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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

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Hermann Sudermanns Erzählungen

Diese reine Empfindung hinterlassen seine Bücher ganz ohne Zweifel. Man
sieht ihm das Ringen an, und vorläufig scheint er noch im Ringen mitten
drin zu stecken. Daß er in diesem Kampfe gegen das, was er Konvention
neunt, und was er haßt, weil es dein im Wege steht, was er Natur und
göttliche Leidenschaft nennt, nicht immer im Rechte ist, daß er pessimistisch
übertreibt, das ist eine jugendliche Schwäche. Und ferner ist es eine Schwäche,
daß die angegriffenen Objekte von keinem Menschen, und wäre er noch so
konservativ, verteidigt werden, und zwar ist es deshalb eine Schwäche, weil
es der Originalität seiner Erscheinung wesentlich Eintrag thut. Der neue
Mann, den man so gern in der Litteratur willkommen hieße, ist Sudermann
noch lange nicht, er ist kein Entdecker auf dem Gebiete des menschlichen Herzens,
er ist ein starkes Talent, das durch seine Darstellung zu "packen" versteht,
aber nicht immer zu befriedigen, nicht rein zu erfreuen vermag. Sudermann
steht merklich unter dem Einflüsse dessen, was er gelesen hat, von Shakespeare
angefangen bis auf Ibsen und sein großes Gegenteil Gottfried Keller. Aber
dadurch, daß er mit künstlerischem Sinne darauf ausgeht, nicht etwa stofflich
zu wirken, Geschichten drauf los für den unersättlichen Rachen der Zeitschriften
und Leihbibliotheken zu erzählen, sondern vielmehr menschliche Leidenschaften
darzustellen, tiefe Charaktere in ihrem Wandel durch die Welt zu gestalten,
im einzelnen Fall etwas allgemeineres, typisch giltiges von symbolischem Gehalt
zu veranschaulichen, zu zeigen: so ist die Welt, so sind die Menschen beschaffen --
mit diesem ohne Zweifel echt künstlerischen Streben stellt sich Sudermann selbst
von vornherein auf eine höhere Stufe, und es thut dieser Anerkennung keinen
Abbruch, wenn wir öfters gezwungen sind, zu bedauern, daß er gerade diese
Fabel und keine andre dargestellt hat, daß wir öfters gestehen müssen: dies
und das ist gar uicht nach unserm Geschmack. Denn nachdem wir sein Wollen
erkannt haben, können wir die Hoffnung uicht aufgeben, daß sich sein Geschmack
im Laufe der Zeit läutern und Werke von wirklichem Werte schaffen werde.

Sudermanns bedeutendste Erzählung ist bis jetzt sein Roman Frau Sorge.
Hier wird wieder einmal das Hamletthema aufgenommen: das Mißverhältnis
zwischen einer sittlich bedeutenden Innerlichkeit und der sie umgebenden Klein¬
lichkeit und Gemeinheit. Dn mußt im Leben nicht bloß Amboß, sondern auch
Hammer sein. Jeder Mensch gilt im Leben nicht etwa so viel, als er wert
ist, sondern nur so viel, als er sich Geltung verschafft. Sei hilfreich, sei un¬
eigennützig, verzeihe deinen Feinden; wenn du dir nicht deine dir gebührende
Würde selbst zu wahren verstehst, wenn es dir am Selbstvertrauen, an der
Selbstachtung, mir starken Bewußtsein deines Eigenwertes mangelt, so kann
dir niemand helfen, so werden die andern dich anch nicht achten und würdigen.
Denn die Menschen urteilen nach dem Schein, nicht nach der Wahrheit. Sie
lassen sich von Maulhelden blendea und übersehen den Bescheidenen. Wohl
besteht ein instinktives Einverständnis aller Guten nnter einander, aber die


Hermann Sudermanns Erzählungen

Diese reine Empfindung hinterlassen seine Bücher ganz ohne Zweifel. Man
sieht ihm das Ringen an, und vorläufig scheint er noch im Ringen mitten
drin zu stecken. Daß er in diesem Kampfe gegen das, was er Konvention
neunt, und was er haßt, weil es dein im Wege steht, was er Natur und
göttliche Leidenschaft nennt, nicht immer im Rechte ist, daß er pessimistisch
übertreibt, das ist eine jugendliche Schwäche. Und ferner ist es eine Schwäche,
daß die angegriffenen Objekte von keinem Menschen, und wäre er noch so
konservativ, verteidigt werden, und zwar ist es deshalb eine Schwäche, weil
es der Originalität seiner Erscheinung wesentlich Eintrag thut. Der neue
Mann, den man so gern in der Litteratur willkommen hieße, ist Sudermann
noch lange nicht, er ist kein Entdecker auf dem Gebiete des menschlichen Herzens,
er ist ein starkes Talent, das durch seine Darstellung zu „packen" versteht,
aber nicht immer zu befriedigen, nicht rein zu erfreuen vermag. Sudermann
steht merklich unter dem Einflüsse dessen, was er gelesen hat, von Shakespeare
angefangen bis auf Ibsen und sein großes Gegenteil Gottfried Keller. Aber
dadurch, daß er mit künstlerischem Sinne darauf ausgeht, nicht etwa stofflich
zu wirken, Geschichten drauf los für den unersättlichen Rachen der Zeitschriften
und Leihbibliotheken zu erzählen, sondern vielmehr menschliche Leidenschaften
darzustellen, tiefe Charaktere in ihrem Wandel durch die Welt zu gestalten,
im einzelnen Fall etwas allgemeineres, typisch giltiges von symbolischem Gehalt
zu veranschaulichen, zu zeigen: so ist die Welt, so sind die Menschen beschaffen —
mit diesem ohne Zweifel echt künstlerischen Streben stellt sich Sudermann selbst
von vornherein auf eine höhere Stufe, und es thut dieser Anerkennung keinen
Abbruch, wenn wir öfters gezwungen sind, zu bedauern, daß er gerade diese
Fabel und keine andre dargestellt hat, daß wir öfters gestehen müssen: dies
und das ist gar uicht nach unserm Geschmack. Denn nachdem wir sein Wollen
erkannt haben, können wir die Hoffnung uicht aufgeben, daß sich sein Geschmack
im Laufe der Zeit läutern und Werke von wirklichem Werte schaffen werde.

