Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite

eben eine doppelte Art, einen Vertrag zu vereinbaren. Die eine besteht darin,
daß der eine Teil dem andern jedesmal besonders die Bedingungen des Ver¬
tragsschlusses mitteilt und darnach mit ihm übereinkommt. Wenn aber jemand
in der Lage ist, vielfach Verträge derselben Art mit andern abzuschließen, dann
thut er wohl, sich im beiderseitigen Interesse einer andern Art des Vertrags-
schlusses zu bedienen. Diese besteht darin, daß er die Bedingungen, uuter denen er
Vertrüge zu schließen bereit ist, öffentlich kundgiebt. Dann kann er mit Beziehung
hierauf die Verträge in einfachster Form abschließen. Die öffentlich kund¬
gegebenen Bedingungen gelten für jeden einzelnen Vertrag. In dieser Weise
schließen z. B. die Eisenbahnverwaltungen alle ihre Transportverträge ub.
In den allgemeinen Regulativen, die sie erlassen, sind die Bedingungen, unter
denen sie die Beförderung von Personen und Sachen übernehmen, genau be¬
stimmt, und diesen Bedingungen unterwirft sich jeder, der mit ihnen einen
Transportvertrag eingeht. Die allgemeinen Bestimmungen bilden die vertrags¬
mäßige Ergänzung jedes einzelnen Vertrages.

Ganz dasselbe soll nun auch die Arbeitsordnung für den Arbeitsvertrag
sein. Wer in der Fabrik in Arbeit tritt, geht den Arbeitsvertrag nach Ma߬
gabe der erlassenen Arbeitsordnung ein. Es liegt auf der Hand, daß dadurch
der Arbeitsvertrag einen bestimmteren, keines weitern Beweises bedürfenden
Inhalt erhält, daß dadurch Willkürlichkeiten gehindert und Streitigkeiten ver¬
mieden werden. Insofern ist also die Vorschrift, daß jeder Fabrikherr eine
Arbeitsordnung zu erlassen habe, durchaus verständig und wohlthätig.

Zweckmäßig erscheint auch die Vorschrift, daß die erlassene Arbeitsordnung
der Verwaltungsbehörde eingereicht werden soll. Für unzweifelhaft halten
wir, daß die Verwaltungsbehörde nur eingreifen darf, wenn die erlassene
Arbeitsordnung den gesetzlichen Vorschriften nicht entspricht. Immerhin wird
aber auch schon die durch die Einreichung herbeigeführte Öffentlichkeit dahin
wirken, daß unangemessene Anordnungen, auch wenn sie nicht gerade den Ge¬
setzen zuwiderlaufen, vermieden werden.

Es versteht sich von selbst, daß der Arbeiter, der auf Grund einer be¬
stehenden Arbeitsordnung in die Arbeit getreten ist, sich keine willkürliche Ände¬
rung gefallen zu lassen braucht, so lange sein Arbeitsvertrag dauert. Die Vor¬
schriften, die in 8 134" des Entwurfs enthalten sind, sind nichts weiter als
Folgerungen daraus, daß jeder Arbeiter sich nur nach Maßgabe der Arbeits¬
ordnung verpflichtet hat. Namentlich sind auch die Strafen, die auszusprechen
der Fabrikherr in der Arbeitsordnung sich vorbehält, nichts andres, als Kon¬
ventionalstrafen. Wird nun die Arbeitsordnung ohne Zustimmung des Arbeiters
geändert, so ist dieser berechtigt, sein Arbeitsverhältnis zu kündigen und nach
Ablauf der Kündigungsfrist es zu verlassen, bis dahin aber noch nach der
alten Arbeitsordnung fortzuleben. Das ist seine Freiheit und sein Recht, die
ihm niemand nehmen oder beschränken kann.


