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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

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Hegels Lehre über die Familie

Je mehr die Ehe um ihren Zweck erreicht, desto unauflöslicher ist sie.
An sich ist sie, da ihr Zweck ein sittlicher ist, unauflöslich, d. h. sie soll nicht
aufgelöst werden. Aber sie ist es nur an sich, ihrer Bestimmung nach, und
darum trägt sie auch die Möglichkeit der Auflösung in sich. Das thut sie,
weil sie die Seite der Empfindung in sich hat, diese zu ihrem Bestände
gehört. Wo Empfindung ist, da ist auch Schwanken möglich. Die Gesetz¬
gebungen müssen die Auflösung der Ehe aufs schärfste erschweren, um das
Recht der Sittlichkeit gegen das Belieben aufrecht zu erhalten; aber sowenig
ein Zwang stattfinden kann, in die Ehe zu treten, so wenig giebt es ein nur
rechtlich positives, verpflichtendes Band, das die Eheleute bei entstandenen
niedrigen und feindseligen Gesinnungen noch zusammenzuhalten vermöchte. Sie
kann also, und es ist das ein wesentlicher Unterschied zwischen der ehelichen
und der staatlichen Vereinigung, getrennt werden, wenn eine gänzliche Ent¬
fremdung eingetreten ist, wie z. B. durch Ehebruch. Hegel zitirt dies Bei¬
spiel, aber eben nur als Beispiel; jede Art gänzlicher Entfremdung erlaubt die
Ehescheidung. Er bezieht sich hier auf ein Wort Christi: ,,Um eures Herzens
Härtigkeit willen" ist die Scheidung zugestanden.

Zur Scheidung selbst ist aber eine sittliche Autorität notwendig, die das
Recht der Ehe und ihres sittlichen Wesens (ihrer Substantialität, wie Hegel
sagt) gegen die Zufälligkeiten bloß "temporärer" Stimmung festhält, diese von
der völligen Entfremdung unterscheidet, die letztere anerkennt und erst in
diesem Falle die Scheidung eintreten läßt.

Sehr ausführlich, in einem besondern Zusatz zu 8 164 der Rechtsphilo¬
sophie, spricht Hegel über eine Anschauung von der Ehe, sowohl ihrem Ein¬
gehen als ihrem Bestand, wie sie die heutige Sozialdemokratie wieder zur Gel¬
tung bringen will. Er behandelt da die Ansicht von der freien Liebe, der die
Schließung der Ehe als überflüssig erscheint, als bloße Formalität, weil nnr
die Liebe das "substantielle," das allein Gehaltvolle sei. Zu Hegels Zeit
hat Friedrich vou Schlegel diese Ansicht in der Lucinde aufgestellt. Es ver¬
steht sich von selbst, daß Hegel bei seinem ausgeprägten Sinn für das Echte
in den sittlichen Verhältnissen, sich für die unbedingte Forderung erklärt, daß
die Liebe die Gestalt der Ehe erhalte, weil nur in ihr die beiden Seiten,
die in der Liebe sind, die natürliche und die sittliche, ihr wahrhaftes, ver¬
nünftiges Verhältnis erhalten. Dabei sagt Hegel über die ehelvse Hingebung
und deren verschiedne Beurteilung in der Gesellschaft nnr Mann und an der
Frau, daß diese sich daraus erkläre, daß das Mädchen in der sinnlichen Hin¬
gebung ihre Ehre aufgiebt, was bei dem Manne, der noch ein andres Feld
seiner sittlichen Thätigkeit als die Familie hat, nicht so der Fall sei. Die
Bestimmung der Frau besteht wesentlich nur in dem Verhältnis der Ehe.
Der Mann hat dagegen sein wirkliches, substantielles, d. h. hier sein berufs¬
mäßiges Leben im Staat, im Kampf und in der Arbeit mit und in der


Hegels Lehre über die Familie

Je mehr die Ehe um ihren Zweck erreicht, desto unauflöslicher ist sie.
An sich ist sie, da ihr Zweck ein sittlicher ist, unauflöslich, d. h. sie soll nicht
aufgelöst werden. Aber sie ist es nur an sich, ihrer Bestimmung nach, und
darum trägt sie auch die Möglichkeit der Auflösung in sich. Das thut sie,
weil sie die Seite der Empfindung in sich hat, diese zu ihrem Bestände
gehört. Wo Empfindung ist, da ist auch Schwanken möglich. Die Gesetz¬
gebungen müssen die Auflösung der Ehe aufs schärfste erschweren, um das
Recht der Sittlichkeit gegen das Belieben aufrecht zu erhalten; aber sowenig
ein Zwang stattfinden kann, in die Ehe zu treten, so wenig giebt es ein nur
rechtlich positives, verpflichtendes Band, das die Eheleute bei entstandenen
niedrigen und feindseligen Gesinnungen noch zusammenzuhalten vermöchte. Sie
kann also, und es ist das ein wesentlicher Unterschied zwischen der ehelichen
und der staatlichen Vereinigung, getrennt werden, wenn eine gänzliche Ent¬
fremdung eingetreten ist, wie z. B. durch Ehebruch. Hegel zitirt dies Bei¬
spiel, aber eben nur als Beispiel; jede Art gänzlicher Entfremdung erlaubt die
Ehescheidung. Er bezieht sich hier auf ein Wort Christi: ,,Um eures Herzens
Härtigkeit willen" ist die Scheidung zugestanden.

Zur Scheidung selbst ist aber eine sittliche Autorität notwendig, die das
Recht der Ehe und ihres sittlichen Wesens (ihrer Substantialität, wie Hegel
sagt) gegen die Zufälligkeiten bloß „temporärer" Stimmung festhält, diese von
der völligen Entfremdung unterscheidet, die letztere anerkennt und erst in
diesem Falle die Scheidung eintreten läßt.