Sudermanns bedeutendste Erzählung ist bis jetzt sein Roman Frau Sorge.
Hier wird wieder einmal das Hamletthema aufgenommen: das Mißverhältnis
zwischen einer sittlich bedeutenden Innerlichkeit und der sie umgebenden Klein¬
lichkeit und Gemeinheit. Dn mußt im Leben nicht bloß Amboß, sondern auch
Hammer sein. Jeder Mensch gilt im Leben nicht etwa so viel, als er wert
ist, sondern nur so viel, als er sich Geltung verschafft. Sei hilfreich, sei un¬
eigennützig, verzeihe deinen Feinden; wenn du dir nicht deine dir gebührende
Würde selbst zu wahren verstehst, wenn es dir am Selbstvertrauen, an der
Selbstachtung, mir starken Bewußtsein deines Eigenwertes mangelt, so kann
dir niemand helfen, so werden die andern dich anch nicht achten und würdigen.
Denn die Menschen urteilen nach dem Schein, nicht nach der Wahrheit. Sie
lassen sich von Maulhelden blendea und übersehen den Bescheidenen. Wohl
besteht ein instinktives Einverständnis aller Guten nnter einander, aber die


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[0415] Hermann Sudermanns Erzählungen Diese reine Empfindung hinterlassen seine Bücher ganz ohne Zweifel. Man sieht ihm das Ringen an, und vorläufig scheint er noch im Ringen mitten drin zu stecken. Daß er in diesem Kampfe gegen das, was er Konvention neunt, und was er haßt, weil es dein im Wege steht, was er Natur und göttliche Leidenschaft nennt, nicht immer im Rechte ist, daß er pessimistisch übertreibt, das ist eine jugendliche Schwäche. Und ferner ist es eine Schwäche, daß die angegriffenen Objekte von keinem Menschen, und wäre er noch so konservativ, verteidigt werden, und zwar ist es deshalb eine Schwäche, weil es der Originalität seiner Erscheinung wesentlich Eintrag thut. Der neue Mann, den man so gern in der Litteratur willkommen hieße, ist Sudermann noch lange nicht, er ist kein Entdecker auf dem Gebiete des menschlichen Herzens, er ist ein starkes Talent, das durch seine Darstellung zu „packen" versteht, aber nicht immer zu befriedigen, nicht rein zu erfreuen vermag. Sudermann steht merklich unter dem Einflüsse dessen, was er gelesen hat, von Shakespeare angefangen bis auf Ibsen und sein großes Gegenteil Gottfried Keller. Aber dadurch, daß er mit künstlerischem Sinne darauf ausgeht, nicht etwa stofflich zu wirken, Geschichten drauf los für den unersättlichen Rachen der Zeitschriften und Leihbibliotheken zu erzählen, sondern vielmehr menschliche Leidenschaften darzustellen, tiefe Charaktere in ihrem Wandel durch die Welt zu gestalten, im einzelnen Fall etwas allgemeineres, typisch giltiges von symbolischem Gehalt zu veranschaulichen, zu zeigen: so ist die Welt, so sind die Menschen beschaffen — mit diesem ohne Zweifel echt künstlerischen Streben stellt sich Sudermann selbst von vornherein auf eine höhere Stufe, und es thut dieser Anerkennung keinen Abbruch, wenn wir öfters gezwungen sind, zu bedauern, daß er gerade diese Fabel und keine andre dargestellt hat, daß wir öfters gestehen müssen: dies und das ist gar uicht nach unserm Geschmack. Denn nachdem wir sein Wollen erkannt haben, können wir die Hoffnung uicht aufgeben, daß sich sein Geschmack im Laufe der Zeit läutern und Werke von wirklichem Werte schaffen werde. Sudermanns bedeutendste Erzählung ist bis jetzt sein Roman Frau Sorge. Hier wird wieder einmal das Hamletthema aufgenommen: das Mißverhältnis zwischen einer sittlich bedeutenden Innerlichkeit und der sie umgebenden Klein¬ lichkeit und Gemeinheit. Dn mußt im Leben nicht bloß Amboß, sondern auch Hammer sein. Jeder Mensch gilt im Leben nicht etwa so viel, als er wert ist, sondern nur so viel, als er sich Geltung verschafft. Sei hilfreich, sei un¬ eigennützig, verzeihe deinen Feinden; wenn du dir nicht deine dir gebührende Würde selbst zu wahren verstehst, wenn es dir am Selbstvertrauen, an der Selbstachtung, mir starken Bewußtsein deines Eigenwertes mangelt, so kann dir niemand helfen, so werden die andern dich anch nicht achten und würdigen. Denn die Menschen urteilen nach dem Schein, nicht nach der Wahrheit. Sie lassen sich von Maulhelden blendea und übersehen den Bescheidenen. Wohl besteht ein instinktives Einverständnis aller Guten nnter einander, aber die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/415>, abgerufen am 29.06.2024.