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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

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Römische Lriihlingsbilder

Rom gehen soll, und wer nicht, und es würde bittere Ungerechtigkeit sein, allen
die Pforten zu verschließen, denen nicht Jahre oder mindestens mehrere Monate
für ihre Reisen zu Gebote stehen. Ganz gewiß werden immer die die reichsten
Früchte pflücken, die Zeit haben, sie am Baume reifen zu sehen. Doch kommt
es schließlich auf ganz andre Dinge als ein paar Wochen mehr oder weniger
Aufenthalt an. Was aber nicht entbehrt werden kann und die erste und letzte
Voraussetzung jedes wahren Genusses und Gewinnes bleibt, ist die ehrliche,
selbstvergessene Hingebung an die Erscheinungen, die starke Ehrfurcht vor dem
Ringen und Walde" menschlicher Größe und Tüchtigkeit, die innere Freiheit,
die ihre Maßstäbe ans den umgebenden Dingen selbst nimmt und die leidigen
oder lieben Gewöhnungen des heimischen Daseins einmal ans sich beruhen läßt.
Prüft man auf diese Forderungen hin das Gebaren der meisten deutschen
Besucher Roms, so kann man sich des Gedankens nicht erwehren, daß die
Expreßzüge und Nuudreisefahrkarte" zu deu zweideutigsten Geschenken der Götter
gehören. Wohl kommen sie auch Einzelnen zu gute, die in vergangnen Tagen
ihre berechtigte und tiefe Sehnsucht nach Italien unerfüllt durchs Leben hätten
tragen müssen. Aber im allgemeinen hat die Leichtigkeit, die gepriesensten
Punkte Mittel- und Süditaliens zu erreichen, verhängnisvolle Wirkungen ge¬
habt und jene Büdekerreisenden deutscher Nation, die ohne allen Sinn für
Leben, Geschichte, Geist und Größe Italiens, ohne Ahnung von dem eigensten
Reichtum der italienischen Städte und namentlich Roms, ohne Hingebung,
Ehrfurcht und innere Freiheit nur kommen, um es daheim rühmen zu können,
daß sie dagewesen seien, in bedenklicher Steigerung vermehrt. Wo der rote
Bädeker auf Eisenbahnen, in Kirchen und Palästen, in Galerien und Gast¬
häusern leuchtet, da kann man gewiß sein, daß die Gruppen und Horden der
deutschen Reisenden vorhanden sind, die mit ihrer bloßen Anwesenheit in Rom
die Gebrechlichkeit und Ungerechtigkeit des Weltlaufs illustriren.

Zwar ist es im Grunde auch ein Stück Ungerechtigkeit, wenn wir diese
Pietätlosen, stimmungslosen und verständnislosen Landsleute "Bädekerreisende"
nennen. Das bekannte Reisehandbuch (mit dem in Italien nur Gsell-Fels
braune Bände um den Vorrang ringen) erfüllt in der ewigen Stadt wie überall
seinen Zweck redlich und vollkommen, an ihm liegt es nicht, wenn ungezählte
Gaffer und Schwätzer sich in die Reihen der deutschen Romreisendeu drängen.
Die Nachweise und Winke auch Bädekers sind nicht bloß zuverlässig und für
tausend Fülle mehr als genügend, sie betonen überall, daß Zeit, innerliche
Sammluug und Selbstverleugnung dazu gehören, um Rom oder nur ein Stück
von Rom mit Genuß und Gewinn zu sehen. Doch die Besitzer und Leser des
Bädeker, die wir hier im Auge haben, fragen nach den Ratschlägen und Winken
ihres vermeinten Orakels mir so weit, als es ihren Gewohnheiten und unrühm¬
lichen Instinkten entspricht. Selbst Bädeker räumt ein, daß, um auch nur die
oberflächlichste, allgemeinste Vorstellung von Rom zu bekommen, ein Aufenthalt


Römische Lriihlingsbilder

Rom gehen soll, und wer nicht, und es würde bittere Ungerechtigkeit sein, allen
die Pforten zu verschließen, denen nicht Jahre oder mindestens mehrere Monate
für ihre Reisen zu Gebote stehen. Ganz gewiß werden immer die die reichsten
Früchte pflücken, die Zeit haben, sie am Baume reifen zu sehen. Doch kommt
es schließlich auf ganz andre Dinge als ein paar Wochen mehr oder weniger
Aufenthalt an. Was aber nicht entbehrt werden kann und die erste und letzte
Voraussetzung jedes wahren Genusses und Gewinnes bleibt, ist die ehrliche,
selbstvergessene Hingebung an die Erscheinungen, die starke Ehrfurcht vor dem
Ringen und Walde» menschlicher Größe und Tüchtigkeit, die innere Freiheit,
die ihre Maßstäbe ans den umgebenden Dingen selbst nimmt und die leidigen
oder lieben Gewöhnungen des heimischen Daseins einmal ans sich beruhen läßt.
Prüft man auf diese Forderungen hin das Gebaren der meisten deutschen
Besucher Roms, so kann man sich des Gedankens nicht erwehren, daß die
Expreßzüge und Nuudreisefahrkarte» zu deu zweideutigsten Geschenken der Götter
gehören. Wohl kommen sie auch Einzelnen zu gute, die in vergangnen Tagen
ihre berechtigte und tiefe Sehnsucht nach Italien unerfüllt durchs Leben hätten
tragen müssen. Aber im allgemeinen hat die Leichtigkeit, die gepriesensten
Punkte Mittel- und Süditaliens zu erreichen, verhängnisvolle Wirkungen ge¬
habt und jene Büdekerreisenden deutscher Nation, die ohne allen Sinn für
Leben, Geschichte, Geist und Größe Italiens, ohne Ahnung von dem eigensten
Reichtum der italienischen Städte und namentlich Roms, ohne Hingebung,
Ehrfurcht und innere Freiheit nur kommen, um es daheim rühmen zu können,
daß sie dagewesen seien, in bedenklicher Steigerung vermehrt. Wo der rote
Bädeker auf Eisenbahnen, in Kirchen und Palästen, in Galerien und Gast¬
häusern leuchtet, da kann man gewiß sein, daß die Gruppen und Horden der
deutschen Reisenden vorhanden sind, die mit ihrer bloßen Anwesenheit in Rom
die Gebrechlichkeit und Ungerechtigkeit des Weltlaufs illustriren.

