Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
!>in Runst in England

der Gründung des South ^'ensingtv>l Museums begonnen, aus dem Gebiete des
Geschmacks eine, wenn nicht herrschende, doch beachtenswerte Rolle zu spielen.
Durch die Kunstschule des Kensington Museums wurde nicht nur die vernach¬
lässigte Geschmacksbildung der Londoner Gewerbetreibenden auf merkwürdig
schnelle Weise gefordert, sondern da sich diese mit dem Museum in Verbindung
stehenden Kunstschulen allmählich von Stadt zu Stadt verbreiteten, gelang es
auch, deu englischen Geschmack vor ziellosein Umherirren zu bewahren und in
eine Richtung zu lenken. Der Charakter des englischen Kunstgewerbes, wie
es jetzt vorliegt, ist gediegne Sachlichkeit. Was der französischen Kunstindustrie
durch die Beweglichkeit des Geistes, das Raffinement der Erfindung und durch
ihre merkwürdige Grazie zugeführt wird, das ersetzt die englische durch die
Gediegenheit der Arbeit und ihr außerordentliches Verständnis für die prak¬
tischen Bedürfnisse des modernen Lebens, indem sie dem Launischen und Will¬
kürlichen des modernen Geschmacks das struktive und Rationelle in den Dingen
gegenüberstellt. Phantasie ist in keinem Stücke bemerkbar, das wird auch nicht
angestrebt, aber jedes ist bequem und vernünftig, von der größten Sauberkeit
der Arbeit, dem echtesten Material und nicht ohne Schönheitssinn im Kleinen.
Wie jämmerlich erscheint dagegen unsre ganze Periode deutscher Renaissanee-
beglückung mit ihrem sinnlosen Spielen mit mißverstandenen Ornamenten!
Man stößt sich nicht an geschnörkelt vorspringenden Holzleisten über dem
Kopfe, sitzt sich nicht wund auf unbequemen "Lutherstühlen," bekommt uicht
Rückenschmerzen auf harten altdeutschen Divans. Jeder Gebrauchsgegeustand
ist praktisch, baudsorav, griffig, und es ist bewundernswert, wie man alles er-
probt hat, ehe man es in so vielen tausend Exemplaren herstellt. Es ist im
Gegensatz zu dem stilistisch Ornamentalen hier die vollendete Zweckmäßigkeit.
Das englische Kunstgewerbe hat keinen Stil, aber wenn man will, anch wieder
mehr Stil als das eines andern Volkes, weil es unbekümmert um alles andre
nur deu Zweck vor Augen hat. Wenn nicht alle Anzeichen trügen, wird hier
das deutsche Kunstgewerbe in den nächsten Jahrzehnten sich seine Vorbilder
holen, nachdem die letzte Münchner Kunstgewerbeausstellnng wohl den end-
giltigen Beweis geliefert hat, daß wir auf dem bisherigen Wege schaler Nach¬
ahmung alter Formen nicht weiter kommen. Mit dem deutschen Grundsatz
"Billig und schlecht" müßte dann freilich endgiltig gebrochen werden.

Ein zweites Gebiet, auf dem noch viel, sehr viel von den Engländern zu
lernen ist, obwohl wir uns darin überhaupt schon längst in englischen Bahnen
bewegen, ist das der vervielfältigenden Künste. Unser Holzschnitt ist bekanntlich
heute in demselben Grade englisch, wie er vor vierhundert Jahren deutsch war,
hat mit dem alten deutschen Holzschnitt, wie ihn Dürer und Holbein übten, so gut
wie nichts mehr zu schaffen. Jener war eine Reproduktion der Federzeichnung
und arbeitete mit ganz einfachen Mitteln. In diesen Bahnen blieb er bis ins acht¬
zehnte Jahrhundert, verlor aber mit der Entwicklung der bequemen Radirnng


