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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

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Römische Friihlingsbilder

von mehreren Woche" notwendig sei -- die Bädekerreisenden kümmern sich den
Teufel um diese und ähnliche Ratschläge. Sie komme" fünf und sechs, ja
zwei und drei Tage nach Rom, sie jage" im Galopp und bei glühender
Mittagshitze ein Viertelhundert Kirche" "ud el" Dutzend Paläste ab, rennen
am Beste" vorbei, zucken zu dein, was ihnen zufällig doch in die Augen fällt,
die Achseln, lassen sich vom Schein und Plunder blenden, freuen sich über
alles, was ungefähr aussieht wie in Berlin oder Buxtehude, und rühmen am
Abend den Fortschritt, der Rom neben den altnativnalen Weinstuben mit ein
paar Kneipen versorgt hat, in denen man nach dem Pranzv bairisches Bier
trinken kann. Sie machen in den Hotels und Peusivushäusern die Tafel mit
ihren schnellfertigen Urteilen, ihren lautschnllenden Gesprächen über Krieg und
Kriegsgeschrei, über die unglaublichsten Nichtigkeiten und Armseligkeiten von
daheim für die Tischgenossen zu einer Qual, sie verbringen ihre paar römischen
Tage zwischen unbehaglicher Rastlosigkeit und philiströser Gleichgültigkeit, ver¬
sichern sich gegenseitig, daß im Grunde alles an und in Rom überschätzt werde,
und daß es nicht der Mühe lohne, den weiten Weg zurückgelegt zu haben.
Sie nehmen gelegentlich einen Anlauf, ihre Verstimmung und Enttäuschung zu
verleugnen, und prahlen zur Abwechslung einmal mit ihren Anstrengungen
und Erlebnissen, verziehen aber jederzeit höhnisch den Mund, wenn sie auf ein
Menschenkind stoßen, das von reiner und ehrfürchtiger Freude an der Größe
und Fülle seiner Eindrücke erfüllt ist. Es ist vielleicht Zufall, daß diese un¬
selige Menschengattung aus Deutschland stärkern Zuzug als aus andern Ländern
erhält. Es mag ein Rest von falschem deutschem Idealismus oder eine Nach¬
wirkung unsrer klassischen Bildung aus dritter und vierter Hand sein, daß sich
in Deutschland so viele Hunderte und Tausende zu einer Fahrt entschließen,
die ihnen weder inneres Bedürfnis ist, noch Befriedigung gewährt, daß
Menschen, die ihre Halb- oder Viertelsbilduug gerade für alles, was in Rom
zu haben und zu holen ist, völlig unempfänglich macht, dennoch dahin gehen,
und so lange oder kurze Zeit sie da sind, aus einer grollenden Mißempfindung
nicht Herauskommen. Oder es muß gerade im deutschen Vaterlande eine un¬
gewöhnlich große Zahl von jenen ganz unselbständigen Naturen geben, die
genau thun und lassen, was der Nachbar thut und läßt, die nichts wollen,
als Leute in ihren heimischen Umgebungen übertrumpfen oder mit Neid er¬
füllen. Womit sie sich daheim brüsten, ist am Ende gleichgiltig, in Rom selbst
sind sie ärgerlich und hinderlich. Sie machen sich viel zu bemerkbar und reden
viel zu laut, als daß es möglich wäre, sie nicht zu sehen und zu hören. Sie
suchen jedem Landsmann, so lange es angeht, mit ihrem Übeln Humor lind
ihren schnöden Redensarten die glückliche und gehobene Stimmung römischer
Tage zu versalzen; sie werden empfindlich, wenn sie auf einen geschlossenen
Kreis treffen, der sich in der ewigen Stadt nicht von Berliner Steuern und
dem Hamburgischen Freihafen unterhalten will, sie betrachten eine zufällige


