Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Viktor Hehn

der Professor Osenbrüggen verhaftet ^ befahl der Kaiser, sie frei zu geben.
Osenbrüggen wurde feines Amtes entsetzt und als Ausländer über die Grenze
geschickt, nnter die Hehn betreffenden Akten aber schrieb Nikolaus eigenhändig:
Non8i"zur Hslin est un uoiuiue ac bsauooux "Zs vouiulissAuosL, unis it lui
"nniqui; 1^ oonuaissg.nos <is lÄ vis xrati^ne. ,1s vais 1a lui xrooursr. Die
Worte klingen wie Hohn, brauchen aber bei einem Geiste wie Nikolaus nicht
als solcher genommen zu werden. Die angekündigte pädagogische Maßregel
bestand in der Verbannung in eine Stadt des innern Rußlands, die Hehn sich
wählen durfte, uuter der Bedingung, daß sie keine Universitätsstadt sei, und
von wo er sich bis aus weiteres nicht zu entfernen habe; dazu, versteht sich,
polizeiliche Aufsicht. Der Wirkung nach war das ziemlich dasselbe wie Ver¬
bannung nach Sibirien. Zu Anfang 1851 also siedelte Hehn nach Tula über,
das in der Hoffnung gewählt wurde, unter den bei den dortigen Fabriken
angestellten Ausländern vielleicht ein paar gebildete Menschen zu finden. Die
ihm zugewiesene Beschäftigung war Aktenreponiren bei einer Behörde. Vom
Tageslohn zu leben, war auch bei äußerster Anspruchslosigkeit unmöglich,
durch wissenschaftlichen Unterricht sich zu fristen, verboten; endlich verfiel er
auf Musikstunden, wiewohl er nur ein wenig geübter Spieler war. So war
die ^lo xiAtiMv beschaffen, durch die der kaiserliche Erzieher den nach seiner
Meinung mit Wissensqualm überladenen zu heilen gedachte; darin schleppte
sich der Unglückliche ohne Hoffnung auf Änderung ein Jahr um das andre
fort, bis ihn eines Morgens sein englischer Stubennachbar mit dem Freuden-
rufe aus dem Bette riß: 01ä Mobola-s is Äöiicl!

Nach einigen Monaten war Hehn, dank den Bemühungen seiner Freunde,
ein freier Mann. Die ihm ans Verwendung der edeln Großfürstin Helene
angebotene Stellung als Bibliothekar an der kaiserlichen Bibliothek sagte ihm
zu, und er verblieb in ihr, später zum Oberbibliothekar mit dem Range eines
Wirklichen Staatsrath (Exzellenz) aufsteigend, nahe an zwei Jahrzehnte. Die Er¬
niedrigung und geistige Ode der Verbannungsjahre hatten in ihm den wissen¬
schaftliche!? Trieb nicht abstumpfen können; sie hatten ihn sein Leben nach
innen kehren heißen und ihn Geduld gelehrt. Langsam wuchsen die Studien,
aus denen er erst im Jahre 1870 in seinem klassischen Buche "Kulturpflanzen
und Haustiere" die Summe zog. Das in bequem zugemessenen Ferien öfters
besuchte Land seiner Liebe, Italien, gab dem Werke die Richtung, die ihm
unterstellte Bibliothek, eine der größten und besteingerichteten Europas, Stoff
und Hilfsmittel. Zugleich spiegelt sich darin der doppelte Interessenkreis der
Freunde, mit denen Hehn in Se. Petersburg verkehrte: der beiden Naturforscher
von Baer und von Middendorf, der Sprachforscher Böthlingk, Schiefner und
Wiedemann, sämtlich als Akademiker in der Residenz vereinigte engere Lands¬
leute. Daß die Deutschen damals in Se. Petersburg eine bevorzugte Stellung
einnahmen, daß das Leben dort auch äußerlich seine sehr angenehmen Seiten