!>in Runst in England

der Gründung des South ^'ensingtv>l Museums begonnen, aus dem Gebiete des
Geschmacks eine, wenn nicht herrschende, doch beachtenswerte Rolle zu spielen.
Durch die Kunstschule des Kensington Museums wurde nicht nur die vernach¬
lässigte Geschmacksbildung der Londoner Gewerbetreibenden auf merkwürdig
schnelle Weise gefordert, sondern da sich diese mit dem Museum in Verbindung
stehenden Kunstschulen allmählich von Stadt zu Stadt verbreiteten, gelang es
auch, deu englischen Geschmack vor ziellosein Umherirren zu bewahren und in
eine Richtung zu lenken. Der Charakter des englischen Kunstgewerbes, wie
es jetzt vorliegt, ist gediegne Sachlichkeit. Was der französischen Kunstindustrie
durch die Beweglichkeit des Geistes, das Raffinement der Erfindung und durch
ihre merkwürdige Grazie zugeführt wird, das ersetzt die englische durch die
Gediegenheit der Arbeit und ihr außerordentliches Verständnis für die prak¬
tischen Bedürfnisse des modernen Lebens, indem sie dem Launischen und Will¬
kürlichen des modernen Geschmacks das struktive und Rationelle in den Dingen
gegenüberstellt. Phantasie ist in keinem Stücke bemerkbar, das wird auch nicht
angestrebt, aber jedes ist bequem und vernünftig, von der größten Sauberkeit
der Arbeit, dem echtesten Material und nicht ohne Schönheitssinn im Kleinen.
Wie jämmerlich erscheint dagegen unsre ganze Periode deutscher Renaissanee-
beglückung mit ihrem sinnlosen Spielen mit mißverstandenen Ornamenten!
Man stößt sich nicht an geschnörkelt vorspringenden Holzleisten über dem
Kopfe, sitzt sich nicht wund auf unbequemen „Lutherstühlen," bekommt uicht
Rückenschmerzen auf harten altdeutschen Divans. Jeder Gebrauchsgegeustand
ist praktisch, baudsorav, griffig, und es ist bewundernswert, wie man alles er-
probt hat, ehe man es in so vielen tausend Exemplaren herstellt. Es ist im
Gegensatz zu dem stilistisch Ornamentalen hier die vollendete Zweckmäßigkeit.
Das englische Kunstgewerbe hat keinen Stil, aber wenn man will, anch wieder
mehr Stil als das eines andern Volkes, weil es unbekümmert um alles andre
nur deu Zweck vor Augen hat. Wenn nicht alle Anzeichen trügen, wird hier
das deutsche Kunstgewerbe in den nächsten Jahrzehnten sich seine Vorbilder
holen, nachdem die letzte Münchner Kunstgewerbeausstellnng wohl den end-
giltigen Beweis geliefert hat, daß wir auf dem bisherigen Wege schaler Nach¬
ahmung alter Formen nicht weiter kommen. Mit dem deutschen Grundsatz
„Billig und schlecht" müßte dann freilich endgiltig gebrochen werden.

Ein zweites Gebiet, auf dem noch viel, sehr viel von den Engländern zu
lernen ist, obwohl wir uns darin überhaupt schon längst in englischen Bahnen
bewegen, ist das der vervielfältigenden Künste. Unser Holzschnitt ist bekanntlich
heute in demselben Grade englisch, wie er vor vierhundert Jahren deutsch war,
hat mit dem alten deutschen Holzschnitt, wie ihn Dürer und Holbein übten, so gut
wie nichts mehr zu schaffen. Jener war eine Reproduktion der Federzeichnung
und arbeitete mit ganz einfachen Mitteln. In diesen Bahnen blieb er bis ins acht¬
zehnte Jahrhundert, verlor aber mit der Entwicklung der bequemen Radirnng


