Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite

selbstverständlich mit der Wendung: weil die alten Deutschen dieses kraftvolle,
sittenreine, ehrliche Volk, mit dem heiligreinen, unverdorbenen Familienleben,
mit der Verehrung der Frauen, mit dem unbezwinglichen Löwenmut waren,
darum gelang es ihnen, die Zwingherrschaft der Römer abzuwerfen und die
stolze Roma selbst in den Staub zu schmettern." Über das Idealbild der
Deutschen bei Tacitus könnten wir --- nach Felix Dahn - - einige kritische
Bemerkungen macheu, sowie auch über die herkömmliche Ansicht, das lasterhafte
Rom sei der Tugend der Germanen erlegen; zu verwundern ist nämlich nicht,
daß das römische Reich endlich einmal zusammenbrach, sondern wie eine einzelne
Stadtgemeinde die Herrschaft über ein Reich von solcher Ausdehnung auch nur
fünf Jahre, geschweige denn fünf Jahrhunderte zu behaupten vermochte. Indes
wir unterdrücken diese Bedenken; es giebt Fälle, wo der Irrtum nützlicher ist als
die Wahrheit. Indem loir also beide Gedanken des Tngendbundes als Grund¬
lage der Nationalerziehung mit herzlicher Zustimmung annehmen, bezweifeln
wir doch ganz entschieden, daß dieses große Werk eines neuen Tugendbnndes
bedürfe. Geradezu für grundverkehrt aber halten wir die Forderung, daß sich
unsre nationalen politischen Parteien als Tugendbund konstituiren sollen. Wäre
der Gedanke nicht völlig aussichtslos, so würde er höchst gefährlich sein.
"Wenn sich -- sagt der Verfasser -- die 1200000 Männer, die am 20. Februar
uativnalliberal und die, welche konservativ gestimmt haben, ihrer Aufgabe in
vollem Maße bewußt geworden sein werden, dann werden wir den Gedanken
des Tngendbundes wieder aufleben sehen. Unser politisches Parteileben wird
dann erst auf gesunden Grundlagen ruhen, wenn man sich nicht mehr bloß
um die Abstimmung der Mitglieder und um die sozial-ethischen und Parteiziele,
sondern zugleich um die persönliche Tüchtigkeit und sittliche Förderung der
Mitglieder kümmert." Das fehlt gerade noch! Beaufsichtigung des Privat¬
lebens und die davon untrennbare Spionage! Nicht eine gesunde Grundlage
wäre das, sondern eine urfanle. Man weiß zur Genüge ans vielfältiger Er¬
fahrung, wohin solche Einrichtungen führen, selbst wenn sie in der reinsten
und edelsten Absicht getroffen werden. "Wir wären doch wirklich thöricht
-- fährt der Verfasser fort --, wenn wir die gewaltigen Parteiorganisationen,
die wir besitzen, nicht ausnützen wollten für die sittliche Kräftigung des Volks¬
lebens, und wenn wir anderseits nicht verstehen wollten, daß diejenigen Par¬
teien, welche in ihrer Art eine personell-ethische Grundlage besitzen, sodaß die
Glieder nicht nur zusammen abstimmen, sondern gemeinsame sittliche Grundsätze
im öffentlich-bürgerlichen wie im Privatleben befolgen, daß diese Parteien den
festesten Zusammenhang haben. Das sind die sozialistische, die ultramontane und
glücklicherweise zum Teil auch die konservative Partei." Es ist zum Glück nicht
wahr, daß die genannten Parteien jede ihre besondre Moral haben und deren
Befolgung bei ihren Gliedern überwachen, und damit wird auch das der
uatioualliberaleu Partei gemachte Kompliment hinfällig, daß ihr die sittliche


selbstverständlich mit der Wendung: weil die alten Deutschen dieses kraftvolle,
sittenreine, ehrliche Volk, mit dem heiligreinen, unverdorbenen Familienleben,
