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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

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Der Patriotismus als Wurzel der Sittlichkeit

Verfasstes mir fördern kann, wenn seine etwaigen Irrtümer aufgedeckt werden.
Von den fünf Lieferungen, ans die das Ganze berechnet ist, liegt uns nur die
zweite vor. Vielleicht zeigen die spätern, daß der Verfasser die Schwierigkeiten,
die Nur hervorzuheben gedenken, selbst inne geworden ist.

Breche findet in dem geschichtlichen Überblick, der die erste Hälfte des
Heftchens füllt, daß die Idee des Patriotismus "vielfach noch weit mehr als
andre sittliche Ideen auf der Stufe des Unklaren, Vvlkssittegemäßen und Un¬
bewußten, noch nicht Erkenntnis- und Begriffsmäßigen stehen geblieben" sei.
Wir lassen ununtersucht, ob das richtig ist. Sollte es richtig sein, so wäre
es kein Unglück, denn durch die begriffsmäßige Klärung Pflegen gleich den Be¬
weggründe" auch die Ideen ihre Kraft zu verlieren. Wenn der Mann, der
sich schon anschickte, dem unmittelbaren Antriebe des Mitleids zu folgen und
ans dem brennenden Hause eilt vergessenes Kind herauszuholen, plötzlich an¬
fängt, den Kreis seiner Pflichten zu überschaue" und zu mustern, so -- ver¬
brennt das Kind. Der Patriotismus, meint Breche, stehe noch auf der ersten,
heroischen Stufe der Sittlichkeit, wo nnr die außergewöhnlichen Leistungen
geschätzt, die täglichen unscheinbaren Pflichterfüllungen aber gering geachtet
werden. "Man redet viel vom Sterben fürs Vaterland. Und dies ist ja das
höchste und äußerste, was die Vaterlandsliebe von uns verlangt. Aber schon
bei der zweitnötigsten der Leistungen fürs Vaterland, beim trivialen Steuer¬
zahler, hört der Patriotismus bei sonst wohldenkenden Staatsbürgern auf, und
es beginnt ein nervöses Mißbehagen, wohl auch kleinliches Schelten, ödes
Markten. Und die Scheidewand zwischen dem Stenerdefraudanten und dem
Dnrchschnittspatrioten soir würden sogar sagen: und dem feurigen Patrioten >
ist nur allzu oft eine dünne, oft genug transparente. Marum nicht kurz und
deutsch: auch mancher Patriot betrügt -- Luther liebte dafür ein kräftigeres
Wort -- den Fiskus mit Herzenslust, wo und wie er nur kann?! Daß
vollends gar im gewöhnlichen Privatleben, im Geschäftsleben patriotische,
staatsethische Motive leitend und bestimmend sein könnten oder sollten, das
würden neun Zehntel aller Dentschen als chauvinistische oder ideologische Über¬
spanntheit von sich weisen -- zum deutlichen Beweis, wie wenig bis jetzt der
ethische Schatz gehoben lind fürs ganze Volkstum ausgenützt ist, der in der
Idee des Patriotismus noch verborgen liegt." Das patriotische Gebaren seit
1870 laufe auf Redensarten und Trinken hinaus.

Breche verfolgt nun die Entwicklung des Patriotismus durch die Welt¬
geschichte. "Der antike Patriotismus verblieb auf der Stufe des Stadt-
patrivtismus." Außerdem fehlte ihm "die Ergnuzung durch deu wahren
Kosmopolitismus, d. h. die Hnmanitätsidee," indem der Grieche Pflichten
gegen die Barbaren nicht anerkannte. Endlich blieb der Patriotismus auf die
Vollbürger beschränkt; Sklaven und Halbfreie, die keine Rechte im Staate hatten,
konnten auch leine Liebe zu ihm empfinden.


Der Patriotismus als Wurzel der Sittlichkeit

Verfasstes mir fördern kann, wenn seine etwaigen Irrtümer aufgedeckt werden.
Von den fünf Lieferungen, ans die das Ganze berechnet ist, liegt uns nur die
zweite vor. Vielleicht zeigen die spätern, daß der Verfasser die Schwierigkeiten,
die Nur hervorzuheben gedenken, selbst inne geworden ist.

Breche findet in dem geschichtlichen Überblick, der die erste Hälfte des
Heftchens füllt, daß die Idee des Patriotismus „vielfach noch weit mehr als
andre sittliche Ideen auf der Stufe des Unklaren, Vvlkssittegemäßen und Un¬
bewußten, noch nicht Erkenntnis- und Begriffsmäßigen stehen geblieben" sei.
Wir lassen ununtersucht, ob das richtig ist. Sollte es richtig sein, so wäre
es kein Unglück, denn durch die begriffsmäßige Klärung Pflegen gleich den Be¬
weggründe» auch die Ideen ihre Kraft zu verlieren. Wenn der Mann, der
sich schon anschickte, dem unmittelbaren Antriebe des Mitleids zu folgen und
ans dem brennenden Hause eilt vergessenes Kind herauszuholen, plötzlich an¬
fängt, den Kreis seiner Pflichten zu überschaue« und zu mustern, so — ver¬
brennt das Kind. Der Patriotismus, meint Breche, stehe noch auf der ersten,
heroischen Stufe der Sittlichkeit, wo nnr die außergewöhnlichen Leistungen
geschätzt, die täglichen unscheinbaren Pflichterfüllungen aber gering geachtet
werden. „Man redet viel vom Sterben fürs Vaterland. Und dies ist ja das
höchste und äußerste, was die Vaterlandsliebe von uns verlangt. Aber schon
bei der zweitnötigsten der Leistungen fürs Vaterland, beim trivialen Steuer¬
zahler, hört der Patriotismus bei sonst wohldenkenden Staatsbürgern auf, und
es beginnt ein nervöses Mißbehagen, wohl auch kleinliches Schelten, ödes
Markten. Und die Scheidewand zwischen dem Stenerdefraudanten und dem
Dnrchschnittspatrioten soir würden sogar sagen: und dem feurigen Patrioten >
ist nur allzu oft eine dünne, oft genug transparente. Marum nicht kurz und
deutsch: auch mancher Patriot betrügt — Luther liebte dafür ein kräftigeres
Wort — den Fiskus mit Herzenslust, wo und wie er nur kann?! Daß
vollends gar im gewöhnlichen Privatleben, im Geschäftsleben patriotische,
staatsethische Motive leitend und bestimmend sein könnten oder sollten, das
würden neun Zehntel aller Dentschen als chauvinistische oder ideologische Über¬
spanntheit von sich weisen — zum deutlichen Beweis, wie wenig bis jetzt der
ethische Schatz gehoben lind fürs ganze Volkstum ausgenützt ist, der in der
Idee des Patriotismus noch verborgen liegt." Das patriotische Gebaren seit
1870 laufe auf Redensarten und Trinken hinaus.

Breche verfolgt nun die Entwicklung des Patriotismus durch die Welt¬
geschichte. „Der antike Patriotismus verblieb auf der Stufe des Stadt-
patrivtismus." Außerdem fehlte ihm „die Ergnuzung durch deu wahren
Kosmopolitismus, d. h. die Hnmanitätsidee," indem der Grieche Pflichten
gegen die Barbaren nicht anerkannte. Endlich blieb der Patriotismus auf die
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konnten auch leine Liebe zu ihm empfinden.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/350>, abgerufen am 26.06.2024.