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0519" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/208456"/>
          <fw type="header" place="top"> !&gt;in Runst in England</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1615" prev="#ID_1614"> der Gründung des South ^'ensingtv&gt;l Museums begonnen, aus dem Gebiete des<lb/>
Geschmacks eine, wenn nicht herrschende, doch beachtenswerte Rolle zu spielen.<lb/>
Durch die Kunstschule des Kensington Museums wurde nicht nur die vernach¬<lb/>
lässigte Geschmacksbildung der Londoner Gewerbetreibenden auf merkwürdig<lb/>
schnelle Weise gefordert, sondern da sich diese mit dem Museum in Verbindung<lb/>
stehenden Kunstschulen allmählich von Stadt zu Stadt verbreiteten, gelang es<lb/>
auch, deu englischen Geschmack vor ziellosein Umherirren zu bewahren und in<lb/>
eine Richtung zu lenken. Der Charakter des englischen Kunstgewerbes, wie<lb/>
es jetzt vorliegt, ist gediegne Sachlichkeit. Was der französischen Kunstindustrie<lb/>
durch die Beweglichkeit des Geistes, das Raffinement der Erfindung und durch<lb/>
ihre merkwürdige Grazie zugeführt wird, das ersetzt die englische durch die<lb/>
Gediegenheit der Arbeit und ihr außerordentliches Verständnis für die prak¬<lb/>
tischen Bedürfnisse des modernen Lebens, indem sie dem Launischen und Will¬<lb/>
kürlichen des modernen Geschmacks das struktive und Rationelle in den Dingen<lb/>
gegenüberstellt. Phantasie ist in keinem Stücke bemerkbar, das wird auch nicht<lb/>
angestrebt, aber jedes ist bequem und vernünftig, von der größten Sauberkeit<lb/>
der Arbeit, dem echtesten Material und nicht ohne Schönheitssinn im Kleinen.<lb/>
Wie jämmerlich erscheint dagegen unsre ganze Periode deutscher Renaissanee-<lb/>
beglückung mit ihrem sinnlosen Spielen mit mißverstandenen Ornamenten!<lb/>
Man stößt sich nicht an geschnörkelt vorspringenden Holzleisten über dem<lb/>
Kopfe, sitzt sich nicht wund auf unbequemen &#x201E;Lutherstühlen," bekommt uicht<lb/>
Rückenschmerzen auf harten altdeutschen Divans. Jeder Gebrauchsgegeustand<lb/>
ist praktisch, baudsorav, griffig, und es ist bewundernswert, wie man alles er-<lb/>
probt hat, ehe man es in so vielen tausend Exemplaren herstellt. Es ist im<lb/>
Gegensatz zu dem stilistisch Ornamentalen hier die vollendete Zweckmäßigkeit.<lb/>
Das englische Kunstgewerbe hat keinen Stil, aber wenn man will, anch wieder<lb/>
mehr Stil als das eines andern Volkes, weil es unbekümmert um alles andre<lb/>
nur deu Zweck vor Augen hat. Wenn nicht alle Anzeichen trügen, wird hier<lb/>
das deutsche Kunstgewerbe in den nächsten Jahrzehnten sich seine Vorbilder<lb/>
holen, nachdem die letzte Münchner Kunstgewerbeausstellnng wohl den end-<lb/>
giltigen Beweis geliefert hat, daß wir auf dem bisherigen Wege schaler Nach¬<lb/>
ahmung alter Formen nicht weiter kommen. Mit dem deutschen Grundsatz<lb/>
&#x201E;Billig und schlecht" müßte dann freilich endgiltig gebrochen werden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1616" next="#ID_1617"> Ein zweites Gebiet, auf dem noch viel, sehr viel von den Engländern zu<lb/>
lernen ist, obwohl wir uns darin überhaupt schon längst in englischen Bahnen<lb/>
bewegen, ist das der vervielfältigenden Künste. Unser Holzschnitt ist bekanntlich<lb/>
heute in demselben Grade englisch, wie er vor vierhundert Jahren deutsch war,<lb/>
hat mit dem alten deutschen Holzschnitt, wie ihn Dürer und Holbein übten, so gut<lb/>
wie nichts mehr zu schaffen. Jener war eine Reproduktion der Federzeichnung<lb/>
