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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

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Hermann Sudermanns Erzählungen

geringste Unrecht gefallen lassen will, beinahe ein Don Quixote des Eigen¬
willens. Dieser Sprung des Dichters von dem einen psychologischen Problem
in sein gerades Gegenteil ist gewiß ein Zeugnis für das große künstlerische
Streben Sudermanns. Nur schade, daß der Sprung nicht gelungen ist. Für
Boleslav von Schrauben werden wir nicht entfernt so erwärmt wie sür Paul
Mehhöfer, er bleibt uns im ganzen Buche nicht recht verständlich. Der Fehler
liegt in der Exposition der Handlung. Dazu kommt noch die Neigung, die
Geschlechtsliebe als Brunst, beinahe im Stile Sander-Masochs zu schildern,
was auch nicht nach unserm Geschmack ist.

Der "Katzensteg" führt uus wieder in den fernen Nordosten Preußens,
an die polnische Grenze und zurück in das Jahr 1814. Boleslav hat gerade
so wie Paul einen schlechten Vater gehabt. Der alte Freiherr von Schrauben
war ein roher, rücksichtsloser Junker, der seine Leibeignen aufs Blut quälte,
die Männer peitschte, die schönen Dvrfmädcheu verführte. Seine gute Frau
brachte er früh ins Grab; seinen Sohn Boleslav schickte er als erwachsenen
Knaben nach Berlin in die Schule. Zu allen seinen Untugenden trat noch
ein unbegreiflicher Deutschenhaß, obwohl er selbst aus deutschem Geschlechte
war. Im Kriege gegen die Franzosen ließ er sich mit polnischen Politikern
ein, die Polen mit Hilfe Napoleons wiederherstellen zu können glaubten, und
zwar ging er so weit, daß er Verrat an seinem Vaterlande übte. Über den
sogenannten Katzensteg, der an seinem sonst schwer zugänglichen Schlosse vor¬
beiging, ließ Schrauben die feindlichen Franzosen den Preußen in den Rücken
führen, die in der That auch dabei fielen. Ein armes, schönes Mädchen Re¬
gime, das der Freiherr verführt hatte, diente ihm bei diesem Landesverrat als
willenloses Werkzeug. Diese Verrüterei nun brachte das Maß des Unwillens
und Hasses, das Schrauben ohnehin schon gegen sich aufgesammelt hatte, zum
Überlaufen. Er wurde in Acht und Bann erklärt, schließlich sein Schloß an¬
gezündet, sodnß er alles bis auf seinen baren Geldbesitz verlor. In den
Trümmern des Schlosses richtete er sich mit der armen Regiue, die ebenso
schön als gutmütig, ja eine weibliche Ausgabe von Paul Mehhöfer ist, so gut
als möglich ein. Mit den Schrandcnern aber lebte er auf dem Kriegsfuß, es
wurde hin und her geschossen. Bei einem solchen Zusammenstoß starb er vom
Schlage gerührt, und die sämtlichen Einwohner verweigerten seiner Leiche die
Aufnahme in den Ortsfriedhof, der die freiherrliche Familiengruft enthielt, ja
sie wollten ihm nicht einmal einen Sarg zimmern lassen.

Gerade zu diesem Streit kommt Boleslav nach langen Jahren der Ab¬
wesenheit wieder in die Heimat zurück. Er hat schon in der Ferne unter den
Folgen des Verbrechens seines Vaters gelitten. Der Name Schrauben ver¬
schloß ihm alle Thüren und alle Menschen. Dennoch trieb ihn seine Vater¬
landsliebe zur Teilnahme an dem Feldzuge Blüchers gegen Napoleon; unter dem
Namen Baumgart trat er in die Truppe der Freiwilligen und zeichnete sich


Hermann Sudermanns Erzählungen

geringste Unrecht gefallen lassen will, beinahe ein Don Quixote des Eigen¬
willens. Dieser Sprung des Dichters von dem einen psychologischen Problem
in sein gerades Gegenteil ist gewiß ein Zeugnis für das große künstlerische
Streben Sudermanns. Nur schade, daß der Sprung nicht gelungen ist. Für
Boleslav von Schrauben werden wir nicht entfernt so erwärmt wie sür Paul
Mehhöfer, er bleibt uns im ganzen Buche nicht recht verständlich. Der Fehler
liegt in der Exposition der Handlung. Dazu kommt noch die Neigung, die
Geschlechtsliebe als Brunst, beinahe im Stile Sander-Masochs zu schildern,
was auch nicht nach unserm Geschmack ist.

