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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

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Hermann Sudermanns Erzählungen

beizubehalten an Stelle des Namens Schrauben, oder sich von Schrauben
fernzuhalten. Es ist nur eine Kleinlichkeit und Beschränktheit von ihm, daß
er den Schraudeuern, die er aus der Nähe kennt und darum geringschätzt,
seinen unvernünftigen Trotz entgegensetzt, und alle Jdecilisirung des Helden
und alle uoch so gelungene satirische Geißelung der Schnuderer macht
seine Sache um nichts besser. Am Schlüsse bes Buches verrät Sudermann
selbst ein richtiges Urteil über seinen Helden (wie dies in allen seinen
Erzählungen der Fall ist); aber dann wird es noch weniger begreiflich,
wie er glauben konnte, uns für einen solchen ernsthaften Narren interessiren
zu können. Aber es ist ganz die Manier Ibsens, eine starke Handlung dar¬
zustellen, die gar nicht so vom Dichter gemeint ist, wie sie erscheint, sondern die
bloß als Exempel für seine Idee dienen soll, und wäre es auch ein über¬
triebenes oder unzutreffendes Exempel.

Nun kommt aber noch das andre Motiv hinzu, das uns den "Katzensteg"
noch unsympathischer macht. Es wird nämlich erzählt, daß Voleslav mit dein
Schloß auch noch die Dienste des Mädchens übernimmt, das sein Vater ver¬
führt hat. Diese Regiue, ein Liebling Sudermanns und vielleicht nicht zu¬
fällig nach der tragischen Dienstmagd Regiue in Kellers "Sinngedicht" genannt,
dient dem einsam ans den Trümmern hausenden Voleslav mit fabelhafter
Treue und Aufopferung. Ein Mensch von Fleisch und Blut ist aber dieser
Held der Unvernunft doch auch, und so kann es nicht ausbleiben, daß er die
schone, junge und so hündisch treue Dienerin liebt; sie liebte ihn schon vor
Jahren, als beide Kinder waren, sie die Leibeigue, er der Junker. Und nnn
denke man sich die verzwickte Lage Boleslavs: er liebt das Liebchen seines
Vaters! Wie häßlich! Und Sudermann hat mit größtem Fleiße das Anwachsen
dieser tollen Leidenschaft zwischen den zwei verlassenen Menschen geschildert,
die in einem Zimmer wohnen müssen, da alle andern zerstört sind. Die
Leidenschaft will ihre Befriedigung haben, Voleslav kämpft wochenlang gegen
die Versuchung, er lebt in steter sinnlicher Aufregung, die er uicht befriedigen
darf. Man kann sich denken, wie schwül und lüstern dem Leser dabei zu Mute
werden muß, und man begreift -- die dritte Auflage des "Katzensteg." Und
diese häßliche Erfindung muß dem Dichter noch überdies dazu dienen, pathe¬
tische Betrachtungen über die Unvereinbarkeit von Natur und Konvention an¬
zustellen, diese unglaubliche Regiue muß dazu dienen, die Überlegenheit der
nicht gebildete" aber leidenschaftlichen über den gebildeten aber falschen
Frauen zu veranschaulichen! Ich glaube nicht, daß jemals eine zweifelhafte
Wahrheit ungeschickter gelehrt worden sei, als in diesem Buche. So viel un¬
zweifelhaftes Talent sich in der Charakteristik der Nebenfiguren verrät, das
Ganze bleibt doch eine unglücklich ausgediftelte Geschichte.

Seiner Vorliebe, den Konflikt zwischen Menschennatur und Menschensatzung,
den Kampf sinnlicher Leidenschaft gegen die Macht des Gewissens darzustellen,


Hermann Sudermanns Erzählungen

beizubehalten an Stelle des Namens Schrauben, oder sich von Schrauben
fernzuhalten. Es ist nur eine Kleinlichkeit und Beschränktheit von ihm, daß
er den Schraudeuern, die er aus der Nähe kennt und darum geringschätzt,
seinen unvernünftigen Trotz entgegensetzt, und alle Jdecilisirung des Helden
und alle uoch so gelungene satirische Geißelung der Schnuderer macht
seine Sache um nichts besser. Am Schlüsse bes Buches verrät Sudermann
selbst ein richtiges Urteil über seinen Helden (wie dies in allen seinen
Erzählungen der Fall ist); aber dann wird es noch weniger begreiflich,
wie er glauben konnte, uns für einen solchen ernsthaften Narren interessiren
zu können. Aber es ist ganz die Manier Ibsens, eine starke Handlung dar¬
zustellen, die gar nicht so vom Dichter gemeint ist, wie sie erscheint, sondern die
bloß als Exempel für seine Idee dienen soll, und wäre es auch ein über¬
triebenes oder unzutreffendes Exempel.

