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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

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oder Inspektor oder sonstigen Vorgesetzten haben muß, noch nichts angerechnet
ist. Wie aber die Verhältnisse in Wirklichkeit vielfach liegen, macht ein
Beispiel aus der Deutschen Gemeindezeitung (Beiblatt zu Ur, 18. 1890)
klar. Hier schreibt der Oberbürgermeister zu Neinscheid eine Polizeiiuspektvr-
stelle aus und benachrichtigt die Stellensuchenden dabei, daß Nemscheid einen
Stadtkreis mit 40 000 Seelen bildet, daß das Polizeipersonal ans
einem Polizeiinspektor, zwei Pvlizeikvmmissaren und elf Sergeanten sowie
sechs Schutzleuten für den Nachtdienst besteht. Nach der vorhergehenden Aus¬
führung müßte aber das Personal in Nemscheid mindestens aus einem Polizei-
inspektor, vier Polizeikommisfareu und sechsundzwanzig Polizeisergeanten bestehen
neben einem vollständig ausreichenden Nachtwächterkorps. Es fehlt also in
Nemscheid an zwei Polizeikommisfaren und fünfzehn Polizeisergeanten. Welche
Folgen die ungenügende Besetzung einer solchen Polizeiverwnltnng hat, möge
man in der vorerwähnten Schrift über die Polizeireorganisation ersehen. Wenn
dies aber bei einer so intelligenten Gemeindeverwaltung und Vertretung, wie
sie sich in Nemscheid findet, vorkommen kann, so muß daraus geschlossen werde",
daß die Aufsichtsbehörde nicht mit dein erforderlichen Nachdruck die Vervoll¬
ständigung und nötige Organisirung verlangt. Ist die Gemeinde dazu wegen
hoher Gemeindesteuern nicht imstande, so muß der Staat wirksam eintreten
und die Polizeiverwaltung übernehmen. Ebenso steht es in Oberhausen, einer
Treibhauspflanze, die in weniger als fünfzig Jahren aus einem unbekannten
Flecken zu einem wichtigen Eisenbahnknotenpunkt emporgewachsen ist. Falls
die an die Polizei gestellte gesetzliche Forderung, die öffentliche Ruhe, Sicher¬
heit und Ordnung zu erhalten, die dem Publikum drohende Gefahr abzuwenden
und die Übertreter der Strafgesetze zu ermitteln und zur Untersuchung und
Bestrafung zu bringen, erfüllt werden soll, muß man ihr die erforderliche Stärke
geben, sonst sinkt ihr Ansehen, und ihre Thätigkeit wird sich darauf beschränken,
die Gesetzesübertretungen zu sühnen, statt sie zu verhindern. Es soll keines¬
wegs verkannt werden, daß die Staatsbehörde in allen Polizeifragen mit be¬
sondern Schwierigkeiten zu kämpfen hat. Ist es doch dem Herrn Minister
des Innern bis jetzt noch nicht gelungen, den mehrmals eingebrachten Gesetz¬
entwurf wegen Regelung der Deckung der sächlichen Polizeikosten in beiden
Häusern des Landtages durchzubringen, obwohl diese Regelung durchaus nötig
ist, und die Anregung hierzu durch mehrere Beschlüsse des Abgeordnetenhauses
gegeben ist. Trotzdem kann nur bedauert werden, daß der Gesetzentwurf in
der letzten Sitzungszeit nicht wieder vorgelegt worden ist, und hoffentlich ge¬
schieht es noch in einer Herbstsitzung. Aber selbst das Scheitern dieses Gesetzes
dürfte von andern, nötigem Maßregeln nicht abhalten. Es würde sich empfehlen,
in erster Linie eine allgemeine Berichterstattung über die Verhältnisse der
Polizeiverwaltungen nach bestimmten Fragen zu fordern, und damit sich das
