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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

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Der Patriotismus als Wurzel der Sittlichkeit

Das Christentum war an sich nicht staatsfeindlich, wurde es aber dnrch
die Hierarchie. Breche zählt einige der bekannten Anmaßungen der Päpste
auf und zeigt, wie sie das Staatsleben Europas ans ein Jahrtausend im Keime
erstickt hätten. Diese Auffassung herrscht zwar in Deutschland immer noch,
aber sie ist trotzdem falsch. Mag es vielen Päpsten nicht am bösen
Willen gefehlt haben, die Macht, ihn durchzusetzen, fehlte ihnen. Wenn nicht
sofort nach dem Untergänge des weströmischen Reiches Nationalstaaten fertig
wurden, womöglich mit den heutigen Grenzen, so lag das nicht an den Päpsten,
sondern daran, daß die Nationen selber noch nicht fertig und die Grenzen wegen
unaufhörlicher Eroberungskriege fließend waren. Die Herstellung eines Groß-
staates nach heutigem oder altasintischem Muster war bis ins zweite Jahr¬
tausend hinein auch schon aus dem Grunde unmöglich, weil die drei Bedingungen
dafür: das stehende Heer, das geschulte Beamtentum und die Verkehrsanstalten,
mit dem römischen Reiche zu Grunde gegangen waren und erst im Laufe der
Jahrhunderte mühsam von neuem geschaffen werden mußten. Wenn es trotzdem
Karl dem Großen gelang, ein kurzlebiges Riesenreich aufzurichten, und wenn
die Kaiser aus dem sächsischen und demi fränkischen Hause eine gewaltige Macht
entfalteten, so war ihnen das nur möglich, weil ihnen die Kirche das zweite
der genannten Elemente lieh (sehr bezeichnend haben die Romanen aus elurie,""
ulsrc;, englisch c-lsrlc, Schreibstubeumensch, gebildet) und teilweise auch das erste;
denn die geistliche" Lehnsträger waren die einzigen, aus deren Mannen sie
sicher zählen konnten; auch die Reichsfinanzen ruhten guten Teils ans den
geistlichen Gütern. Daß dann in den, Konflikte zwischen dem Kaiser und dem
Oberhaupte jener Kirche, die ihm bis dahin den Regiernngsapparat geliefert
hatte, die Reichsfürsten gegen den Kaiser Partei nahmen (ohne ihre Unter-
stützung wären alle päpstlichen Bannsprüche Schläge ins Wasser gewesen), darf
ihnen nicht als Reichs- und Baterlandsverrat im heutigen Sinne angerechnet
werden. Die deutschen Stämme hausten so zerstreut und so weit von einander
entfernt und hatten so wenig Berührung mit einander, daß ihnen ihre Zuge¬
hörigkeit zu einem Volke erst im zehnten Jahrhundert zum Bewußtsein kam,
als sie ans den Römerzügen hörten, wie sie von den Leuten jenseits der Berge
mit dein gemeinsamen Namen ^pas8<zlli gerufen wurden; sie selber hatten bis
dahin nichts andres gewußt, als daß sie Sachsen, Franken, Lothringer, Ale¬
mannen oder Baiern waren, und daß ihre Herzoge sich einen gemeinsamen
König gewählt hatten, ohne ans ihre Selbständigkeit zu verzichten. Die Wahl
war ein Vertrag, und hielt ihn der König nicht, so waren auch die Fürsten
"icht mehr daran gebunden. Unser Begriff der Souveränität war jener Zeit
und ist dem ursprünglichen Germanentum völlig fremd, er ist erst später durch
das römische Recht eingeführt worden. Namentlich aber erlangten die sächsischen
und die bairischen Fürsten durch ihre ganz selbständig und ohne namhafte Hilfe
des Königs vollführten Eroberungen in den Slawenländern einen solchen Grad