eben eine doppelte Art, einen Vertrag zu vereinbaren. Die eine besteht darin,
daß der eine Teil dem andern jedesmal besonders die Bedingungen des Ver¬
tragsschlusses mitteilt und darnach mit ihm übereinkommt. Wenn aber jemand
in der Lage ist, vielfach Verträge derselben Art mit andern abzuschließen, dann
thut er wohl, sich im beiderseitigen Interesse einer andern Art des Vertrags-
schlusses zu bedienen. Diese besteht darin, daß er die Bedingungen, uuter denen er
Vertrüge zu schließen bereit ist, öffentlich kundgiebt. Dann kann er mit Beziehung
hierauf die Verträge in einfachster Form abschließen. Die öffentlich kund¬
gegebenen Bedingungen gelten für jeden einzelnen Vertrag. In dieser Weise
schließen z. B. die Eisenbahnverwaltungen alle ihre Transportverträge ub.
In den allgemeinen Regulativen, die sie erlassen, sind die Bedingungen, unter
denen sie die Beförderung von Personen und Sachen übernehmen, genau be¬
stimmt, und diesen Bedingungen unterwirft sich jeder, der mit ihnen einen
Transportvertrag eingeht. Die allgemeinen Bestimmungen bilden die vertrags¬
mäßige Ergänzung jedes einzelnen Vertrages.

Ganz dasselbe soll nun auch die Arbeitsordnung für den Arbeitsvertrag
sein. Wer in der Fabrik in Arbeit tritt, geht den Arbeitsvertrag nach Ma߬
gabe der erlassenen Arbeitsordnung ein. Es liegt auf der Hand, daß dadurch
der Arbeitsvertrag einen bestimmteren, keines weitern Beweises bedürfenden
Inhalt erhält, daß dadurch Willkürlichkeiten gehindert und Streitigkeiten ver¬
mieden werden. Insofern ist also die Vorschrift, daß jeder Fabrikherr eine
Arbeitsordnung zu erlassen habe, durchaus verständig und wohlthätig.

Zweckmäßig erscheint auch die Vorschrift, daß die erlassene Arbeitsordnung
der Verwaltungsbehörde eingereicht werden soll. Für unzweifelhaft halten
wir, daß die Verwaltungsbehörde nur eingreifen darf, wenn die erlassene
Arbeitsordnung den gesetzlichen Vorschriften nicht entspricht. Immerhin wird
aber auch schon die durch die Einreichung herbeigeführte Öffentlichkeit dahin
wirken, daß unangemessene Anordnungen, auch wenn sie nicht gerade den Ge¬
setzen zuwiderlaufen, vermieden werden.