Material nicht gar zu sehr haust, könnte man diese zunächst auf alle Polizei-


oder Inspektor oder sonstigen Vorgesetzten haben muß, noch nichts angerechnet
ist. Wie aber die Verhältnisse in Wirklichkeit vielfach liegen, macht ein
Beispiel aus der Deutschen Gemeindezeitung (Beiblatt zu Ur, 18. 1890)
klar. Hier schreibt der Oberbürgermeister zu Neinscheid eine Polizeiiuspektvr-
stelle aus und benachrichtigt die Stellensuchenden dabei, daß Nemscheid einen
Stadtkreis mit 40 000 Seelen bildet, daß das Polizeipersonal ans
einem Polizeiinspektor, zwei Pvlizeikvmmissaren und elf Sergeanten sowie
sechs Schutzleuten für den Nachtdienst besteht. Nach der vorhergehenden Aus¬
führung müßte aber das Personal in Nemscheid mindestens aus einem Polizei-
inspektor, vier Polizeikommisfareu und sechsundzwanzig Polizeisergeanten bestehen
neben einem vollständig ausreichenden Nachtwächterkorps. Es fehlt also in
Nemscheid an zwei Polizeikommisfaren und fünfzehn Polizeisergeanten. Welche
Folgen die ungenügende Besetzung einer solchen Polizeiverwnltnng hat, möge
man in der vorerwähnten Schrift über die Polizeireorganisation ersehen. Wenn
dies aber bei einer so intelligenten Gemeindeverwaltung und Vertretung, wie
sie sich in Nemscheid findet, vorkommen kann, so muß daraus geschlossen werde»,
daß die Aufsichtsbehörde nicht mit dein erforderlichen Nachdruck die Vervoll¬
ständigung und nötige Organisirung verlangt. Ist die Gemeinde dazu wegen
hoher Gemeindesteuern nicht imstande, so muß der Staat wirksam eintreten
und die Polizeiverwaltung übernehmen. Ebenso steht es in Oberhausen, einer
Treibhauspflanze, die in weniger als fünfzig Jahren aus einem unbekannten
Flecken zu einem wichtigen Eisenbahnknotenpunkt emporgewachsen ist. Falls
die an die Polizei gestellte gesetzliche Forderung, die öffentliche Ruhe, Sicher¬
heit und Ordnung zu erhalten, die dem Publikum drohende Gefahr abzuwenden
und die Übertreter der Strafgesetze zu ermitteln und zur Untersuchung und
Bestrafung zu bringen, erfüllt werden soll, muß man ihr die erforderliche Stärke
geben, sonst sinkt ihr Ansehen, und ihre Thätigkeit wird sich darauf beschränken,
die Gesetzesübertretungen zu sühnen, statt sie zu verhindern. Es soll keines¬
wegs verkannt werden, daß die Staatsbehörde in allen Polizeifragen mit be¬
sondern Schwierigkeiten zu kämpfen hat. Ist es doch dem Herrn Minister
des Innern bis jetzt noch nicht gelungen, den mehrmals eingebrachten Gesetz¬
entwurf wegen Regelung der Deckung der sächlichen Polizeikosten in beiden
Häusern des Landtages durchzubringen, obwohl diese Regelung durchaus nötig
ist, und die Anregung hierzu durch mehrere Beschlüsse des Abgeordnetenhauses
gegeben ist. Trotzdem kann nur bedauert werden, daß der Gesetzentwurf in
der letzten Sitzungszeit nicht wieder vorgelegt worden ist, und hoffentlich ge¬
schieht es noch in einer Herbstsitzung. Aber selbst das Scheitern dieses Gesetzes
dürfte von andern, nötigem Maßregeln nicht abhalten. Es würde sich empfehlen,
in erster Linie eine allgemeine Berichterstattung über die Verhältnisse der
Polizeiverwaltungen nach bestimmten Fragen zu fordern, und damit sich das
Material nicht gar zu sehr haust, könnte man diese zunächst auf alle Polizei-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/400>, abgerufen am 26.06.2024.