Der Patriotismus als Wurzel der Sittlichkeit

Das Christentum war an sich nicht staatsfeindlich, wurde es aber dnrch
die Hierarchie. Breche zählt einige der bekannten Anmaßungen der Päpste
auf und zeigt, wie sie das Staatsleben Europas ans ein Jahrtausend im Keime
erstickt hätten. Diese Auffassung herrscht zwar in Deutschland immer noch,
aber sie ist trotzdem falsch. Mag es vielen Päpsten nicht am bösen
Willen gefehlt haben, die Macht, ihn durchzusetzen, fehlte ihnen. Wenn nicht
sofort nach dem Untergänge des weströmischen Reiches Nationalstaaten fertig
wurden, womöglich mit den heutigen Grenzen, so lag das nicht an den Päpsten,
sondern daran, daß die Nationen selber noch nicht fertig und die Grenzen wegen
unaufhörlicher Eroberungskriege fließend waren. Die Herstellung eines Groß-
staates nach heutigem oder altasintischem Muster war bis ins zweite Jahr¬
tausend hinein auch schon aus dem Grunde unmöglich, weil die drei Bedingungen
dafür: das stehende Heer, das geschulte Beamtentum und die Verkehrsanstalten,
mit dem römischen Reiche zu Grunde gegangen waren und erst im Laufe der
Jahrhunderte mühsam von neuem geschaffen werden mußten. Wenn es trotzdem
Karl dem Großen gelang, ein kurzlebiges Riesenreich aufzurichten, und wenn
die Kaiser aus dem sächsischen und demi fränkischen Hause eine gewaltige Macht
entfalteten, so war ihnen das nur möglich, weil ihnen die Kirche das zweite
der genannten Elemente lieh (sehr bezeichnend haben die Romanen aus elurie,»»
ulsrc;, englisch c-lsrlc, Schreibstubeumensch, gebildet) und teilweise auch das erste;
denn die geistliche» Lehnsträger waren die einzigen, aus deren Mannen sie
sicher zählen konnten; auch die Reichsfinanzen ruhten guten Teils ans den
geistlichen Gütern. Daß dann in den, Konflikte zwischen dem Kaiser und dem
Oberhaupte jener Kirche, die ihm bis dahin den Regiernngsapparat geliefert
hatte, die Reichsfürsten gegen den Kaiser Partei nahmen (ohne ihre Unter-
stützung wären alle päpstlichen Bannsprüche Schläge ins Wasser gewesen), darf
ihnen nicht als Reichs- und Baterlandsverrat im heutigen Sinne angerechnet
werden. Die deutschen Stämme hausten so zerstreut und so weit von einander
entfernt und hatten so wenig Berührung mit einander, daß ihnen ihre Zuge¬
hörigkeit zu einem Volke erst im zehnten Jahrhundert zum Bewußtsein kam,
als sie ans den Römerzügen hörten, wie sie von den Leuten jenseits der Berge
mit dein gemeinsamen Namen ^pas8<zlli gerufen wurden; sie selber hatten bis
dahin nichts andres gewußt, als daß sie Sachsen, Franken, Lothringer, Ale¬
mannen oder Baiern waren, und daß ihre Herzoge sich einen gemeinsamen
König gewählt hatten, ohne ans ihre Selbständigkeit zu verzichten. Die Wahl
war ein Vertrag, und hielt ihn der König nicht, so waren auch die Fürsten
"icht mehr daran gebunden. Unser Begriff der Souveränität war jener Zeit
und ist dem ursprünglichen Germanentum völlig fremd, er ist erst später durch
das römische Recht eingeführt worden. Namentlich aber erlangten die sächsischen
und die bairischen Fürsten durch ihre ganz selbständig und ohne namhafte Hilfe
des Königs vollführten Eroberungen in den Slawenländern einen solchen Grad


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[0351] Der Patriotismus als Wurzel der Sittlichkeit Das Christentum war an sich nicht staatsfeindlich, wurde es aber dnrch die Hierarchie. Breche zählt einige der bekannten Anmaßungen der Päpste auf und zeigt, wie sie das Staatsleben Europas ans ein Jahrtausend im Keime erstickt hätten. Diese Auffassung herrscht zwar in Deutschland immer noch, aber sie ist trotzdem falsch. Mag es vielen Päpsten nicht am bösen Willen gefehlt haben, die Macht, ihn durchzusetzen, fehlte ihnen. Wenn nicht sofort nach dem Untergänge des weströmischen Reiches Nationalstaaten fertig wurden, womöglich mit den heutigen Grenzen, so lag das nicht an den Päpsten, sondern daran, daß die Nationen selber noch nicht fertig und die Grenzen wegen unaufhörlicher Eroberungskriege fließend waren. Die Herstellung eines Groß- staates nach heutigem oder altasintischem Muster war bis ins zweite Jahr¬ tausend hinein auch schon aus dem Grunde unmöglich, weil die drei Bedingungen dafür: das stehende Heer, das geschulte Beamtentum und die Verkehrsanstalten, mit dem römischen Reiche zu Grunde gegangen waren und erst im Laufe der Jahrhunderte mühsam von neuem geschaffen werden mußten. Wenn es trotzdem Karl dem Großen gelang, ein kurzlebiges Riesenreich aufzurichten, und wenn die Kaiser aus dem sächsischen und demi fränkischen Hause eine gewaltige Macht entfalteten, so war ihnen das nur möglich, weil ihnen die Kirche das zweite der genannten Elemente lieh (sehr bezeichnend haben die Romanen aus elurie,»» ulsrc;, englisch c-lsrlc, Schreibstubeumensch, gebildet) und teilweise auch das erste; denn die geistliche» Lehnsträger waren die einzigen, aus deren Mannen sie sicher zählen konnten; auch die Reichsfinanzen ruhten guten Teils ans den geistlichen Gütern. Daß dann in den, Konflikte zwischen dem Kaiser und dem Oberhaupte jener Kirche, die ihm bis dahin den Regiernngsapparat geliefert hatte, die Reichsfürsten gegen den Kaiser Partei nahmen (ohne ihre Unter- stützung wären alle päpstlichen Bannsprüche Schläge ins Wasser gewesen), darf ihnen nicht als Reichs- und Baterlandsverrat im heutigen Sinne angerechnet werden. Die deutschen Stämme hausten so zerstreut und so weit von einander entfernt und hatten so wenig Berührung mit einander, daß ihnen ihre Zuge¬ hörigkeit zu einem Volke erst im zehnten Jahrhundert zum Bewußtsein kam, als sie ans den Römerzügen hörten, wie sie von den Leuten jenseits der Berge mit dein gemeinsamen Namen ^pas8<zlli gerufen wurden; sie selber hatten bis dahin nichts andres gewußt, als daß sie Sachsen, Franken, Lothringer, Ale¬ mannen oder Baiern waren, und daß ihre Herzoge sich einen gemeinsamen König gewählt hatten, ohne ans ihre Selbständigkeit zu verzichten. Die Wahl war ein Vertrag, und hielt ihn der König nicht, so waren auch die Fürsten "icht mehr daran gebunden. Unser Begriff der Souveränität war jener Zeit und ist dem ursprünglichen Germanentum völlig fremd, er ist erst später durch das römische Recht eingeführt worden. Namentlich aber erlangten die sächsischen und die bairischen Fürsten durch ihre ganz selbständig und ohne namhafte Hilfe des Königs vollführten Eroberungen in den Slawenländern einen solchen Grad

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/351>, abgerufen am 26.06.2024.