Zwar ist es im Grunde auch ein Stück Ungerechtigkeit, wenn wir diese
Pietätlosen, stimmungslosen und verständnislosen Landsleute „Bädekerreisende"
nennen. Das bekannte Reisehandbuch (mit dem in Italien nur Gsell-Fels
braune Bände um den Vorrang ringen) erfüllt in der ewigen Stadt wie überall
seinen Zweck redlich und vollkommen, an ihm liegt es nicht, wenn ungezählte
Gaffer und Schwätzer sich in die Reihen der deutschen Romreisendeu drängen.
Die Nachweise und Winke auch Bädekers sind nicht bloß zuverlässig und für
tausend Fülle mehr als genügend, sie betonen überall, daß Zeit, innerliche
Sammluug und Selbstverleugnung dazu gehören, um Rom oder nur ein Stück
von Rom mit Genuß und Gewinn zu sehen. Doch die Besitzer und Leser des
Bädeker, die wir hier im Auge haben, fragen nach den Ratschlägen und Winken
ihres vermeinten Orakels mir so weit, als es ihren Gewohnheiten und unrühm¬
lichen Instinkten entspricht. Selbst Bädeker räumt ein, daß, um auch nur die
oberflächlichste, allgemeinste Vorstellung von Rom zu bekommen, ein Aufenthalt


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[0427] Römische Lriihlingsbilder Rom gehen soll, und wer nicht, und es würde bittere Ungerechtigkeit sein, allen die Pforten zu verschließen, denen nicht Jahre oder mindestens mehrere Monate für ihre Reisen zu Gebote stehen. Ganz gewiß werden immer die die reichsten Früchte pflücken, die Zeit haben, sie am Baume reifen zu sehen. Doch kommt es schließlich auf ganz andre Dinge als ein paar Wochen mehr oder weniger Aufenthalt an. Was aber nicht entbehrt werden kann und die erste und letzte Voraussetzung jedes wahren Genusses und Gewinnes bleibt, ist die ehrliche, selbstvergessene Hingebung an die Erscheinungen, die starke Ehrfurcht vor dem Ringen und Walde» menschlicher Größe und Tüchtigkeit, die innere Freiheit, die ihre Maßstäbe ans den umgebenden Dingen selbst nimmt und die leidigen oder lieben Gewöhnungen des heimischen Daseins einmal ans sich beruhen läßt. Prüft man auf diese Forderungen hin das Gebaren der meisten deutschen Besucher Roms, so kann man sich des Gedankens nicht erwehren, daß die Expreßzüge und Nuudreisefahrkarte» zu deu zweideutigsten Geschenken der Götter gehören. Wohl kommen sie auch Einzelnen zu gute, die in vergangnen Tagen ihre berechtigte und tiefe Sehnsucht nach Italien unerfüllt durchs Leben hätten tragen müssen. Aber im allgemeinen hat die Leichtigkeit, die gepriesensten Punkte Mittel- und Süditaliens zu erreichen, verhängnisvolle Wirkungen ge¬ habt und jene Büdekerreisenden deutscher Nation, die ohne allen Sinn für Leben, Geschichte, Geist und Größe Italiens, ohne Ahnung von dem eigensten Reichtum der italienischen Städte und namentlich Roms, ohne Hingebung, Ehrfurcht und innere Freiheit nur kommen, um es daheim rühmen zu können, daß sie dagewesen seien, in bedenklicher Steigerung vermehrt. Wo der rote Bädeker auf Eisenbahnen, in Kirchen und Palästen, in Galerien und Gast¬ häusern leuchtet, da kann man gewiß sein, daß die Gruppen und Horden der deutschen Reisenden vorhanden sind, die mit ihrer bloßen Anwesenheit in Rom die Gebrechlichkeit und Ungerechtigkeit des Weltlaufs illustriren. Zwar ist es im Grunde auch ein Stück Ungerechtigkeit, wenn wir diese Pietätlosen, stimmungslosen und verständnislosen Landsleute „Bädekerreisende" nennen. Das bekannte Reisehandbuch (mit dem in Italien nur Gsell-Fels braune Bände um den Vorrang ringen) erfüllt in der ewigen Stadt wie überall seinen Zweck redlich und vollkommen, an ihm liegt es nicht, wenn ungezählte Gaffer und Schwätzer sich in die Reihen der deutschen Romreisendeu drängen. Die Nachweise und Winke auch Bädekers sind nicht bloß zuverlässig und für tausend Fülle mehr als genügend, sie betonen überall, daß Zeit, innerliche Sammluug und Selbstverleugnung dazu gehören, um Rom oder nur ein Stück von Rom mit Genuß und Gewinn zu sehen. Doch die Besitzer und Leser des Bädeker, die wir hier im Auge haben, fragen nach den Ratschlägen und Winken ihres vermeinten Orakels mir so weit, als es ihren Gewohnheiten und unrühm¬ lichen Instinkten entspricht. Selbst Bädeker räumt ein, daß, um auch nur die oberflächlichste, allgemeinste Vorstellung von Rom zu bekommen, ein Aufenthalt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/427>, abgerufen am 28.09.2024.