mit der Verehrung der Frauen, mit dem unbezwinglichen Löwenmut waren,
darum gelang es ihnen, die Zwingherrschaft der Römer abzuwerfen und die
stolze Roma selbst in den Staub zu schmettern." Über das Idealbild der
Deutschen bei Tacitus könnten wir —- nach Felix Dahn - - einige kritische
Bemerkungen macheu, sowie auch über die herkömmliche Ansicht, das lasterhafte
Rom sei der Tugend der Germanen erlegen; zu verwundern ist nämlich nicht,
daß das römische Reich endlich einmal zusammenbrach, sondern wie eine einzelne
Stadtgemeinde die Herrschaft über ein Reich von solcher Ausdehnung auch nur
fünf Jahre, geschweige denn fünf Jahrhunderte zu behaupten vermochte. Indes
wir unterdrücken diese Bedenken; es giebt Fälle, wo der Irrtum nützlicher ist als
die Wahrheit. Indem loir also beide Gedanken des Tngendbundes als Grund¬
lage der Nationalerziehung mit herzlicher Zustimmung annehmen, bezweifeln
wir doch ganz entschieden, daß dieses große Werk eines neuen Tugendbnndes
bedürfe. Geradezu für grundverkehrt aber halten wir die Forderung, daß sich
unsre nationalen politischen Parteien als Tugendbund konstituiren sollen. Wäre
der Gedanke nicht völlig aussichtslos, so würde er höchst gefährlich sein.
„Wenn sich — sagt der Verfasser — die 1200000 Männer, die am 20. Februar
uativnalliberal und die, welche konservativ gestimmt haben, ihrer Aufgabe in
vollem Maße bewußt geworden sein werden, dann werden wir den Gedanken
des Tngendbundes wieder aufleben sehen. Unser politisches Parteileben wird
dann erst auf gesunden Grundlagen ruhen, wenn man sich nicht mehr bloß
um die Abstimmung der Mitglieder und um die sozial-ethischen und Parteiziele,
sondern zugleich um die persönliche Tüchtigkeit und sittliche Förderung der
Mitglieder kümmert." Das fehlt gerade noch! Beaufsichtigung des Privat¬
lebens und die davon untrennbare Spionage! Nicht eine gesunde Grundlage
wäre das, sondern eine urfanle. Man weiß zur Genüge ans vielfältiger Er¬
fahrung, wohin solche Einrichtungen führen, selbst wenn sie in der reinsten
und edelsten Absicht getroffen werden. „Wir wären doch wirklich thöricht
— fährt der Verfasser fort —, wenn wir die gewaltigen Parteiorganisationen,
die wir besitzen, nicht ausnützen wollten für die sittliche Kräftigung des Volks¬
lebens, und wenn wir anderseits nicht verstehen wollten, daß diejenigen Par¬
teien, welche in ihrer Art eine personell-ethische Grundlage besitzen, sodaß die
Glieder nicht nur zusammen abstimmen, sondern gemeinsame sittliche Grundsätze
im öffentlich-bürgerlichen wie im Privatleben befolgen, daß diese Parteien den
festesten Zusammenhang haben. Das sind die sozialistische, die ultramontane und
glücklicherweise zum Teil auch die konservative Partei." Es ist zum Glück nicht
wahr, daß die genannten Parteien jede ihre besondre Moral haben und deren
Befolgung bei ihren Gliedern überwachen, und damit wird auch das der
uatioualliberaleu Partei gemachte Kompliment hinfällig, daß ihr die sittliche


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0355" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/208292"/>
            <fw type="header" place="top"/><lb/>
            <p xml:id="ID_1019" prev="#ID_1018" next="#ID_1020"> selbstverständlich mit der Wendung: weil die alten Deutschen dieses kraftvolle,<lb/>
