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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

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Die Arbeitsordnung und der Arbeitsvertrag

Daraus ergiebt sich, daß, wenn ein Fabrikherr eine neue Arbeitsordnung
geben will, und wenn er Arbeiter hat, auf deren Verbleiben er Wert legt, er
in der Regel wohlthun wird, sich mit seinen Arbeitern im voraus über die
zu erlassende Arbeitsordnung zu besprechen, um so das Verbleiben seiner
Arbeiter zu sichern. Dadurch wird die Natur des Arbeitsvertrages in keiner
Weise geändert. Selbstverständlich kann aber auch -- wenigstens nach allge¬
meinen Grundsätzen -- der Arbeitgeber die Arbeitsordnung einseitig aufstellen.
Er muß dann nur gewärtigen, daß ihm seine Arbeiter die Arbeit sofort
kündigen; und er ist verpflichtet, während der Dauer der Mmdiguugsfrist ihnen
den Arbeitsvertrag nach der alten Arbeitsordnung einzuhalten.

Wenn nun der Entwurf vorschreibt, daß der Fabrikherr vor Erlaß einer
Arbeitsordnung eine Äußerung seiner Arbeiter darüber einholen soll, so will
er offenbar damit den Fabrikherrn in keiner Weise an diese Äußerung binden.
Er läßt ihm das Recht, die Arbeitsordnung zu geben, wie er will; es ist
nur (in Z 134 s,, Abs. 4) vorgeschrieben, daß die neue Arbeitsordnung erst
uach Ablauf von zwei Wochen nach ihrem Erlaß in Geltung treten darf.
Die Motive sagen ausdrücklich, daß diese Frist bestimmt sei, den Arbeitern die
Möglichkeit zu gewähren, durch Kündigung sich der neuen Arbeitsordnung zu
entziehen.

Gleichwohl scheint auch uus jene Vorschrift nicht unbedenklich. Es ist
immer mißlich, etwas als Rechtsvorschrift aufzustellen, was doch kein wirkliches
Recht geben soll, sich vielmehr seiner innersten Natur nach nur als eine unter
Umständen angemessene und verstündige Rücksicht empfiehlt. Wo die Ver¬
hältnisse so liegen, daß der Fabrikherr es seinem eignen Interesse entsprechend
findet, über eine zu erlassende Arbeitsordnung seine Arbeiter zu hören, wird
er es von selbst thun, wenn er auch in der Regel wohl nicht alle Arbeiter,
sondern nur einige zuverlässige zu Rate ziehen wird. Wo aber die Ver¬
hältnisse anders liegen, wo der Fabrikherr eine Änderung der Arbeits¬
ordnung unbedingt nötig findet und es deshalb darauf ankommen lassen
will, ob ihm seine Arbeiter kündigen werden, warum will man ihn da
zwingen, erst mit seinen Arbeitern darüber zu verhandeln? Es ist ein altes
Sprichwort: "Wer viel fragt, wird viel berichtet." Unter den Arbeitern einer
Fabrik finden sich meistens auch unzufriedene Elemente. Es ist bedenklich,
diese zum Reden herauszufordern. Ein Recht, gefragt zu werden, während
doch auf die Antwort nichts ankommen soll, ist jedenfalls etwas sehr Unge¬
wöhnliches. Leicht wird sich bei den Arbeitern die Ansicht bilden, daß, wenn
sie über die zu erlassende Fabrikordnung gehört werden müssen, sie auch das
Recht hätten, dazu "Nein" zu sagen. Erläßt dann nach einem solchen Nein
der Fabrikherr die Ordnung doch, so wird das erst recht böses Blut setzen und
wahrlich nicht zur Förderung des sozialen Friedens beitragen. Mancher
Arbeiter, der einer ihm nicht ganz bequemen Arbeitsordnung, wenn sie einmal


Die Arbeitsordnung und der Arbeitsvertrag

Daraus ergiebt sich, daß, wenn ein Fabrikherr eine neue Arbeitsordnung
geben will, und wenn er Arbeiter hat, auf deren Verbleiben er Wert legt, er
in der Regel wohlthun wird, sich mit seinen Arbeitern im voraus über die
zu erlassende Arbeitsordnung zu besprechen, um so das Verbleiben seiner
Arbeiter zu sichern. Dadurch wird die Natur des Arbeitsvertrages in keiner
Weise geändert. Selbstverständlich kann aber auch — wenigstens nach allge¬
meinen Grundsätzen — der Arbeitgeber die Arbeitsordnung einseitig aufstellen.
Er muß dann nur gewärtigen, daß ihm seine Arbeiter die Arbeit sofort
kündigen; und er ist verpflichtet, während der Dauer der Mmdiguugsfrist ihnen
den Arbeitsvertrag nach der alten Arbeitsordnung einzuhalten.

Wenn nun der Entwurf vorschreibt, daß der Fabrikherr vor Erlaß einer
Arbeitsordnung eine Äußerung seiner Arbeiter darüber einholen soll, so will
er offenbar damit den Fabrikherrn in keiner Weise an diese Äußerung binden.
Er läßt ihm das Recht, die Arbeitsordnung zu geben, wie er will; es ist
nur (in Z 134 s,, Abs. 4) vorgeschrieben, daß die neue Arbeitsordnung erst
uach Ablauf von zwei Wochen nach ihrem Erlaß in Geltung treten darf.
Die Motive sagen ausdrücklich, daß diese Frist bestimmt sei, den Arbeitern die
Möglichkeit zu gewähren, durch Kündigung sich der neuen Arbeitsordnung zu
entziehen.

