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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

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Die Kunst in England

sachlichsten künstlerischen Erfolge der letzten Jahre zu begrüßen, so wenig wir,
wie gesagt, trotz Klinger, Koeppiug, Unger und manchen andern vorläufig mit
den Engländern wetteifern können. Ich will gar nicht davon reden, daß die
Nadirung dort eine selbständige Kunst, bei uns -- von Klinger abgesehen ^
nur Neproduktionsmittel ist, und daß der vor einigen Jahren in Berlin mit
Mühe gegründete Verein zur Hebung der Malerradirnng schon sanft wieder
eingeschlafen ist. Selbst in der Technik sind die englischen Blätter den deut¬
schen schon weit überlegen. Zu allen Finessen der Radirkunst gesellt sich
namentlich ein Raffinement des Druckes, von dem man in Deutschland noch
keine Ahnung hat. Die Leute, die jedem Gebiet gleich seine Grenzen stecken
Wollen, alles mit dem Material ihres historischen Wissens kritisiren, klagen
natürlich darüber, das; diese englischen Radirungen "zu sehr ins Gebiet der
Malerei übergreifen." In der That läßt sich bei manchen Blättern kaum
entscheiden, welchen Anteil an der malerischen Wirkung die Nadel des Radirers
und welchen das Raffinement des Druckes hat. Jeder Abdruck ist so sehr eine
malerische Kunstleistung an sich, daß die Nadel eigentlich nnr noch das Skelett
der Wirkung festzustellen hat. Aber die Hauptsache ist eben doch, daß die
Wirkung erreicht wird. Ob dazu mehr das Ätzwasser oder der Wischer ver¬
wendet wurde, ist im Grunde gleichgiltig. Man freut sich über die breiten
Schattenmassen und die glänzenden Lichter, über die frisch-duftige Wirkung des
Ganzen, wie sie der Kupferstich mit seinen sorgfältig gemncn Schraffirungen
nie auch uur annähernd erreicht. Die Nadirung ist ein Kunstwerk, während
unser früherer Kupferstich ein Erzeugnis des Gewerbefleißes war. Daß der
Preis aller dieser Blätter hoch ist und nach der Herstellung einer beschränkten
Anzahl von Abzügen gewöhnlich die Platte zerstört wird, kann nur den
Wünschen des vornehmen Sammlers entsprechen. Denn die Kunst verlangt
eine gewisse Exklusivität und darf nicht als Massenartikel auftreten, den jeder
haben kaun.

Neben der Nadirung ist das Aquarell die eigentliche Leib- und Magenkunst
der Engländer geworden. Diese Technik, in der unser Dürer, die Holländer
des siebzehnten und die Franzosen des achtzehnten Jahrhunderts so Interessantes
schufen, wieder zum Leben erweckt zu haben, rühmen sie selbst als ihr haupt¬
sächlichstes kunstgeschichtliches Verdienst. Nun sind sie darin zwar gegenwärtig
von den Italienern und Spaniern, die durch sie die Anregung erhielten, ent¬
schieden überflügelt, auch wird das Aquarell, da es technisch auf zu schwachen
Füßen steht, überhaupt nie von größerer Bedeutung im Kunstbetrieb andrer
Völker werden können. In England aber wurde es wichtig wegen des un¬
verkennbaren Einflusses, den es auf die Ölmalerei ausübte. Das Studium
unmittelbar vor der Natur und im Freien gab dem Aquarell von Anfang
an seine Eigenschaften dem Olbilde gegenüber. Die Aquarelltechnik gab der
englischen Palette gewissermaßen den Ton, wirkte auf die Öltechnik zurück und


Die Kunst in England

sachlichsten künstlerischen Erfolge der letzten Jahre zu begrüßen, so wenig wir,
wie gesagt, trotz Klinger, Koeppiug, Unger und manchen andern vorläufig mit
den Engländern wetteifern können. Ich will gar nicht davon reden, daß die
Nadirung dort eine selbständige Kunst, bei uns — von Klinger abgesehen ^
nur Neproduktionsmittel ist, und daß der vor einigen Jahren in Berlin mit
Mühe gegründete Verein zur Hebung der Malerradirnng schon sanft wieder
eingeschlafen ist. Selbst in der Technik sind die englischen Blätter den deut¬
schen schon weit überlegen. Zu allen Finessen der Radirkunst gesellt sich
namentlich ein Raffinement des Druckes, von dem man in Deutschland noch
keine Ahnung hat. Die Leute, die jedem Gebiet gleich seine Grenzen stecken
Wollen, alles mit dem Material ihres historischen Wissens kritisiren, klagen
natürlich darüber, das; diese englischen Radirungen „zu sehr ins Gebiet der
Malerei übergreifen." In der That läßt sich bei manchen Blättern kaum
entscheiden, welchen Anteil an der malerischen Wirkung die Nadel des Radirers
und welchen das Raffinement des Druckes hat. Jeder Abdruck ist so sehr eine
malerische Kunstleistung an sich, daß die Nadel eigentlich nnr noch das Skelett
der Wirkung festzustellen hat. Aber die Hauptsache ist eben doch, daß die
Wirkung erreicht wird. Ob dazu mehr das Ätzwasser oder der Wischer ver¬
wendet wurde, ist im Grunde gleichgiltig. Man freut sich über die breiten
Schattenmassen und die glänzenden Lichter, über die frisch-duftige Wirkung des
Ganzen, wie sie der Kupferstich mit seinen sorgfältig gemncn Schraffirungen
nie auch uur annähernd erreicht. Die Nadirung ist ein Kunstwerk, während
unser früherer Kupferstich ein Erzeugnis des Gewerbefleißes war. Daß der
Preis aller dieser Blätter hoch ist und nach der Herstellung einer beschränkten
Anzahl von Abzügen gewöhnlich die Platte zerstört wird, kann nur den
Wünschen des vornehmen Sammlers entsprechen. Denn die Kunst verlangt
eine gewisse Exklusivität und darf nicht als Massenartikel auftreten, den jeder
haben kaun.