Sehr ausführlich, in einem besondern Zusatz zu 8 164 der Rechtsphilo¬
sophie, spricht Hegel über eine Anschauung von der Ehe, sowohl ihrem Ein¬
gehen als ihrem Bestand, wie sie die heutige Sozialdemokratie wieder zur Gel¬
tung bringen will. Er behandelt da die Ansicht von der freien Liebe, der die
Schließung der Ehe als überflüssig erscheint, als bloße Formalität, weil nnr
die Liebe das „substantielle," das allein Gehaltvolle sei. Zu Hegels Zeit
hat Friedrich vou Schlegel diese Ansicht in der Lucinde aufgestellt. Es ver¬
steht sich von selbst, daß Hegel bei seinem ausgeprägten Sinn für das Echte
in den sittlichen Verhältnissen, sich für die unbedingte Forderung erklärt, daß
die Liebe die Gestalt der Ehe erhalte, weil nur in ihr die beiden Seiten,
die in der Liebe sind, die natürliche und die sittliche, ihr wahrhaftes, ver¬
nünftiges Verhältnis erhalten. Dabei sagt Hegel über die ehelvse Hingebung
und deren verschiedne Beurteilung in der Gesellschaft nnr Mann und an der
Frau, daß diese sich daraus erkläre, daß das Mädchen in der sinnlichen Hin¬
gebung ihre Ehre aufgiebt, was bei dem Manne, der noch ein andres Feld
seiner sittlichen Thätigkeit als die Familie hat, nicht so der Fall sei. Die
Bestimmung der Frau besteht wesentlich nur in dem Verhältnis der Ehe.
Der Mann hat dagegen sein wirkliches, substantielles, d. h. hier sein berufs¬
mäßiges Leben im Staat, im Kampf und in der Arbeit mit und in der


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[0407] Hegels Lehre über die Familie Je mehr die Ehe um ihren Zweck erreicht, desto unauflöslicher ist sie. An sich ist sie, da ihr Zweck ein sittlicher ist, unauflöslich, d. h. sie soll nicht aufgelöst werden. Aber sie ist es nur an sich, ihrer Bestimmung nach, und darum trägt sie auch die Möglichkeit der Auflösung in sich. Das thut sie, weil sie die Seite der Empfindung in sich hat, diese zu ihrem Bestände gehört. Wo Empfindung ist, da ist auch Schwanken möglich. Die Gesetz¬ gebungen müssen die Auflösung der Ehe aufs schärfste erschweren, um das Recht der Sittlichkeit gegen das Belieben aufrecht zu erhalten; aber sowenig ein Zwang stattfinden kann, in die Ehe zu treten, so wenig giebt es ein nur rechtlich positives, verpflichtendes Band, das die Eheleute bei entstandenen niedrigen und feindseligen Gesinnungen noch zusammenzuhalten vermöchte. Sie kann also, und es ist das ein wesentlicher Unterschied zwischen der ehelichen und der staatlichen Vereinigung, getrennt werden, wenn eine gänzliche Ent¬ fremdung eingetreten ist, wie z. B. durch Ehebruch. Hegel zitirt dies Bei¬ spiel, aber eben nur als Beispiel; jede Art gänzlicher Entfremdung erlaubt die Ehescheidung. Er bezieht sich hier auf ein Wort Christi: ,,Um eures Herzens Härtigkeit willen" ist die Scheidung zugestanden. Zur Scheidung selbst ist aber eine sittliche Autorität notwendig, die das Recht der Ehe und ihres sittlichen Wesens (ihrer Substantialität, wie Hegel sagt) gegen die Zufälligkeiten bloß „temporärer" Stimmung festhält, diese von der völligen Entfremdung unterscheidet, die letztere anerkennt und erst in diesem Falle die Scheidung eintreten läßt. Sehr ausführlich, in einem besondern Zusatz zu 8 164 der Rechtsphilo¬ sophie, spricht Hegel über eine Anschauung von der Ehe, sowohl ihrem Ein¬ gehen als ihrem Bestand, wie sie die heutige Sozialdemokratie wieder zur Gel¬ tung bringen will. Er behandelt da die Ansicht von der freien Liebe, der die Schließung der Ehe als überflüssig erscheint, als bloße Formalität, weil nnr die Liebe das „substantielle," das allein Gehaltvolle sei. Zu Hegels Zeit hat Friedrich vou Schlegel diese Ansicht in der Lucinde aufgestellt. Es ver¬ steht sich von selbst, daß Hegel bei seinem ausgeprägten Sinn für das Echte in den sittlichen Verhältnissen, sich für die unbedingte Forderung erklärt, daß die Liebe die Gestalt der Ehe erhalte, weil nur in ihr die beiden Seiten, die in der Liebe sind, die natürliche und die sittliche, ihr wahrhaftes, ver¬ nünftiges Verhältnis erhalten. Dabei sagt Hegel über die ehelvse Hingebung und deren verschiedne Beurteilung in der Gesellschaft nnr Mann und an der Frau, daß diese sich daraus erkläre, daß das Mädchen in der sinnlichen Hin¬ gebung ihre Ehre aufgiebt, was bei dem Manne, der noch ein andres Feld seiner sittlichen Thätigkeit als die Familie hat, nicht so der Fall sei. Die Bestimmung der Frau besteht wesentlich nur in dem Verhältnis der Ehe. Der Mann hat dagegen sein wirkliches, substantielles, d. h. hier sein berufs¬ mäßiges Leben im Staat, im Kampf und in der Arbeit mit und in der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/407>, abgerufen am 28.09.2024.