Gleichwohl scheint auch uus jene Vorschrift nicht unbedenklich. Es ist
immer mißlich, etwas als Rechtsvorschrift aufzustellen, was doch kein wirkliches
Recht geben soll, sich vielmehr seiner innersten Natur nach nur als eine unter
Umständen angemessene und verstündige Rücksicht empfiehlt. Wo die Ver¬
hältnisse so liegen, daß der Fabrikherr es seinem eignen Interesse entsprechend
findet, über eine zu erlassende Arbeitsordnung seine Arbeiter zu hören, wird
er es von selbst thun, wenn er auch in der Regel wohl nicht alle Arbeiter,
sondern nur einige zuverlässige zu Rate ziehen wird. Wo aber die Ver¬
hältnisse anders liegen, wo der Fabrikherr eine Änderung der Arbeits¬
ordnung unbedingt nötig findet und es deshalb darauf ankommen lassen
will, ob ihm seine Arbeiter kündigen werden, warum will man ihn da
zwingen, erst mit seinen Arbeitern darüber zu verhandeln? Es ist ein altes
Sprichwort: „Wer viel fragt, wird viel berichtet." Unter den Arbeitern einer
Fabrik finden sich meistens auch unzufriedene Elemente. Es ist bedenklich,
diese zum Reden herauszufordern. Ein Recht, gefragt zu werden, während
doch auf die Antwort nichts ankommen soll, ist jedenfalls etwas sehr Unge¬
wöhnliches. Leicht wird sich bei den Arbeitern die Ansicht bilden, daß, wenn
sie über die zu erlassende Fabrikordnung gehört werden müssen, sie auch das
Recht hätten, dazu „Nein" zu sagen. Erläßt dann nach einem solchen Nein
der Fabrikherr die Ordnung doch, so wird das erst recht böses Blut setzen und
wahrlich nicht zur Förderung des sozialen Friedens beitragen. Mancher
Arbeiter, der einer ihm nicht ganz bequemen Arbeitsordnung, wenn sie einmal


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[0396] Die Arbeitsordnung und der Arbeitsvertrag Daraus ergiebt sich, daß, wenn ein Fabrikherr eine neue Arbeitsordnung geben will, und wenn er Arbeiter hat, auf deren Verbleiben er Wert legt, er in der Regel wohlthun wird, sich mit seinen Arbeitern im voraus über die zu erlassende Arbeitsordnung zu besprechen, um so das Verbleiben seiner Arbeiter zu sichern. Dadurch wird die Natur des Arbeitsvertrages in keiner Weise geändert. Selbstverständlich kann aber auch — wenigstens nach allge¬ meinen Grundsätzen — der Arbeitgeber die Arbeitsordnung einseitig aufstellen. Er muß dann nur gewärtigen, daß ihm seine Arbeiter die Arbeit sofort kündigen; und er ist verpflichtet, während der Dauer der Mmdiguugsfrist ihnen den Arbeitsvertrag nach der alten Arbeitsordnung einzuhalten. Wenn nun der Entwurf vorschreibt, daß der Fabrikherr vor Erlaß einer Arbeitsordnung eine Äußerung seiner Arbeiter darüber einholen soll, so will er offenbar damit den Fabrikherrn in keiner Weise an diese Äußerung binden. Er läßt ihm das Recht, die Arbeitsordnung zu geben, wie er will; es ist nur (in Z 134 s,, Abs. 4) vorgeschrieben, daß die neue Arbeitsordnung erst uach Ablauf von zwei Wochen nach ihrem Erlaß in Geltung treten darf. Die Motive sagen ausdrücklich, daß diese Frist bestimmt sei, den Arbeitern die Möglichkeit zu gewähren, durch Kündigung sich der neuen Arbeitsordnung zu entziehen. Gleichwohl scheint auch uus jene Vorschrift nicht unbedenklich. Es ist immer mißlich, etwas als Rechtsvorschrift aufzustellen, was doch kein wirkliches Recht geben soll, sich vielmehr seiner innersten Natur nach nur als eine unter Umständen angemessene und verstündige Rücksicht empfiehlt. Wo die Ver¬ hältnisse so liegen, daß der Fabrikherr es seinem eignen Interesse entsprechend findet, über eine zu erlassende Arbeitsordnung seine Arbeiter zu hören, wird er es von selbst thun, wenn er auch in der Regel wohl nicht alle Arbeiter, sondern nur einige zuverlässige zu Rate ziehen wird. Wo aber die Ver¬ hältnisse anders liegen, wo der Fabrikherr eine Änderung der Arbeits¬ ordnung unbedingt nötig findet und es deshalb darauf ankommen lassen will, ob ihm seine Arbeiter kündigen werden, warum will man ihn da zwingen, erst mit seinen Arbeitern darüber zu verhandeln? Es ist ein altes Sprichwort: „Wer viel fragt, wird viel berichtet." Unter den Arbeitern einer Fabrik finden sich meistens auch unzufriedene Elemente. Es ist bedenklich, diese zum Reden herauszufordern. Ein Recht, gefragt zu werden, während doch auf die Antwort nichts ankommen soll, ist jedenfalls etwas sehr Unge¬ wöhnliches. Leicht wird sich bei den Arbeitern die Ansicht bilden, daß, wenn sie über die zu erlassende Fabrikordnung gehört werden müssen, sie auch das Recht hätten, dazu „Nein" zu sagen. Erläßt dann nach einem solchen Nein der Fabrikherr die Ordnung doch, so wird das erst recht böses Blut setzen und wahrlich nicht zur Förderung des sozialen Friedens beitragen. Mancher Arbeiter, der einer ihm nicht ganz bequemen Arbeitsordnung, wenn sie einmal

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/396>, abgerufen am 26.07.2024.