und arbeitete mit ganz einfachen Mitteln. In diesen Bahnen blieb er bis ins acht¬<lb/>
zehnte Jahrhundert, verlor aber mit der Entwicklung der bequemen Radirnng</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0519] !>in Runst in England der Gründung des South ^'ensingtv>l Museums begonnen, aus dem Gebiete des Geschmacks eine, wenn nicht herrschende, doch beachtenswerte Rolle zu spielen. Durch die Kunstschule des Kensington Museums wurde nicht nur die vernach¬ lässigte Geschmacksbildung der Londoner Gewerbetreibenden auf merkwürdig schnelle Weise gefordert, sondern da sich diese mit dem Museum in Verbindung stehenden Kunstschulen allmählich von Stadt zu Stadt verbreiteten, gelang es auch, deu englischen Geschmack vor ziellosein Umherirren zu bewahren und in eine Richtung zu lenken. Der Charakter des englischen Kunstgewerbes, wie es jetzt vorliegt, ist gediegne Sachlichkeit. Was der französischen Kunstindustrie durch die Beweglichkeit des Geistes, das Raffinement der Erfindung und durch ihre merkwürdige Grazie zugeführt wird, das ersetzt die englische durch die Gediegenheit der Arbeit und ihr außerordentliches Verständnis für die prak¬ tischen Bedürfnisse des modernen Lebens, indem sie dem Launischen und Will¬ kürlichen des modernen Geschmacks das struktive und Rationelle in den Dingen gegenüberstellt. Phantasie ist in keinem Stücke bemerkbar, das wird auch nicht angestrebt, aber jedes ist bequem und vernünftig, von der größten Sauberkeit der Arbeit, dem echtesten Material und nicht ohne Schönheitssinn im Kleinen. Wie jämmerlich erscheint dagegen unsre ganze Periode deutscher Renaissanee- beglückung mit ihrem sinnlosen Spielen mit mißverstandenen Ornamenten! Man stößt sich nicht an geschnörkelt vorspringenden Holzleisten über dem Kopfe, sitzt sich nicht wund auf unbequemen „Lutherstühlen," bekommt uicht Rückenschmerzen auf harten altdeutschen Divans. Jeder Gebrauchsgegeustand ist praktisch, baudsorav, griffig, und es ist bewundernswert, wie man alles er- probt hat, ehe man es in so vielen tausend Exemplaren herstellt. Es ist im Gegensatz zu dem stilistisch Ornamentalen hier die vollendete Zweckmäßigkeit. Das englische Kunstgewerbe hat keinen Stil, aber wenn man will, anch wieder mehr Stil als das eines andern Volkes, weil es unbekümmert um alles andre nur deu Zweck vor Augen hat. Wenn nicht alle Anzeichen trügen, wird hier das deutsche Kunstgewerbe in den nächsten Jahrzehnten sich seine Vorbilder holen, nachdem die letzte Münchner Kunstgewerbeausstellnng wohl den end- giltigen Beweis geliefert hat, daß wir auf dem bisherigen Wege schaler Nach¬ ahmung alter Formen nicht weiter kommen. Mit dem deutschen Grundsatz „Billig und schlecht" müßte dann freilich endgiltig gebrochen werden. Ein zweites Gebiet, auf dem noch viel, sehr viel von den Engländern zu lernen ist, obwohl wir uns darin überhaupt schon längst in englischen Bahnen bewegen, ist das der vervielfältigenden Künste. Unser Holzschnitt ist bekanntlich heute in demselben Grade englisch, wie er vor vierhundert Jahren deutsch war, hat mit dem alten deutschen Holzschnitt, wie ihn Dürer und Holbein übten, so gut wie nichts mehr zu schaffen. Jener war eine Reproduktion der Federzeichnung und arbeitete mit ganz einfachen Mitteln. In diesen Bahnen blieb er bis ins acht¬ zehnte Jahrhundert, verlor aber mit der Entwicklung der bequemen Radirnng

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/519
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/519>, abgerufen am 29.06.2024.