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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

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Hegels Lehre über die Familie

Außenwelt. Ans den Gegensätzen und Widersprüchen, durch die er hier hin¬
durch geht, erkämpft er sich seine sittliche Stellung wie seine Überzeugung, die
Einheit mit sich selbst, die Treue gegen sich selbst. Diese Einheit mit sich,
die der Mann im Kampfe mit der Außenwelt erringen muß, diese hat die
Frau in "subjektiver Sittlichkeit," in der Weise der Empfindung, oder wie
Hegel das einmal sehr schön nennt, in der Form der Pietät, ein Wort, was
recht schwer zu übersetzen ist, wenn man es dem ganzen Umfange seiner Be¬
deutung nach zum Ausdruck bringen will. Denn mit Pietät will Hegel die
Einigkeit des Empfindens und der sittlichen Gesinnung bezeichnen; er nennt
das auch ,,substantielle Innerlichkeit," eine Innerlichkeit, die sich eins fühlt
mit den geltenden sittlichen Mächten. Sie nun, diese in dem sittlichen Wesen
gegründete Innerlichkeit, diese Pietät, ist vorzugsweise das Gesetz des Weibes,
wie es Sophokles in der Antigone als der erhabensten Darstellung aller Pietät
ausgesprochen hat. Es ist zugleich das ewige Gesetz, das Gesetz der Unter¬
irdischen, von dem niemand weiß, von wannen es kam, das ungeschriebene
Gesetz, im Gegensatz zu dem Gesetz des Staates, dein geschriebenen. Die
Pietät hat aber ihre Heimstätte in der Familie, und das ist der Grund, wes¬
halb die Frau das Haus uach innen zu vertreten, im Hause zu walten hat.
Wie der Mann die Sittlichkeit am Weibe in der Form der Pietät anschaut
und ein pietätloses Weib ihm immer ein Greuel sein wird, so wird er dagegen
die Frau zarten Sinnes gern als Herrin des Hauses betrachten und ihrem
Urteil überall da vertrauen, wo es sich um die "ungeschriebenen Gesetze"
handelt. Es ist aber auch wegen dieser Bestimmung des Weibes, daß die
Bildung der Frau sich mehr im ruhigen Entfalten, der Pflanze ähnlich, voll¬
zieht, als im Eifer des Ringens; sie geschieht mehr durch die Vorstellung,
als durch den Gedanken, und mehr durch das Leben am häuslichen Herd, als
durch das Erwerben von wissenschaftlichen Kenntnissen.

Aus dem Begriff der Ehe ergiebt sich, daß sie Monogamie, Einehe ist.
Denn wenn sie die gegenseitige ungelenke Angehörigkeit ist, "Identität
meiner im Andern," so kann das Andre nur als "Individuum," als persönliche
Eigenheit erfaßt werden. Die Monogamie ist darum ein "absolutes Prinzip,"
eine unbedingte Boraussetzung, worauf die Sittlichkeit eines Gemeinwesens
beruht, und die Stiftung der Ehe gilt als eines voll den Gesetzen der gött¬
lichen Ordnung, wie sie sich in dem umfassendsten Gemeinwesen, dem Staate,
darstellt.

Weiter geht aus dem Begriff der Ehe hervor, daß sie aus ursprünglich
verschiednen Persönlichkeiten, also aus getrennten Familien geschlossen werde.
Denn zur vollen Persönlichkeit gehört deren Eigentümlichkeit. Aber innerhalb
ein und derselben Familie, dieses "natürlich-identischen," natürlich-einheitlichen
Kreises, haben die Personen eben nicht diese eigentümliche, für sich selbst seiende
Persönlichkeit gegen einander. Weil nun die Eigenheit fehlt, kann auch uicht


Hegels Lehre über die Familie

Außenwelt. Ans den Gegensätzen und Widersprüchen, durch die er hier hin¬
durch geht, erkämpft er sich seine sittliche Stellung wie seine Überzeugung, die
Einheit mit sich selbst, die Treue gegen sich selbst. Diese Einheit mit sich,
die der Mann im Kampfe mit der Außenwelt erringen muß, diese hat die
Frau in „subjektiver Sittlichkeit," in der Weise der Empfindung, oder wie
Hegel das einmal sehr schön nennt, in der Form der Pietät, ein Wort, was
recht schwer zu übersetzen ist, wenn man es dem ganzen Umfange seiner Be¬
deutung nach zum Ausdruck bringen will. Denn mit Pietät will Hegel die
Einigkeit des Empfindens und der sittlichen Gesinnung bezeichnen; er nennt
das auch ,,substantielle Innerlichkeit," eine Innerlichkeit, die sich eins fühlt
mit den geltenden sittlichen Mächten. Sie nun, diese in dem sittlichen Wesen
gegründete Innerlichkeit, diese Pietät, ist vorzugsweise das Gesetz des Weibes,
wie es Sophokles in der Antigone als der erhabensten Darstellung aller Pietät
ausgesprochen hat. Es ist zugleich das ewige Gesetz, das Gesetz der Unter¬
irdischen, von dem niemand weiß, von wannen es kam, das ungeschriebene
Gesetz, im Gegensatz zu dem Gesetz des Staates, dein geschriebenen. Die
Pietät hat aber ihre Heimstätte in der Familie, und das ist der Grund, wes¬
halb die Frau das Haus uach innen zu vertreten, im Hause zu walten hat.
Wie der Mann die Sittlichkeit am Weibe in der Form der Pietät anschaut
und ein pietätloses Weib ihm immer ein Greuel sein wird, so wird er dagegen
die Frau zarten Sinnes gern als Herrin des Hauses betrachten und ihrem
Urteil überall da vertrauen, wo es sich um die „ungeschriebenen Gesetze"
handelt. Es ist aber auch wegen dieser Bestimmung des Weibes, daß die
Bildung der Frau sich mehr im ruhigen Entfalten, der Pflanze ähnlich, voll¬
zieht, als im Eifer des Ringens; sie geschieht mehr durch die Vorstellung,
als durch den Gedanken, und mehr durch das Leben am häuslichen Herd, als
durch das Erwerben von wissenschaftlichen Kenntnissen.

