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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

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Der Patriotismus als ZVnrzel der Sittlichkeit

Gebilde würde auch ein italienischer Großstnat gewesen sein, wenn er vor zwölf¬
hundert Jahren zu stände gekommen wäre. Breche sagt nämlich: "Italien
hätte zweimal durch edle deutsche Stämme der Einheit entgegengeführt werden
können, im sechsten Jahrhundert durch die Ostgoten, im achten durch den
Langobarden Liutprand. Das erstemal hat der römische Pontifex mit dem
Oströmer, das zweitemal der römische Priester mit den Franken Pippin und
Karl die Keime zur ^nein, der!^ italienischen Einheit und Selbständigkeit und
die beiden edeln deutschen Stämme zertreten." Weder die Goten noch die
Langobarden waren so zahlreich, daß sie allen Bewohnern Italiens ein gemein¬
sames Gepräge zu geben vermocht hätten; das Gelingen ihres Beginnens hätte
nicht verhüten können, daß sich Neapolitaner, Toskaner und Lombarden zu
ganz verschiednen Stämmen entwickelten, deren vorzeitiges Zusammenschmieden
zum Einheitsstaat höchstens die negative Wirkung erzeugt hätte, die Entstehung
der italienischen Städterepubliken zu verhindern, was ein ungeheurer Verlust
nicht allein für Italien, sondern sür ganz Europa gewesen wäre. Merkwürdig,
daß Breche von diesen Republiken rein gar nichts sagt! Und doch lebte in
ihnen der antike Stadtpatriotismus wieder auf. (Unter ihnen hätte Breche
auch eine gefunden, leider habe ich vergessen, welche es war, deren Bürger
einmal Revolution machten und ihre neugewühlte Obrigkeit fortjagten, weil
diese -- eine zu kleine Anlage ausgeschrieben hatte. "Was, schrie das empörte
Volk, so wenig Liebe zum Vaterlande traut ihr uns zu, und für solche arm¬
selige Lumpen haltet ihr uns?") Und diese italienischen Kleinstaaten sind für
uns weit wichtiger als die altgriechischen; denn in der Finanzkunst, Staats¬
wissenschaft und Verfassung, die sie ausbildeten, wurzelt das ganze politische
Leben der modernen Völker, und Mncchiavelli bleibt der große Lehrer aller
Staatsmänner, die nach ihm kommen, nicht am wenigsten derer, die gegen ihn
schreiben. Und die Kunst und Wissenschaft der italienischem Renaissnnee, die
Mutter aller heutigen Kunst und Wissenschaft, sie konnte nur bei der Bewegungs¬
freiheit und vielseitigen Reibung entstehen, wie sie eine Gruppe kleiner
republikanischer Gemeinwesen gewährte. Das alles würde der absolute Zwangs¬
staat im Keime erstickt haben; denn nur als solcher hätte vor tausend Jahren
ein ganz Italien umfassendes Reich ins Dasein treten können. Und gerade in
diesen italienischen Kleinstaaten entsprang die Idee des Nationalstaates und
ward sie großgezogen -- unter dem Schutze des Papsttums. Denn nicht
Bigotterie war es, was die Mehrzahl der Italiener zu Welsen machte, wie
sich die kaiserfeiudliche Partei nannte, sondern das Bedürfnis, sich die wert¬
volle Bundesgenossenschaft des Papstes gegen den Kaiser zu sichern. Das
Kaisertum war, als Zwillingsbruder und Ergänzungspol des Papsttums, ganz
ebenso universal und daher nationalseiudlich wie dieses. In den Staatsschriften
der Florentiner und des Königs Robert von Neapel gegen den Kaiser
Heinrich VII. finden sich znerst jene Grundgedanken einer nationalen Real-