sittenreine, ehrliche Volk, mit dem heiligreinen, unverdorbenen Familienleben,<lb/>
mit der Verehrung der Frauen, mit dem unbezwinglichen Löwenmut waren,<lb/>
darum gelang es ihnen, die Zwingherrschaft der Römer abzuwerfen und die<lb/>
stolze Roma selbst in den Staub zu schmettern." Über das Idealbild der<lb/>
Deutschen bei Tacitus könnten wir &#x2014;- nach Felix Dahn - - einige kritische<lb/>
Bemerkungen macheu, sowie auch über die herkömmliche Ansicht, das lasterhafte<lb/>
Rom sei der Tugend der Germanen erlegen; zu verwundern ist nämlich nicht,<lb/>
daß das römische Reich endlich einmal zusammenbrach, sondern wie eine einzelne<lb/>
Stadtgemeinde die Herrschaft über ein Reich von solcher Ausdehnung auch nur<lb/>
fünf Jahre, geschweige denn fünf Jahrhunderte zu behaupten vermochte. Indes<lb/>
wir unterdrücken diese Bedenken; es giebt Fälle, wo der Irrtum nützlicher ist als<lb/>
die Wahrheit. Indem loir also beide Gedanken des Tngendbundes als Grund¬<lb/>
lage der Nationalerziehung mit herzlicher Zustimmung annehmen, bezweifeln<lb/>
wir doch ganz entschieden, daß dieses große Werk eines neuen Tugendbnndes<lb/>
bedürfe. Geradezu für grundverkehrt aber halten wir die Forderung, daß sich<lb/>
unsre nationalen politischen Parteien als Tugendbund konstituiren sollen. Wäre<lb/>
der Gedanke nicht völlig aussichtslos, so würde er höchst gefährlich sein.<lb/>
&#x201E;Wenn sich &#x2014; sagt der Verfasser &#x2014; die 1200000 Männer, die am 20. Februar<lb/>
uativnalliberal und die, welche konservativ gestimmt haben, ihrer Aufgabe in<lb/>
vollem Maße bewußt geworden sein werden, dann werden wir den Gedanken<lb/>
des Tngendbundes wieder aufleben sehen. Unser politisches Parteileben wird<lb/>
dann erst auf gesunden Grundlagen ruhen, wenn man sich nicht mehr bloß<lb/>
um die Abstimmung der Mitglieder und um die sozial-ethischen und Parteiziele,<lb/>
sondern zugleich um die persönliche Tüchtigkeit und sittliche Förderung der<lb/>
Mitglieder kümmert." Das fehlt gerade noch! Beaufsichtigung des Privat¬<lb/>
lebens und die davon untrennbare Spionage! Nicht eine gesunde Grundlage<lb/>
wäre das, sondern eine urfanle. Man weiß zur Genüge ans vielfältiger Er¬<lb/>
fahrung, wohin solche Einrichtungen führen, selbst wenn sie in der reinsten<lb/>
und edelsten Absicht getroffen werden. &#x201E;Wir wären doch wirklich thöricht<lb/>
&#x2014; fährt der Verfasser fort &#x2014;, wenn wir die gewaltigen Parteiorganisationen,<lb/>
die wir besitzen, nicht ausnützen wollten für die sittliche Kräftigung des Volks¬<lb/>
lebens, und wenn wir anderseits nicht verstehen wollten, daß diejenigen Par¬<lb/>
teien, welche in ihrer Art eine personell-ethische Grundlage besitzen, sodaß die<lb/>
Glieder nicht nur zusammen abstimmen, sondern gemeinsame sittliche Grundsätze<lb/>
im öffentlich-bürgerlichen wie im Privatleben befolgen, daß diese Parteien den<lb/>
festesten Zusammenhang haben. Das sind die sozialistische, die ultramontane und<lb/>
glücklicherweise zum Teil auch die konservative Partei." Es ist zum Glück nicht<lb/>
wahr, daß die genannten Parteien jede ihre besondre Moral haben und deren<lb/>
Befolgung bei ihren Gliedern überwachen, und damit wird auch das der<lb/>