Neben der Nadirung ist das Aquarell die eigentliche Leib- und Magenkunst
der Engländer geworden. Diese Technik, in der unser Dürer, die Holländer
des siebzehnten und die Franzosen des achtzehnten Jahrhunderts so Interessantes
schufen, wieder zum Leben erweckt zu haben, rühmen sie selbst als ihr haupt¬
sächlichstes kunstgeschichtliches Verdienst. Nun sind sie darin zwar gegenwärtig
von den Italienern und Spaniern, die durch sie die Anregung erhielten, ent¬
schieden überflügelt, auch wird das Aquarell, da es technisch auf zu schwachen
Füßen steht, überhaupt nie von größerer Bedeutung im Kunstbetrieb andrer
Völker werden können. In England aber wurde es wichtig wegen des un¬
verkennbaren Einflusses, den es auf die Ölmalerei ausübte. Das Studium
unmittelbar vor der Natur und im Freien gab dem Aquarell von Anfang
an seine Eigenschaften dem Olbilde gegenüber. Die Aquarelltechnik gab der
englischen Palette gewissermaßen den Ton, wirkte auf die Öltechnik zurück und


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[0522] Die Kunst in England sachlichsten künstlerischen Erfolge der letzten Jahre zu begrüßen, so wenig wir, wie gesagt, trotz Klinger, Koeppiug, Unger und manchen andern vorläufig mit den Engländern wetteifern können. Ich will gar nicht davon reden, daß die Nadirung dort eine selbständige Kunst, bei uns — von Klinger abgesehen ^ nur Neproduktionsmittel ist, und daß der vor einigen Jahren in Berlin mit Mühe gegründete Verein zur Hebung der Malerradirnng schon sanft wieder eingeschlafen ist. Selbst in der Technik sind die englischen Blätter den deut¬ schen schon weit überlegen. Zu allen Finessen der Radirkunst gesellt sich namentlich ein Raffinement des Druckes, von dem man in Deutschland noch keine Ahnung hat. Die Leute, die jedem Gebiet gleich seine Grenzen stecken Wollen, alles mit dem Material ihres historischen Wissens kritisiren, klagen natürlich darüber, das; diese englischen Radirungen „zu sehr ins Gebiet der Malerei übergreifen." In der That läßt sich bei manchen Blättern kaum entscheiden, welchen Anteil an der malerischen Wirkung die Nadel des Radirers und welchen das Raffinement des Druckes hat. Jeder Abdruck ist so sehr eine malerische Kunstleistung an sich, daß die Nadel eigentlich nnr noch das Skelett der Wirkung festzustellen hat. Aber die Hauptsache ist eben doch, daß die Wirkung erreicht wird. Ob dazu mehr das Ätzwasser oder der Wischer ver¬ wendet wurde, ist im Grunde gleichgiltig. Man freut sich über die breiten Schattenmassen und die glänzenden Lichter, über die frisch-duftige Wirkung des Ganzen, wie sie der Kupferstich mit seinen sorgfältig gemncn Schraffirungen nie auch uur annähernd erreicht. Die Nadirung ist ein Kunstwerk, während unser früherer Kupferstich ein Erzeugnis des Gewerbefleißes war. Daß der Preis aller dieser Blätter hoch ist und nach der Herstellung einer beschränkten Anzahl von Abzügen gewöhnlich die Platte zerstört wird, kann nur den Wünschen des vornehmen Sammlers entsprechen. Denn die Kunst verlangt eine gewisse Exklusivität und darf nicht als Massenartikel auftreten, den jeder haben kaun. Neben der Nadirung ist das Aquarell die eigentliche Leib- und Magenkunst der Engländer geworden. Diese Technik, in der unser Dürer, die Holländer des siebzehnten und die Franzosen des achtzehnten Jahrhunderts so Interessantes schufen, wieder zum Leben erweckt zu haben, rühmen sie selbst als ihr haupt¬ sächlichstes kunstgeschichtliches Verdienst. Nun sind sie darin zwar gegenwärtig von den Italienern und Spaniern, die durch sie die Anregung erhielten, ent¬ schieden überflügelt, auch wird das Aquarell, da es technisch auf zu schwachen Füßen steht, überhaupt nie von größerer Bedeutung im Kunstbetrieb andrer Völker werden können. In England aber wurde es wichtig wegen des un¬ verkennbaren Einflusses, den es auf die Ölmalerei ausübte. Das Studium unmittelbar vor der Natur und im Freien gab dem Aquarell von Anfang an seine Eigenschaften dem Olbilde gegenüber. Die Aquarelltechnik gab der englischen Palette gewissermaßen den Ton, wirkte auf die Öltechnik zurück und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/522>, abgerufen am 29.06.2024.