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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

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sind von ihm aus Quellen geschöpft worden, die er bald bei Shakespeare oder Hol¬
berg, bald in Tiecks oder Bülows Novellensammlungen fand. Wir brauchen
uns bei ihm mit der Quellenforschung nicht den Kopf zu zerbrechen, denn mit
liebenswürdiger Offenheit hat er in der zwölfbündigen Ausgabe seiner ge¬
sammelten Schriften stets die ersten Ursprünge verraten und sich auch ge¬
legentlich wie ein Kind gefreut, wenn er der weisen Kritik ein noch unent-
decktes Geheimnis verraten konnte. Übrigens schaltete er souverän mit dem
Stoffe, nicht bloß die Fabel änderte sich in Umfang, Zweck und Wesen, sondern
auch alle Charaktere und die durch sie bedingten Motivirungen gehören ihn:
an; ein vielleicht auf der Weltwanderung zersogeuer und wie schwebende Sommer-
fäden zerbleichter Stoff haftet wieder an fester Scholle und nimmt wieder Farbe
und Erdgeruch an, den Geruch des heimischen Wiener Bodens.

Aber vielleicht ist Bauernfeld bei alledem nicht besser als der Praß der
heutigen Schwank- und Lnstspielmacher, denen ja Witz und gute Einfälle keines¬
wegs abzusprechen sind? Wer als Leser so denken kann, weil in der That
auch seine Lustspiele fast immer dieselben Familien- und Gevatterkreise bringen,
der hat wohl noch nie von der Bühne herab den Zauber empfunden, den
Bauernfeld durch zwei gewaltige Vorzüge, durch Charakterzeichnung und Dialog,
auf die Zuhörer ausübt. Es ist wahr, mit wenigen Ausnahmen spielen seine
Stücke in einer Gesellschaft von zehn bis zwölf Leuten, von denen die einen
jung und zum Heiraten bestimmt sind, die andern als Förderer oder Hemmer
dieses löblichen Zweckes dienen. Da giebt es keine Wunderschränke, keine
Gießkannen, keine Stolperszenen noch die sonstigen Talismane der beliebten
Schwankdichtung von heute. Aber wie viel reicher ist dafür das innere Leben,
in dem sich die Wechselwirkung der fein abgetöntem Charaktere offenbart!
In jedem Stücke z. B. ist ein Papa oder Vormund. Er ist fast immer
bürgerlich, Beamter oder Geschäftsmann, Rentenverzehrer, wohlhabend, äußer¬
lich gleich. Das kann man zugeben. Aber wie anders ist Müller im "Liebes¬
protokoll," wie anders Espe im "Letzten Abenteuer," der humoristische
Kommerzienrat in den "Bekenntnissen," Lampe, Lämmchen, Blase u. s. w.!
Wie viele köstliche Schätzungen giebt er nicht jenem Charakter, der mit
besondrer Vorliebe in den Stücken der spätern Jahre auftritt, weil er
Vauerufelds eignes Abbild hätte sein können, dem des angesäuerten, aber
geistreichen, trotz aller Blasirtheit für warmes Gefühl noch zugänglichen Jung¬
gesellen auf Freiersfnßen! Und diese Leutchen sprechen in klarer, natürlicher,
mit ihren: Charakter wunderbar übereinstimmender, durch feines Scherzspiel
gewürzter Sprache, der es doch auch niemals, wenn es notthut, an ernstem und
überzeugenden Schwunge gebricht. Man sehe dagegen die Schablone, nach
der die Moser, Rosen, Schönthan n. s. w. ihre Väter, Liebhaber, Bedienten
nusschneiden, und man höre das tolle Haschen nach alberner Purzelkomik,
dessen sich Herren und Damen da um die Wette befleißigen! Daß der Vorwurf


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sind von ihm aus Quellen geschöpft worden, die er bald bei Shakespeare oder Hol¬
berg, bald in Tiecks oder Bülows Novellensammlungen fand. Wir brauchen
uns bei ihm mit der Quellenforschung nicht den Kopf zu zerbrechen, denn mit
liebenswürdiger Offenheit hat er in der zwölfbündigen Ausgabe seiner ge¬
sammelten Schriften stets die ersten Ursprünge verraten und sich auch ge¬
legentlich wie ein Kind gefreut, wenn er der weisen Kritik ein noch unent-
decktes Geheimnis verraten konnte. Übrigens schaltete er souverän mit dem
Stoffe, nicht bloß die Fabel änderte sich in Umfang, Zweck und Wesen, sondern
auch alle Charaktere und die durch sie bedingten Motivirungen gehören ihn:
an; ein vielleicht auf der Weltwanderung zersogeuer und wie schwebende Sommer-
fäden zerbleichter Stoff haftet wieder an fester Scholle und nimmt wieder Farbe
und Erdgeruch an, den Geruch des heimischen Wiener Bodens.

Aber vielleicht ist Bauernfeld bei alledem nicht besser als der Praß der
heutigen Schwank- und Lnstspielmacher, denen ja Witz und gute Einfälle keines¬
wegs abzusprechen sind? Wer als Leser so denken kann, weil in der That
auch seine Lustspiele fast immer dieselben Familien- und Gevatterkreise bringen,
der hat wohl noch nie von der Bühne herab den Zauber empfunden, den
Bauernfeld durch zwei gewaltige Vorzüge, durch Charakterzeichnung und Dialog,
auf die Zuhörer ausübt. Es ist wahr, mit wenigen Ausnahmen spielen seine
Stücke in einer Gesellschaft von zehn bis zwölf Leuten, von denen die einen
jung und zum Heiraten bestimmt sind, die andern als Förderer oder Hemmer
dieses löblichen Zweckes dienen. Da giebt es keine Wunderschränke, keine
Gießkannen, keine Stolperszenen noch die sonstigen Talismane der beliebten
Schwankdichtung von heute. Aber wie viel reicher ist dafür das innere Leben,
in dem sich die Wechselwirkung der fein abgetöntem Charaktere offenbart!
In jedem Stücke z. B. ist ein Papa oder Vormund. Er ist fast immer
bürgerlich, Beamter oder Geschäftsmann, Rentenverzehrer, wohlhabend, äußer¬
lich gleich. Das kann man zugeben. Aber wie anders ist Müller im „Liebes¬
protokoll," wie anders Espe im „Letzten Abenteuer," der humoristische
Kommerzienrat in den „Bekenntnissen," Lampe, Lämmchen, Blase u. s. w.!
Wie viele köstliche Schätzungen giebt er nicht jenem Charakter, der mit
besondrer Vorliebe in den Stücken der spätern Jahre auftritt, weil er
Vauerufelds eignes Abbild hätte sein können, dem des angesäuerten, aber
geistreichen, trotz aller Blasirtheit für warmes Gefühl noch zugänglichen Jung¬
gesellen auf Freiersfnßen! Und diese Leutchen sprechen in klarer, natürlicher,
mit ihren: Charakter wunderbar übereinstimmender, durch feines Scherzspiel
gewürzter Sprache, der es doch auch niemals, wenn es notthut, an ernstem und
überzeugenden Schwunge gebricht. Man sehe dagegen die Schablone, nach
der die Moser, Rosen, Schönthan n. s. w. ihre Väter, Liebhaber, Bedienten
nusschneiden, und man höre das tolle Haschen nach alberner Purzelkomik,
dessen sich Herren und Damen da um die Wette befleißigen! Daß der Vorwurf


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/465>, abgerufen am 29.06.2024.