetteifer Bewicks Prinzipien weiter. In wenige«?
Jahrzehnten hatte der Holzschnitt die Buchausstattung zurückgewonnen, und
bereits 1842 wurde die erste illustrirte Zeitung gegründet. Damit beginnt für
den Holzschnitt eine neue Periode. Keiner andern Reproduktionstechnik wurden
jemals so mannichfache Aufgaben gestellt. Englands Interessen gehen über den
ganzen Erdball. Was sich in der Heimat und in den Provinzen zutrug,
wurde sofort durch die Hand des Zeichners festgehalten. Von Wichtigkeit
wurde namentlich das große Format der Zeitungen, wodurch ein monumentaler
Zug, der sich bis dahin an den zierlichen Buchillustratiouen nicht hatte ent¬
wickeln können, in die Darstellung kam. So schnell Deutschland dem Vorgänge
Englands folgte, so haben die englischen illustrirten Zeitungen doch bis heute
das höchste Maß künstlerischer Haltung — mau braucht nur den (Z-mpdiv, die
I>In8ert>doa I^onäon Rooo8 oder IlaiPgrs MiZÄninv mit den entsprechenden
deutschen Blättern, der Leipziger Jllustrirten, „Über Land und Meer" und
andern unsrer illustrirten Wochenschriften zu vergleichen. Nirgends weiß man
so geschickt die entsprechende Art der Darstellung für jeden Gegenstand zu
finden, vom Facsimileschnitt der flüchtigen Skizze eines Schlachtenbevbachters
bis zu den raffinirt durchgebildeten Schilderungen des gesellschaftlichen Lebens,
die den Roman des Blattes illustriren.

Von den Arten des Kupferstichs ist die Radirung wohl die einzige, der
man noch eine Zukunft prophezeien kann. Während der eigentliche Kupferstich
aus seinen ausgefahrnen Geleisen selten mehr heraustritt, seit der Durchbildung
der mechanischen Reproduktionstechniken immer mehr an Boden verliert und
trotz Kunstvereinsprämien nur noch als Zimmerschmuck für die mittlern Kreise
in Betracht kommt, die sich den Luxus eines „Ölbildes" nicht gestatten können,
hat die vornehme Radirung in dem Kunstbetriebe der Gegenwart wieder wach¬
sende Bedeutung gewonnen, nachdem sie in der ersten Hälfte des Jahrhunderts
ebenfalls völlig vergessen und überall durch die Lithographie verdrängt worden
war. Ihre Wiederbelebung erfolgte durch die englischen Dilettanten, die, zu
Hunderttausenden verbreitet, dort ein wichtiges Bindeglied zwischen Künstler¬
schaft und Publikum bilden, als vornehme Liebhaber in gewissen Sinne den
Geschmack dirigiren und sich sogar an positivem Können vom berufsmäßigen
Künstler oft nur dadurch unterscheiden, daß sie aus der Kunst ,,kein Gewerbe


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/520>, abgerufen am 28.09.2024.