Es versteht sich von selbst, daß der Arbeiter, der auf Grund einer be¬
stehenden Arbeitsordnung in die Arbeit getreten ist, sich keine willkürliche Ände¬
rung gefallen zu lassen braucht, so lange sein Arbeitsvertrag dauert. Die Vor¬
schriften, die in 8 134« des Entwurfs enthalten sind, sind nichts weiter als
Folgerungen daraus, daß jeder Arbeiter sich nur nach Maßgabe der Arbeits¬
ordnung verpflichtet hat. Namentlich sind auch die Strafen, die auszusprechen
der Fabrikherr in der Arbeitsordnung sich vorbehält, nichts andres, als Kon¬
ventionalstrafen. Wird nun die Arbeitsordnung ohne Zustimmung des Arbeiters
geändert, so ist dieser berechtigt, sein Arbeitsverhältnis zu kündigen und nach
Ablauf der Kündigungsfrist es zu verlassen, bis dahin aber noch nach der
alten Arbeitsordnung fortzuleben. Das ist seine Freiheit und sein Recht, die
ihm niemand nehmen oder beschränken kann.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0395" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/208332"/>
          <fw type="header" place="top"/><lb/>
          <p xml:id="ID_1220" prev="#ID_1219"> eben eine doppelte Art, einen Vertrag zu vereinbaren. Die eine besteht darin,<lb/>
daß der eine Teil dem andern jedesmal besonders die Bedingungen des Ver¬<lb/>
tragsschlusses mitteilt und darnach mit ihm übereinkommt. Wenn aber jemand<lb/>
in der Lage ist, vielfach Verträge derselben Art mit andern abzuschließen, dann<lb/>
thut er wohl, sich im beiderseitigen Interesse einer andern Art des Vertrags-<lb/>
schlusses zu bedienen. Diese besteht darin, daß er die Bedingungen, uuter denen er<lb/>
Vertrüge zu schließen bereit ist, öffentlich kundgiebt. Dann kann er mit Beziehung<lb/>
hierauf die Verträge in einfachster Form abschließen. Die öffentlich kund¬<lb/>
gegebenen Bedingungen gelten für jeden einzelnen Vertrag. In dieser Weise<lb/>
schließen z. B. die Eisenbahnverwaltungen alle ihre Transportverträge ub.<lb/>
In den allgemeinen Regulativen, die sie erlassen, sind die Bedingungen, unter<lb/>
denen sie die Beförderung von Personen und Sachen übernehmen, genau be¬<lb/>
stimmt, und diesen Bedingungen unterwirft sich jeder, der mit ihnen einen<lb/>
Transportvertrag eingeht. Die allgemeinen Bestimmungen bilden die vertrags¬<lb/>
mäßige Ergänzung jedes einzelnen Vertrages.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1221"> Ganz dasselbe soll nun auch die Arbeitsordnung für den Arbeitsvertrag<lb/>
sein. Wer in der Fabrik in Arbeit tritt, geht den Arbeitsvertrag nach Ma߬<lb/>
gabe der erlassenen Arbeitsordnung ein. Es liegt auf der Hand, daß dadurch<lb/>
der Arbeitsvertrag einen bestimmteren, keines weitern Beweises bedürfenden<lb/>
Inhalt erhält, daß dadurch Willkürlichkeiten gehindert und Streitigkeiten ver¬<lb/>
mieden werden. Insofern ist also die Vorschrift, daß jeder Fabrikherr eine<lb/>
Arbeitsordnung zu erlassen habe, durchaus verständig und wohlthätig.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1222"> Zweckmäßig erscheint auch die Vorschrift, daß die erlassene Arbeitsordnung<lb/>
der Verwaltungsbehörde eingereicht werden soll. Für unzweifelhaft halten<lb/>
wir, daß die Verwaltungsbehörde nur eingreifen darf, wenn die erlassene<lb/>
Arbeitsordnung den gesetzlichen Vorschriften nicht entspricht. Immerhin wird<lb/>
aber auch schon die durch die Einreichung herbeigeführte Öffentlichkeit dahin<lb/>
wirken, daß unangemessene Anordnungen, auch wenn sie nicht gerade den Ge¬<lb/>
setzen zuwiderlaufen, vermieden werden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1223"> Es versteht sich von selbst, daß der Arbeiter, der auf Grund einer be¬<lb/>
stehenden Arbeitsordnung in die Arbeit getreten ist, sich keine willkürliche Ände¬<lb/>
rung gefallen zu lassen braucht, so lange sein Arbeitsvertrag dauert. Die Vor¬<lb/>
schriften, die in 8 134« des Entwurfs enthalten sind, sind nichts weiter als<lb/>