Viktor Hehn

der Professor Osenbrüggen verhaftet ^ befahl der Kaiser, sie frei zu geben.
Osenbrüggen wurde feines Amtes entsetzt und als Ausländer über die Grenze
geschickt, nnter die Hehn betreffenden Akten aber schrieb Nikolaus eigenhändig:
Non8i«zur Hslin est un uoiuiue ac bsauooux «Zs vouiulissAuosL, unis it lui
»nniqui; 1^ oonuaissg.nos <is lÄ vis xrati^ne. ,1s vais 1a lui xrooursr. Die
Worte klingen wie Hohn, brauchen aber bei einem Geiste wie Nikolaus nicht
als solcher genommen zu werden. Die angekündigte pädagogische Maßregel
bestand in der Verbannung in eine Stadt des innern Rußlands, die Hehn sich
wählen durfte, uuter der Bedingung, daß sie keine Universitätsstadt sei, und
von wo er sich bis aus weiteres nicht zu entfernen habe; dazu, versteht sich,
polizeiliche Aufsicht. Der Wirkung nach war das ziemlich dasselbe wie Ver¬
bannung nach Sibirien. Zu Anfang 1851 also siedelte Hehn nach Tula über,
das in der Hoffnung gewählt wurde, unter den bei den dortigen Fabriken
angestellten Ausländern vielleicht ein paar gebildete Menschen zu finden. Die
ihm zugewiesene Beschäftigung war Aktenreponiren bei einer Behörde. Vom
Tageslohn zu leben, war auch bei äußerster Anspruchslosigkeit unmöglich,
durch wissenschaftlichen Unterricht sich zu fristen, verboten; endlich verfiel er
auf Musikstunden, wiewohl er nur ein wenig geübter Spieler war. So war
die ^lo xiAtiMv beschaffen, durch die der kaiserliche Erzieher den nach seiner
Meinung mit Wissensqualm überladenen zu heilen gedachte; darin schleppte
sich der Unglückliche ohne Hoffnung auf Änderung ein Jahr um das andre
fort, bis ihn eines Morgens sein englischer Stubennachbar mit dem Freuden-
rufe aus dem Bette riß: 01ä Mobola-s is Äöiicl!

Nach einigen Monaten war Hehn, dank den Bemühungen seiner Freunde,
ein freier Mann. Die ihm ans Verwendung der edeln Großfürstin Helene
angebotene Stellung als Bibliothekar an der kaiserlichen Bibliothek sagte ihm
zu, und er verblieb in ihr, später zum Oberbibliothekar mit dem Range eines
Wirklichen Staatsrath (Exzellenz) aufsteigend, nahe an zwei Jahrzehnte. Die Er¬
niedrigung und geistige Ode der Verbannungsjahre hatten in ihm den wissen¬
schaftliche!? Trieb nicht abstumpfen können; sie hatten ihn sein Leben nach
innen kehren heißen und ihn Geduld gelehrt. Langsam wuchsen die Studien,
aus denen er erst im Jahre 1870 in seinem klassischen Buche „Kulturpflanzen
und Haustiere" die Summe zog. Das in bequem zugemessenen Ferien öfters
besuchte Land seiner Liebe, Italien, gab dem Werke die Richtung, die ihm
unterstellte Bibliothek, eine der größten und besteingerichteten Europas, Stoff
und Hilfsmittel. Zugleich spiegelt sich darin der doppelte Interessenkreis der
Freunde, mit denen Hehn in Se. Petersburg verkehrte: der beiden Naturforscher
von Baer und von Middendorf, der Sprachforscher Böthlingk, Schiefner und
Wiedemann, sämtlich als Akademiker in der Residenz vereinigte engere Lands¬
leute. Daß die Deutschen damals in Se. Petersburg eine bevorzugte Stellung
einnahmen, daß das Leben dort auch äußerlich seine sehr angenehmen Seiten


