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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

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Hermann Sudermanns Erzählungen

dermaßen aus, daß er sogar zum Leutnant Baumgnrt ernannt wurde. Nun
ist er mit den entlassenen Lnndwehrmännern der Schrcmdener Nachbarschaft
heimgekehrt. Seine Kameraden lieben ihn so sehr, daß sie ihm zu Ehren
ein öffentliches Fest bereiten wollen. Da wird die Geschichte vou der Weige¬
rung der Schrcmdener, den Freiherr" begraben zu lassen, an seinem Tische
erzählt, und furchtbar erschüttert springt der Leutnant auf und bekennt sich als
den Sohn des Landesverräters. Damit beginnt die Handlung des Romans.

Das unvorsichtige Bekenntnis Boleslavs ist in seinem unwillkürlichen
Ausbruch sehr begreiflich und nimmt für ihn ein. Was aber Boleslav in¬
folge des Ausrufs: "Er ist mein Vater!" unternimmt, ist nicht bloß kühn
und aussichtslos, donquixotisch, sondern leider auch nicht genügend motivirt.
Denn wenn auch, wie wir wissen, Boleslav seinen Vater nie geliebt hat, wenn
er auch mit seinem weichen, träumerischen Wesen und seiner Berliner Bildung
die Roheit des alten Freiherrn verabscheut, wenn er auch mit seinem Blute
seine dem Vater entgegengesetzte politische Gesinnung besiegelt hat, wenn er
auch den Landesverrat des Vaters trotz aller Bemühungen nicht beschönigen
kann, entschließt sich Boleslav doch dazu, nicht etwa bloß der väterlichen Leiche
zur Unterkunft in der Familiengruft zu verhelfen, sondern in sinnloser Weise
die Sünden des Vaters auf sich zu nehmen und in der Mitte derer, die
ihn hassen, zu verharren. Er will allen Schrandenern zum Hohne das
Schloß aus seinen Trümmern wieder auferstehen lassen und den Namen Frei¬
herr von Schrunden trotz all seiner Brandmarkung stolz weiter führen. Wie
kommt plötzlich dieser wahnsinnige Trotz in den edeln Boleslav? Das ist es,
was man schlechtweg nicht begreift, der Dichter hat unterlassen, es uns zu
erklären. Boleslavs Charakter ist uns bis zu diesem Entschlüsse nichts weniger
als trotzig dargestellt worden, und die Erzählung beschäftigt sich uur mit den
Folgen dieses trotzigen Wollens. Weil wir es aber nicht begreifen, bleiben
wir der ganzen Geschichte gegenüber kalt und sehen in Boleslav nur einen
Narren, der er auch in Wahrheit ist, mag ihn Sudermann so pathetisch ernst
nehmen, wie er will. Dein Dichter lag offenbar daran, zu zeigen, wie ein
Mann, der etwas wirklich will, es auch durchsetzen kann. Den Dichter inter-
essirte der Kontrast der Philister mit seinem Helden, wobei selbstverständlich
diese Philister sämtlich übel wegkommen; sie sind entweder Schurken oder
beschränkte Dickköpfe. Daß jedoch sein Held, der die Liebe zum Vaterlande
als das höchste aller Güter preist, durch seinen unvernünftigen Trotz in
Widerspruch mit sich selber gerät, sieht Sudermann nicht ein. Man liebt
aber sein Vaterland nicht, wenn man sich in Gegensatz zu dem ausgesprochenen
Willen seiner Landesgenossen setzt. Der Landesverrat ist ja in Wahrheit ein
so schmähliches Verbrechen, daß der Name des Missethäters aus dem Gedächt¬
nis der Menschen ausgestrichen zu werden verdient. Für Boleslav wäre
es Pflicht, nicht bloß Vorteil gewesen, entweder den Namen Baumgart


Hermann Sudermanns Erzählungen

dermaßen aus, daß er sogar zum Leutnant Baumgnrt ernannt wurde. Nun
ist er mit den entlassenen Lnndwehrmännern der Schrcmdener Nachbarschaft
heimgekehrt. Seine Kameraden lieben ihn so sehr, daß sie ihm zu Ehren
ein öffentliches Fest bereiten wollen. Da wird die Geschichte vou der Weige¬
rung der Schrcmdener, den Freiherr» begraben zu lassen, an seinem Tische
erzählt, und furchtbar erschüttert springt der Leutnant auf und bekennt sich als
den Sohn des Landesverräters. Damit beginnt die Handlung des Romans.