Aus dem Begriff der Ehe ergiebt sich, daß sie Monogamie, Einehe ist.
Denn wenn sie die gegenseitige ungelenke Angehörigkeit ist, „Identität
meiner im Andern," so kann das Andre nur als „Individuum," als persönliche
Eigenheit erfaßt werden. Die Monogamie ist darum ein „absolutes Prinzip,"
eine unbedingte Boraussetzung, worauf die Sittlichkeit eines Gemeinwesens
beruht, und die Stiftung der Ehe gilt als eines voll den Gesetzen der gött¬
lichen Ordnung, wie sie sich in dem umfassendsten Gemeinwesen, dem Staate,
darstellt.

Weiter geht aus dem Begriff der Ehe hervor, daß sie aus ursprünglich
verschiednen Persönlichkeiten, also aus getrennten Familien geschlossen werde.
Denn zur vollen Persönlichkeit gehört deren Eigentümlichkeit. Aber innerhalb
ein und derselben Familie, dieses „natürlich-identischen," natürlich-einheitlichen
Kreises, haben die Personen eben nicht diese eigentümliche, für sich selbst seiende
Persönlichkeit gegen einander. Weil nun die Eigenheit fehlt, kann auch uicht


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[0408] Hegels Lehre über die Familie Außenwelt. Ans den Gegensätzen und Widersprüchen, durch die er hier hin¬ durch geht, erkämpft er sich seine sittliche Stellung wie seine Überzeugung, die Einheit mit sich selbst, die Treue gegen sich selbst. Diese Einheit mit sich, die der Mann im Kampfe mit der Außenwelt erringen muß, diese hat die Frau in „subjektiver Sittlichkeit," in der Weise der Empfindung, oder wie Hegel das einmal sehr schön nennt, in der Form der Pietät, ein Wort, was recht schwer zu übersetzen ist, wenn man es dem ganzen Umfange seiner Be¬ deutung nach zum Ausdruck bringen will. Denn mit Pietät will Hegel die Einigkeit des Empfindens und der sittlichen Gesinnung bezeichnen; er nennt das auch ,,substantielle Innerlichkeit," eine Innerlichkeit, die sich eins fühlt mit den geltenden sittlichen Mächten. Sie nun, diese in dem sittlichen Wesen gegründete Innerlichkeit, diese Pietät, ist vorzugsweise das Gesetz des Weibes, wie es Sophokles in der Antigone als der erhabensten Darstellung aller Pietät ausgesprochen hat. Es ist zugleich das ewige Gesetz, das Gesetz der Unter¬ irdischen, von dem niemand weiß, von wannen es kam, das ungeschriebene Gesetz, im Gegensatz zu dem Gesetz des Staates, dein geschriebenen. Die Pietät hat aber ihre Heimstätte in der Familie, und das ist der Grund, wes¬ halb die Frau das Haus uach innen zu vertreten, im Hause zu walten hat. Wie der Mann die Sittlichkeit am Weibe in der Form der Pietät anschaut und ein pietätloses Weib ihm immer ein Greuel sein wird, so wird er dagegen die Frau zarten Sinnes gern als Herrin des Hauses betrachten und ihrem Urteil überall da vertrauen, wo es sich um die „ungeschriebenen Gesetze" handelt. Es ist aber auch wegen dieser Bestimmung des Weibes, daß die Bildung der Frau sich mehr im ruhigen Entfalten, der Pflanze ähnlich, voll¬ zieht, als im Eifer des Ringens; sie geschieht mehr durch die Vorstellung, als durch den Gedanken, und mehr durch das Leben am häuslichen Herd, als durch das Erwerben von wissenschaftlichen Kenntnissen. Aus dem Begriff der Ehe ergiebt sich, daß sie Monogamie, Einehe ist. Denn wenn sie die gegenseitige ungelenke Angehörigkeit ist, „Identität meiner im Andern," so kann das Andre nur als „Individuum," als persönliche Eigenheit erfaßt werden. Die Monogamie ist darum ein „absolutes Prinzip," eine unbedingte Boraussetzung, worauf die Sittlichkeit eines Gemeinwesens beruht, und die Stiftung der Ehe gilt als eines voll den Gesetzen der gött¬ lichen Ordnung, wie sie sich in dem umfassendsten Gemeinwesen, dem Staate, darstellt. Weiter geht aus dem Begriff der Ehe hervor, daß sie aus ursprünglich verschiednen Persönlichkeiten, also aus getrennten Familien geschlossen werde. Denn zur vollen Persönlichkeit gehört deren Eigentümlichkeit. Aber innerhalb ein und derselben Familie, dieses „natürlich-identischen," natürlich-einheitlichen Kreises, haben die Personen eben nicht diese eigentümliche, für sich selbst seiende Persönlichkeit gegen einander. Weil nun die Eigenheit fehlt, kann auch uicht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/408>, abgerufen am 28.09.2024.