Nun kommt aber noch das andre Motiv hinzu, das uns den „Katzensteg"
noch unsympathischer macht. Es wird nämlich erzählt, daß Voleslav mit dein
Schloß auch noch die Dienste des Mädchens übernimmt, das sein Vater ver¬
führt hat. Diese Regiue, ein Liebling Sudermanns und vielleicht nicht zu¬
fällig nach der tragischen Dienstmagd Regiue in Kellers „Sinngedicht" genannt,
dient dem einsam ans den Trümmern hausenden Voleslav mit fabelhafter
Treue und Aufopferung. Ein Mensch von Fleisch und Blut ist aber dieser
Held der Unvernunft doch auch, und so kann es nicht ausbleiben, daß er die
schone, junge und so hündisch treue Dienerin liebt; sie liebte ihn schon vor
Jahren, als beide Kinder waren, sie die Leibeigue, er der Junker. Und nnn
denke man sich die verzwickte Lage Boleslavs: er liebt das Liebchen seines
Vaters! Wie häßlich! Und Sudermann hat mit größtem Fleiße das Anwachsen
dieser tollen Leidenschaft zwischen den zwei verlassenen Menschen geschildert,
die in einem Zimmer wohnen müssen, da alle andern zerstört sind. Die
Leidenschaft will ihre Befriedigung haben, Voleslav kämpft wochenlang gegen
die Versuchung, er lebt in steter sinnlicher Aufregung, die er uicht befriedigen
darf. Man kann sich denken, wie schwül und lüstern dem Leser dabei zu Mute
werden muß, und man begreift — die dritte Auflage des „Katzensteg." Und
diese häßliche Erfindung muß dem Dichter noch überdies dazu dienen, pathe¬
tische Betrachtungen über die Unvereinbarkeit von Natur und Konvention an¬
zustellen, diese unglaubliche Regiue muß dazu dienen, die Überlegenheit der
nicht gebildete» aber leidenschaftlichen über den gebildeten aber falschen
Frauen zu veranschaulichen! Ich glaube nicht, daß jemals eine zweifelhafte
Wahrheit ungeschickter gelehrt worden sei, als in diesem Buche. So viel un¬
zweifelhaftes Talent sich in der Charakteristik der Nebenfiguren verrät, das
Ganze bleibt doch eine unglücklich ausgediftelte Geschichte.

Seiner Vorliebe, den Konflikt zwischen Menschennatur und Menschensatzung,
den Kampf sinnlicher Leidenschaft gegen die Macht des Gewissens darzustellen,


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[0421] Hermann Sudermanns Erzählungen beizubehalten an Stelle des Namens Schrauben, oder sich von Schrauben fernzuhalten. Es ist nur eine Kleinlichkeit und Beschränktheit von ihm, daß er den Schraudeuern, die er aus der Nähe kennt und darum geringschätzt, seinen unvernünftigen Trotz entgegensetzt, und alle Jdecilisirung des Helden und alle uoch so gelungene satirische Geißelung der Schnuderer macht seine Sache um nichts besser. Am Schlüsse bes Buches verrät Sudermann selbst ein richtiges Urteil über seinen Helden (wie dies in allen seinen Erzählungen der Fall ist); aber dann wird es noch weniger begreiflich, wie er glauben konnte, uns für einen solchen ernsthaften Narren interessiren zu können. Aber es ist ganz die Manier Ibsens, eine starke Handlung dar¬ zustellen, die gar nicht so vom Dichter gemeint ist, wie sie erscheint, sondern die bloß als Exempel für seine Idee dienen soll, und wäre es auch ein über¬ triebenes oder unzutreffendes Exempel. Nun kommt aber noch das andre Motiv hinzu, das uns den „Katzensteg" noch unsympathischer macht. Es wird nämlich erzählt, daß Voleslav mit dein Schloß auch noch die Dienste des Mädchens übernimmt, das sein Vater ver¬ führt hat. Diese Regiue, ein Liebling Sudermanns und vielleicht nicht zu¬ fällig nach der tragischen Dienstmagd Regiue in Kellers „Sinngedicht" genannt, dient dem einsam ans den Trümmern hausenden Voleslav mit fabelhafter Treue und Aufopferung. Ein Mensch von Fleisch und Blut ist aber dieser Held der Unvernunft doch auch, und so kann es nicht ausbleiben, daß er die schone, junge und so hündisch treue Dienerin liebt; sie liebte ihn schon vor Jahren, als beide Kinder waren, sie die Leibeigue, er der Junker. Und nnn denke man sich die verzwickte Lage Boleslavs: er liebt das Liebchen seines Vaters! Wie häßlich! Und Sudermann hat mit größtem Fleiße das Anwachsen dieser tollen Leidenschaft zwischen den zwei verlassenen Menschen geschildert, die in einem Zimmer wohnen müssen, da alle andern zerstört sind. Die Leidenschaft will ihre Befriedigung haben, Voleslav kämpft wochenlang gegen die Versuchung, er lebt in steter sinnlicher Aufregung, die er uicht befriedigen darf. Man kann sich denken, wie schwül und lüstern dem Leser dabei zu Mute werden muß, und man begreift — die dritte Auflage des „Katzensteg." Und diese häßliche Erfindung muß dem Dichter noch überdies dazu dienen, pathe¬ tische Betrachtungen über die Unvereinbarkeit von Natur und Konvention an¬ zustellen, diese unglaubliche Regiue muß dazu dienen, die Überlegenheit der nicht gebildete» aber leidenschaftlichen über den gebildeten aber falschen Frauen zu veranschaulichen! Ich glaube nicht, daß jemals eine zweifelhafte Wahrheit ungeschickter gelehrt worden sei, als in diesem Buche. So viel un¬ zweifelhaftes Talent sich in der Charakteristik der Nebenfiguren verrät, das Ganze bleibt doch eine unglücklich ausgediftelte Geschichte. Seiner Vorliebe, den Konflikt zwischen Menschennatur und Menschensatzung, den Kampf sinnlicher Leidenschaft gegen die Macht des Gewissens darzustellen,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/421>, abgerufen am 29.06.2024.