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0315" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/208252"/>
          <fw type="header" place="top"> Viktor Hehn</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_869" prev="#ID_868"> der Professor Osenbrüggen verhaftet ^ befahl der Kaiser, sie frei zu geben.<lb/>
Osenbrüggen wurde feines Amtes entsetzt und als Ausländer über die Grenze<lb/>
geschickt, nnter die Hehn betreffenden Akten aber schrieb Nikolaus eigenhändig:<lb/>
Non8i«zur Hslin est un uoiuiue ac bsauooux «Zs vouiulissAuosL, unis it lui<lb/>
»nniqui; 1^ oonuaissg.nos &lt;is lÄ vis xrati^ne. ,1s vais 1a lui xrooursr. Die<lb/>
Worte klingen wie Hohn, brauchen aber bei einem Geiste wie Nikolaus nicht<lb/>
als solcher genommen zu werden. Die angekündigte pädagogische Maßregel<lb/>
bestand in der Verbannung in eine Stadt des innern Rußlands, die Hehn sich<lb/>
wählen durfte, uuter der Bedingung, daß sie keine Universitätsstadt sei, und<lb/>
von wo er sich bis aus weiteres nicht zu entfernen habe; dazu, versteht sich,<lb/>
polizeiliche Aufsicht. Der Wirkung nach war das ziemlich dasselbe wie Ver¬<lb/>
bannung nach Sibirien. Zu Anfang 1851 also siedelte Hehn nach Tula über,<lb/>
das in der Hoffnung gewählt wurde, unter den bei den dortigen Fabriken<lb/>
angestellten Ausländern vielleicht ein paar gebildete Menschen zu finden. Die<lb/>
ihm zugewiesene Beschäftigung war Aktenreponiren bei einer Behörde. Vom<lb/>
Tageslohn zu leben, war auch bei äußerster Anspruchslosigkeit unmöglich,<lb/>
durch wissenschaftlichen Unterricht sich zu fristen, verboten; endlich verfiel er<lb/>
auf Musikstunden, wiewohl er nur ein wenig geübter Spieler war. So war<lb/>
die ^lo xiAtiMv beschaffen, durch die der kaiserliche Erzieher den nach seiner<lb/>
Meinung mit Wissensqualm überladenen zu heilen gedachte; darin schleppte<lb/>
sich der Unglückliche ohne Hoffnung auf Änderung ein Jahr um das andre<lb/>
fort, bis ihn eines Morgens sein englischer Stubennachbar mit dem Freuden-<lb/>
rufe aus dem Bette riß: 01ä Mobola-s is Äöiicl!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_870" next="#ID_871"> Nach einigen Monaten war Hehn, dank den Bemühungen seiner Freunde,<lb/>
ein freier Mann. Die ihm ans Verwendung der edeln Großfürstin Helene<lb/>
angebotene Stellung als Bibliothekar an der kaiserlichen Bibliothek sagte ihm<lb/>
zu, und er verblieb in ihr, später zum Oberbibliothekar mit dem Range eines<lb/>
Wirklichen Staatsrath (Exzellenz) aufsteigend, nahe an zwei Jahrzehnte. Die Er¬<lb/>
niedrigung und geistige Ode der Verbannungsjahre hatten in ihm den wissen¬<lb/>
schaftliche!? Trieb nicht abstumpfen können; sie hatten ihn sein Leben nach<lb/>
innen kehren heißen und ihn Geduld gelehrt. Langsam wuchsen die Studien,<lb/>
aus denen er erst im Jahre 1870 in seinem klassischen Buche &#x201E;Kulturpflanzen<lb/>
und Haustiere" die Summe zog. Das in bequem zugemessenen Ferien öfters<lb/>
besuchte Land seiner Liebe, Italien, gab dem Werke die Richtung, die ihm<lb/>
unterstellte Bibliothek, eine der größten und besteingerichteten Europas, Stoff<lb/>
und Hilfsmittel. Zugleich spiegelt sich darin der doppelte Interessenkreis der<lb/>
Freunde, mit denen Hehn in Se. Petersburg verkehrte: der beiden Naturforscher<lb/>
von Baer und von Middendorf, der Sprachforscher Böthlingk, Schiefner und<lb/>
Wiedemann, sämtlich als Akademiker in der Residenz vereinigte engere Lands¬<lb/>