Folgerungen daraus, daß jeder Arbeiter sich nur nach Maßgabe der Arbeits¬<lb/>
ordnung verpflichtet hat. Namentlich sind auch die Strafen, die auszusprechen<lb/>
der Fabrikherr in der Arbeitsordnung sich vorbehält, nichts andres, als Kon¬<lb/>
ventionalstrafen. Wird nun die Arbeitsordnung ohne Zustimmung des Arbeiters<lb/>
geändert, so ist dieser berechtigt, sein Arbeitsverhältnis zu kündigen und nach<lb/>
Ablauf der Kündigungsfrist es zu verlassen, bis dahin aber noch nach der<lb/>
alten Arbeitsordnung fortzuleben. Das ist seine Freiheit und sein Recht, die<lb/>
ihm niemand nehmen oder beschränken kann.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0395] eben eine doppelte Art, einen Vertrag zu vereinbaren. Die eine besteht darin, daß der eine Teil dem andern jedesmal besonders die Bedingungen des Ver¬ tragsschlusses mitteilt und darnach mit ihm übereinkommt. Wenn aber jemand in der Lage ist, vielfach Verträge derselben Art mit andern abzuschließen, dann thut er wohl, sich im beiderseitigen Interesse einer andern Art des Vertrags- schlusses zu bedienen. Diese besteht darin, daß er die Bedingungen, uuter denen er Vertrüge zu schließen bereit ist, öffentlich kundgiebt. Dann kann er mit Beziehung hierauf die Verträge in einfachster Form abschließen. Die öffentlich kund¬ gegebenen Bedingungen gelten für jeden einzelnen Vertrag. In dieser Weise schließen z. B. die Eisenbahnverwaltungen alle ihre Transportverträge ub. In den allgemeinen Regulativen, die sie erlassen, sind die Bedingungen, unter denen sie die Beförderung von Personen und Sachen übernehmen, genau be¬ stimmt, und diesen Bedingungen unterwirft sich jeder, der mit ihnen einen Transportvertrag eingeht. Die allgemeinen Bestimmungen bilden die vertrags¬ mäßige Ergänzung jedes einzelnen Vertrages. Ganz dasselbe soll nun auch die Arbeitsordnung für den Arbeitsvertrag sein. Wer in der Fabrik in Arbeit tritt, geht den Arbeitsvertrag nach Ma߬ gabe der erlassenen Arbeitsordnung ein. Es liegt auf der Hand, daß dadurch der Arbeitsvertrag einen bestimmteren, keines weitern Beweises bedürfenden Inhalt erhält, daß dadurch Willkürlichkeiten gehindert und Streitigkeiten ver¬ mieden werden. Insofern ist also die Vorschrift, daß jeder Fabrikherr eine Arbeitsordnung zu erlassen habe, durchaus verständig und wohlthätig. Zweckmäßig erscheint auch die Vorschrift, daß die erlassene Arbeitsordnung der Verwaltungsbehörde eingereicht werden soll. Für unzweifelhaft halten wir, daß die Verwaltungsbehörde nur eingreifen darf, wenn die erlassene Arbeitsordnung den gesetzlichen Vorschriften nicht entspricht. Immerhin wird aber auch schon die durch die Einreichung herbeigeführte Öffentlichkeit dahin wirken, daß unangemessene Anordnungen, auch wenn sie nicht gerade den Ge¬ setzen zuwiderlaufen, vermieden werden. Es versteht sich von selbst, daß der Arbeiter, der auf Grund einer be¬ stehenden Arbeitsordnung in die Arbeit getreten ist, sich keine willkürliche Ände¬ rung gefallen zu lassen braucht, so lange sein Arbeitsvertrag dauert. Die Vor¬ schriften, die in 8 134« des Entwurfs enthalten sind, sind nichts weiter als Folgerungen daraus, daß jeder Arbeiter sich nur nach Maßgabe der Arbeits¬ ordnung verpflichtet hat. Namentlich sind auch die Strafen, die auszusprechen der Fabrikherr in der Arbeitsordnung sich vorbehält, nichts andres, als Kon¬ ventionalstrafen. Wird nun die Arbeitsordnung ohne Zustimmung des Arbeiters geändert, so ist dieser berechtigt, sein Arbeitsverhältnis zu kündigen und nach Ablauf der Kündigungsfrist es zu verlassen, bis dahin aber noch nach der alten Arbeitsordnung fortzuleben. Das ist seine Freiheit und sein Recht, die ihm niemand nehmen oder beschränken kann.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/395
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/395>, abgerufen am 26.06.2024.