Grenzboten III 1890 44
Der Patriotismus als ZVnrzel der Sittlichkeit

Gebilde würde auch ein italienischer Großstnat gewesen sein, wenn er vor zwölf¬
hundert Jahren zu stände gekommen wäre. Breche sagt nämlich: „Italien
hätte zweimal durch edle deutsche Stämme der Einheit entgegengeführt werden
können, im sechsten Jahrhundert durch die Ostgoten, im achten durch den
Langobarden Liutprand. Das erstemal hat der römische Pontifex mit dem
Oströmer, das zweitemal der römische Priester mit den Franken Pippin und
Karl die Keime zur ^nein, der!^ italienischen Einheit und Selbständigkeit und
die beiden edeln deutschen Stämme zertreten." Weder die Goten noch die
Langobarden waren so zahlreich, daß sie allen Bewohnern Italiens ein gemein¬
sames Gepräge zu geben vermocht hätten; das Gelingen ihres Beginnens hätte
nicht verhüten können, daß sich Neapolitaner, Toskaner und Lombarden zu
ganz verschiednen Stämmen entwickelten, deren vorzeitiges Zusammenschmieden
zum Einheitsstaat höchstens die negative Wirkung erzeugt hätte, die Entstehung
der italienischen Städterepubliken zu verhindern, was ein ungeheurer Verlust
nicht allein für Italien, sondern sür ganz Europa gewesen wäre. Merkwürdig,
daß Breche von diesen Republiken rein gar nichts sagt! Und doch lebte in
ihnen der antike Stadtpatriotismus wieder auf. (Unter ihnen hätte Breche
auch eine gefunden, leider habe ich vergessen, welche es war, deren Bürger
einmal Revolution machten und ihre neugewühlte Obrigkeit fortjagten, weil
diese — eine zu kleine Anlage ausgeschrieben hatte. „Was, schrie das empörte
Volk, so wenig Liebe zum Vaterlande traut ihr uns zu, und für solche arm¬
selige Lumpen haltet ihr uns?") Und diese italienischen Kleinstaaten sind für
uns weit wichtiger als die altgriechischen; denn in der Finanzkunst, Staats¬
wissenschaft und Verfassung, die sie ausbildeten, wurzelt das ganze politische
Leben der modernen Völker, und Mncchiavelli bleibt der große Lehrer aller
Staatsmänner, die nach ihm kommen, nicht am wenigsten derer, die gegen ihn
schreiben. Und die Kunst und Wissenschaft der italienischem Renaissnnee, die
Mutter aller heutigen Kunst und Wissenschaft, sie konnte nur bei der Bewegungs¬
freiheit und vielseitigen Reibung entstehen, wie sie eine Gruppe kleiner
republikanischer Gemeinwesen gewährte. Das alles würde der absolute Zwangs¬
staat im Keime erstickt haben; denn nur als solcher hätte vor tausend Jahren
ein ganz Italien umfassendes Reich ins Dasein treten können. Und gerade in
diesen italienischen Kleinstaaten entsprang die Idee des Nationalstaates und
ward sie großgezogen — unter dem Schutze des Papsttums. Denn nicht
Bigotterie war es, was die Mehrzahl der Italiener zu Welsen machte, wie
sich die kaiserfeiudliche Partei nannte, sondern das Bedürfnis, sich die wert¬
volle Bundesgenossenschaft des Papstes gegen den Kaiser zu sichern. Das
Kaisertum war, als Zwillingsbruder und Ergänzungspol des Papsttums, ganz
ebenso universal und daher nationalseiudlich wie dieses. In den Staatsschriften
der Florentiner und des Königs Robert von Neapel gegen den Kaiser
Heinrich VII. finden sich znerst jene Grundgedanken einer nationalen Real-


Grenzboten III 1890 44
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[0353] Der Patriotismus als ZVnrzel der Sittlichkeit Gebilde würde auch ein italienischer Großstnat gewesen sein, wenn er vor zwölf¬ hundert Jahren zu stände gekommen wäre. Breche sagt nämlich: „Italien hätte zweimal durch edle deutsche Stämme der Einheit entgegengeführt werden können, im sechsten Jahrhundert durch die Ostgoten, im achten durch den Langobarden Liutprand. Das erstemal hat der römische Pontifex mit dem Oströmer, das zweitemal der römische Priester mit den Franken Pippin und Karl die Keime zur ^nein, der!^ italienischen Einheit und Selbständigkeit und die beiden edeln deutschen Stämme zertreten." Weder die Goten noch die Langobarden waren so zahlreich, daß sie allen Bewohnern Italiens ein gemein¬ sames Gepräge zu geben vermocht hätten; das Gelingen ihres Beginnens hätte nicht verhüten können, daß sich Neapolitaner, Toskaner und Lombarden zu ganz verschiednen Stämmen entwickelten, deren vorzeitiges Zusammenschmieden zum Einheitsstaat höchstens die negative Wirkung erzeugt hätte, die Entstehung der italienischen Städterepubliken zu verhindern, was ein ungeheurer Verlust nicht allein für Italien, sondern sür ganz Europa gewesen wäre. Merkwürdig, daß Breche von diesen Republiken rein gar nichts sagt! Und doch lebte in ihnen der antike Stadtpatriotismus wieder auf. (Unter ihnen hätte Breche auch eine gefunden, leider habe ich vergessen, welche es war, deren Bürger einmal Revolution machten und ihre neugewühlte Obrigkeit fortjagten, weil diese — eine zu kleine Anlage ausgeschrieben hatte. „Was, schrie das empörte Volk, so wenig Liebe zum Vaterlande traut ihr uns zu, und für solche arm¬ selige Lumpen haltet ihr uns?") Und diese italienischen Kleinstaaten sind für uns weit wichtiger als die altgriechischen; denn in der Finanzkunst, Staats¬ wissenschaft und Verfassung, die sie ausbildeten, wurzelt das ganze politische Leben der modernen Völker, und Mncchiavelli bleibt der große Lehrer aller Staatsmänner, die nach ihm kommen, nicht am wenigsten derer, die gegen ihn schreiben. Und die Kunst und Wissenschaft der italienischem Renaissnnee, die Mutter aller heutigen Kunst und Wissenschaft, sie konnte nur bei der Bewegungs¬ freiheit und vielseitigen Reibung entstehen, wie sie eine Gruppe kleiner republikanischer Gemeinwesen gewährte. Das alles würde der absolute Zwangs¬ staat im Keime erstickt haben; denn nur als solcher hätte vor tausend Jahren ein ganz Italien umfassendes Reich ins Dasein treten können. Und gerade in diesen italienischen Kleinstaaten entsprang die Idee des Nationalstaates und ward sie großgezogen — unter dem Schutze des Papsttums. Denn nicht Bigotterie war es, was die Mehrzahl der Italiener zu Welsen machte, wie sich die kaiserfeiudliche Partei nannte, sondern das Bedürfnis, sich die wert¬ volle Bundesgenossenschaft des Papstes gegen den Kaiser zu sichern. Das Kaisertum war, als Zwillingsbruder und Ergänzungspol des Papsttums, ganz ebenso universal und daher nationalseiudlich wie dieses. In den Staatsschriften der Florentiner und des Königs Robert von Neapel gegen den Kaiser Heinrich VII. finden sich znerst jene Grundgedanken einer nationalen Real- Grenzboten III 1890 44

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/353>, abgerufen am 26.06.2024.