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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

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Politik, die heute den Männern der Bismarckschen Schule -- sofern von einer
solchen gesprochen werden darf -- geläufig sind. So oft der Papst eine kaiser¬
freundliche Wendung wagte, wurde er von niemandem rücksichtsloser bekämpft,
als von den "Getreuen der Kirche." In solchen Zeiten hatten päpstliche Ab¬
gesandte in einer Welfenstadt nichts zu erwarten, als eine Tracht Prügel oder
den Tod, und päpstliche Briefe wurden als Wische behandelt, die keiner Be¬
achtung wert seien. Als Heinrich VII., der im Einvernehmen mit Papst
Clemens V. nach Italien gekommen war, die ihn begleitenden Legaten fragte,
ob sie nicht Vollmacht hätten, die Rebellen gegen Kaiser und Papst zu bannen,
da antworteten diese Kardinäle, die Vollmacht Hütten sie schon, aber wenn des
Kaisers Schwert nicht stark genug sei, den Bannspruch zu vollstrecken, dann
nutze dieser nichts, denn in Italien mache sich niemand etwas daraus;
die Florentiner und Bologneser -- es waren dies die führenden Städte im
Welfenbunde -- lebten seit Jahren im Banne und ließen sichs wohl
sein dabei.

Der Leser möge diese geschichtliche Abschweifung entschuldigen; eine schiefe
Auffassung der Vergangenheit erschwert die richtige Beurteilung der Gegenwart
ganz außerordentlich.

Breche hebt sodann die für Deutschland unheilvolle Rolle hervor, die das
Hans Habsburg namentlich im Neformntivnszeitalter spielte, rechtfertigt die
Bündnisse protestantischer Fürsten mit dem Auslande, beweist die Notwendig¬
keit des fürstlichen Absolutismus in der nachfolgenden Periode und schildert
das Keimen des deutschen Patriotismus unter Friedrich dem Großen und seine
herrliche Blüte in der Zeit der Befreiungskriege. In alledem sind wir mit
ihm vollkommen einverstanden. Besondern Dank verdient die Mitteilung längerer
Stellen aus Schriften E. M. Arndts und F. L. Jahns, die leider teils ver¬
gesse", teils ganz unbekannt sind. Der Abschnitt schließt mit der Aufzählung
einiger der Mäuner, die um ihrer Überzeugung und ihrer patriotischem Unter¬
nehmungen willen Verbannung oder den Tod erlitten haben und so zu Mär¬
tyrern fürs Vaterland geworden sind.

Das zweite Kapitel: "Die Verwirklichung der patriotischen Idee," handelt
zuerst von der Erziehung und militärischen Organisation. Zur Nachahmung
wird der 1807 gegründete Tugendbund empfohlen und dessen Grundidee sehr
glücklich folgendermaßen ausgedrückt: "Während eine frühere Zeitrichtung mehr
RePression statt Evolution der Volkskrüfte geübt, dem Menschen zwar sehr
eindringlich das "Du sollst nicht" nach allen Richtungen hin klar gemacht,
umso weniger aber das "Du sollst," mußte nun dem Menschen zugerufen werden:
"Du sollst, denn du kannst," es mußten alle guten Kruste des Menschen ent¬
bunden werden zu freier Übung und Thätigkeit. Dabei wurde als Vorbild
dem Deutschen mit Borliebe jenes unvergleichliche Idealbild deutscheu Wesens
vorgehalten, welches Tcicitns von unser" Vorfahren in der 6<n'irumik>> entwirft,


Politik, die heute den Männern der Bismarckschen Schule — sofern von einer
solchen gesprochen werden darf — geläufig sind. So oft der Papst eine kaiser¬
freundliche Wendung wagte, wurde er von niemandem rücksichtsloser bekämpft,
als von den „Getreuen der Kirche." In solchen Zeiten hatten päpstliche Ab¬
gesandte in einer Welfenstadt nichts zu erwarten, als eine Tracht Prügel oder
den Tod, und päpstliche Briefe wurden als Wische behandelt, die keiner Be¬
achtung wert seien. Als Heinrich VII., der im Einvernehmen mit Papst
Clemens V. nach Italien gekommen war, die ihn begleitenden Legaten fragte,
ob sie nicht Vollmacht hätten, die Rebellen gegen Kaiser und Papst zu bannen,
da antworteten diese Kardinäle, die Vollmacht Hütten sie schon, aber wenn des
Kaisers Schwert nicht stark genug sei, den Bannspruch zu vollstrecken, dann
nutze dieser nichts, denn in Italien mache sich niemand etwas daraus;
die Florentiner und Bologneser — es waren dies die führenden Städte im
Welfenbunde — lebten seit Jahren im Banne und ließen sichs wohl
sein dabei.

Der Leser möge diese geschichtliche Abschweifung entschuldigen; eine schiefe
Auffassung der Vergangenheit erschwert die richtige Beurteilung der Gegenwart
ganz außerordentlich.