Das unvorsichtige Bekenntnis Boleslavs ist in seinem unwillkürlichen
Ausbruch sehr begreiflich und nimmt für ihn ein. Was aber Boleslav in¬
folge des Ausrufs: „Er ist mein Vater!" unternimmt, ist nicht bloß kühn
und aussichtslos, donquixotisch, sondern leider auch nicht genügend motivirt.
Denn wenn auch, wie wir wissen, Boleslav seinen Vater nie geliebt hat, wenn
er auch mit seinem weichen, träumerischen Wesen und seiner Berliner Bildung
die Roheit des alten Freiherrn verabscheut, wenn er auch mit seinem Blute
seine dem Vater entgegengesetzte politische Gesinnung besiegelt hat, wenn er
auch den Landesverrat des Vaters trotz aller Bemühungen nicht beschönigen
kann, entschließt sich Boleslav doch dazu, nicht etwa bloß der väterlichen Leiche
zur Unterkunft in der Familiengruft zu verhelfen, sondern in sinnloser Weise
die Sünden des Vaters auf sich zu nehmen und in der Mitte derer, die
ihn hassen, zu verharren. Er will allen Schrandenern zum Hohne das
Schloß aus seinen Trümmern wieder auferstehen lassen und den Namen Frei¬
herr von Schrunden trotz all seiner Brandmarkung stolz weiter führen. Wie
kommt plötzlich dieser wahnsinnige Trotz in den edeln Boleslav? Das ist es,
was man schlechtweg nicht begreift, der Dichter hat unterlassen, es uns zu
erklären. Boleslavs Charakter ist uns bis zu diesem Entschlüsse nichts weniger
als trotzig dargestellt worden, und die Erzählung beschäftigt sich uur mit den
Folgen dieses trotzigen Wollens. Weil wir es aber nicht begreifen, bleiben
wir der ganzen Geschichte gegenüber kalt und sehen in Boleslav nur einen
Narren, der er auch in Wahrheit ist, mag ihn Sudermann so pathetisch ernst
nehmen, wie er will. Dein Dichter lag offenbar daran, zu zeigen, wie ein
Mann, der etwas wirklich will, es auch durchsetzen kann. Den Dichter inter-
essirte der Kontrast der Philister mit seinem Helden, wobei selbstverständlich
diese Philister sämtlich übel wegkommen; sie sind entweder Schurken oder
beschränkte Dickköpfe. Daß jedoch sein Held, der die Liebe zum Vaterlande
als das höchste aller Güter preist, durch seinen unvernünftigen Trotz in
Widerspruch mit sich selber gerät, sieht Sudermann nicht ein. Man liebt
aber sein Vaterland nicht, wenn man sich in Gegensatz zu dem ausgesprochenen
Willen seiner Landesgenossen setzt. Der Landesverrat ist ja in Wahrheit ein
so schmähliches Verbrechen, daß der Name des Missethäters aus dem Gedächt¬
nis der Menschen ausgestrichen zu werden verdient. Für Boleslav wäre
es Pflicht, nicht bloß Vorteil gewesen, entweder den Namen Baumgart


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[0420] Hermann Sudermanns Erzählungen dermaßen aus, daß er sogar zum Leutnant Baumgnrt ernannt wurde. Nun ist er mit den entlassenen Lnndwehrmännern der Schrcmdener Nachbarschaft heimgekehrt. Seine Kameraden lieben ihn so sehr, daß sie ihm zu Ehren ein öffentliches Fest bereiten wollen. Da wird die Geschichte vou der Weige¬ rung der Schrcmdener, den Freiherr» begraben zu lassen, an seinem Tische erzählt, und furchtbar erschüttert springt der Leutnant auf und bekennt sich als den Sohn des Landesverräters. Damit beginnt die Handlung des Romans. Das unvorsichtige Bekenntnis Boleslavs ist in seinem unwillkürlichen Ausbruch sehr begreiflich und nimmt für ihn ein. Was aber Boleslav in¬ folge des Ausrufs: „Er ist mein Vater!" unternimmt, ist nicht bloß kühn und aussichtslos, donquixotisch, sondern leider auch nicht genügend motivirt. Denn wenn auch, wie wir wissen, Boleslav seinen Vater nie geliebt hat, wenn er auch mit seinem weichen, träumerischen Wesen und seiner Berliner Bildung die Roheit des alten Freiherrn verabscheut, wenn er auch mit seinem Blute seine dem Vater entgegengesetzte politische Gesinnung besiegelt hat, wenn er auch den Landesverrat des Vaters trotz aller Bemühungen nicht beschönigen kann, entschließt sich Boleslav doch dazu, nicht etwa bloß der väterlichen Leiche zur Unterkunft in der Familiengruft zu verhelfen, sondern in sinnloser Weise die Sünden des Vaters auf sich zu nehmen und in der Mitte derer, die ihn hassen, zu verharren. Er will allen Schrandenern zum Hohne das Schloß aus seinen Trümmern wieder auferstehen lassen und den Namen Frei¬ herr von Schrunden trotz all seiner Brandmarkung stolz weiter führen. Wie kommt plötzlich dieser wahnsinnige Trotz in den edeln Boleslav? Das ist es, was man schlechtweg nicht begreift, der Dichter hat unterlassen, es uns zu erklären. Boleslavs Charakter ist uns bis zu diesem Entschlüsse nichts weniger als trotzig dargestellt worden, und die Erzählung beschäftigt sich uur mit den Folgen dieses trotzigen Wollens. Weil wir es aber nicht begreifen, bleiben wir der ganzen Geschichte gegenüber kalt und sehen in Boleslav nur einen Narren, der er auch in Wahrheit ist, mag ihn Sudermann so pathetisch ernst nehmen, wie er will. Dein Dichter lag offenbar daran, zu zeigen, wie ein Mann, der etwas wirklich will, es auch durchsetzen kann. Den Dichter inter- essirte der Kontrast der Philister mit seinem Helden, wobei selbstverständlich diese Philister sämtlich übel wegkommen; sie sind entweder Schurken oder beschränkte Dickköpfe. Daß jedoch sein Held, der die Liebe zum Vaterlande als das höchste aller Güter preist, durch seinen unvernünftigen Trotz in Widerspruch mit sich selber gerät, sieht Sudermann nicht ein. Man liebt aber sein Vaterland nicht, wenn man sich in Gegensatz zu dem ausgesprochenen Willen seiner Landesgenossen setzt. Der Landesverrat ist ja in Wahrheit ein so schmähliches Verbrechen, daß der Name des Missethäters aus dem Gedächt¬ nis der Menschen ausgestrichen zu werden verdient. Für Boleslav wäre es Pflicht, nicht bloß Vorteil gewesen, entweder den Namen Baumgart

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/420>, abgerufen am 29.06.2024.