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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

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Eduard von Bauernfeld

Um so größern Erfolg errangen sich einige Stücke, in denen das Ro¬
mantische nur wie ein angenehmer Duft über der geschichtlichen Fabel ruht.
"Ein deutscher Krieger" behandelt in anheimelnder Weise den Gegensatz zwischen
glatter, praktischer Diplomatie und deutscher, schlichter Soldatentreue und wurde
daher in jener Zeit des wieder erwachenden deutschen Bewußtseins mit Jubel
aufgenommen. ,.Franz von Sickingen" erschien 1850, verschwand aber bald
wieder. Banernfeld gesteht selbst, daß es nur "einer der vielen Versuche sei,
den undramatischen Helden dramatisch zu gestalten," ein Versuch, der ebenso
wenig gelungen ist wie andre. Der erste Aufzug setzt zwar zu einer Hand¬
lung an, aber sie wird im ganzen zweiten und dritten Akte verzettelt und in
lose Genrebilder aufgelöst. straffer und folgerichtiger ist die Handlung in
dem nie aufgeführten Drama, richtiger Trauerspiele "Die Prinzessin von Ahlden,"
das unabhängig von Schiller das bekannte Verhältnis des Grafen Königsmark
zu der unglücklichen Knrprinzessin Sophie von Hannover behandelt. Die
Charakterzeichnung läßt aber auch hier zu wünschen übrig. So bleibt denn
von derartigen Werken vielleicht nur dem romantischen Lustspiele aus der Zeit
Maximilians, "Landfriede," eine längere Zukunft gesichert. In poetischer Ver¬
klärung tritt uns da die Liebe des jungen Kaisersvhnes zu der schönen
Augsburger Patriziertochter Katharina entgegen; durch ihre Entführung wird
das Stück bis hart an die Grenze des Tragischen geführt, aber eine echt
nnttelalterliche Satzung befreit alle ans der Not. Einige behaglich und
humorvoll ausgeführte Gestalten greifen mit wohlthuender Heiterkeit in den
Ernst der Handlung ein.

Zwei ernst gehaltene Stücke spielen auf französischem Boden und sind auch
aus dem Studium der Franzosen hervorgegangen. Der "Selbstquäler" sollte
ein Charaktergemülde in der Art Moliöres sein, ist in Versen geschrieben und
ahmt das Formelle des großen Vorbildes gut und glücklich nach. Es ließe
sich in Bezug auf die Handlung anch Shakespeares "Widerspenstige" zum
Vergleich heranziehen. Aber die Charakterüußerungen des Selbstquälers sind doch
gar zu unwahrscheinlich und meist ebenso unbegreiflich wie die Gegcuspielcrin
Annette -- eine Griseldis am Hofe Ludwigs XIV.! Einer modernen Richtung
und zwar der Schule Scribes gehört an "Aus Versailles," das den Tod
Ludwigs XV. und kleinliche Hvfintrigncn behandelt. Wegen der Gestalt der
Dauphine Marie Antoinette ist es nie ausgeführt worden.

Die eigentliche Kraft des Dichters bewährte sich in der folgenden großen
Lustspielreihe, die wir "Familien- und Konversntionslustspiele" überschreiben
könnten. Dichter wie Kotzebue, Jünger, Steigentesch, Jffland u. a. hatten sich
auf diesem Gebiete mit Glück hervorgethan, Sende und seine unerhörten Erfolge
konnten als lockendes Vorbild dienen, die österreichischen Verhältnisse von Acht¬
undvierzig ließen nichts andres zu: so waren die Vorbedingungen für Bauern¬
feld gegeben, der in der verschiednen Behandlung und satirischen Durchwürzung


Eduard von Bauernfeld

Um so größern Erfolg errangen sich einige Stücke, in denen das Ro¬
mantische nur wie ein angenehmer Duft über der geschichtlichen Fabel ruht.
„Ein deutscher Krieger" behandelt in anheimelnder Weise den Gegensatz zwischen
glatter, praktischer Diplomatie und deutscher, schlichter Soldatentreue und wurde
daher in jener Zeit des wieder erwachenden deutschen Bewußtseins mit Jubel
aufgenommen. ,.Franz von Sickingen" erschien 1850, verschwand aber bald
wieder. Banernfeld gesteht selbst, daß es nur „einer der vielen Versuche sei,
den undramatischen Helden dramatisch zu gestalten," ein Versuch, der ebenso
wenig gelungen ist wie andre. Der erste Aufzug setzt zwar zu einer Hand¬
lung an, aber sie wird im ganzen zweiten und dritten Akte verzettelt und in
lose Genrebilder aufgelöst. straffer und folgerichtiger ist die Handlung in
dem nie aufgeführten Drama, richtiger Trauerspiele „Die Prinzessin von Ahlden,"
das unabhängig von Schiller das bekannte Verhältnis des Grafen Königsmark
zu der unglücklichen Knrprinzessin Sophie von Hannover behandelt. Die
Charakterzeichnung läßt aber auch hier zu wünschen übrig. So bleibt denn
von derartigen Werken vielleicht nur dem romantischen Lustspiele aus der Zeit
Maximilians, „Landfriede," eine längere Zukunft gesichert. In poetischer Ver¬
klärung tritt uns da die Liebe des jungen Kaisersvhnes zu der schönen
Augsburger Patriziertochter Katharina entgegen; durch ihre Entführung wird
das Stück bis hart an die Grenze des Tragischen geführt, aber eine echt
nnttelalterliche Satzung befreit alle ans der Not. Einige behaglich und
humorvoll ausgeführte Gestalten greifen mit wohlthuender Heiterkeit in den
Ernst der Handlung ein.

