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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

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Hegels Tehre über die Familie

das Aufgehen im Andern die volle Freiheit haben, die zu einer sittlichen Hand¬
lung und zu einem sittlichen Verhältnis gehört. Die Ehe unter nahen Bluts¬
verwandten ist daher ihrem Begriffe selbst zuwider, wie sie auch wahrhafter
natürlicher Empfindung zuwider ist. Blutsverwandte sind schon in unmittel¬
barer Natürlichkeit vereinigt; was aber schon vereinigt ist, das kann nicht erst
noch vereinigt werden. Was vereinigt werden soll, das muß vorher getrennt
sein. So ist die Scheu vor Ehen unter Blutsverwandten schon durch den
Begriff der Sache gerechtfertigt, wie es denn auch bekannt ist, daß die Kraft
des Geistes und des Körpers bei fortgesetztem Heiraten in einer Familie immer
mehr abnimmt; Kraft stellt sich überall nur her aus Gegensätzen.

Wir kommen nun an das zweite Stück, das die Familie bildet, um das
Gut der Familie. Als eine Einheit hat die Familie ihre äußerliche Realität,
ihren äußerlichen Bestand in einem Eigentum; durch das Eigentum hat sie
ihr Dasein als ein wirksames, wodurch sie etwas vermag. Daher ist das
Eigentum das Vermögen der Familie. Es gehört also zum "substantiellen
Dasein" der Familie und bildet einen wesentlichen Bestandteil von ihr, oder,
wie Hegel das ausdrückt: das Vermögen der Familie bildet "ein den Begriff
derselben kvnftitnirendes Moment." Wie die Familie eine Einheit ist, so ist
sie auch eine rechtliche Person; darum hat sie, wie die Person überhaupt, das
Bedürfnis eines bleibenden sichern Besitzes; solchen Besitz nennen wir eben
Vermögen. Das Streben nach Vermögen wird erst in der Familie wahrhaft
sittlich. Denn das Bedürfnis sowie die Eigensucht des bloß Einzelnen ver¬
ändert sich in der Familie in die Sorge für ein Gemeinsames. Darin liegt
die sittliche Bedeutung des Vermögens, des festen Eigentums. Darum er¬
scheint anch die Einführung des Eigentums und die der Ehe in den Sagen
von den Stiftungen der Staaten bei einander, wie wir sie auch bei einander
finden in der herrlichsten poetischen Wiedergabe dieser Sagen in Schillers
"Eleusischem Feste."

Die Sorge für die Bedürfnisse und damit für den Erwerb nach außen
sowie die Verwaltung und die Verfügung über das Familienvermögen kommt
dem Manne zu, der die Familie als ihr Haupt vertritt. Trotzdem ist der
Erlverb gemeinsames Eigentum, an das jedes Familienglied sein Recht hat,
ohne daß irgend ein Glied ein besondres Recht daran geltend machen könnte.
Wegen dieses gemeinsamen Rechtes und des dem Haupte der Familie zustehenden
Verfügungsrechtes, das etwas Besonderes ist, können "Kollisionen" zwischen
dem Haupt und den andern Familiengliedern vorkommen, von denen Hegel
nicht fagt, wie sie ihre Lösung finden. Eine allgemeine Regel dafür läßt sich
auch gar uicht aufstellen; jeder Fall erfordert feine eigne Lösung, die bisweilen,
wenn starke Gegensätze in Konflikt geraten, recht tragischer Natur ist.

Aus dem Gesagten ergiebt sich, daß in der Ehe Gütergemeinschaft das
natürlich-sittliche Verhältnis ist. Ehevertrüge haben nur einen Sinn für den


Grenzlwtm lit 1690 51
Hegels Tehre über die Familie

das Aufgehen im Andern die volle Freiheit haben, die zu einer sittlichen Hand¬
lung und zu einem sittlichen Verhältnis gehört. Die Ehe unter nahen Bluts¬
verwandten ist daher ihrem Begriffe selbst zuwider, wie sie auch wahrhafter
natürlicher Empfindung zuwider ist. Blutsverwandte sind schon in unmittel¬
barer Natürlichkeit vereinigt; was aber schon vereinigt ist, das kann nicht erst
noch vereinigt werden. Was vereinigt werden soll, das muß vorher getrennt
sein. So ist die Scheu vor Ehen unter Blutsverwandten schon durch den
Begriff der Sache gerechtfertigt, wie es denn auch bekannt ist, daß die Kraft
des Geistes und des Körpers bei fortgesetztem Heiraten in einer Familie immer
mehr abnimmt; Kraft stellt sich überall nur her aus Gegensätzen.

Wir kommen nun an das zweite Stück, das die Familie bildet, um das
Gut der Familie. Als eine Einheit hat die Familie ihre äußerliche Realität,
ihren äußerlichen Bestand in einem Eigentum; durch das Eigentum hat sie
ihr Dasein als ein wirksames, wodurch sie etwas vermag. Daher ist das
Eigentum das Vermögen der Familie. Es gehört also zum „substantiellen
Dasein" der Familie und bildet einen wesentlichen Bestandteil von ihr, oder,
wie Hegel das ausdrückt: das Vermögen der Familie bildet „ein den Begriff
derselben kvnftitnirendes Moment." Wie die Familie eine Einheit ist, so ist
sie auch eine rechtliche Person; darum hat sie, wie die Person überhaupt, das
Bedürfnis eines bleibenden sichern Besitzes; solchen Besitz nennen wir eben
Vermögen. Das Streben nach Vermögen wird erst in der Familie wahrhaft
sittlich. Denn das Bedürfnis sowie die Eigensucht des bloß Einzelnen ver¬
ändert sich in der Familie in die Sorge für ein Gemeinsames. Darin liegt
die sittliche Bedeutung des Vermögens, des festen Eigentums. Darum er¬
scheint anch die Einführung des Eigentums und die der Ehe in den Sagen
von den Stiftungen der Staaten bei einander, wie wir sie auch bei einander
finden in der herrlichsten poetischen Wiedergabe dieser Sagen in Schillers
„Eleusischem Feste."