Römische Friihlingsbilder

von mehreren Woche» notwendig sei — die Bädekerreisenden kümmern sich den
Teufel um diese und ähnliche Ratschläge. Sie komme» fünf und sechs, ja
zwei und drei Tage nach Rom, sie jage» im Galopp und bei glühender
Mittagshitze ein Viertelhundert Kirche» »ud el» Dutzend Paläste ab, rennen
am Beste» vorbei, zucken zu dein, was ihnen zufällig doch in die Augen fällt,
die Achseln, lassen sich vom Schein und Plunder blenden, freuen sich über
alles, was ungefähr aussieht wie in Berlin oder Buxtehude, und rühmen am
Abend den Fortschritt, der Rom neben den altnativnalen Weinstuben mit ein
paar Kneipen versorgt hat, in denen man nach dem Pranzv bairisches Bier
trinken kann. Sie machen in den Hotels und Peusivushäusern die Tafel mit
ihren schnellfertigen Urteilen, ihren lautschnllenden Gesprächen über Krieg und
Kriegsgeschrei, über die unglaublichsten Nichtigkeiten und Armseligkeiten von
daheim für die Tischgenossen zu einer Qual, sie verbringen ihre paar römischen
Tage zwischen unbehaglicher Rastlosigkeit und philiströser Gleichgültigkeit, ver¬
sichern sich gegenseitig, daß im Grunde alles an und in Rom überschätzt werde,
und daß es nicht der Mühe lohne, den weiten Weg zurückgelegt zu haben.
Sie nehmen gelegentlich einen Anlauf, ihre Verstimmung und Enttäuschung zu
verleugnen, und prahlen zur Abwechslung einmal mit ihren Anstrengungen
und Erlebnissen, verziehen aber jederzeit höhnisch den Mund, wenn sie auf ein
Menschenkind stoßen, das von reiner und ehrfürchtiger Freude an der Größe
und Fülle seiner Eindrücke erfüllt ist. Es ist vielleicht Zufall, daß diese un¬
selige Menschengattung aus Deutschland stärkern Zuzug als aus andern Ländern
erhält. Es mag ein Rest von falschem deutschem Idealismus oder eine Nach¬
wirkung unsrer klassischen Bildung aus dritter und vierter Hand sein, daß sich
in Deutschland so viele Hunderte und Tausende zu einer Fahrt entschließen,
die ihnen weder inneres Bedürfnis ist, noch Befriedigung gewährt, daß
Menschen, die ihre Halb- oder Viertelsbilduug gerade für alles, was in Rom
zu haben und zu holen ist, völlig unempfänglich macht, dennoch dahin gehen,
und so lange oder kurze Zeit sie da sind, aus einer grollenden Mißempfindung
nicht Herauskommen. Oder es muß gerade im deutschen Vaterlande eine un¬
gewöhnlich große Zahl von jenen ganz unselbständigen Naturen geben, die
genau thun und lassen, was der Nachbar thut und läßt, die nichts wollen,
als Leute in ihren heimischen Umgebungen übertrumpfen oder mit Neid er¬
füllen. Womit sie sich daheim brüsten, ist am Ende gleichgiltig, in Rom selbst
sind sie ärgerlich und hinderlich. Sie machen sich viel zu bemerkbar und reden
viel zu laut, als daß es möglich wäre, sie nicht zu sehen und zu hören. Sie
suchen jedem Landsmann, so lange es angeht, mit ihrem Übeln Humor lind
ihren schnöden Redensarten die glückliche und gehobene Stimmung römischer
Tage zu versalzen; sie werden empfindlich, wenn sie auf einen geschlossenen
Kreis treffen, der sich in der ewigen Stadt nicht von Berliner Steuern und
dem Hamburgischen Freihafen unterhalten will, sie betrachten eine zufällige


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[0428] Römische Friihlingsbilder von mehreren Woche» notwendig sei — die Bädekerreisenden kümmern sich den Teufel um diese und ähnliche Ratschläge. Sie komme» fünf und sechs, ja zwei und drei Tage nach Rom, sie jage» im Galopp und bei glühender Mittagshitze ein Viertelhundert Kirche» »ud el» Dutzend Paläste ab, rennen am Beste» vorbei, zucken zu dein, was ihnen zufällig doch in die Augen fällt, die Achseln, lassen sich vom Schein und Plunder blenden, freuen sich über alles, was ungefähr aussieht wie in Berlin oder Buxtehude, und rühmen am Abend den Fortschritt, der Rom neben den altnativnalen Weinstuben mit ein paar Kneipen versorgt hat, in denen man nach dem Pranzv bairisches Bier trinken kann. Sie machen in den Hotels und Peusivushäusern die Tafel mit ihren schnellfertigen Urteilen, ihren lautschnllenden Gesprächen über Krieg und Kriegsgeschrei, über die unglaublichsten Nichtigkeiten und Armseligkeiten von daheim für die Tischgenossen zu einer Qual, sie verbringen ihre paar römischen Tage zwischen unbehaglicher Rastlosigkeit und philiströser Gleichgültigkeit, ver¬ sichern sich gegenseitig, daß im Grunde alles an und in Rom überschätzt werde, und daß es nicht der Mühe lohne, den weiten Weg zurückgelegt zu haben. Sie nehmen gelegentlich einen Anlauf, ihre Verstimmung und Enttäuschung zu verleugnen, und prahlen zur Abwechslung einmal mit ihren Anstrengungen und Erlebnissen, verziehen aber jederzeit höhnisch den Mund, wenn sie auf ein Menschenkind stoßen, das von reiner und ehrfürchtiger Freude an der Größe und Fülle seiner Eindrücke erfüllt ist. Es ist vielleicht Zufall, daß diese un¬ selige Menschengattung aus Deutschland stärkern Zuzug als aus andern Ländern erhält. Es mag ein Rest von falschem deutschem Idealismus oder eine Nach¬ wirkung unsrer klassischen Bildung aus dritter und vierter Hand sein, daß sich in Deutschland so viele Hunderte und Tausende zu einer Fahrt entschließen, die ihnen weder inneres Bedürfnis ist, noch Befriedigung gewährt, daß Menschen, die ihre Halb- oder Viertelsbilduug gerade für alles, was in Rom zu haben und zu holen ist, völlig unempfänglich macht, dennoch dahin gehen, und so lange oder kurze Zeit sie da sind, aus einer grollenden Mißempfindung nicht Herauskommen. Oder es muß gerade im deutschen Vaterlande eine un¬ gewöhnlich große Zahl von jenen ganz unselbständigen Naturen geben, die genau thun und lassen, was der Nachbar thut und läßt, die nichts wollen, als Leute in ihren heimischen Umgebungen übertrumpfen oder mit Neid er¬ füllen. Womit sie sich daheim brüsten, ist am Ende gleichgiltig, in Rom selbst sind sie ärgerlich und hinderlich. Sie machen sich viel zu bemerkbar und reden viel zu laut, als daß es möglich wäre, sie nicht zu sehen und zu hören. Sie suchen jedem Landsmann, so lange es angeht, mit ihrem Übeln Humor lind ihren schnöden Redensarten die glückliche und gehobene Stimmung römischer Tage zu versalzen; sie werden empfindlich, wenn sie auf einen geschlossenen Kreis treffen, der sich in der ewigen Stadt nicht von Berliner Steuern und dem Hamburgischen Freihafen unterhalten will, sie betrachten eine zufällige

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/428>, abgerufen am 28.09.2024.