Der „Katzensteg" führt uus wieder in den fernen Nordosten Preußens,
an die polnische Grenze und zurück in das Jahr 1814. Boleslav hat gerade
so wie Paul einen schlechten Vater gehabt. Der alte Freiherr von Schrauben
war ein roher, rücksichtsloser Junker, der seine Leibeignen aufs Blut quälte,
die Männer peitschte, die schönen Dvrfmädcheu verführte. Seine gute Frau
brachte er früh ins Grab; seinen Sohn Boleslav schickte er als erwachsenen
Knaben nach Berlin in die Schule. Zu allen seinen Untugenden trat noch
ein unbegreiflicher Deutschenhaß, obwohl er selbst aus deutschem Geschlechte
war. Im Kriege gegen die Franzosen ließ er sich mit polnischen Politikern
ein, die Polen mit Hilfe Napoleons wiederherstellen zu können glaubten, und
zwar ging er so weit, daß er Verrat an seinem Vaterlande übte. Über den
sogenannten Katzensteg, der an seinem sonst schwer zugänglichen Schlosse vor¬
beiging, ließ Schrauben die feindlichen Franzosen den Preußen in den Rücken
führen, die in der That auch dabei fielen. Ein armes, schönes Mädchen Re¬
gime, das der Freiherr verführt hatte, diente ihm bei diesem Landesverrat als
willenloses Werkzeug. Diese Verrüterei nun brachte das Maß des Unwillens
und Hasses, das Schrauben ohnehin schon gegen sich aufgesammelt hatte, zum
Überlaufen. Er wurde in Acht und Bann erklärt, schließlich sein Schloß an¬
gezündet, sodnß er alles bis auf seinen baren Geldbesitz verlor. In den
Trümmern des Schlosses richtete er sich mit der armen Regiue, die ebenso
schön als gutmütig, ja eine weibliche Ausgabe von Paul Mehhöfer ist, so gut
als möglich ein. Mit den Schrandcnern aber lebte er auf dem Kriegsfuß, es
wurde hin und her geschossen. Bei einem solchen Zusammenstoß starb er vom
Schlage gerührt, und die sämtlichen Einwohner verweigerten seiner Leiche die
Aufnahme in den Ortsfriedhof, der die freiherrliche Familiengruft enthielt, ja
sie wollten ihm nicht einmal einen Sarg zimmern lassen.

Gerade zu diesem Streit kommt Boleslav nach langen Jahren der Ab¬
wesenheit wieder in die Heimat zurück. Er hat schon in der Ferne unter den
Folgen des Verbrechens seines Vaters gelitten. Der Name Schrauben ver¬
schloß ihm alle Thüren und alle Menschen. Dennoch trieb ihn seine Vater¬
landsliebe zur Teilnahme an dem Feldzuge Blüchers gegen Napoleon; unter dem
Namen Baumgart trat er in die Truppe der Freiwilligen und zeichnete sich


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[0419] Hermann Sudermanns Erzählungen geringste Unrecht gefallen lassen will, beinahe ein Don Quixote des Eigen¬ willens. Dieser Sprung des Dichters von dem einen psychologischen Problem in sein gerades Gegenteil ist gewiß ein Zeugnis für das große künstlerische Streben Sudermanns. Nur schade, daß der Sprung nicht gelungen ist. Für Boleslav von Schrauben werden wir nicht entfernt so erwärmt wie sür Paul Mehhöfer, er bleibt uns im ganzen Buche nicht recht verständlich. Der Fehler liegt in der Exposition der Handlung. Dazu kommt noch die Neigung, die Geschlechtsliebe als Brunst, beinahe im Stile Sander-Masochs zu schildern, was auch nicht nach unserm Geschmack ist. Der „Katzensteg" führt uus wieder in den fernen Nordosten Preußens, an die polnische Grenze und zurück in das Jahr 1814. Boleslav hat gerade so wie Paul einen schlechten Vater gehabt. Der alte Freiherr von Schrauben war ein roher, rücksichtsloser Junker, der seine Leibeignen aufs Blut quälte, die Männer peitschte, die schönen Dvrfmädcheu verführte. Seine gute Frau brachte er früh ins Grab; seinen Sohn Boleslav schickte er als erwachsenen Knaben nach Berlin in die Schule. Zu allen seinen Untugenden trat noch ein unbegreiflicher Deutschenhaß, obwohl er selbst aus deutschem Geschlechte war. Im Kriege gegen die Franzosen ließ er sich mit polnischen Politikern ein, die Polen mit Hilfe Napoleons wiederherstellen zu können glaubten, und zwar ging er so weit, daß er Verrat an seinem Vaterlande übte. Über den sogenannten Katzensteg, der an seinem sonst schwer zugänglichen Schlosse vor¬ beiging, ließ Schrauben die feindlichen Franzosen den Preußen in den Rücken führen, die in der That auch dabei fielen. Ein armes, schönes Mädchen Re¬ gime, das der Freiherr verführt hatte, diente ihm bei diesem Landesverrat als willenloses Werkzeug. Diese Verrüterei nun brachte das Maß des Unwillens und Hasses, das Schrauben ohnehin schon gegen sich aufgesammelt hatte, zum Überlaufen. Er wurde in Acht und Bann erklärt, schließlich sein Schloß an¬ gezündet, sodnß er alles bis auf seinen baren Geldbesitz verlor. In den Trümmern des Schlosses richtete er sich mit der armen Regiue, die ebenso schön als gutmütig, ja eine weibliche Ausgabe von Paul Mehhöfer ist, so gut als möglich ein. Mit den Schrandcnern aber lebte er auf dem Kriegsfuß, es wurde hin und her geschossen. Bei einem solchen Zusammenstoß starb er vom Schlage gerührt, und die sämtlichen Einwohner verweigerten seiner Leiche die Aufnahme in den Ortsfriedhof, der die freiherrliche Familiengruft enthielt, ja sie wollten ihm nicht einmal einen Sarg zimmern lassen. Gerade zu diesem Streit kommt Boleslav nach langen Jahren der Ab¬ wesenheit wieder in die Heimat zurück. Er hat schon in der Ferne unter den Folgen des Verbrechens seines Vaters gelitten. Der Name Schrauben ver¬ schloß ihm alle Thüren und alle Menschen. Dennoch trieb ihn seine Vater¬ landsliebe zur Teilnahme an dem Feldzuge Blüchers gegen Napoleon; unter dem Namen Baumgart trat er in die Truppe der Freiwilligen und zeichnete sich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/419>, abgerufen am 29.06.2024.