Zwei ernst gehaltene Stücke spielen auf französischem Boden und sind auch
aus dem Studium der Franzosen hervorgegangen. Der „Selbstquäler" sollte
ein Charaktergemülde in der Art Moliöres sein, ist in Versen geschrieben und
ahmt das Formelle des großen Vorbildes gut und glücklich nach. Es ließe
sich in Bezug auf die Handlung anch Shakespeares „Widerspenstige" zum
Vergleich heranziehen. Aber die Charakterüußerungen des Selbstquälers sind doch
gar zu unwahrscheinlich und meist ebenso unbegreiflich wie die Gegcuspielcrin
Annette — eine Griseldis am Hofe Ludwigs XIV.! Einer modernen Richtung
und zwar der Schule Scribes gehört an „Aus Versailles," das den Tod
Ludwigs XV. und kleinliche Hvfintrigncn behandelt. Wegen der Gestalt der
Dauphine Marie Antoinette ist es nie ausgeführt worden.

Die eigentliche Kraft des Dichters bewährte sich in der folgenden großen
Lustspielreihe, die wir „Familien- und Konversntionslustspiele" überschreiben
könnten. Dichter wie Kotzebue, Jünger, Steigentesch, Jffland u. a. hatten sich
auf diesem Gebiete mit Glück hervorgethan, Sende und seine unerhörten Erfolge
konnten als lockendes Vorbild dienen, die österreichischen Verhältnisse von Acht¬
undvierzig ließen nichts andres zu: so waren die Vorbedingungen für Bauern¬
feld gegeben, der in der verschiednen Behandlung und satirischen Durchwürzung


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[0467] Eduard von Bauernfeld Um so größern Erfolg errangen sich einige Stücke, in denen das Ro¬ mantische nur wie ein angenehmer Duft über der geschichtlichen Fabel ruht. „Ein deutscher Krieger" behandelt in anheimelnder Weise den Gegensatz zwischen glatter, praktischer Diplomatie und deutscher, schlichter Soldatentreue und wurde daher in jener Zeit des wieder erwachenden deutschen Bewußtseins mit Jubel aufgenommen. ,.Franz von Sickingen" erschien 1850, verschwand aber bald wieder. Banernfeld gesteht selbst, daß es nur „einer der vielen Versuche sei, den undramatischen Helden dramatisch zu gestalten," ein Versuch, der ebenso wenig gelungen ist wie andre. Der erste Aufzug setzt zwar zu einer Hand¬ lung an, aber sie wird im ganzen zweiten und dritten Akte verzettelt und in lose Genrebilder aufgelöst. straffer und folgerichtiger ist die Handlung in dem nie aufgeführten Drama, richtiger Trauerspiele „Die Prinzessin von Ahlden," das unabhängig von Schiller das bekannte Verhältnis des Grafen Königsmark zu der unglücklichen Knrprinzessin Sophie von Hannover behandelt. Die Charakterzeichnung läßt aber auch hier zu wünschen übrig. So bleibt denn von derartigen Werken vielleicht nur dem romantischen Lustspiele aus der Zeit Maximilians, „Landfriede," eine längere Zukunft gesichert. In poetischer Ver¬ klärung tritt uns da die Liebe des jungen Kaisersvhnes zu der schönen Augsburger Patriziertochter Katharina entgegen; durch ihre Entführung wird das Stück bis hart an die Grenze des Tragischen geführt, aber eine echt nnttelalterliche Satzung befreit alle ans der Not. Einige behaglich und humorvoll ausgeführte Gestalten greifen mit wohlthuender Heiterkeit in den Ernst der Handlung ein. Zwei ernst gehaltene Stücke spielen auf französischem Boden und sind auch aus dem Studium der Franzosen hervorgegangen. Der „Selbstquäler" sollte ein Charaktergemülde in der Art Moliöres sein, ist in Versen geschrieben und ahmt das Formelle des großen Vorbildes gut und glücklich nach. Es ließe sich in Bezug auf die Handlung anch Shakespeares „Widerspenstige" zum Vergleich heranziehen. Aber die Charakterüußerungen des Selbstquälers sind doch gar zu unwahrscheinlich und meist ebenso unbegreiflich wie die Gegcuspielcrin Annette — eine Griseldis am Hofe Ludwigs XIV.! Einer modernen Richtung und zwar der Schule Scribes gehört an „Aus Versailles," das den Tod Ludwigs XV. und kleinliche Hvfintrigncn behandelt. Wegen der Gestalt der Dauphine Marie Antoinette ist es nie ausgeführt worden. Die eigentliche Kraft des Dichters bewährte sich in der folgenden großen Lustspielreihe, die wir „Familien- und Konversntionslustspiele" überschreiben könnten. Dichter wie Kotzebue, Jünger, Steigentesch, Jffland u. a. hatten sich auf diesem Gebiete mit Glück hervorgethan, Sende und seine unerhörten Erfolge konnten als lockendes Vorbild dienen, die österreichischen Verhältnisse von Acht¬ undvierzig ließen nichts andres zu: so waren die Vorbedingungen für Bauern¬ feld gegeben, der in der verschiednen Behandlung und satirischen Durchwürzung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/467>, abgerufen am 29.06.2024.