leute. Daß die Deutschen damals in Se. Petersburg eine bevorzugte Stellung<lb/>
einnahmen, daß das Leben dort auch äußerlich seine sehr angenehmen Seiten</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0315] Viktor Hehn der Professor Osenbrüggen verhaftet ^ befahl der Kaiser, sie frei zu geben. Osenbrüggen wurde feines Amtes entsetzt und als Ausländer über die Grenze geschickt, nnter die Hehn betreffenden Akten aber schrieb Nikolaus eigenhändig: Non8i«zur Hslin est un uoiuiue ac bsauooux «Zs vouiulissAuosL, unis it lui »nniqui; 1^ oonuaissg.nos <is lÄ vis xrati^ne. ,1s vais 1a lui xrooursr. Die Worte klingen wie Hohn, brauchen aber bei einem Geiste wie Nikolaus nicht als solcher genommen zu werden. Die angekündigte pädagogische Maßregel bestand in der Verbannung in eine Stadt des innern Rußlands, die Hehn sich wählen durfte, uuter der Bedingung, daß sie keine Universitätsstadt sei, und von wo er sich bis aus weiteres nicht zu entfernen habe; dazu, versteht sich, polizeiliche Aufsicht. Der Wirkung nach war das ziemlich dasselbe wie Ver¬ bannung nach Sibirien. Zu Anfang 1851 also siedelte Hehn nach Tula über, das in der Hoffnung gewählt wurde, unter den bei den dortigen Fabriken angestellten Ausländern vielleicht ein paar gebildete Menschen zu finden. Die ihm zugewiesene Beschäftigung war Aktenreponiren bei einer Behörde. Vom Tageslohn zu leben, war auch bei äußerster Anspruchslosigkeit unmöglich, durch wissenschaftlichen Unterricht sich zu fristen, verboten; endlich verfiel er auf Musikstunden, wiewohl er nur ein wenig geübter Spieler war. So war die ^lo xiAtiMv beschaffen, durch die der kaiserliche Erzieher den nach seiner Meinung mit Wissensqualm überladenen zu heilen gedachte; darin schleppte sich der Unglückliche ohne Hoffnung auf Änderung ein Jahr um das andre fort, bis ihn eines Morgens sein englischer Stubennachbar mit dem Freuden- rufe aus dem Bette riß: 01ä Mobola-s is Äöiicl! Nach einigen Monaten war Hehn, dank den Bemühungen seiner Freunde, ein freier Mann. Die ihm ans Verwendung der edeln Großfürstin Helene angebotene Stellung als Bibliothekar an der kaiserlichen Bibliothek sagte ihm zu, und er verblieb in ihr, später zum Oberbibliothekar mit dem Range eines Wirklichen Staatsrath (Exzellenz) aufsteigend, nahe an zwei Jahrzehnte. Die Er¬ niedrigung und geistige Ode der Verbannungsjahre hatten in ihm den wissen¬ schaftliche!? Trieb nicht abstumpfen können; sie hatten ihn sein Leben nach innen kehren heißen und ihn Geduld gelehrt. Langsam wuchsen die Studien, aus denen er erst im Jahre 1870 in seinem klassischen Buche „Kulturpflanzen und Haustiere" die Summe zog. Das in bequem zugemessenen Ferien öfters besuchte Land seiner Liebe, Italien, gab dem Werke die Richtung, die ihm unterstellte Bibliothek, eine der größten und besteingerichteten Europas, Stoff und Hilfsmittel. Zugleich spiegelt sich darin der doppelte Interessenkreis der Freunde, mit denen Hehn in Se. Petersburg verkehrte: der beiden Naturforscher von Baer und von Middendorf, der Sprachforscher Böthlingk, Schiefner und Wiedemann, sämtlich als Akademiker in der Residenz vereinigte engere Lands¬ leute. Daß die Deutschen damals in Se. Petersburg eine bevorzugte Stellung einnahmen, daß das Leben dort auch äußerlich seine sehr angenehmen Seiten

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/315
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/315>, abgerufen am 26.06.2024.