uatioualliberaleu Partei gemachte Kompliment hinfällig, daß ihr die sittliche</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0355] selbstverständlich mit der Wendung: weil die alten Deutschen dieses kraftvolle, sittenreine, ehrliche Volk, mit dem heiligreinen, unverdorbenen Familienleben, mit der Verehrung der Frauen, mit dem unbezwinglichen Löwenmut waren, darum gelang es ihnen, die Zwingherrschaft der Römer abzuwerfen und die stolze Roma selbst in den Staub zu schmettern." Über das Idealbild der Deutschen bei Tacitus könnten wir —- nach Felix Dahn - - einige kritische Bemerkungen macheu, sowie auch über die herkömmliche Ansicht, das lasterhafte Rom sei der Tugend der Germanen erlegen; zu verwundern ist nämlich nicht, daß das römische Reich endlich einmal zusammenbrach, sondern wie eine einzelne Stadtgemeinde die Herrschaft über ein Reich von solcher Ausdehnung auch nur fünf Jahre, geschweige denn fünf Jahrhunderte zu behaupten vermochte. Indes wir unterdrücken diese Bedenken; es giebt Fälle, wo der Irrtum nützlicher ist als die Wahrheit. Indem loir also beide Gedanken des Tngendbundes als Grund¬ lage der Nationalerziehung mit herzlicher Zustimmung annehmen, bezweifeln wir doch ganz entschieden, daß dieses große Werk eines neuen Tugendbnndes bedürfe. Geradezu für grundverkehrt aber halten wir die Forderung, daß sich unsre nationalen politischen Parteien als Tugendbund konstituiren sollen. Wäre der Gedanke nicht völlig aussichtslos, so würde er höchst gefährlich sein. „Wenn sich — sagt der Verfasser — die 1200000 Männer, die am 20. Februar uativnalliberal und die, welche konservativ gestimmt haben, ihrer Aufgabe in vollem Maße bewußt geworden sein werden, dann werden wir den Gedanken des Tngendbundes wieder aufleben sehen. Unser politisches Parteileben wird dann erst auf gesunden Grundlagen ruhen, wenn man sich nicht mehr bloß um die Abstimmung der Mitglieder und um die sozial-ethischen und Parteiziele, sondern zugleich um die persönliche Tüchtigkeit und sittliche Förderung der Mitglieder kümmert." Das fehlt gerade noch! Beaufsichtigung des Privat¬ lebens und die davon untrennbare Spionage! Nicht eine gesunde Grundlage wäre das, sondern eine urfanle. Man weiß zur Genüge ans vielfältiger Er¬ fahrung, wohin solche Einrichtungen führen, selbst wenn sie in der reinsten und edelsten Absicht getroffen werden. „Wir wären doch wirklich thöricht — fährt der Verfasser fort —, wenn wir die gewaltigen Parteiorganisationen, die wir besitzen, nicht ausnützen wollten für die sittliche Kräftigung des Volks¬ lebens, und wenn wir anderseits nicht verstehen wollten, daß diejenigen Par¬ teien, welche in ihrer Art eine personell-ethische Grundlage besitzen, sodaß die Glieder nicht nur zusammen abstimmen, sondern gemeinsame sittliche Grundsätze im öffentlich-bürgerlichen wie im Privatleben befolgen, daß diese Parteien den festesten Zusammenhang haben. Das sind die sozialistische, die ultramontane und glücklicherweise zum Teil auch die konservative Partei." Es ist zum Glück nicht wahr, daß die genannten Parteien jede ihre besondre Moral haben und deren Befolgung bei ihren Gliedern überwachen, und damit wird auch das der uatioualliberaleu Partei gemachte Kompliment hinfällig, daß ihr die sittliche

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/355
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/355>, abgerufen am 26.06.2024.