Breche hebt sodann die für Deutschland unheilvolle Rolle hervor, die das
Hans Habsburg namentlich im Neformntivnszeitalter spielte, rechtfertigt die
Bündnisse protestantischer Fürsten mit dem Auslande, beweist die Notwendig¬
keit des fürstlichen Absolutismus in der nachfolgenden Periode und schildert
das Keimen des deutschen Patriotismus unter Friedrich dem Großen und seine
herrliche Blüte in der Zeit der Befreiungskriege. In alledem sind wir mit
ihm vollkommen einverstanden. Besondern Dank verdient die Mitteilung längerer
Stellen aus Schriften E. M. Arndts und F. L. Jahns, die leider teils ver¬
gesse», teils ganz unbekannt sind. Der Abschnitt schließt mit der Aufzählung
einiger der Mäuner, die um ihrer Überzeugung und ihrer patriotischem Unter¬
nehmungen willen Verbannung oder den Tod erlitten haben und so zu Mär¬
tyrern fürs Vaterland geworden sind.

Das zweite Kapitel: „Die Verwirklichung der patriotischen Idee," handelt
zuerst von der Erziehung und militärischen Organisation. Zur Nachahmung
wird der 1807 gegründete Tugendbund empfohlen und dessen Grundidee sehr
glücklich folgendermaßen ausgedrückt: „Während eine frühere Zeitrichtung mehr
RePression statt Evolution der Volkskrüfte geübt, dem Menschen zwar sehr
eindringlich das »Du sollst nicht« nach allen Richtungen hin klar gemacht,
umso weniger aber das »Du sollst,« mußte nun dem Menschen zugerufen werden:
»Du sollst, denn du kannst,« es mußten alle guten Kruste des Menschen ent¬
bunden werden zu freier Übung und Thätigkeit. Dabei wurde als Vorbild
dem Deutschen mit Borliebe jenes unvergleichliche Idealbild deutscheu Wesens
vorgehalten, welches Tcicitns von unser» Vorfahren in der 6<n'irumik>> entwirft,


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[0354] Politik, die heute den Männern der Bismarckschen Schule — sofern von einer solchen gesprochen werden darf — geläufig sind. So oft der Papst eine kaiser¬ freundliche Wendung wagte, wurde er von niemandem rücksichtsloser bekämpft, als von den „Getreuen der Kirche." In solchen Zeiten hatten päpstliche Ab¬ gesandte in einer Welfenstadt nichts zu erwarten, als eine Tracht Prügel oder den Tod, und päpstliche Briefe wurden als Wische behandelt, die keiner Be¬ achtung wert seien. Als Heinrich VII., der im Einvernehmen mit Papst Clemens V. nach Italien gekommen war, die ihn begleitenden Legaten fragte, ob sie nicht Vollmacht hätten, die Rebellen gegen Kaiser und Papst zu bannen, da antworteten diese Kardinäle, die Vollmacht Hütten sie schon, aber wenn des Kaisers Schwert nicht stark genug sei, den Bannspruch zu vollstrecken, dann nutze dieser nichts, denn in Italien mache sich niemand etwas daraus; die Florentiner und Bologneser — es waren dies die führenden Städte im Welfenbunde — lebten seit Jahren im Banne und ließen sichs wohl sein dabei. Der Leser möge diese geschichtliche Abschweifung entschuldigen; eine schiefe Auffassung der Vergangenheit erschwert die richtige Beurteilung der Gegenwart ganz außerordentlich. Breche hebt sodann die für Deutschland unheilvolle Rolle hervor, die das Hans Habsburg namentlich im Neformntivnszeitalter spielte, rechtfertigt die Bündnisse protestantischer Fürsten mit dem Auslande, beweist die Notwendig¬ keit des fürstlichen Absolutismus in der nachfolgenden Periode und schildert das Keimen des deutschen Patriotismus unter Friedrich dem Großen und seine herrliche Blüte in der Zeit der Befreiungskriege. In alledem sind wir mit ihm vollkommen einverstanden. Besondern Dank verdient die Mitteilung längerer Stellen aus Schriften E. M. Arndts und F. L. Jahns, die leider teils ver¬ gesse», teils ganz unbekannt sind. Der Abschnitt schließt mit der Aufzählung einiger der Mäuner, die um ihrer Überzeugung und ihrer patriotischem Unter¬ nehmungen willen Verbannung oder den Tod erlitten haben und so zu Mär¬ tyrern fürs Vaterland geworden sind. Das zweite Kapitel: „Die Verwirklichung der patriotischen Idee," handelt zuerst von der Erziehung und militärischen Organisation. Zur Nachahmung wird der 1807 gegründete Tugendbund empfohlen und dessen Grundidee sehr glücklich folgendermaßen ausgedrückt: „Während eine frühere Zeitrichtung mehr RePression statt Evolution der Volkskrüfte geübt, dem Menschen zwar sehr eindringlich das »Du sollst nicht« nach allen Richtungen hin klar gemacht, umso weniger aber das »Du sollst,« mußte nun dem Menschen zugerufen werden: »Du sollst, denn du kannst,« es mußten alle guten Kruste des Menschen ent¬ bunden werden zu freier Übung und Thätigkeit. Dabei wurde als Vorbild dem Deutschen mit Borliebe jenes unvergleichliche Idealbild deutscheu Wesens vorgehalten, welches Tcicitns von unser» Vorfahren in der 6<n'irumik>> entwirft,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/354>, abgerufen am 26.06.2024.