Die Sorge für die Bedürfnisse und damit für den Erwerb nach außen
sowie die Verwaltung und die Verfügung über das Familienvermögen kommt
dem Manne zu, der die Familie als ihr Haupt vertritt. Trotzdem ist der
Erlverb gemeinsames Eigentum, an das jedes Familienglied sein Recht hat,
ohne daß irgend ein Glied ein besondres Recht daran geltend machen könnte.
Wegen dieses gemeinsamen Rechtes und des dem Haupte der Familie zustehenden
Verfügungsrechtes, das etwas Besonderes ist, können „Kollisionen" zwischen
dem Haupt und den andern Familiengliedern vorkommen, von denen Hegel
nicht fagt, wie sie ihre Lösung finden. Eine allgemeine Regel dafür läßt sich
auch gar uicht aufstellen; jeder Fall erfordert feine eigne Lösung, die bisweilen,
wenn starke Gegensätze in Konflikt geraten, recht tragischer Natur ist.

Aus dem Gesagten ergiebt sich, daß in der Ehe Gütergemeinschaft das
natürlich-sittliche Verhältnis ist. Ehevertrüge haben nur einen Sinn für den


Grenzlwtm lit 1690 51
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[0409] Hegels Tehre über die Familie das Aufgehen im Andern die volle Freiheit haben, die zu einer sittlichen Hand¬ lung und zu einem sittlichen Verhältnis gehört. Die Ehe unter nahen Bluts¬ verwandten ist daher ihrem Begriffe selbst zuwider, wie sie auch wahrhafter natürlicher Empfindung zuwider ist. Blutsverwandte sind schon in unmittel¬ barer Natürlichkeit vereinigt; was aber schon vereinigt ist, das kann nicht erst noch vereinigt werden. Was vereinigt werden soll, das muß vorher getrennt sein. So ist die Scheu vor Ehen unter Blutsverwandten schon durch den Begriff der Sache gerechtfertigt, wie es denn auch bekannt ist, daß die Kraft des Geistes und des Körpers bei fortgesetztem Heiraten in einer Familie immer mehr abnimmt; Kraft stellt sich überall nur her aus Gegensätzen. Wir kommen nun an das zweite Stück, das die Familie bildet, um das Gut der Familie. Als eine Einheit hat die Familie ihre äußerliche Realität, ihren äußerlichen Bestand in einem Eigentum; durch das Eigentum hat sie ihr Dasein als ein wirksames, wodurch sie etwas vermag. Daher ist das Eigentum das Vermögen der Familie. Es gehört also zum „substantiellen Dasein" der Familie und bildet einen wesentlichen Bestandteil von ihr, oder, wie Hegel das ausdrückt: das Vermögen der Familie bildet „ein den Begriff derselben kvnftitnirendes Moment." Wie die Familie eine Einheit ist, so ist sie auch eine rechtliche Person; darum hat sie, wie die Person überhaupt, das Bedürfnis eines bleibenden sichern Besitzes; solchen Besitz nennen wir eben Vermögen. Das Streben nach Vermögen wird erst in der Familie wahrhaft sittlich. Denn das Bedürfnis sowie die Eigensucht des bloß Einzelnen ver¬ ändert sich in der Familie in die Sorge für ein Gemeinsames. Darin liegt die sittliche Bedeutung des Vermögens, des festen Eigentums. Darum er¬ scheint anch die Einführung des Eigentums und die der Ehe in den Sagen von den Stiftungen der Staaten bei einander, wie wir sie auch bei einander finden in der herrlichsten poetischen Wiedergabe dieser Sagen in Schillers „Eleusischem Feste." Die Sorge für die Bedürfnisse und damit für den Erwerb nach außen sowie die Verwaltung und die Verfügung über das Familienvermögen kommt dem Manne zu, der die Familie als ihr Haupt vertritt. Trotzdem ist der Erlverb gemeinsames Eigentum, an das jedes Familienglied sein Recht hat, ohne daß irgend ein Glied ein besondres Recht daran geltend machen könnte. Wegen dieses gemeinsamen Rechtes und des dem Haupte der Familie zustehenden Verfügungsrechtes, das etwas Besonderes ist, können „Kollisionen" zwischen dem Haupt und den andern Familiengliedern vorkommen, von denen Hegel nicht fagt, wie sie ihre Lösung finden. Eine allgemeine Regel dafür läßt sich auch gar uicht aufstellen; jeder Fall erfordert feine eigne Lösung, die bisweilen, wenn starke Gegensätze in Konflikt geraten, recht tragischer Natur ist. Aus dem Gesagten ergiebt sich, daß in der Ehe Gütergemeinschaft das natürlich-sittliche Verhältnis ist. Ehevertrüge haben nur einen Sinn für den Grenzlwtm lit 1690 51

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/409>, abgerufen am 26.06.2024.